Leitsatz
[1] Insolvenzreife einerseits und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit andererseits sind eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände der Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts.
Gesetze: GmbHG § 32 a
Instanzenzug: LG Bochum 12 O 159/03 vom OLG Hamm 27 U 23/05 vom
Tatbestand
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin, deren Alleingesellschafter seit dem F. S. ist, entrichtete für die Nutzung ihres Betriebsgrundstücks im Zeitraum von April 2000 bis April 2001 Pachtzahlungen in Höhe von 83.954,13 € an die Beklagte. Deren alleiniger Kommanditist ist ebenfalls F. S. ; Komplementär war bis zum sein Vater W. S. ; seitdem ist Komplementärin die S. Fleischwarenfabrik GmbH; ihr Gesellschafter ist ebenfalls F. S. .
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eigenkapitalersetzender Nutzungsüberlassung auf Rückzahlung von 83.954,13 € in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage uneingeschränkt, das Oberlandesgericht - unter dem Gesichtspunkt des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO - lediglich in Höhe von 6.646,79 € stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 77.307,34 €.
Gründe
Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
I. Das Oberlandesgericht meint, die Nutzungsüberlassung an die Schuldnerin falle nicht in den Anwendungsbereich des Kapitalersatzrechts. Zwar seien die Regeln des Kapitalersatzrechts grundsätzlich anwendbar, wenn die Gesellschaft überschuldet oder zahlungsunfähig sei. Bei der eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung müsse jedoch das weitere Merkmal der Überlassungsunwürdigkeit hinzutreten. Da es sich bei dem gepachteten Betriebsgrundstück um ein Standardwirtschaftsgut handele und die Schuldnerin in der Lage gewesen sei, das laufende Nutzungsentgelt zu bezahlen, könne nicht von ihrer Überlassungsunwürdigkeit ausgegangen werden.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Für das Revisionsverfahren ist, da das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen zu dem Vorbringen des Klägers nicht getroffen hat, zu unterstellen, dass die Schuldnerin im Zahlungszeitraum überschuldet war und dass die Beklagte Normadressatin der Eigenkapitalersatzregeln ist.
1. Zu Unrecht nimmt das Oberlandesgericht an, eine eigenkapitalersetzende Gebrauchsüberlassung setze neben der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit voraus, daß die Gesellschaft überlassungsunwürdig sei.
a) Die Eigenkapitalersatzregeln greifen stets ein, wenn der Gesellschafter der GmbH in der Krise (§ 32 a Abs. 1 Satz 1 GmbHG) eine Gesellschafterhilfe erstmals gewährt oder die früher gegebene Hilfe belässt. Eine Krise ist außer bei Insolvenzreife der Gesellschaft in Vorverlagerung (Sen.Urt. v. - II ZR 207/01, ZIP 2004, 1049, 1052; , ZIP 2006, 243 Rdn. 15) der den Gesellschaftern abverlangten Entscheidung auch dann gegeben, wenn die Gesellschaft kreditunwürdig bzw. überlassungsunwürdig ist. Nach dieser Rechtsprechung sind, was das Berufungsgericht verkannt hat, Insolvenzreife und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände des Eigenkapitalersatzrechts (BGHZ 109, 55, 60, 62; Sen.Urt. v. aaO; Sen.Urt. v. - II ZR 252/92, NJW 1993, 2179 f.).
b) Da - wie ausgeführt - die Überschuldung der Schuldnerin revisionsrechtlich zu unterstellen ist, kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil nicht nur die Frage der Überschuldung, sondern auch die der Normadressateneigenschaft der Beklagten (vgl. Sen.Urt. v. - II ZR 179/99, ZIP 2001, 115) zu klären ist.
2. Die Zurückverweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien zu der geltend gemachten Überschuldung - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe und, soweit Gesellschafterdarlehen mit Rangrücktrittserklärungen versehen sind, unter Berücksichtigung der in BGHZ 146, 264 aufgestellten Grundsätze - die erforderlichen Feststellungen zu treffen.
Falls das Berufungsgericht eine Überschuldung der Schuldnerin nicht feststellen sollte, wird es im Blick auf eine etwaige Überlassungsunwürdigkeit ihrem durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellten Vorbringen, dass das Pachtgrundstück in seiner Gesamtheit als ein spezielles Wirtschaftsgut einzustufen ist, nachzugehen haben; dass diese Frage, die nur auf Grund eingehender Marktkenntnisse in dem Gebiet der Schuldnerin beantwortet werden kann, von dem Berufungsgericht auf Grund dessen eigener Sachkunde geklärt werden kann, ist derzeit nicht ersichtlich.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2006 S. 1178 Nr. 22
DB 2006 S. 1205 Nr. 22
DStR 2006 S. 1144 Nr. 26
DStZ 2006 S. 531 Nr. 15
GmbHR 2006 S. 703 Nr. 13
NWB-Eilnachricht Nr. 45/2006 S. 3790
SJ 2006 S. 39 Nr. 19
StuB-Bilanzreport Nr. 21/2006 S. 853
WM 2006 S. 1150 Nr. 24
WPg 2006 S. 786 Nr. 12
ZIP 2006 S. 996 Nr. 21
IAAAB-98018
1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja