Leitsatz
[1] Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Mit dem bestandskräftigen, zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamtes steht auch nicht etwa zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eigenständig zu prüfen.
Gesetze: SGB IX § 91 Abs. 2 Satz 1; BGB § 626 Abs. 2
Instanzenzug: ArbG Dortmund 7 Ca 7237/02 vom 16.12.2003LAG Hamm 8 Sa 292/04 vom
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.
Der Kläger war seit dem als Marketingdirektor bei der Beklagten tätig.
Am kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit der Begründung, der Kläger habe Rechnungen vorfakturiert, die der Beklagten von Werbeagenturen gestellt wurden. Ein Mitarbeiter der Beklagten hatte bereits im August 2002 entsprechende Hinweise erhalten. Das Vorstandsmitglied S war in der Folgezeit von diesem Mitarbeiter unterrichtet worden, wobei der konkrete Zeitpunkt streitig ist. Jedenfalls Ende September 2002 sind Herrn S erste Verdachtsmomente bekannt geworden.
Mit Schreiben vom richtete die Werbeagentur ein Schreiben an das Vorstandsmitglied, in dem es ua. heißt:
"Wir möchten nochmals ausdrücklich betonen, dass die Fakturierung der von uns betreuten Werbemaßnahmen und Projekte auf Anweisung von Herrn K komplett im Dezember 2001 erfolgen sollte. Gleichzeitig verlangte Herr K in unserem Schreiben vom die Bestätigung, dass alle Projekte in Bearbeitung sind und im Frühjahr 2002 beendet werden."
Der Kläger stellte unter dem beim Versorgungsamt Dortmund einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte dies der Beklagten mit Schreiben vom (Zugang bei der Beklagten am ) mit. Bereits am hatte die Beklagte eine weitere außerordentliche Kündigung und unter dem eine ordentliche Kündigung zum ausgesprochen. Mit Schreiben vom , das beim Integrationsamt am einging, beantragte die Beklagte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Die Zustimmung wurde sowohl zur außerordentlichen als auch zur ordentlichen Kündigung erteilt. Der Bescheid ging beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am ein. Zuvor war der bei der Beklagten gebildete Betriebsrat mit Schreiben vom zu einer beabsichtigten ordentlichen und zu einer außerordentlichen Kündigung - erneut - angehört worden. Mit Schreiben vom , das am 3. Januar durch einen Boten um 9.28 Uhr in den Briefkasten des Klägers eingeworfen wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich fristgerecht zum .
Durch Bescheid des Versorgungsamtes vom wurde dem Kläger die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch versagt; mit Widerspruchsbescheid vom wurde diese Entscheidung bestätigt. Die hiergegen vom Kläger zunächst zum Sozialgericht erhobene Klage hat er im Laufe des Berufungsverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht zurückgenommen. Dasselbe gilt für die zum Verwaltungsgericht erhobene Klage gegen den zustimmenden Bescheid des Integrationsamtes.
Der Kläger hat gegen alle Kündigungen Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten. Die vorgezogene Zahlung der von den Werbeagenturen noch nicht vollständig abgerufenen Leistungen habe dem Interesse der Beklagten an einer raschen Durchführung der Aufträge gedient. Seine Kompetenzen habe er nicht überschritten. Dem Vorstand seien die einzelnen Zahlungen ohne weiteres nachvollziehbar und offensichtlich gewesen. Jedenfalls sei die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht eingehalten. Dies gelte auch bezüglich der - in der Revision allein noch streitigen - Kündigung vom . Dass das Integrationsamt die Einhaltung der zweiwöchigen Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bejaht habe, stehe der arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht entgegen. Bereits das Arbeitsgericht habe aber hinsichtlich der Kündigungen vom 15. und erkannt, dass der Beklagten der maßgebliche Kündigungssachverhalt mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigungen bekannt gewesen sei.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom beendet worden ist.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, der Kläger habe in Kenntnis der Kürzung des Werbeetats für das Jahr 2002 aus dem unverbrauchten Etat des Jahres 2001 an Werbeagenturen 1,2 Mio. Euro auf Leistungen gezahlt, die von diesen noch nicht erbracht, sondern für das Jahr 2002 geplant gewesen seien. Er habe die Vermögensinteressen der Beklagten auf das Schwerste geschädigt. Die außerordentliche Kündigung vom sei nicht verfristet. Das Integrationsamt habe den Antrag als fristgerecht gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX angesehen. Die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei arbeitsgerichtlich deshalb nicht mehr zu überprüfen. Die Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX sei mit Ablauf des eingetreten. Jedenfalls sei der zustimmende Bescheid am spätestens bis 8.30 Uhr beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten und damit vor dem Zugang der Kündigung bei dem Kläger eingegangen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigungen vom 15. und stattgegeben und im Übrigen die Klage abgewiesen, weil es die außerordentliche Kündigung vom für wirksam gehalten hat. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht nur hinsichtlich der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter, dass das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Gründe
Die Revision hat Erfolg.
A. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung vom für wirksam gehalten. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Auch die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB sei gewahrt. § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB werde durch § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX modifiziert bzw. verdrängt. Bei der Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung handele es sich um einen Verwaltungsakt, dessen Rechtswirksamkeit allein im Verwaltungsverfahren zu klären sei. Das Integrationsamt dürfe die beantragte Zustimmung nur erteilen, wenn die Antragsfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gewahrt sei; eine arbeitsgerichtliche Nachprüfung sei ausgeschlossen. Die Rücknahme der Klagen vor dem Sozial- und Verwaltungsgericht führe zu keinem anderen Ergebnis. Dem Kläger sei es zudem nach § 242 BGB versagt, sich auf die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berufen. Wenn er für sich die Rechte des Sonderkündigungsschutzes nach dem SGB IX in Anspruch nehme, stelle es ein widersprüchliches Verhalten dar, wenn er nachträglich geltend mache, der Sonderkündigungsschutz stehe ihm in Wahrheit gar nicht zu.
B. Dem stimmt der Senat nicht zu. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte die Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom nicht abgewiesen werden. Die Kündigung ist wegen Versäumung der Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam. Das Arbeitsverhältnis hat daher erst auf Grund der - wie rechtskräftig feststeht - zum wirksamen ordentlichen Kündigung vom sein Ende gefunden.
I. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verdrängt die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Mit dem bestandskräftigen, zustimmenden Verwaltungsakt des Integrationsamtes steht auch nicht etwa zugleich fest, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB gewahrt ist. Von den Gerichten für Arbeitssachen ist die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB eigenständig zu prüfen.
1. Gemäß § 91 Abs. 1 SGB IX iVm. § 85 SGB IX bedarf die außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 91 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB IX). Die zunächst vom Senat vertretene Auffassung, § 91 Abs. 2 SGB IX (ehemals § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 bzw. § 21 Abs. 2 SchwbG 1986) wandle die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ab, indem an die Stelle des Ausspruchs der Kündigung die fristgerechte Einreichung des Zustimmungsantrags bei der Hauptfürsorgestelle - nunmehr: Integrationsamt - trete ( - 2 ABR 6/86 - BAGE 55, 9, 12), ist in der Entscheidung vom aufgegeben worden (- 2 AZR 380/00 - BAGE 99, 358, 365; nachfolgend - 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277, 286). Damit ist klar gestellt worden, dass § 626 Abs. 2 BGB nicht durch die Regelung des § 18 Abs. 2 SchwbG 1979 (nachfolgend § 21 Abs. 2 SchwbG 1986 bzw. § 91 Abs. 2 SGB IX) verdrängt wird. Nur wenn die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nach Erteilung der Zustimmung durch das Integrationsamt bereits abgelaufen ist, will § 91 Abs. 5 SGB IX dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (Senat - 2 AZR 475/01 - BAGE 103, 277, 286; - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Fristen des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestehen somit selbständig nebeneinander und verdrängen einander nicht gegenseitig (so auch Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 9, 12; HaKo-Griebeling 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 132; derselbe in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 5, 8a; Braasch in Neumann Handbuch SGB IX § 19 Rn. 193; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163; im Ergebnis so wohl auch GK-SchwbG/Steinbrück 2. Aufl. § 21 Rn. 40; aA ErfK/Müller-Glöge 6. Aufl. § 626 BGB Rn. 289).
2. Mit der eigenständigen Prüfung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch die Gerichte für Arbeitssachen ist keine Aussage über die verwaltungsrechtliche Frage verbunden, ob § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als Voraussetzung einer wirksamen Zustimmung des Integrationsamts eingehalten ist.
a) Richtig ist, dass die Einhaltung der Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX allein Prüfungskompetenz der Integrationsämter unterfällt und im Falle der Anfechtung den Verwaltungsgerichten. An deren Entscheidung sind alle anderen Behörden und Gerichte wegen der so genannten Tatbestandswirkung (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 18 f.; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 17 f.) gebunden, sofern die Entscheidung nicht ausnahmsweise nichtig ist (Senat - 2 AZR 276/99 -BAGE 94, 313, 323; - 2 AZR 687/75 - BAGE 29, 17, 25; - Buchholz 436.61 SchwbG § 21 Nr. 7; KR-Etzel 7. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 10; ErfK/Rolfs 6. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 4 und § 85 SGB IX Rn. 15; APS/Vossen 2. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 8; HaKo-Griebeling 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 132; derselbe in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 8a; KDZ-Zwanziger KSchR 6. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 5; MünchKommBGB/Hesse 4. Aufl. vor § 620 Rn. 256; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 11. Aufl. § 91 Rn. 17; Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 12; GK-SGB IX/Steinbrück Stand November 2005 § 91 Rn. 309; aA - LAGE SGB IX § 91 Nr. 1: § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX stelle eine materielle arbeitsrechtliche Frist dar, deren Einhaltung im arbeitsgerichtlichen Verfahren überprüft werden könne). Soweit die Arbeitsgerichte die Einhaltung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB als Voraussetzung der außerordentlichen Kündigung prüfen, steht nicht die Wirksamkeit des zustimmenden Verwaltungsaktes zur Kontrolle an. Die Überprüfung, ob der Verwaltungsakt rechtmäßig ist, insbesondere ob das Integrationsamt das Einhalten der Ausschlussfrist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu Recht bejahte, wird durch die Prüfung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB durch die Arbeitsgerichte nicht berührt (so auch Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 8a; Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163).
b) Anders wäre es nur dann, wenn der zustimmenden Entscheidung des Integrationsamtes nicht nur Tatbestandswirkung, sondern auch Feststellungswirkung zukäme. Auf Grund der Tatbestandswirkung haben alle Behörden und Gerichte die Tatsache, dass ein Verwaltungsakt ergangen ist, und die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung auch weiteren Entscheidungen zugrunde zulegen, dh. ohne dass sie die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes nochmals überprüfen dürften oder müssten. Die Tatbestandswirkung entspricht deshalb hinsichtlich der damit verbundenen Bindungswirkung im Wesentlichen der von gerichtlichen Urteilen (Kopp/ Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 19, 22). Bei einer zustimmenden Entscheidung nach §§ 85, 91 SGB IX ist daher die Erteilung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von der Tatbestandswirkung umfasst. Eine Feststellungswirkung, dh. eine Bindung an die dem Verwaltungsakt zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen oder die Beurteilung vorgreiflicher Inzidentfragen, ist dem Verwaltungsakt dagegen in der Regel nicht eigen (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG 9. Aufl. § 43 Rn. 26; Knack VwVfG 8. Aufl. § 43 Rn. 22). Es bedarf vielmehr besonderer gesetzlicher Vorschriften, die diese Feststellungswirkung anordnen ( I C 20.66 - BVerwGE 34, 90 zu § 15 BVFG aF; - 7 C 44/83 - BVerwGE 72, 8 zu § 3 SchwbG 1979). § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX beinhaltet jedoch keine solche Regelung dahin. Das folgt aus der vom Gesetz vorgegebenen Zweigleisigkeit des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen. Außerdem richtet sich § 91 Abs. 2 SGB IX nicht an die Parteien des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens, sondern an die Beteiligten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Fenski BB 2001, 570, 571; Joussen DB 2002, 2162, 2163). Die zustimmende Entscheidung des Integrationsamtes beinhaltet deshalb zwar die Bejahung der Vorfrage, ob die Antragsfrist nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX von der Beklagten eingehalten wurde. Diese Beurteilung des Integrationsamtes ist jedoch für das Arbeitsgericht bei der Prüfung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht bindend.
3. Ist die Einhaltung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in eigener Kompetenz der Arbeitsgerichte zu prüfen, so kann die bereits eingetretene Fristversäumung nicht allein dadurch "geheilt" werden, dass der Arbeitnehmer erst danach das Vorliegen einer Schwerbehinderung bzw. eine entsprechende Antragstellung mitteilt und sodann das Integrationsamt auf einen entsprechenden Antrag des Arbeitgebers die Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung erteilt.
a) Die Kenntnis des Arbeitgebers von der festgestellten bzw. beantragten Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers gehört zwar zu den für die positive Kenntnis nach § 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX und damit den Fristbeginn maßgeblichen Tatsachen ( - BAGE 39, 59; KR-Etzel 7. Aufl. SGB IX § 91 Nr. 9; APS/Vossen 2. Aufl. SGB IX § 91 Nr. 7; ErfK/Rolfs 6. Aufl. SGB IX § 91 Rn. 3; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 7; Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 11). Hieraus folgt jedoch nicht, dass einem Arbeitgeber, der trotz vollständiger Kenntnis von den sonstigen kündigungsbegründenden Umständen innerhalb der Frist von § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB darauf nicht reagiert hat, nur deshalb über § 91 SGB IX der Weg zu einer außerordentlichen Kündigung (wieder) eröffnet wird, weil er einige Zeit nach Erlangung dieser Kenntnisse auch von der festgestellten bzw. beantragten Schwerbehinderteneigenschaft erfährt und deshalb eine neue 2-Wochen-Frist nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begönne. Für den Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ist die fehlende Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft grundsätzlich unerheblich. Soweit die Schwerbehinderung bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung - zB im Rahmen der Interessenabwägung oder Sozialauswahl - Berücksichtigung findet, ist die fehlende Kenntnis von der beantragten bzw. festgestellten Schwerbehinderteneigenschaft nicht kausal dafür, dass ein Arbeitgeber trotz Kenntnis der sonstigen kündigungsbegründenden Umstände keine Kündigung ausspricht. Die Schwerbehinderung ist in aller Regel nicht Teil des "wichtigen Grundes" nach § 626 Abs. 1 BGB.
b) Zu berücksichtigen ist auch, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen soll, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird (Senat - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2; - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 312; APS/Dörner 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 116; ErfK/Müller-Glöge 6. Aufl. BGB § 626 Nr. 246). Hiermit wäre es nicht zu vereinbaren und würde auch eine nicht zu vertretende Schlechterstellung des schwerbehinderten Menschen darstellen, wenn dem Arbeitgeber nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB noch eine Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung nur deshalb eröffnet würde, weil er erst jetzt erfahren hat, dass der Arbeitnehmer schwerbehindert ist (Düwell in LPK-SGB IX § 91 Rn. 9, 12; Hauck/Noftz/Griebeling SGB IX Stand November 2005 § 91 Rn. 7).
c) Daran ändert auch § 91 Abs. 5 SGB IX nichts. Für den Fall, dass die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nach Erteilung der Zustimmung bereits abgelaufen ist, verlangt § 91 Abs. 5 SGB IX die unverzügliche Kündigung. Damit ist klargestellt, dass nach erteilter Zustimmung keine neue Ausschlussfrist zu laufen beginnt. § 91 Abs. 5 SGB IX will ferner dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich ist, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bei einem schwerbehinderten Menschen auch noch die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen (Senat - 2 AZR 255/04 - AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; - 2 AZR 380/00 -BAGE 99, 358, 365). § 91 Abs. 5 SGB IX dehnt damit zwar die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB aus (Senat - 2 AZR 601/02 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 626 Krankheit Nr. 1; - 2 AZR 36/04 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 626 Krankheit Nr. 2). Der Anwendungsbereich des § 91 Abs. 5 SGB IX ist aber gar nicht erst eröffnet, wenn die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits vor Kenntnis der beantragten bzw. festgestellten Schwerbehinderung und der Antragstellung beim Integrationsamt abgelaufen war.
II. Die Kündigung vom ist wegen Versäumung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB unwirksam. Das kann der Senat selbst entscheiden (§ 563 ZPO). Eine Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht ist nicht erforderlich, da unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 75 Rn. 36) und weiterer Vortrag der Parteien auch nicht zu erwarten ist.
1. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (Senat - 2 AZR 255/04 -AP SGB IX § 91 Nr. 4 = EzA SGB IX § 91 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; - 2 AZR 245/04 - EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9; - 2 AZR 478/01 - AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1; - 2 AZR 32/71 - BAGE 23, 475; - 2 AZR 386/71 - BAGE 24, 341). Auch grob fahrlässige Unkenntnis ist insoweit ohne Bedeutung (Senat - 2 AZR 32/71 - aaO; - 2 AZR 90/93 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 31 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 4; - 2 AZR 974/94 - AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 319 mwN). Der Kündigungsberechtigte, der Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Um den Lauf der Frist aber nicht länger als unbedingt notwendig hinauszuschieben, muss die Anhörung innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Die Frist darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen (Senat - 2 AZR 25/88 - AP BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 27 = EzA BGB § 626 Ausschlussfrist Nr. 2; - 2 AZR 492/92 - BAGE 73, 42; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 841). Bei Vorliegen besonderer Umstände darf diese Frist auch überschritten werden. Sind die Ermittlungen danach abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und von den erforderlichen Beweismitteln, so beginnt der Lauf der Ausschlussfrist.
2. Aus dem unstreitigen Sachverhalt und dem Vortrag der darlegungsbelasteten Beklagten ist die Wahrung der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht ersichtlich.
a) Ein Dauertatbestand, auf Grund dessen die 2-Wochen-Frist erst gar nicht zu laufen begonnen hätte, liegt ersichtlich nicht vor. Die von der Beklagten geäußerte Auffassung, das Vertrauen sei "auf Dauer" zerstört, führt nicht zu einem "Dauertatbestand" iSd. Rechtsprechung. Es kommt nicht auf die Dauer des Vertrauensverlustes, sondern auf die Dauer der Tatsachen an, die den Vertrauensverlust hervorrufen. Das Fehlverhalten des Klägers ist jedoch abgeschlossen.
b) Im Streitfall sind dem zuständigen Vorstandsmitglied der Beklagten, Herrn S, Ende September 2002 erste Verdachtsmomente bekannt geworden. Welche weitere Sachverhaltsaufklärung danach bis zum Schreiben der Werbeagentur N vom erfolgte, ist nicht erkennbar. Es ist auch nicht nachvollziehbar, weshalb nach dem Schreiben vom , wodurch die Beklagte nach eigener Einschätzung "detaillierte Kenntnisse" erhielt, erneut drei Wochen vergingen, bis die beiden Telefonate mit der Werbeagentur am Ende der Kalenderwoche 46/2002 sowie die Anhörung des Klägers erfolgten. Die pauschale Behauptung "geschäftlicher Verpflichtun-gen" sowie der Hinweis, "Herr S ist als Vertriebsvorstand häufig auf Geschäftsreisen" ändern daran nichts. Welche Vorgänge im Schreiben vom vom Inhaber der Werbeagentur "nochmals erläutert und bekräftigt" wurden und welcher weiteren Sachverhaltsermittlung sie dienten, ist nicht erkennbar. Es ist deshalb auch nach dem Vortrag der Beklagten nichts dafür ersichtlich, dass und wie lange der Lauf der 2-Wochen-Frist seit dem ersten Zeitpunkt der Erlangung von Kenntnissen Ende September 2002 gehemmt gewesen wäre. Folgerichtig hat das Arbeitsgericht auch schon die Kündigungen vom 15. und wegen Versäumung der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB für unwirksam befunden. Die außerordentliche Kündigung vom ist gleichfalls unwirksam.
III. Der Kläger handelt nicht treuwidrig, indem er sich auf die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB beruft. Derartiges wäre denkbar, wenn der Kläger etwa missbräuchlich die Vorschriften zum Schutz schwerbehinderter Menschen bei Kündigungen ausgenutzt hätte, um dadurch die Fristversäumung herbeizuführen. Davon kann hier schon deshalb nicht gesprochen werden, weil die Frist schon abgelaufen war, als der Kläger seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch beantragte.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO. Für die erste Instanz wird dabei von einem Streitwert von 70.000 Euro, für die zweite Instanz von einem Streitwert von 50.000 Euro ausgegangen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BB 2006 S. 2536 Nr. 46
DB 2007 S. 408 Nr. 7
OAAAB-93723
1Für die amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein