BFH Beschluss v. - X B 107/04

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung und Vorliegen einer Überraschungsentscheidung

Gesetze: FGO § 51, § 115 Abs. 2

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 2 K 698/01

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.

Es kann offen bleiben, ob der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wegen der versäumten Frist für die Begründung der Beschwerde (§ 116 Abs. 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) nach § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, obwohl ihre Bevollmächtigte nicht durch Vorlage eines Postausgangsbuches oder einer sonstigen, zeitnah zu der angeblich rechtzeitigen Absendung der Beschwerdebegründung gefertigten schriftlichen Notiz über diesen Vorgang die zeitgerechte Absendung der Beschwerdebegründung nachgewiesen hat (vgl. hierzu , BFH/NV 1998, 1231). Denn die Beschwerde ist auch dann, wenn der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt würde, unzulässig, weil nicht nach Maßgabe des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt ist, dass die Voraussetzungen für die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3 FGO vorliegen.

Die Klägerin hat die von ihr im Beschwerdeverfahren behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und die behaupteten Verfahrensfehler nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Weise dargelegt.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH muss der Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache —abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall ihrer Offenkundigkeit— schlüssig darlegen. Eine solche schlüssige Darlegung erfordert, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt und substantiiert darauf eingeht, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Anm. 32, m.w.N.; ferner Beermann, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 2001, 312, 315, m.w.N.).

Diesen Erfordernissen genügt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht.

a) Die Klägerin hat sich darauf beschränkt auszuführen, der Streitfall habe grundsätzliche Bedeutung, da bislang keine Entscheidung darüber ergangen sei, ob die Begründung eines Steuerverwaltungsakts auch dann nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nachgeholt werden könne, wenn dem Steuerpflichtigen aus der verspäteten Begründung Nachteile im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) erwachsen seien. Diese Frage ist im vorliegenden Verfahren nicht klärungsfähig, auch wenn der Klägerin der Bericht über die Außenprüfung erst während des Einspruchsverfahrens bekannt gegeben worden sein sollte. Da im finanzgerichtlichen Verfahren wegen der angefochtenen Steuerfestsetzungen die Feststellungen der Außenprüfung, die Grundlage für die Hinzuschätzungen nach § 162 AO 1977 waren, der Klägerin unstreitig bekannt waren, ist die aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Sie könnte allenfalls im AdV-Verfahren geklärt werden.

b) Soweit die Klägerin weiter geltend macht, „die Begründung des FG hinsichtlich einer mangelnden Chronologie der Kassebuchführung der Klägerin” sei klärungsbedürftig und von grundsätzlicher Bedeutung, erhebt sie Einwendungen gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Diese können im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht zum Erfolg führen (Senatsbeschluss vom X B 167/03, BFH/NV 2004, 1262). Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf auch der Terminus „Chronologie” keiner höchstrichterlichen Klärung, weil —wie die Klägerin selbst einräumt— damit die kalendarisch fortlaufende Abfolge von Ereignissen und Vorgängen bezeichnet wird.

2. Auch die geltend gemachten Verfahrensmängel sind nicht ordnungsgemäß gerügt bzw. liegen nicht vor.

a) Soweit die Klägerin rügt, das Protokoll über die mündliche Verhandlung sei unvollständig und unrichtig, genügt dies zur Darlegung eines Verfahrensfehlers nicht. Die Klägerin hätte insoweit im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde u.a. vortragen müssen, dass das Gericht die Aufnahme bestimmter Äußerungen und Anträge in das Protokoll abgelehnt habe (vgl. § 94 FGO i.V.m. § 160 Abs. 4 der ZivilprozessordnungZPO—) und sie oder ihre Prozessbevollmächtigte von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Berichtigung des Protokolls zu beantragen (vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 107/97, BFH/NV 1998, 859; vom III B 67/99, BFH/NV 2000, 1091; vom VI B 168/00, BFH/NV 2001, 464). Ihren —als sofortige Beschwerde bezeichneten— Schriftsatz vom , den sie trotz eines entsprechenden richterlichen Hinweises im weiteren Schreiben vom nicht entsprechend konkretisiert hat, hat das Finanzgericht (FG) zu Recht im Beschluss vom nicht als Antrag auf Protokollberichtigung gewertet.

b) Falls die Klägerin mit dem Vorwurf, sie habe an Beratungen zwischen dem Beklagtem und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) und dem FG nicht teilnehmen dürfen, geltend machen will, die Entscheidung der Vorinstanz sei durch einen oder mehrere als befangen abzulehnende Richter getroffen worden, kann sie damit im Beschwerdeverfahren wegen der Nichtzulassung der Revision nicht gehört werden. Denn die Besorgnis der Befangenheit kann nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung innerhalb des dafür vorgesehenen Zwischenverfahrens (vgl. § 51 FGO i.V.m. § 42 ZPO) geltend gemacht werden (BFH-Beschlüsse vom X B 119/90, BFH/NV 1991, 331, und vom IV B 114/97, BFH/NV 1999, 57, m.w.N.). Ausweislich der Akten des FG und des Sitzungsprotokolls hat die Klägerin ein entsprechendes Ablehnungsgesuch im FG-Verfahren nicht gestellt. Im Übrigen wurde der von der Klägerin als Anlage BF 5 vorgelegte Vermerk nicht im anhängigen Verfahren erstellt. Außerdem ergibt sich aus ihm lediglich, dass das FA dem FG den Schriftsatz vom nicht mit der Post übermittelt, sondern in der Sitzung vom übergeben hat. Der Inhalt der beigelegten Verwaltungsakte (AdV in Höhe eines Teilbetrags) war der Klägerin bekannt.

c) Das FG hat auch keine Überraschungsentscheidung erlassen und dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt. Eine solche Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen (oder tatsächlichen) Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (, BFH/NV 2004, 1421, m.w.N.).

Im Streitfall hatte die Klägerin ausreichend Gelegenheit, sich schriftsätzlich oder in der mündlichen Verhandlung zu den vom FA vorgenommenen Zuschätzungen und den ungeklärten Bareinzahlungen zu äußern. Zudem ist die Verfahrensrüge auch nicht ordnungsgemäß erhoben worden, denn die Klägerin hat nicht dargelegt, was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung des Gerichts hätte führen können (vgl. , BFH/NV 2000, 861).

3. Das weitere Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz vom , den der Senat als Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom X S 7/04 (PKH) wertet, wäre als zusätzliche Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde verspätet. Deren Zulässigkeit, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind —abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen— nicht zu berücksichtigen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1617 Nr. 9
LAAAB-56065