Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO § 141 Abs. 1; ZPO § 279 Abs. 3; ZPO § 522 Abs. 2; ZPO § 544 Abs. 7
Instanzenzug: LG Berlin 18 O 434/02 vom KG Berlin 12 U 286/03 vom
Gründe
I. 1. Die Parteien streiten - nur noch - darüber, ob eine Zahlung der Beklagten und Widerklägerin auf ein Konto einer Gesellschaft, deren Gesellschafterin und Geschäftsführerin die Klägerin und Widerbeklagte ist, die Gewährung eines persönlichen Darlehens darstellte, und die Klägerin zur Rückzahlung eines Restbetrags nebst Zinsen verpflichtet ist. Das Landgericht hat durch Vernehmung der Zeugen P. , Bo. , A. und B. sowie durch Parteivernehmung der Beklagten Beweis erhoben und daraufhin der Widerklage stattgegeben, da die Beklagte das Zustandekommen eines Darlehensvertrages bewiesen habe.
2. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein. Das Berufungsgericht wies sie darauf hin, es beabsichtige, das Rechtsmittel mangels Erfolgsaussicht durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Eine Abschrift dieses rechtlichen Hinweises wurde der Beklagten übersandt. Nach ergänzendem Parteivortrag bestimmte das Berufungsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung, ordnete gemäß § 141 Abs. 1 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien an und lud die von der Klägerin benannten Zeugen A. und An. sowie die von der Beklagten benannten Zeugen P. , Bo. und B. zum Termin. In der mündlichen Verhandlung wurde zunächst die Klägerin persönlich angehört, sodann wurden die Zeugen P. und Bo. vernommen. Der Zeuge P. wurde vereidigt. Nach Beratung wies das Berufungsgericht die Parteien darauf hin, dass es nicht beabsichtige, auch die weiteren Zeugen noch zu hören. Die Parteien verhandelten daraufhin zum bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme mit den zuvor gestellten Anträgen. Sodann wurden die nicht vernommenen Zeugen in allseitigem Einverständnis entlassen. Am Schluss der Sitzung verkündete das Berufungsgericht sein die Widerklage abweisendes Urteil. Zur Begründung führte es aus, die Beklagte habe den ihr obliegenden Beweis einer Darlehensvereinbarung mit der Klägerin als Rechtsgrund für eine von ihr veranlasste Überweisung eines Betrages von 330.000 DM nicht erbracht. Zwar sei die Behauptung der Beklagten, zwischen den Parteien sei im Juni 2001 ein solcher Vertrag zustande gekommen, im Wesentlichen durch die Aussagen der Zeugen P. und Bo. bestätigt worden. An der Richtigkeit dieser Zeugenaussagen bestünden jedoch erhebliche Zweifel, die hinsichtlich des Zeugen P. auch nicht dadurch ausgeräumt worden seien, dass dieser seine Aussage beeidigt habe.
II. Die zulässige Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Die Beklagte beanstandet im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung nach einer nur unvollständigen Wiederholung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme getroffen hat. Denn es hat dabei seine Verpflichtungen aus § 279 Abs. 3 ZPO verletzt und der Beklagten die Möglichkeit genommen, durch Vortrag und weitere Beweisanträge auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen.
1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht der Verfahrensbeteiligten, vor einer gerichtlichen Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144). Zwar ist der Richter im Zivilprozess regelmäßig nicht zu einem Rechtsgespräch mit den Parteien verpflichtet. Diese müssen alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte grundsätzlich von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (BVerfGE 74, 1, 5; BVerfG NJW 1996, 3202). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Wahrung rechtlichen Gehörs setzt jedoch voraus, dass die Parteien bei Anwendung der von ihnen zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermögen, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann (BVerfGE 84, 188, 190). Ohne vorherigen Hinweis oder Erörterung mit den Parteien darf das Gericht nicht auf einen Gesichtspunkt abstellen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zur rechnen braucht (BVerfGE 86, 133, 144 ff.). Dies gilt auch, soweit eine Partei nach den Umständen des Falles durch die vom Gericht beabsichtigte Beweiswürdigung überrascht zu werden droht (vgl. - NJW 1981, 1378 unter 2 c u. 3).
2. Danach wäre das Berufungsgericht nach der nur teilweise durchgeführten Beweisaufnahme verpflichtet gewesen, deren Ergebnis gem. § 279 Abs. 3 ZPO vor Verkündung des die Klage abweisenden Urteils mit den Parteien zu erörtern. Ob dieser Vorschrift für den Fall drohender Beweisfälligkeit einer Partei immer eine Verpflichtung des Gerichts zu entnehmen ist, in eine Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme einzutreten, seine eigene Würdigung des Beweisergebnisses zu offenbaren und gegebenenfalls die Benennung weiterer Beweismittel anzuregen (vgl. dazu Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 279 Rdn. 5; Musielak/Stadler, ZPO 4. Aufl. § 139 Rdn. 14 m.Nachw. zum Meinungsstand; Schulz/Sticken MDR 2005, 1, 5), braucht hier nicht entschieden zu werden. Jedenfalls im vorliegenden Fall war ein solcher Hinweis zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Beklagten geboten. Das Berufungsgericht hatte - entgegen seiner den Parteien zunächst bekannt gegebenen Auffassung über die mangelnde Erfolgsaussicht der Berufung - mit der Anordnung der Beweisaufnahme Zweifel an der Richtigkeit bzw. Vollständigkeit der vom Landgericht festgestellten Tatsachen zu erkennen gegeben (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). In der Beweisaufnahme bestätigten zwei Zeugen jedoch im Wesentlichen den Vortrag der Beklagten; der Zeuge P. wurde überdies auf seine Aussage vereidigt. Die in erster Instanz siegreiche Beklagte durfte daher auch unter Berücksichtigung der von ihr als Prozesspartei zu verlangenden Sorgfalt darauf vertrauen, vor einer ihr nachteiligen Entscheidung vom Berufungsgericht zu erfahren, wie dieses das Ergebnis der Beweisaufnahme einschätzte, zumal es den Parteien nach kurzer Beratung seine Absicht mitgeteilt hatte, die Beweisaufnahme nicht weiter fortzuführen. Die Abweisung der Widerklage stellte für die Beklagte eine im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Damit war ihr auch die Möglichkeit abgeschnitten, durch neue Beweisanträge oder Richtigstellungen auf das Ergebnis der Beweisaufnahme noch Einfluss zu nehmen.
3. Auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Die Beschwerde hat im Einzelnen dargelegt, dass sich das Berufungsgericht bei Fortsetzung der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin B. und durch Vernehmung der Beklagten als Partei, wie im ersten Rechtszug geschehen, möglicherweise die erforderliche Gewissheit über die Richtigkeit des Beklagtenvortrags verschafft hätte.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
SAAAB-99043
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein