Leitsatz
[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gesetze: ZPO §§ 114 ff.; ZPO § 117; ZPO § 117 Abs. 3; ZPO § 117 Abs. 4; ZPO § 522 Abs. 1 Satz 4; ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2; SGB II § 9 Abs. 5; SGB II §§ 19 ff.
Instanzenzug: OLG Oldenburg vom
Gründe
I. 1. Das Landgericht Osnabrück hat den Beklagten durch Urteil vom verurteilt, an den Kläger 23.471,99 € nebst Zinsen zu zahlen. Am letzten Tag der Berufungsfrist hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten beim Oberlandesgericht einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung, einen Entwurf der Berufungsbegründung und die Erklärung vom über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen eingereicht. In dem Vordruck nach § 117 Abs. 3, 4 ZPO hat der Beklagte nicht angekreuzt, ob er Einnahmen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft hat. Die übrigen Fragen hat er beantwortet und ihnen durch Nummerierung zugeordnete Belege im Umfang von 49 Blatt beigefügt.
Durch Beschluss vom hat das Berufungsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen, weil die Angaben des Beklagten zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen unvollständig seien. Er habe zwar eine Reihe von Fragen zu seinen Einnahmen beantwortet. Die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit/Gewerbebetrieb habe er jedoch unbeantwortet gelassen. Nach Zustellung des Beschlusses am hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten am Wiedereinsetzung beantragt. Der Beklagte habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm Prozesskostenhilfe verwehrt werden würde. Er habe gemeint, die nicht beantwortete Frage nach solchen Einkünften offenlassen zu können, weil er schon seit einigen Jahren Rentner sei und eine Kopie des Rentenbescheids dem Antrag beigefügt habe. Er verfüge über keine Einkünfte aus selbständiger Arbeit/Gewerbebetrieb. Mit am eingegangenen Schriftsätzen hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Wiedereinsetzungsantrag wiederholt sowie die Berufung eingelegt und begründet.
2. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss vom wegen Versäumung der Berufungsfrist verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Der Beklagte habe nicht ohne Verschulden davon ausgehen dürfen, die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Gewährung von Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist in ausreichender Weise dargetan zu haben. Der Vordruck der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse müsse dem Rechtsmittelgericht vor Ablauf der Frist vollständig ausgefüllt vorliegen. Daran fehle es, weil die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft nicht beantwortet gewesen sei. Die Fristversäumung sei nicht deshalb unverschuldet, weil der Beklagte gemeint habe, diese Frage offenlassen zu dürfen, weil er Rentner sei und einen Rentenbescheid beigefügt habe. Diese Erklärung überzeuge nicht. Zu ihr passe nicht, dass er gleichwohl sämtliche weiteren Fragen zu seinen Einkünften und dabei unter anderem auch die Frage verneint habe, ob er Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit erziele. Eine Beantwortung dieser Fragen hätte sich ebenfalls erübrigt, wenn der Beklagte davon ausgegangen sei, die Frage nach seinen Einkünften durch die Vorlage des Rentenbescheides hinreichend beantwortet zu haben. Durch die Beantwortung aller weiteren Fragen nach seinen Einkünften habe er im Gegenteil den Eindruck vermittelt, die Frage nach Einkünften aus selbständiger Arbeit bewusst offen gelassen zu haben. Unabhängig davon schließe ein Rentenbezug zusätzliche Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit, aus Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft nicht schlechthin aus.
II. 1. Die dagegen form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Entscheidung des Berufungsgerichts den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt (vgl. - NJW 2004, 367 unter II 1 bb und BGHZ 151, 221, 226 ff.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, innerhalb der Berufungsfrist habe kein ordnungsgemäßer Prozesskostenhilfeantrag vorgelegen. Dem Beklagten ist deshalb Wiedereinsetzung zu gewähren.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Oberlandesgericht ausgeht, ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme einer fristwahrenden Handlung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrages wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte (BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 80/03 - NJW-RR 2004, 1218 unter II 2 a und vom - VI ZB 10/99 - VersR 2000, 383 unter 1 jeweils m.w.N.). Das ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn die Partei bis zum Ablauf der Frist die für ihre wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlichen Angaben vollständig und übersichtlich dargestellt hat; dazu wird regelmäßig die fristgerechte Vorlage der Erklärung gemäß § 117 ZPO mit lückenlosen Angaben gefordert ( - VersR 2000, 252 unter 1 m.w.N.; BVerfG NJW 2000, 3344).
Die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit dürfen aber (ebenso wie die Anforderungen an die Erfolgsaussicht, vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1069) nicht überspannt werden, weil dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt würde. Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG NJW-RR 2002, 1005). Demgemäß dürfen bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, insbesondere beim "ersten Zugang", aber auch beim Zugang zu einer weiteren Instanz nicht überspannt werden (BGHZ 151, 221, 227 f. m.w.N.).
Diesen Grundsätzen trägt die Entscheidungspraxis des Bundesgerichtshofs Rechnung. Enthält der Vordruck gemäß § 117 Abs. 3, 4 ZPO einzelne Lücken, kann die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Das kommt in Betracht, wenn auf andere Weise die Lücken geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa durch die beigefügten Unterlagen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IVb ZB 47/85 - NJW 1986, 62 unter I [Gehaltsbescheinigung]; vom - XI ZB 39/97 - VersR 1998, 1397 unter 2 und vom - XII ZB 118/92 - NJW 1993, 732 unter II 2 [jeweils Sozialhilfebescheid]) oder Angaben zu früheren PKH-Anträgen (vgl. - NJW-RR 2000, 1520 f.). Vollständigkeit der Angaben kann ausnahmsweise auch dann anzunehmen sein, wenn es sich bei einer einzelnen nicht beantworteten Frage nach Einnahmen aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom aaO und vom - VI ZB 49/91 - VersR 1992, 897 unter 2).
b) Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte ohne sein Verschulden daran gehindert, rechtzeitig Berufung einzulegen. Er musste vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Prozesskostenhilfeantrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen, weil er aus seiner Sicht die wirtschaftlichen Verhältnisse für die Entscheidung über den Antrag ausreichend dargelegt hatte. Das Berufungsgericht hat die daran zu stellenden Anforderungen überspannt und das Vorbringen des Beklagten ersichtlich nur unvollständig gewürdigt. Aus den Angaben und näheren Erläuterungen des Beklagten und den von ihm eingereichten Unterlagen geht hinreichend deutlich hervor, dass er damit erklären wollte, außer den genannten Einnahmen keine weiteren zu haben. Ein solches Verständnis drängt sich zumindest auf.
Den eingereichten Unterlagen ist folgendes zu entnehmen:
Der im August 1940 geborene Beklagte bezieht jedenfalls seit einem vor Mai 2004 liegenden Zeitpunkt eine Rente von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Mindestens seit 1993 erhält er eine Betriebsrente als Invalidenrente. Seit November 1988 ist er Inhaber eines Schwerbehindertenausweises, in dem der Grad der Behinderung mit 50% angegeben ist. Mehreren Arztberichten zufolge leidet er seit 1988 an einer coronaren Mehrgefäßerkrankung, die ab Mitte Dezember 1988 zur Arbeitsunfähigkeit führte. Eine Bypassoperation am erbrachte keine nachhaltige Besserung. Vom 9. bis befand er sich wegen der Herzerkrankung in stationärer Behandlung. Am kam er als Notfallpatient ins Krankenhaus. Aus all dem kann vernünftigerweise nur der Schluss gezogen werden, dass der Kläger im Januar 2005 keine Einnahmen aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft hatte und er annehmen durfte, dies zum Ausdruck gebracht zu haben.
Es kommt hinzu: Der im Haushalt des Klägers und seiner Ehefrau lebende 28 Jahre alte arbeitslose Sohn zahlt an die Eltern im Monat als Kostgeld 241,98 €. Diesen Betrag hat er durch Bescheid vom über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II als Beitrag zu den Kosten für Unterkunft und Heizung der aus ihm und seinen Eltern bestehenden Bedarfsgemeinschaft/Haushaltsgemeinschaft bewilligt erhalten. Außerdem erhält er die volle monatliche Regelleistung von 345 €. Bei dieser sozialhilfegleichen Leistung werden nach § 9 Abs. 5 SGB II auch das Einkommen und Vermögen der mit dem Hilfebedürftigen in Haushaltsgemeinschaft lebenden Verwandten berücksichtigt (vgl. dazu Schoch, ZfF 2004, 169 ff.; Waibel, ZfF 2005, 49 ff.; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe SGB II § 9 Rdn. 47 ff.). Der Leistungsberechnung im Bescheid vom liegen die nachgewiesenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Sohnes und der Eltern zugrunde. Da der Sohn die volle Regelleistung und einen Betrag für Unterkunft und Heizung erhält, ist damit hinreichend belegt und zum Ausdruck gebracht, dass der (unterhaltspflichtige) Kläger weitere als die angegebenen Einnahmen nicht hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BAAAB-98927
1Nachschlagewerk: nein; BGHZ: nein; BGHR: nein