Leitsatz
[1] Eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Gesetze: BGB § 199 Abs. 1; BGB § 307
Instanzenzug: ArbG Freiburg 5 Ca 503/04 vom LAG Baden-Württemberg (Freiburg) 11 Sa 26/05 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten über Arbeitsvergütung und in diesem Zusammenhang über die Wirksamkeit einer vertraglich vereinbarten Ausschlussfrist.
Der Kläger war bei der Beklagten vom bis zum beschäftigt. Es war ein Stundenlohn von 12,50 Euro brutto vereinbart. Ab kürzte die Beklagte ohne Ausspruch einer Änderungskündigung aus wirtschaftlichen Gründen das Arbeitsentgelt aller Arbeitnehmer um 10 %. Für die vom Kläger in der Zeit vom 1. Mai bis zum geleisteten 733,65 Arbeitsstunden erhielt der Kläger einen Stundenlohn von jeweils 11,25 Euro brutto.
In dem von der Beklagten vorformulierten Arbeitsvertrag vom heißt es:
"...
§ 10 Ausschlußklausel/Zeugnis
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen von beiden Vertragsteilen spätestens innerhalb eines Monats nach Beendigung schriftlich geltend gemacht werden. Andernfalls sind sie verwirkt.
..."
Mit Schreiben vom machte der Kläger die Vergütungsdifferenz zwischen dem vereinbarten Stundenlohn von 12,50 Euro brutto und den gezahlten 11,25 Euro brutto in Höhe von insgesamt 917,06 Euro brutto geltend. Die Beklagte wies die Forderung mit Schreiben vom zurück.
Mit seiner am beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung der rückständigen Arbeitsvergütung verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei zur Lohnkürzung nicht berechtigt gewesen. Die vereinbarte Ausschlussfrist sei unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 917,06 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Entgeltanspruch sei verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht zur Zahlung verurteilt.
I. Der Kläger kann von der Beklagten gem. § 611 Abs. 1 BGB die Zahlung von 917,06 Euro brutto verlangen. Die Beklagte war nicht berechtigt, den vertraglich vereinbarten Stundenlohn des Klägers einseitig von 12,50 Euro auf 11,25 Euro brutto herabzusetzen. Ein Recht zur einseitigen Änderung der Arbeitsvergütung war zwischen den Parteien nicht vereinbart. Eine Änderungskündigung hat die Beklagte nicht ausgesprochen.
II. Der Vergütungsanspruch des Klägers ist nicht verfallen. Die vertraglich vereinbarte Ausschlussfrist ist unwirksam.
1. In Formulararbeitsverträgen können Ausschlussfristen vereinbart werden (Senat - 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 151, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3 a der Gründe; - 5 AZR 572/04 - AP BGB § 310 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu IV 1 der Gründe; - BAGE 109, 369, 381 f., zu VI 2 der Gründe). Die §§ 305 ff. BGB enthalten keine Bestimmungen, die Ausschlussfristen generell für unwirksam erklären.
2. Die zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlussklausel unterliegt der Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 bis 309 BGB. Die Ausschlussfrist stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung (§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) dar; denn gesetzlich bleiben Ansprüche abgesehen von einer Verwirkung (§ 242 BGB) erhalten und sind nur im Rahmen des Verjährungsrechts geltend zu machen. Die Klausel entspricht auch nicht einer tariflichen Bestimmung oder anderen Norm iSd. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB, die auf das Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar Anwendung finden kann (Senat - 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 151, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3 b der Gründe).
3. Die vereinbarte Ausschlussfrist ist gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. In § 10 des Arbeitsvertrags wird für den Beginn der Ausschlussfrist allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt. Ob die Ansprüche zu diesem Zeitpunkt erkennbar und durchsetzbar sind, ist nach der vereinbarten Klausel unerheblich. Das ist mit dem in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundgedanken unvereinbar, wonach für den Beginn der Verjährungsfrist Voraussetzung ist, dass der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Wertung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist in Ausschlussfristen dadurch Rechnung zu tragen, dass für den Fristbeginn die "Fälligkeit" der Ansprüche maßgebend ist (vgl. - AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 36 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 175, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu 2 a dd der Gründe). Der Begriff der Fälligkeit wird dabei von den Gerichten für Arbeitssachen unter Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte interessengerecht ausgelegt (vgl. Senat - 5 AZR 175/04 - AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1, zu III 5 c der Gründe mwN). Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne der Ausschlussfrist fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann (Senat - 5 AZR 52/05 - NZA 2006, 149, 152, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 5 d der Gründe). Fälligkeit in diesem Sinne liegt nicht vor, wenn es dem Gläubiger praktisch unmöglich ist, den Anspruch mit seinem Entstehen geltend zu machen. Das ist insbesondere der Fall, wenn die rechtsbegründenden Tatsachen in der Sphäre des Schuldners liegen und der Gläubiger es nicht durch schuldhaftes Zögern versäumt hat, sich Kenntnis von den Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die Geltendmachung benötigt ( - AP BAT-O § 70 Nr. 3 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 174, zu I 4 b bb der Gründe). Eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
4. Die Unwirksamkeit der Ausschlussklausel führt zu ihrem ersatzlosen Wegfall bei Aufrechterhaltung des Arbeitsvertrags im Übrigen (§ 306 Abs. 1 und 2 BGB). Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus. Sie setzt voraus, dass die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften und das Unterbleiben der Ergänzung des Vertrags keine angemessene, den typischen Interessen der Vertragsparteien Rechnung tragende Lösung bietet ( - AP BGB § 308 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 1 der Gründe mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel lässt den Regelungsplan der Parteien nicht als vervollständigungsbedürftig erscheinen. Bei Wegfall der Ausschlussfrist greifen mangels gesetzlicher oder richterrechtlicher Regelungen zu Ausschlussfristen allein die Verjährungsregeln der §§ 195 ff. BGB ein, die einen dem Regelungsgedanken der Ausschlussfristen vergleichbaren hinreichenden Interessenausgleich bieten. Besonderheiten bei Altverträgen kommen nicht zum Tragen, denn es handelt sich um einen nach dem abgeschlossenen Arbeitsvertrag.
III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 2205 Nr. 30
NWB-Eilnachricht Nr. 39/2006 S. 3309
LAAAB-94346
1Für die amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein