BGH Urteil v. - VI ZR 237/05

Leitsatz

[1] Zu den Anforderungen an die Überzeugungsbildung des Tatrichters hinsichtlich der Frage, ob dem Geschädigten bei Anmietung eines Fahrzeugs zu einem überhöhten Unfallersatztarif ein wesentlich günstigerer Tarif auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - zugänglich war.

Gesetze: BGB § 249 Gb; ZPO § 287

Instanzenzug: AG Düsseldorf 50 C 1557/04 vom LG Düsseldorf 23 S 339/04 vom

Tatbestand

Der Kläger macht gegen den beklagten Kfz-Haftpflichtversicherer Ansprüche auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom geltend. Die volle Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit.

Der Kläger, dessen Fahrzeug aufgrund des Unfalls nicht mehr betriebssicher war, mietete am , einem Montag, beim Autohaus G., das neben der Durchführung von Fahrzeugreparaturen auch Mietfahrzeuge anbietet, ein Ersatzfahrzeug an. Am stellte das Autohaus G. dem Kläger eine Rechnung über Mietkosten in Höhe von 876 € zuzüglich 140,16 € Mehrwertsteuer für "10 Tage gemäß Gruppe III Unfallersatztarif der Opel Rent Tabelle vom 4. 08. bis ". Die Beklagte erstattete 342 €. Sie orientierte sich dabei an einer Opel Rent Tabelle, die eine Wochenpauschale inklusive Mehrwertsteuer von 204 € und eine Tagespauschale von 46 € ausweist. Der Kläger klagt im Einverständnis mit dem Autohaus G., an das er den Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten sicherungshalber abgetreten hat. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung an das Autohaus G. verurteilt. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe die tatsächlich entstandenen Mietwagenkosten in voller Höhe zu erstatten. Selbst wenn der geltend gemachte Unfallersatztarif ungerechtfertigt überhöht gewesen sein sollte, sei dem Kläger ein anderer Tarif nicht zugänglich gewesen. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass überhaupt kostengünstigere "Normaltarife" im Gegensatz zu "Unfallersatztarifen" existierten. Eine entsprechende Kenntnis des Klägers habe die Beklagte auch nicht behauptet. Deshalb habe er auch keine Veranlassung bzw. Möglichkeit gehabt, nach einem kostengünstigeren Angebot für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zu fragen.

II.

Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.

1. Da der Kläger und Revisionsbeklagte in der Revisionsverhandlung trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, ist über die Revision der Beklagten antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81; - NJW 1999, 647, 648).

2. Zutreffend ist der Ansatz des Berufungsgerichts, dass der Geschädigte nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten verlangen kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 132, 373, 375 f. m.w.N.). Das Berufungsgericht hat auch die Grundsätze zutreffend wiedergegeben, die der erkennende Senat bis zum Erlass des Berufungsurteils zur Erstattungsfähigkeit sogenannter Unfallersatztarife entwickelt hat (vgl. Senat BGHZ 160, 377, 383 f.; vom - VI ZR 300/03 - VersR 2005, 241, 242; vom - VI ZR 160/04 - VersR 2005, 569 und VI ZR 74/04 - VersR 2005, 568 und vom - VI ZR 37/04 - VersR 2005, 850).

a) Wie der erkennende Senat inzwischen klargestellt hat (vgl. Urteile vom - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133; vom - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669, 670; vom selben Tag - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564, 565; vom - VI ZR 117/05 - und vom - VI ZR 161/05 - jeweils z.V.b.) ist nicht erforderlich, dass der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders freigestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines "Unfallersatztarifs" die Kalkulation des konkreten Unternehmens - gegebenenfalls nach Beratung durch einen Sachverständigen - in jedem Fall nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den "Normaltarif" in Betracht kommt (vgl. - und vom - VI ZR 126/05 - jeweils aaO). In Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den "Normaltarif" auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des "Schwacke-Mietpreisspiegels" im Postleitzahlengebiet des Geschädigten - gegebenenfalls mit sachverständiger Beratung - ermitteln (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 117/05 - z.V.b.).

b) Die Frage, ob ein vom Geschädigten beanspruchter Unfallersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich ist im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann dann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten jedenfalls ein günstigerer "Normaltarif" bekannt und in der konkreten Situation ohne weiteres zugänglich war, so dass ihm die kostengünstigere Anmietung eines entsprechenden Fahrzeugs unter dem Blickwinkel der ihm gemäß § 254 BGB obliegenden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 32/05 - aaO, m.w.N.). Ebenso kann diese Frage offen bleiben, wenn zur Überzeugung des Tatrichters feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum "Normaltarif" nach den konkreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist, denn der Geschädigte kann in einem solchen Fall den den "Normaltarif" übersteigenden Betrag im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung (vgl. hierzu Senat BGHZ 132, 373, 376) auch dann verlangen, wenn die Erhöhung nicht durch unfallspezifische Kostenfaktoren gerechtfertigt wäre (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 160/04 - aaO und vom - VI ZR 37/04 - aaO). Insoweit ist die Auffassung des Berufungsgerichts im Grundsatz nicht zu beanstanden.

c) Die Revision bemängelt aber zu Recht unzureichende Tatsachenfeststellungen für die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger sei die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zu einem günstigeren "Normaltarif" nicht zugänglich gewesen (§ 286 Abs. 1 BGB). Insoweit ist mangels anderweitiger Feststellungen revisionsrechtlich davon auszugehen, dass der Unfallersatztarif auch mit Rücksicht auf die Unfallsituation nicht im geltend gemachten Umfang zur Herstellung erforderlich war im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.

aa) Wie der Senat im Urteil vom - VI ZR 126/05 - aaO, 671 dargelegt hat, muss der Geschädigte in einem solchen Fall darlegen und erforderlichenfalls beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen kein wesentlich günstigerer Tarif auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - zugänglich war (vgl. - aaO und vom - VI ZR 338/04 - VersR 2006, 852, 864). An die Überzeugungsbildung des Tatrichters sind auch in diesem Punkt die Anforderungen zu stellen, die für anspruchsbegründende Tatsachen gelten. Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des Berufungsgerichts nicht gerecht.

bb) Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung, dass dem Kläger ein "Normaltarif" nicht zugänglich gewesen sei, darauf, dass er über Unterschiede in den Tarifen nicht aufgeklärt worden sei - was insoweit unstreitig ist - und dass er von solchen auch keine Kenntnis gehabt habe. Letzteres will es daraus herleiten, dass der Kläger die Frage, ob die Beklagte Mietwagenkosten entsprechend einem "Normaltarif" gezahlt habe, mit "Nichtwissen" beantwortet habe. Indessen vermag diese Äußerung die vom Berufungsgericht gezogene Folgerung nicht zu stützen. Zwar ist die tatrichterliche Beweiswürdigung revisionsrechtlich nur beschränkt überprüfbar, doch wäre die Schlussfolgerung - um die es sich im Streitfall handelt - nur überzeugungskräftig, wenn andere Möglichkeiten ernstlich nicht in Betracht kämen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 97/90 - NJW 1991, 1894, 1895; BGHZ 53, 245, 260 f. und - NJW 1993, 935, 938). Das ist nicht der Fall, denn dem Kläger mussten die allgemeinen Unterschiede in den Tarifen für Mietfahrzeuge nicht deshalb unbekannt sein, weil er nicht wusste, nach welchem Tarif die Beklagte die Mietkosten erstattet hatte.

cc) Insoweit weist die Revision mit Recht auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats hin, wonach den Geschädigten grundsätzlich eine Informationspflicht trifft. Ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter ist zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif schon unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots gehalten, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich aus dessen Höhe sowie der kontroversen Diskussion und der neueren Rechtsprechung zu diesen Tarifen ergeben können (vgl. - aaO; vom - VI ZR 126/05 - aaO und vom - VI ZR 117/05 - z.V.b). Auch liegt eine Nachfrage im eigenen Interesse des Geschädigten, weil er andernfalls Gefahr läuft, dass ihm ein überhöhter Unfallersatztarif nicht in vollem Umfang erstattet wird. Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalls auch erforderlich sein, sich anderweitig nach günstigeren Tarifen zu erkundigen. Der Senat hat bereits in früheren Entscheidungen (vgl. - VersR 1985, 1090 und - VI ZR 177/84 - VersR 1985, 1092 sowie vom - VI ZR 138/95 - BGHZ 132, 373, 378) darauf hingewiesen, dass der Geschädigte unter Umständen zur Einholung von ein oder zwei Konkurrenzangeboten gehalten sein kann. In diesem Zusammenhang kann eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug benötigt. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom Autovermieter und der Reparaturwerkstätte angebotene Tarif sei "auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten", rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren.

dd) Im Streitfall fehlt es bereits an schlüssigem, die Behauptung der Nichtzugänglichkeit eines "Normaltarifs" stützenden Klägervortrag, der Umstände aufzeigt und erforderlichenfalls unter Beweis stellt, welche ausnahmsweise geeignet gewesen wären, die vom Berufungsgericht angenommene Unwissenheit zu begründen, obwohl der angebotene Tarif nahezu um das Dreifache über dem sonst üblichen Tagespreis für einen Mietwagen der entsprechenden Klasse liegt. Da der Kläger das Fahrzeug an einem gewöhnlichen Werktag, nämlich einem Montag, angemietet hat, hätte es angesichts des auffallend hohen Preises nahe gelegen, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen und - womöglich unter Einholung der Deckungszusage des Haftpflichtversicherers - das Mietfahrzeug zu einem günstigeren Preis zu bekommen (vgl. Senaturteile vom - VI ZR 37/04 -; vom - VI ZR 9/05 - jeweils aaO; vom - VI ZR 338/04 - VersR 2006, 852, 854; vom - VI ZR 117/05 - und vom - VI ZR 161/05 - jeweils z.V.b.).

III.

Danach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zu neuer Verhandlung zurückzuverweisen. Dieses wird bei Nichterweislichkeit des fehlenden Zugangs des Klägers zu einem günstigeren Tarif erforderlichenfalls mit sachverständiger Hilfe zu klären haben, ob der Aufschlag betriebswirtschaftlich wegen unfallbedingter Mehrkosten gerechtfertigt war.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 2693 Nr. 37
WAAAC-02817

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja