BVerfG Beschluss v. - 1 BvL 24/97

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 14 Abs. 1; GG Art. 3 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

1. Das Normenkontrollverfahren betrifft die Frage, ob § 3 des Grunderwerbsteuergesetzes insoweit gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als die Norm es nicht erlaubt, das Gebrauchsvermögen (existenznotwendige Vermögen) des Steuerbürgers in Form des selbstgenutzten durchschnittlichen Einfamilien-Hausgrundstücks grunderwerbsteuerfrei zu stellen.

2. Der Aussetzungs- und Vorlagebeschluß ist nicht vom Senat, sondern ohne mündliche Verhandlung vom Berichterstatter als konsentierter Einzelrichter erlassen worden. Die insoweit einschlägige Vorschrift der Finanzgerichtsordnung über die Zuständigkeit des Senats und des Berichterstatters lautet wie folgt:

§ 79 a FGO Entscheidung im vorbereitenden Verfahren

(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,

1. über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;

2. bei Zurücknahme der Klage;

3. bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache;

4. über den Streitwert;

5. über die Kosten.

(2) Der Vorsitzende kann ohne mündliche Entscheidung durch Gerichtsbescheid (§ 90 a) entscheiden. Dagegen ist nur der Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides gegeben.

(3) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle des Senats entscheiden.

(4) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

II.

1. Die Kläger, die Eheleute V., schlossen am mit einer Baugesellschaft einen Vertrag zur Errichtung eines Wohnhauses auf einem Baugrundstück in Buchholz zu einem Preis in Höhe von 247.140 DM. Daneben mußten die Kläger für den Grund und Boden 80.000 DM an die Verkäufer, die Herren P. und S., zahlen. Nach Abschluß der Bauarbeiten nutzten die Kläger das Gebäude selbst und erhielten die Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung nach §§ 10 e, 34 f. EStG. Das beklagte Finanzamt setzte gegenüber den Klägern Grunderwerbsteuer in Höhe von insgesamt 6.542 DM fest (2 vom Hundert von 327.140 DM), weil es die Verträge zur Errichtung des Wohnhauses sowie zum Erwerb des Grund und Bodens als einheitliches Vertragswerk, gerichtet auf den Erwerb eines bezugsfertigen Hausgrundstücks, ansah. Dagegen wandten sich die Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit ihrer Klage, mit der sie zunächst geltend machten, ein einheitliches Vertragswerk mit der um die Gebäudekosten erweiterten Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlage sei nicht gegeben, die Grunderwerbsteuer sei auf 1.600 DM (2 vom Hundert von 80.000 DM) herabzusetzen. Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter unter Verzicht auf mündliche Verhandlung einverstanden. Unter Erweiterung ihres Klagebegehrens beantragten die Kläger (sinngemäß), die angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheide vom in der Form der Einspruchsentscheidung vom ersatzlos aufzuheben. Das Finanzamt beantragte Klagabweisung.

2. Der Berichterstatter hat mit Beschluß vom gemäß Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Vorschrift des § 3 des Grunderwerbsteuergesetzes über die allgemeinen Ausnahmen von der Besteuerung insoweit gegen Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, als die Norm nach Höhe und Ausgestaltung nicht hinreichend sei, das Gebrauchsvermögen (existenznotwendige Vermögen) des Steuerbürgers in Form des selbstgenutzten durchschnittlichen Einfamilien-Hausgrundstücks grunderwerbsteuerfrei zu stellen. Zur Frage der Vorlagebefugnis des Berichterstatters als konsentierter Einzelrichter heißt es, dieser trete in jeder Hinsicht und damit auch in besonders schwierigen und grundsätzlichen Sachen an die Stelle des Senats. Ermessenserwägungen werden dagegen nicht angestellt.

III.

1. Die Vorlage ist unzulässig. Im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG) ist eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht den Gerichten vorbehalten. "Gericht" kann in einem Kollegialgericht auch der Einzelrichter sein, soweit er nach der jeweiligen Prozeßordnung dazu berufen ist, die anstehende Entscheidung allein zu treffen (vgl. BVerfGE 54, 159 <163 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

Nach der Finanzgerichtsordnung kann der Berichterstatter nicht als konsentierter Einzelrichter die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einholen, ob die von ihm als verfassungswidrig erachteten Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Es stellt einen Ermessensmißbrauch dar, wenn der Berichterstatter nach § 79 a Abs. 3 und Abs. 4 FGO einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß erläßt (vgl. Pahlke, DB 1997, S. 2454 ff.; - Umdruck S. 9; Stelkens, NVwZ 1991, S. 209 <215> zu § 87 a Abs. 2, Abs. 3 VwGO). Wie in den Fällen, in denen der Einzelrichter das Kollegialorgan durch die Rückübertragung der Sache (§ 348 Abs. 4 ZPO n.F. oder § 6 Abs. 3 FGO) mit der Entscheidung zu befassen hat (vgl. zur Ausübung des Ermessens bei der Rückübertragung: Ulsamer in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG Kommentar, Stand April 1997, § 80 Rn. 210; Bettermann in: Starck (Herausgeber), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, 1976, Bd. I, S. 323 <355>; Zierlein in: Festschrift für Ernst Benda 1995, S. 457 <495 ff.>), so ist auch hier eine "Ermessensreduzierung auf Null" gegeben. Der Vorlagebeschluß vom ist deshalb, unbeschadet des Umstandes, daß er zur Ermessensausübung im Rahmen des § 79 a Abs. 3, Abs. 4 FGO keinerlei Darlegungen enthält, unzulässig.

2. Zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Berichterstatter zum konsentierten und damit zu dem zur Entscheidung über den Streitstoff befugten Richter bestellen kann, gehört zunächst einmal, daß die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklären. Die (Selbst-)Bestellung zum konsentierten Richter steht sodann im pflichtgemäßen Ermessen des Richters (vgl. dazu (ausführlich) Pahlke, DB 1997, S. 2454 ff.; Koch in: Gräber, FGO Kommentar 4. Auflage, § 79 a Rz. 17; Ortloff in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO Kommentar, Stand Mai 1997, § 87 a Rn. 44; IVb ZR 10/88 - BGHZ 105, S. 270 <273> zu § 524 Abs. 4 ZPO); Teile der Literatur, die unter Berufung auf BVerfGE 8, 248 die Zuständigkeit des konsentierten Einzelrichters für einen Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht bejahen, erörtern die Frage des Ermessens nicht.

a) Die Ermessensausübung hat sich zunächst und primär an dem mit der Neuregelung des § 79 a FGO vom Gesetzgeber verfolgten Gesetzeszweck, die Senate der Finanzgerichte zu entlasten und die finanzgerichtlichen Verfahren zu straffen (vgl. BTDrucks 12/1061 S. 16), auszurichten. Wird dieser durch die Bestellung eines konsentierten Richters nicht erreicht oder führt die Bestellung gar zu einer Verzögerung des Verfahrens, liegt Fehlgebrauch des Ermessens vor. Eine Verfahrensstraffung wird dadurch, daß der konsentierte Einzelrichter einen Vorlagebeschluß faßt, keinesfalls erreicht.

b) Als weiterer Gesichtspunkt ist bei der Abwägung zu berücksichtigen, daß die Finanzgerichte im Grundsatz als Kollegialgerichte ausgestaltet sind. Nur in besonderen, vom Gesetz aufgeführten Ausnahmefällen ist eine Entscheidung durch den Einzelrichter in der Prozeßordnung vorgesehen. Dem liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, daß richterlichen Entscheidungen eines Kollegiums eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen ist (vgl. Stöcker in: Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht AO, FGO, Nebengesetze Kommentar, Stand September 1997, § 79 a FGO Rz. 8). Dieser Vorstellung hat der Gesetzgeber in § 6 Abs. 1 FGO deutlich Ausdruck verliehen, wenn dort angeordnet wird, daß nur solche Verfahren dem Einzelrichter zu übertragen sind, die keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen. Zwar enthält die Vorschrift des § 79 a FGO über die (Selbst-)Bestellung zum konsentierten Richter eine derartige Tatbestandsvoraussetzung nicht. Das Gewicht dieses den Gerichtsaufbau und die Prozeßordnung bestimmenden Grundsatzes gebietet es aber, daß er im Rahmen der Ermessensausübung Berücksichtigung findet. Jedenfalls bei Rechtsfragen von überragender Bedeutung, wie sie die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischen Tuns darstellt, die überdies das Verhältnis von Judikative und Legislative aufs engste berührt, kann im Rahmen der Ermessensentscheidung die Abwägung nur dahin gehen, daß die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht dem Richterkollegium vorbehalten bleibt. Dieses Ergebnis wird noch durch folgende Erwägung erhärtet: Bestimmt schon das Bundesverfassungsgerichtsgesetz, daß die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes (und gegebenenfalls seine Nichtigerklärung) nur dem Senat, also dem gesamten Richterkollegium, nicht aber seinem Teilspruchkörper "Kammer" obliegt (§ 93 c Abs. 1 S. 3 BVerfGG), dann muß erst recht auch gefordert werden, daß von den Fachgerichten verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein Gesetz nur vom gesamten Spruchkörper getragen und entsprechend artikuliert werden.

c) Der Zuständigkeit des konsentierten Einzelrichters für einen Aussetzungs- und Vorlagebeschluß an das Bundesverfassungsgericht steht schließlich der auch für das Verfahren der konkreten Normenkontrolle geltende Gedanke der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber Verfahren, deren abschließende Beilegung in die Gerichtsbarkeit der Fachgerichte gehört, entgegen. Die Verfahrensordnung des Ausgangsverfahrens ist, sobald es um die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geht, nicht mehr allein, sondern in ihrem Zusammenhang mit den Bestimmungen des Normenkontrollverfahrens zu sehen (vgl. BVerfGE 47, 146 <155>). Zu diesen zählt auch die Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit. Die mit dem Normenkontrollverfahren verbundene Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts und weiterer oberster Verfassungsorgane des Bundes und der Länder (vgl. § 82 BVerfGG) läßt sich nur rechtfertigen, wenn sie zur Entscheidung eines konkreten Verfahrens unerläßlich ist (vgl. etwa BVerfGE 11, 330 <334 f.>; 34, 118 <127>; 47, 146 <154 f., 159>; 79, 256 <265>). Der Berichterstatter, der eine seiner Auffassung nach entscheidungserhebliche Norm für verfassungswidrig hält, hat deshalb unter dem Blickwinkel der Art. 100 Abs. 1 GG, §§ 80 ff. BVerfGG eine Entscheidung im Senat herbeizuführen und ist daran gehindert, als konsentierter Einzelrichter nach § 79 a Abs. 3 und 4 FGO über die Frage einer Vorlage zu entscheiden. Bei dieser Verfahrensweise erübrigt sich eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht möglicherweise deshalb, weil der Senat in seiner Mehrheit die Verfassungsmäßigkeit der Norm bejaht oder ihre Entscheidungserheblichkeit verneint. Der Grundsatz der Subsidiarität soll zudem auch gewährleisten, daß der Streitstoff und die Rechtslage in einfach-rechtlicher wie in verfassungsrechtlicher Hinsicht von den Fachgerichten umfassend und eingehend erörtert werden (vgl. BVerfGE 74, 69 <74>; 86, 382 <386, 388>). Die Gewähr hierfür bietet der Senat als Kollegialorgan in deutlich höherem Maße als ein Einzelrichter.

3. Den Beteiligten des Ausgangsverfahrens werden ihre Rechte dadurch nicht verkürzt. Faßt der Senat keinen Vorlagebeschluß, so ist es ihnen nach Erschöpfung des Rechtswegs unbenommen, Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
EAAAB-85045