Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG in einem so genannten Mangelfall
Gesetze: EStG § 31 Satz 4
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom II 550/98 (Verfahrensverlauf),
Gründe
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hat aus einer geschiedenen Ehe zwei Kinder. Die Kinder, die in den Jahren 1982 und 1984 geboren wurden, leben im Haushalt der Mutter. Die Mutter bezieht für sie das Kindergeld. Durch Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts -Familiengericht- X vom wurde der Kläger für die Zeit ab September 1993 zur Zahlung von monatlichem Kindesunterhalt in Höhe von 230 DM für jedes Kind verurteilt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) setzte im Einkommensteuerbescheid 1997 vom die Einkommensteuer bei einem zu versteuernden Einkommen von 24 168 DM auf 3 259 DM fest. Die vom Kläger beantragten zwei (halben) Kinderfreibeträge berücksichtigte das FA bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens nicht, da die steuerliche Freistellung des Existenzminimums der Kinder durch das Kindergeld bewirkt worden sei.
Der Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.
Mit seiner Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA machte der Kläger geltend, das Kindergeld sei auf den Unterhaltsanspruch der Kinder nicht angerechnet worden, da er nicht in Höhe der Regelbeträge der Düsseldorfer Tabelle Unterhalt geleistet habe. Der Kläger hat hierzu eine Unterhaltsberechnung des Landratsamts -Jugendamt- vom vorgelegt, aus der sich ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen des Klägers von 2 417 DM sowie ein für den Unterhalt der Kinder verfügbares Einkommen von monatlich 582 DM ergibt. Für die Zeit ab errechnete das Jugendamt einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 291 DM je Kind. Der Kläger hat weiterhin vorgetragen, die Vorschrift des § 1612b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i.d.F. des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz —KindUG—) vom (BGBl I 1998, 666) stelle klar, dass eine Anrechnung des Kindergeldes unterbleibe, soweit der Unterhaltspflichtige außerstande sei, Unterhalt in Höhe des Regelbetrages nach der Regelbetrag-Verordnung zu leisten.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1999, 1283).
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Das FG habe zu Unrecht einen zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch des Klägers i.S. des § 31 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes 1997 (im Folgenden: EStG) verneint. Der Begriff „zustehen” besage nicht zwingend, dass der Anspruch von dem unterhaltsberechtigten Elternteil auch geltend gemacht werden könne oder tatsächlich geltend gemacht worden sei. Vielmehr sei bei einem barunterhaltspflichtigen Elternteil die Verrechnung mit der Einkommensteuer unabhängig davon vorzunehmen, ob der zivilrechtliche Ausgleichsanspruch tatsächlich realisiert worden sei (, BStBl I 1998, 347). Diese Auffassung sei schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen geboten: Die abweichende Ansicht des FG führe zu einer steuerrechtlichen Privilegierung von geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern gegenüber zusammenveranlagten Eltern. Aus § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG folge ebenso wie aus § 1615g BGB, dass die steuerliche Entlastung im Zusammenhang mit dem Unterhalt von Kindern den Eltern nur einmal —alternativ durch den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld— zugute kommen solle. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich auch, dass der Gesetzgeber ein Auseinanderfallen der Kindergeldberechtigung und des Anspruchs auf den Kinderfreibetrag habe vermeiden wollen (BTDrucks 13/3084, S. 20).
Im Rahmen der Übertragung des Kinderfreibetrages nach § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG 1996 stelle die Rechtsprechung der FG bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „im Wesentlichen” nicht zivilrechtliche Überlegungen an. Bei der Anwendung dieser Vorschrift werde selbst dann nicht vom sog. Halbteilungsgrundsatz abgewichen, wenn der Beitrag des zum Barunterhalt verpflichteten Elternteils zum Unterhaltsbedarf des Kindes nur geringfügig sei (, BFHE 184, 288, BStBl II 1998, 433).
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Bei der Einkommensteuerveranlagung des Klägers für das Streitjahr 1997 durften keine Kinderfreibeträge angesetzt werden, weil das dem Kläger zustehende Kindergeld (insgesamt 2 640 DM) die steuerliche Entlastung, die sich bei Abzug der Kinderfreibeträge ergibt (= 1 894 DM), übersteigt (§ 31 Satz 4 EStG).
1. Nach § 31 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums eines Kindes durch den Kinderfreibetrag nach § 32 EStG oder durch das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG bewirkt. Kindergeld und Kinderfreibetrag können nach Einführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs durch das Jahressteuergesetz 1996 (JStG 1996) vom (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) nicht mehr —wie nach früherem Recht— kumulativ, sondern nur noch alternativ in Anspruch genommen werden (BTDrucks 13/1558, S. 139; Jachmann in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 31 Rdnr. A 1). Der Kinderfreibetrag ist bei der Einkommensteuerveranlagung nur dann abzuziehen, wenn die verfassungsrechtlich gebotene Freistellung des Existenzminimums des Kindes nicht in vollem Umfang durch das während des Kalenderjahres gezahlte Kindergeld erreicht wird (§ 31 Satz 4 EStG). Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen besteht insoweit nicht. Ergibt die nach § 31 Satz 4 EStG vorzunehmende Vergleichsrechnung (sog. Günstigerprüfung), dass die Steuerentlastung durch den Abzug des Kinderfreibetrages geringer ist als das dem Steuerpflichtigen anteilig zuzurechnende Kindergeld, so ist die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes durch das Kindergeld bewirkt (§ 31 Satz 1, 2. Alternative EStG). Das gilt auch dann, wenn das Kindergeld nicht an den Steuerpflichtigen ausgezahlt wurde, ihm aber im Wege eines zivilrechtlichen Ausgleichs zusteht (§ 31 Satz 5 EStG).
2. Werden Eltern nicht nach § 26 EStG zur Einkommensteuer zusammenveranlagt, so ist im Regelfall —d.h., wenn beide Elternteile nach § 32 Abs. 6 EStG Anspruch auf einen Kinderfreibetrag haben— bei der Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG des zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil das an den anderen Elternteil ausgezahlte (hälftige) Kindergeld (im Streitjahr: 1 320 DM je Kind) so zu berücksichtigen, als hätte der barunterhaltspflichtige Elternteil es erhalten. Entsprechend ist bei der Veranlagung des anderen Elternteils zu verfahren, der seine Unterhaltsverpflichtung durch die Betreuung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs. 3 BGB); auch wenn das Kindergeld in voller Höhe an diesen Elternteil ausgezahlt wird (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG), darf es bei seiner Günstigerprüfung nur zur Hälfte berücksichtigt werden. Durch diese Regelungen wird der sog. Halbteilungsgrundsatz verwirklicht, der besagt, dass die steuerlichen Entlastungen durch das Kindergeld oder —alternativ— den Kinderfreibetrag grundsätzlich beiden Elternteilen gleichermaßen wirtschaftlich zugute kommen sollen, ohne Rücksicht darauf, wer der Empfänger des Kindergeldes ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Eltern in einer intakten Ehe leben oder nicht (, BVerfGE 45, 104 ff., 132, 140; IVb ZR 533/80, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht —FamRZ— 1981, 26; Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Fach A, I. Kommmentierung, § 31 EStG Rz. 31).
3. Bei der Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1997 war den Kinderfreibeträgen das hälftige Kindergeld gegenüberzustellen, da dem Kläger insoweit ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Mutter der Kinder zustand.
a) Einem Elternteil, der nach seinen Einkommensverhältnissen verpflichtet ist, Unterhalt für ein minderjähriges Kind zu zahlen, kommt nach geltendem Recht das von dem anderen Elternteil vereinnahmte Kindergeld durch Anrechnung des hälftigen Kindergelds auf den Unterhaltsanspruch des Kindes zugute (vgl. § 1612b Abs. 1 BGB i.d.F. des KindUG, geändert durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung und zur Änderung des Kinderunterhaltsrechts vom , BGBl I 2000, 1479). Damit erhält der zum Barunterhalt Verpflichtete im Ergebnis seinen vollen Anteil an der staatlichen Förderleistung (, 1 BvR 1749/01, FamRZ 2003, 1371, Finanz-Rundschau —FR— 2003, 1035).
b) Auch schon vor In-Kraft-Treten des § 1612b Abs. 1 BGB hatte der zum Barunterhalt Verpflichtete einen Anspruch auf Ausgleich des staatlichen Kindergeldes gegen den anderen Elternteil. Nach § 1615g Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. war das Kindergeld auf den Barunterhalt eines nichtehelichen Kindes anzurechnen. Für eheliche Kinder ergab sich der Anspruch auf Ausgleich des Kindergeldes unter geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten nach ständiger Rechtsprechung des BGH (vgl. z.B. Urteile vom IV ZR 4/77, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1978, 753; in FamRZ 1981, 26; vom IVb ZR 29/87, NJW 1988, 1720; vom XII ZR 86/95, NJW 1996, 1894) aus dem allgemeinen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch zwischen den unterhaltspflichtigen Elternteilen. Werden minderjährige Kinder —wie im Streitfall— von ihren Eltern in der Weise unterhalten, dass der eine Elternteil das Kind betreut und der andere für den Barunterhalt aufkommt, ist darin nach der Wertung des § 1606 Abs. 3 BGB eine Unterhaltsleistung der Eltern zu gleichen Teilen zu sehen, mit der Folge, dass ihnen das Kindergeld zivilrechtlich je zur Hälfte gebührt ( IVb ZR 573/80, FamRZ 1981, 347; Das Bürgerliche Gesetzbuch, Kommentar, herausgegeben von Mitgliedern des Bundesgerichtshofs —BGB-RGRK—, § 1615g BGB Rz. 12; Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 4. Aufl., § 2 Rdnr. 499, 538 ff.). Obwohl das Kindergeld nicht dem Kind, sondern seinen Eltern zusteht, wurde auch schon vor In-Kraft-Treten des § 1612b BGB der Ausgleichsanspruch aus Gründen der Praktikabilität durch Verrechnung mit dem Unterhaltsanspruch des Kindes realisiert (vgl. IVb ZR 715/80, FamRZ 1982, 887; in FamRZ 1981, 347, und in NJW 1988, 1720). Der BGH hat diese Praxis gebilligt, weil im Allgemeinen davon ausgegangen werden könne, dass der das Kind betreuende Elternteil die dem anderen Elternteil zustehende Quote des Kindergeldes unmittelbar dem Kind zugute kommen lasse; daraus ergebe sich eine entsprechende Minderung des Unterhaltsbedarfs und damit des Unterhaltsanspruchs des Kindes (Urteil in FamRZ 1981, 347).
Nach diesen Grundsätzen konnte der Kläger grundsätzlich eine Minderung der Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen Kindern in Höhe des hälftigen Kindergelds von je 1 320 DM (110 DM monatlich) verlangen.
c) Im Streitfall ist nach den Feststellungen des FG, die das FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat (§ 118 Abs. 2 FGO) davon auszugehen, dass eine Anrechnung des hälftigen Kindergelds auf den Unterhaltsanspruch der Kinder unterblieben ist, weil der Kläger nach seinen Einkommensverhältnissen nicht in der Lage war, Unterhalt in Höhe der untersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen. Das rechtfertigt jedoch nicht die Schlussfolgerung des FG, dem Kläger stehe ein zivilrechtlicher Ausgleichsanspruch i.S. von § 31 Satz 5 EStG nicht zu.
aa) Der mit Wirkung vom durch das KindUG eingeführte § 1612b Abs. 5 BGB war im Streitjahr noch nicht anwendbar. Eine § 1612b Abs. 5 BGB entsprechende gesetzliche Regelung bestand vor In-Kraft-Treten des KindUG nicht. Der zuvor (nur für den Unterhalt nichtehelicher Kinder) geltende § 1615g Abs. 1 Satz 1 BGB sah —ebenso wie § 2 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung des Regelunterhalts (Regelunterhalt-Verordnung —RegUV—) vom (BGBl I 1970, 1010)— ausnahmslos die Anrechnung der Hälfte des Kindergeldes auf den Regelbedarf des Kindes vor.
bb) Es entsprach allerdings auch schon vor In-Kraft-Treten des § 1612b Abs. 5 BGB allgemeiner Praxis der Zivilgerichte, dem zum Barunterhalt Verpflichteten die Anrechnung seines Kindergeldanteils auf den Kindesunterhalt insoweit zu versagen, als sein Nettoeinkommen nicht ausreichte, um neben dem notwendigen Eigenbedarf (Selbstbehalt) den vollen Mindestbedarf eines minderjährigen Kindes zu decken (sog. Mangelfall, vgl. z.B. Oberlandesgericht —OLG— Hamburg, Beschluss vom 2 WF 208/83 U, FamRZ 1984, 87; , FamRZ 1989, 1326; OLG Celle, Urteil vom 18 UF 57/90, FamRZ 1991, 853; , FamRZ 1992, 539, 541; Leitlinien der Familiensenate der Oberlandesgerichte zum Unterhaltsrecht, z.B. OLG Hamm, FamRZ 1984, 963; OLG Düsseldorf, NJW 1996, 1194, Tz. 15; OLG Hamburg, FamRZ 1996, 87, Tz. 6; OLG Hamm, FamRZ 1996, 87 ff., Tz. 15 Abs. 3; OLG Naumburg, FamRZ 1995, 1555, Tz. 10; im Ergebnis ebenso: Büttner, NJW 1987, 1855, 1859; Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch —Münchkomm—, 3. Aufl., 1992, § 1602 Rz. 19a). Dabei entsprach der Mindestbedarf eines ehelichen Kindes dem Regelbedarf eines nichtehelichen Kindes; dieser wurde durch die RegUV festgelegt (§ 1615f BGB a.F. , § 1610 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F.). Der Regelbetrag stimmte mit dem Unterhaltsbetrag der jeweiligen Altersgruppe in der untersten Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle überein. Die Verpflichtung, das Kindergeld in den Mangelfällen für den Kindesunterhalt einzusetzen, leitete die Rechtsprechung zum Teil aus § 1603 Abs. 2 BGB ab, der Eltern minderjähriger Kinder bei unzureichender Leistungsfähigkeit verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Zu den verfügbaren Mitteln rechne auch das Kindergeld (vgl. IVb ZR 80/82, NJW 1984, 2355, und in FamRZ 1992, 539, 541; , Monatsschrift für Deutsches Recht —MDR— 1980, 402; , FamRZ 1985, 1166; OLG Oldenburg, Urteil vom 3 UF 62/90, Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 1991, 517; OLG Celle, Urteil in FamRZ 1991, 853; ebenso Soergel/Häberle, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 1603 Rz. 5; Duderstadt in FamRZ 1987, 548, 555; Graba, FamRZ 1989, 232, 234).
Nach anderer Ansicht, die insbesondere vom BGH in seiner neueren Rechtsprechung vertreten wird, ist das Kindergeld zwar auch im Mangelfall nicht dem unterhaltsrechtlichen Einkommen zuzurechnen. Die Verrechnung des hälftigen Kindergeldes mit dem Kindesunterhalt wird dem Unterhaltspflichtigen jedoch nach § 242 BGB versagt, weil sie im Mangelfall zu unangemessenen und unzumutbaren Ergebnissen führe (, FamRZ 1997, 806, a.E.; Wendl/Staudigl, a.a.O., § 2 Rdnr. 223 und § 5 Rdnr. 88 ff.).
cc) Auch in den Fällen, in denen die Rechtsprechung dem Unterhaltspflichtigen eine Verrechnung seines Ausgleichsanspruchs mit dem Kindesunterhalt versagt, stellt sie das Bestehen dieses zivilrechtlichen Anspruchs gegen den anderen Elternteil nicht in Frage. Der Ausgleichsberechtigte wird jedoch im Mangelfall verpflichtet, seinen hälftigen Anteil am Kindergeld dem anderen Elternteil zur Aufstockung des Kindesunterhalts zu belassen (BGH, Urteil in FamRZ 1997, 806; Göppinger/ Wax u.a., Unterhaltsrecht, 6. Aufl., 1994, Rz. 763, 774; MünchKomm, a.a.O., § 1602 Rz. 19a; vgl. auch zu § 1612b Abs. 5 BGB n.F.: , FamRZ 2003, 445; BVerfG-Beschluss in FamRZ 2003, 1371, FR 2003, 1035).
dd) § 31 Sätze 4 und 5 EStG können nicht einschränkend dahin ausgelegt werden, dass dem zum Barunterhalt Verpflichteten ein Ausgleichsanspruch nur in dem Umfang „zusteht”, in dem er diesen Anspruch durch Verrechnung mit dem Kindesunterhalt realisieren kann. Einer solchen Auslegung stehen der Zusammenhang der Vorschrift mit § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG sowie Zweck und Systematik des steuerlichen Familienleistungsausgleichs entgegen.
Der Familienleistungsausgleich beruht auf dem Halbteilungsgrundsatz, der besagt, dass sowohl der Kinderfreibetrag als auch das Kindergeld beiden Elternteilen gleichermaßen zugute kommen müssen. Demgemäß bestimmt § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG, dass in den Fällen, in denen das Existenzminimum des Kindes durch den Kinderfreibetrag von der Einkommensteuer freigestellt wird, das Kindergeld „in entsprechendem Umfang” der tariflichen Einkommensteuer hinzuzurechnen ist. Zu einer vom Halbteilungsgrundsatz abweichenden Zurechnung des Kinderfreibetrages kommt es bei geschiedenen oder getrennt lebenden Elternteilen nur, wenn der zum Barunterhalt Verpflichtete seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nicht nachkommt und deshalb der ihm zustehende Freibetrag auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen wird. Bei einem Unterhaltspflichtigen, der —wie der Kläger— seine Unterhaltspflicht in vollem Umfang erfüllt hat, ist der Anspruch auf Kindergeld bei der Günstigerprüfung und ggf. auch bei der Hinzurechnung nach § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG stets „in entsprechendem Umfang”, d.h. mit der Hälfte des gesetzlichen Kindergelds anzusetzen.
Auch der Zweck des Familienleistungsausgleichs rechtfertigt keine einschränkende Auslegung des § 31 Sätze 4, 5 EStG. Die Vergleichsrechnung des § 31 Satz 4 EStG soll zum einen gewährleisten, dass das Einkommen des Steuerpflichtigen in Höhe des Existenzminimums seines Kindes von der Einkommensteuer freigestellt wird; zum anderen soll ihm zumindest das für den Veranlagungszeitraum gezahlte Kindergeld verbleiben, wenn dieses höher ist als die steuerliche Entlastung durch den Ansatz des Kinderfreibetrags. Im Streitfall ist zwar das Kindergeld nicht an den Kläger, sondern an die Mutter der Kinder ausgezahlt worden. Der dem Kläger zustehende Ausgleichsanspruch hat sich auf sein Einkommen nicht entlastend ausgewirkt, weil er ihn nicht mit seiner Unterhaltsverpflichtung verrechnen konnte. Gleichwohl ist es mit der Zielsetzung des § 31 EStG nicht vereinbar, den Ausgleichsanspruch bei der Vergleichsrechnung mit 0 DM statt mit 2 640 DM (2 x 1 320 DM) anzusetzen: Durch den steuerlichen Familienleistungsausgleich soll zwar das Einkommen insoweit von dem Zugriff der Einkommensteuer ausgenommen werden, als es zur Sicherung des existenznotwendigen Bedarfs des Steuerpflichtigen und seiner Kinder benötigt wird. Das Existenzminimum der Kinder soll jedoch bezogen auf beide Elternteile nur einmal von der Besteuerung freigestellt werden; eine mehrfache Begünstigung der Unterhaltsaufwendungen für ein und dasselbe Kind durch die Freibeträge und das Kindergeld soll ausgeschlossen sein. Zu einer solchen Mehrfachbegünstigung für ein und dasselbe Kind in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes kommt es jedoch —wie das FG im angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat— wenn das Kindergeld bei der Günstigerprüfung des zum Barunterhalt Verpflichteten nicht mit dem hälftigen Anteil, sondern mit 0 DM angesetzt wird. Bei der Veranlagung dieses Steuerpflichtigen wären in diesem Fall die Kinderfreibeträge ohne Hinzurechnung des hälftigen Kindergeldanteils zu berücksichtigen, während bei der Veranlagung des Elternteils, der das Kindergeld vereinnahmt hat, nur der diesem zustehende hälftige Kindergeldanteil berücksichtigt werden dürfte. Im Ergebnis käme den Eltern dann die Hälfte des gesetzlichen Kindergeldes anrechnungsfrei zugute. Bei geschiedenen oder getrennt lebenden Eltern wäre somit ein höheres Existenzminimum des Kindes von der Besteuerung freigestellt als bei zusammenveranlagten Eltern ( 1595/97, EFG 1998, 1066; FG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 2 K 592/98, EFG 2000, 325; BMF-Schreiben in BStBl I 1998, 347, Tz. 23; vgl. auch den nunmehr eindeutigen Wortlaut des § 31 Sätze 4 und 5 EStG 2004).
4. Im Streitfall führt die nach Wortlaut, Zweck und Systematik des § 31 EStG gebotene Auslegung der Vorschrift dazu, dass sich die Unterhaltszahlungen des Klägers bei seiner Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr nicht steuermindernd ausgewirkt haben. Dieses Ergebnis ist unvereinbar mit dem verfassungsrechtlichen Gebot, existenznotwendigen Aufwand des Steuerpflichtigen und seiner Familie von der Einkommensteuer freizustellen (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. die zusammenfassende Darstellung im Beschluss vom 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, 259 f., BStBl II 1999, 174, m.w.N.; vgl. auch die Ausführungen im Vorlagebeschluss des erkennenden Senats VIII R 51/03 vom heutigen Tage, FR 2005, 380).
5. Gleichwohl ist die Vorschrift des § 31 EStG im Streitjahr nicht als verfassungswidrig zu beurteilen, weil der Kläger bei einer verfassungskonformen Auslegung der im Streitjahr geltenden unterhaltsrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Verrechnung seines Kindergeldanteils mit dem Kindesunterhalt hatte.
Der Senat kann offen lassen, ob die dargestellte Rechtsprechung der Zivilgerichte, nach welcher der Kindergeldanteil des Barunterhaltspflichtigen im Mangelfall zur Aufstockung des Kindesunterhalts bis zur Höhe des Mindestbedarfs einzusetzen war, für die Zeit bis zum auf einer zutreffenden Auslegung der unterhaltsrechtlichen Vorschriften beruhte. Nach In-Kraft-Treten des JStG 1996 zum war dies nicht mehr der Fall. Bei der Bemessung des Kindesunterhalts war nunmehr die geänderte Funktion des Kindergeldes im einkommensteuerlichen Familienleistungsausgleich zu beachten. Da das Kindergeld im geltenden Einkommensteuerrecht in erster Linie der verfassungsrechtlich gebotenen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes dient, musste dieser Zweck auch bei der Auslegung der unterhaltsrechtlichen Vorschriften berücksichtigt werden. Soweit die herkömmlichen Auslegungsmethoden dies zuließen, war bei der Bemessung des Kindesunterhalts zu gewährleisten, dass der Unterhaltspflichtige durch den ihm zustehenden Kindergeldanteil tatsächlich wirtschaftlich entlastet wurde. Dies gebietet der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung (vgl. auch 1 BvL 4, 5, 6, 7/87, BStBl II 1990, 483).
Für den Unterhalt nichtehelicher Kinder war die Anrechnung des Kindergeldes auf den Regelunterhalt (§ 1615f BGB) in § 1615g Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. ausnahmslos vorgeschrieben. Für die Kinder geschiedener oder getrennt lebender Eltern, für die der Unterhaltsanspruch als Mindestbedarf in Höhe des Regelunterhalts geltend gemacht werden konnte (§ 1610 Abs. 3 Satz 1 BGB a.F.), kann bei Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—) nichts anderes gelten. Denn die in § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB angeordnete Gleichwertigkeit des Barunterhalts mit dem Betreuungsunterhalt bei minderjährigen Kindern spricht für die gleichmäßige Teilhabe der Eltern an den kindbedingten staatlichen Leistungen und Steuerentlastungen. Bei verfassungskonformer Auslegung der unterhaltsrechtlichen Vorschriften musste deshalb auch bei Kindern geschiedener und getrennt lebender Eltern das Kindergeld mit dem Unterhaltsanspruch der Kinder —unabhängig von der Höhe des vom Barunterhaltspflichtigen geschuldeten Betrages— verrechnet werden.
Auf jeden Fall hätte die Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Unterhaltsrechts durch die Zivilgerichte nach In-Kraft-Treten des JStG 1996 gewährleisten müssen, dass sich zumindest die tatsächlichen Unterhaltszahlungen —auch wenn sie den Kinderfreibetrag unterschreiten— bei dem zum Barunterhalt verpflichteten Elternteil entlastend auswirkten. Denn dieser wäre gegenüber einem Kinderlosen benachteiligt, wenn seine Belastung durch Unterhaltszahlungen, auch wenn sie das Existenzminimum des Kindes nicht abdecken, weder bei der Einkommensteuer (durch Abzug von der Bemessungsgrundlage) noch bei der Festsetzung des Kindesunterhalts (durch Anrechnung des hälftigen Kindesgelds) berücksichtigt würde. Zu der verfassungsrechtlich gebotenen Entlastung kommt es nicht, wenn der Barunterhaltspflichtige die ihm zustehende Hälfte des Kindergelds dem anderen Elternteil insoweit anrechnungsfrei überlassen muss, als er außerstande ist, den Mindestbedarf des Kindes mit seinen Unterhaltszahlungen abzudecken.
6. Nach diesen Grundsätzen hätte der Kläger mit Rücksicht auf die zum geänderte Funktion des Kindergeldes Abänderungsklage nach § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) erheben und eine Herabsetzung des Kindesunterhalts um den hälftigen Kindergeldanteil wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse beantragen können. Als wesentliche Änderung der Verhältnisse ist auch eine Änderung der Gesetzeslage anzusehen, die für die Bestimmung der Höhe des Unterhalts maßgeblich war (Wendl/ Staudigl, a.a.O., § 8 Rz. 142).
7. Der Senat verkennt allerdings nicht, dass eine Abänderungsklage nach § 323 ZPO im Jahr 1996 voraussichtlich kaum Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, da die Unterhalts-Richtlinien der Oberlandesgerichte auch noch für die Zeit nach In-Kraft-Treten des JStG 1996 an der Auffassung festgehalten haben, im Mangelfall sei das anteilige Kindergeld des Barunterhaltspflichtigen für den Kindesunterhalt einzusetzen (vgl. die Nachweise unter 3.c aa). Diese Rechtsauffassung hat der BGH in einer beiläufigen Bemerkung auch für die geänderte Gesetzeslage nach dem bestätigt (vgl. BGH-Urteil in FamRZ 1997, 806).
8. Bei dieser Sachlage besteht nach Ansicht des Senats Anlass zu prüfen, ob die Einkommensteuer 1997 des Klägers im Billigkeitsweg gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) ermäßigt werden kann. Die Entscheidung, ob und ggf. in welchem Umfang Billigkeitsmaßnahmen in Betracht kommen, wird vom Ausgang des Verfahrens über den Vorlagebeschluss des Senats in der Sache VIII R 51/53 vom heutigen Tage abhängen.
Da über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 in einem gesonderten Verfahren zu befinden ist (, BFHE 163, 162, BStBl II 1991, 427; Rüsken in Klein, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 163 Rz. 127, 138), kann hierüber im vorliegenden Revisionsverfahren nicht entschieden werden.
9. Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens nach § 74 FGO bis zur Entscheidung über einen Billigkeitserlass nach § 163 AO 1977 ist aus Rechtsgründen nicht geboten und bei Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes auch nicht zweckmäßig. Die Entscheidung über die Aussetzung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig sinnvoll, den Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids auszusetzen, solange noch unklar ist, ob und wie ein angefochtener Grundlagenbescheid geändert wird (vgl. , BFHE 163, 309, BStBl II 1991, 368). Auch der Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 zulässt, wird als Grundlagenbescheid angesehen (vgl. , BFHE 168, 500, 504, BStBl II 1993, 3, m.w.N.; Rüsken in Klein, a.a.O., § 163 Rz. 2, 138). Im Streitfall hält der Senat eine Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nicht für zweckmäßig. Da nicht absehbar ist, wann und mit welchem Ergebnis das BVerfG über den Vorlagebeschluss VIII R 51/03 entscheiden wird, würde sich die Erledigung des anhängigen Revisionsverfahrens bei einer Aussetzung erheblich verzögern. Im Übrigen hält es der Senat für sinnvoll, zunächst die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerfestsetzung festzustellen, ehe über eine Billigkeitsmaßnahme entschieden wird.
Nachteile ergeben sich für den Kläger aus dieser Entscheidung nicht, denn die Bestandskraft der Steuerfestsetzung schließt die Entscheidung über einen Billigkeitserlass nach § 163 AO 1977 nicht aus. Sollte eine Billigkeitsmaßnahme nach Rechtskraft der Entscheidung des erkennenden Senats gewährt werden, ist der Einkommensteuerbescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern (BFH-Urteil in BFHE 168, 500, 504, BStBl II 1993, 3).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 1029 Nr. 7
FAAAB-52584