Offenbare Unrichtigkeit in einem Urteil
Gesetze: FGO § 107
Instanzenzug:
Gründe
I. Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG) und im Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) stritten die Beteiligten darüber, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einem Kreditinstitut, die Abzugsfähigkeit von Schulden aus Sparbriefen und der hierauf gezahlten Zinsen gemäß § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen Nichterfüllung eines vorangegangenen Benennungsverlangens versagen durfte. Zugrunde lagen Erkenntnisse der Steuerfahndungsbehörden und in diesem Zusammenhang der Steuerfahndungsbericht vom . Die Klage, mit der die Klägerin die Aufhebung der entsprechend geänderten Steuerbescheide des FA vom 14. sowie vom in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 24. August sowie vom begehrte, blieb erfolglos. Das , BB ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 426 abgedruckt. Der erkennende Senat gab der anschließenden Revision der Klägerin, die auf Aufhebung des FG-Urteils und der angefochtenen Steuerbescheide gerichtet war, durch einen —inzwischen als Urteil wirkenden— Gerichtsbescheid vom I R 13/03 (BFH/NV 2004, 1209) statt. Das FG-Urteil und die angefochtenen Steuerbescheide wurden antragsgemäß aufgehoben.
Mit Schriftsatz vom beantragte das FA die Berichtigung des Urteils vom gemäß § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat habe die Klage- und Revisionsanträge der Klägerin ungeprüft zugrunde gelegt. Diese habe sich jedoch lediglich gegen die Versagung des Schuld- und Zinsabzugs gewandt. Tatsächlich lägen den geänderten Steuerbescheiden aber nicht nur die Erkenntnisse der Steuerfahndungsbehörden, sondern auch der regulären Betriebsprüfung zugrunde. Die Änderungen aufgrund der Betriebsprüfung seien zwischen den Beteiligten unstreitig. Folglich sei im entsprechenden Umfang Teilbestandskraft eingetreten. Der Senat, dem bei seiner Entscheidung die gesamten Steuerakten, auch die Betriebsprüfungsakten, vorgelegen hätten, habe dies bei der Tenorierung seines Urteils übersehen. Der Fehler sei offensichtlich i.S. von § 107 Abs. 1 FGO. Es sei ausgeschlossen, dass der Senat ein „bewusstes” Fehlurteil gefällt habe. Das Urteil enthalte zu den Ergebnissen der Betriebsprüfung und deren steuerlicher Behandlung keine Ausführungen. Infolgedessen weiche der Tenor des FG-Urteils von den Entscheidungsgründen ab. Ein Rechtsirrtum des Senats scheide damit aus.
Die Klägerin ist dem entgegengetreten. Berichtigt werden könnten nur technische Fehlleistungen und augenfällige Irrtümer. Bereits die bloße Möglichkeit, dass mit der begehrten Berichtigung ein Fehler in der Tatsachenwürdigung, ein Denkfehler oder ein Rechtsirrtum korrigiert werde, schließe eine Berichtigung nach § 107 FGO aus. Die vom FA geltend gemachten Gründe für eine Urteilsberichtigung wären —allenfalls— mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung nach Ergehen des Gerichtsbescheides unter Wahrung der Rechtsmittelfrist zu rügen gewesen.
II. Der Berichtigungsantrag des FA ist jedenfalls unbegründet.
1. Gemäß § 107 Abs. 1 FGO können Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit vom Gericht berichtigt werden. „Ähnliche” offenbare Unrichtigkeiten im Sinne dieser Vorschrift sind Erklärungsmängel, die zu dem Erklärungswillen des Gerichts erkennbar im Widerspruch stehen; sie sind „offenbar”, wenn sie augenfällig auf der Hand liegen, durchschaubar und eindeutig sind (z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 157/83, BFHE 142, 13, BStBl II 1984, 834; vom IX B 111/99, BFH/NV 2000, 1127; vom IV B 140/00, BFH/NV 2002, 1306). Eine einem Schreib- oder Rechenfehler ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO liegt daher nur vor, wenn es sich um ein Versehen handelt, durch das es, wie bei einem Schreib- oder Rechenfehler, dazu kommt, dass das wirklich Gewollte nicht zum Ausdruck gelangt (z.B. BFH-Beschlüsse vom VIII B 11/68, BFHE 107, 4, BStBl II 1972, 954; vom III B 65/96, BFH/NV 1998, 980). Ziel der Berichtigung kann somit nur sein, den erklärten mit dem gewollten Inhalt des Urteils in Einklang zu bringen; wie bei der vergleichbaren Vorschrift des § 129 AO 1977 schließt die ernstliche Möglichkeit eines Fehlers in der Sachverhaltsermittlung, Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung die Berichtigung nach § 107 FGO aus (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 107 Rz. 4, m.w.N.). Eine Änderung des gewollten und richtig erklärten Inhalts des Urteils kann nicht mit einem Berichtigungsantrag nach § 107 FGO, sondern nur mit dem gegen das Urteil zulässigen Rechtsmittel erreicht werden (BFH-Beschlüsse vom IV B 151/95, BFH/NV 1996, 770; vom IV B 12/88, BFH/NV 1990, 246).
2. Im Streitfall hat das FA gegen den Gerichtsbescheid des Senats vom keinen Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 121, § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO) gestellt. Der Gerichtsbescheid erstarkte dadurch in Urteilskraft. In Anbetracht dessen ist bereits zu bezweifeln, dass das regelmäßig auch für einen Berichtigungsantrag nach § 107 (i.V.m. § 121) FGO erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist (vgl. , BFH/NV 1997, 49; Gräber/von Groll, a.a.O., § 107 Rz. 6).
3. Unabhängig davon kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Senat bei der Abfassung des Tenors des Gerichtsbescheides vom eine Unrichtigkeit i.S. des § 107 Abs. 1 FGO unterlaufen ist. Zwar lassen weder der Tatbestand noch die Entscheidungsgründe erkennen, dass die Ergebnisse der Betriebsprüfung Gegenstand der Entscheidung waren. Da der Klage- und Revisionsantrag der Klägerin jedoch umfassend auf die Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide gerichtet war, ist nicht von vornherein auszuschließen, dass der Senat auch insoweit von einem im Klage- und Revisionsverfahren streitigen Sachverhalt ausgegangen ist und willentlich darüber entschieden hat (vgl. Senatsbeschluss vom I B 47/03, BFH/NV 2004, 515). Dass der objektiv unterlaufene Fehler kein offensichtlicher Fehler i.S. des § 107 Abs. 1 FGO ist, zeigt sich im Übrigen nicht zuletzt daran, dass dieser augenscheinlich auch dem FA bei Prüfung des Gerichtsbescheides vom nicht aufgefallen ist; denn andernfalls hätte das FA einen Antrag auf mündliche Verhandlung (vgl. § 121, § 90a Abs. 2 Satz 1 FGO) gestellt. Gleichermaßen hat das FA die „überschießende” Wirkung der auf Aufhebung der Bescheide gerichteten Anträge der Klägerin weder im Klage- noch im Revisionsverfahren beanstandet. Schließlich war der Umstand, dass den geänderten Bescheiden auch die Betriebsprüfungsergebnisse zugrunde lagen, unbeschadet der dem Senat vollständig vorliegenden Steuerakten nicht ohne weiteres erkennbar. Denn ein Hinweis auf diese Prüfung ließ sich den Akten des FG ebenso wenig entnehmen wie dessen Urteil. In Anbetracht dieser Aktenlage hatte der Senat als Revisionsgericht keinen Grund, den ihm zur rechtlichen Prüfung vorgelegten Tatsachenstoff auf andere Quellen als das angefochtene Urteil, den darin in Bezug genommenen Steuerfahndungsbericht und die angefochtenen Steuerbescheide zu erstrecken. Auch diese Bescheide enthielten aber keine Hinweise darauf, dass den Änderungen die Ergebnisse sowohl der durchgeführten Betriebsprüfung als auch der Steuerfahndungsprüfung zugrunde lagen, auch nicht die anschließenden Einspruchsentscheidungen des FA vom 24. August sowie vom . Solche Hinweise ließen sich allenfalls den Erläuterungen entnehmen, welche den ebenfalls geänderten Vermögensteuerbescheiden auf den , 1991 und 1992 vom 13., 14. sowie beigefügt wurden. Auf diese Bescheide wurde in den geänderten Einheitswertbescheiden durch erläuternde Querverweise Bezug genommen. Die Vermögensteuerbescheide waren indes nicht streitgegenständlich; sie wurden (als Folgebescheide) nicht mittels Klagen angefochten und waren auch im vorangegangenen Vorverfahren nicht Gegenstand der angefochtenen Einspruchsentscheidungen. Die Änderungen infolge der Betriebsprüfung und die daraus abzuleitenden rechtlichen Konsequenzen sind allein durch die erwähnten Querverweise nicht i.S. von § 107 Abs. 1 FGO offenbar geworden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
AO-StB 2005 S. 226 Nr. 8
RAAAB-54349