Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Erlass einer Überraschungsentsch.
Instanzenzug:
Gründe
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute und werden seit 1997 gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb am ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück in D von seiner Mutter. Er verpflichtete sich, an seine beiden Brüder je 83 333,33 DM zu zahlen. Die Erdgeschosswohnung in dem Gebäude war bis zum vermietet. Die Obergeschosswohnung stand im Erwerbszeitpunkt und in der Folgezeit leer; seit Mai 1997 wird sie von den Klägern eigengenutzt. Ab 1994 führte der Kläger an dem Gebäude verschiedene Baumaßnahmen durch. In den Einkommensteuererklärungen 1994 bis 1996 machte er u.a. Kosten für die Erneuerung der Elektroinstallation, für den Einbau einer Zentralheizung und für die Innensanierung als „Kosten im Zusammenhang mit der Anschaffung ...„ bzw. als Werbungskosten geltend und teilte sie auf die „selbstgenutzte„ und vermietete Wohnung auf. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1997 erklärten die Kläger Einkünfte aus der Vermietung der Erdgeschosswohnung in D und einer im Eigentum der Klägerin stehenden Eigentumswohnung in W. Darüber hinaus begehrten sie für die eigengenutzte Wohnung in D „die steuerliche Berücksichtigung des Obergeschosses gemäß § 10e EStG„. Sie machten u.a. geltend, die Wohnung sei nach Durchführung von notwendigen Baumaßnahmen erst 1997 fertig gestellt worden. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) versagte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom die Steuerbegünstigung nach § 10e des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der Einspruch hatte teilweise Erfolg. Das FA berücksichtigte in dem durch die Einspruchsentscheidung geänderten Einkommensteuerbescheid einen Abzugsbetrag in Höhe von 2 076 DM gemäß § 10e Abs. 1 EStG. Darüber hinaus nahm es Änderungen bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung vor und errechnete diese mit ./. 5 562 DM.
Die Klage richtete sich zunächst gegen die festgesetzte Höhe der Vermietungseinkünfte und den Abzugsbetrag gemäß § 10e Abs. 1 EStG. Das FA änderte während des Klageverfahrens den angefochtenen Bescheid am erneut zugunsten der Kläger. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung belaufen sich nunmehr auf ./. 8 154 DM, die Steuerbegünstigung für die eigengenutzte Wohnung beträgt 2 102 DM. Die Kläger begehrten danach, bei der Bemessung des Abzugsbetrags nach § 10e EStG von einer um 44 080 DM höheren Bemessungsgrundlage auszugehen. Bei diesem Betrag handele es sich um die Summe von Umbaukosten, die in der Zeit bis zur Eigennutzung angefallen seien.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Voraussetzungen des § 10e Abs. 1 EStG seien nicht gegeben. Die Kläger hätten die von ihnen selbstgenutzte Obergeschosswohnung nicht erst 1997 hergestellt, sondern bereits 1991 angeschafft.
Eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage komme auch nicht unter dem Gesichtspunkt der nachträglichen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten gemäß § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG in Betracht. Allerdings könne offen bleiben, ob bzw. in welchem Umfang die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen nachträgliche Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten seien. Denn selbst wenn man dies unterstelle, führe dies lediglich zu einer Erhöhung des Abzugsbetrags um 2 204 DM. Dieser Betrag werde jedoch durch an anderer Stelle vorzunehmende Korrekturen aufgezehrt. Zunächst müssten die Einkünfte aus der Vermietung der Erdgeschosswohnung in D um 1 762 DM abzüglich eines Betrags von 91 DM wegen erhöhter Absetzung für Abnutzung (AfA) vermindert werden. Darüber hinaus betrügen die Einnahmen aus der Vermietung der Eigentumswohnung in W nicht, wie vom FA angenommen, 4 232 DM, sondern 4 710 DM. Die im letzten Änderungsbescheid vom FA berücksichtigten Kosten für Zeitungsannoncen in Höhe von 120,06 DM stellten keine Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung dar und müssten deshalb ebenfalls gegengerechnet werden. Die danach im Wege der Saldierung zu berücksichtigende Erhöhung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrage insgesamt 2 269 DM und sei somit höher als die von den Klägern begehrte Erhöhung des Abzugsbetrags gemäß § 10e Abs. 1 EStG.
Die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen könnten auch nicht als Vorbezugskosten gemäß § 10e Abs. 6 EStG abgezogen werden. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Reparatur- bzw. Modernisierungsaufwendungen in keinem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Anschaffungsvorgang gestanden hätten.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers. Die vom FG in der Entscheidung vorgenommene Saldierung sei in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden. Zwar sei nach Beratung die mündliche Verhandlung noch einmal eröffnet worden. Die Berichterstatterin habe anschließend jedoch lediglich die Mieteinnahmen mit dem Prozessbevollmächtigten abgestimmt, ohne dies näher zu erklären. Im Übrigen habe das FG die Saldierung in unzutreffender Weise berechnet. Für die Saldierung stehe nämlich lediglich ein Betrag von 631 DM zur Verfügung.
Darüber hinaus begehren die Kläger die Zulassung der Revision auch wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt nach § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
1. Es liegt ein Verfahrensmangel vor. Denn das angefochtene Urteil verletzt den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—; § 96 Abs. 2 FGO), weil es aufgrund einer vor seinem Erlass nicht erörterten Saldierung eine Rechtsfrage zum Teil unbeantwortet lässt. Die Kläger haben diesen Verfahrensmangel in zulässiger —den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO noch genügenden— Weise gerügt.
a) Das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO) gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit, sich zu Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, die der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen. Das Recht auf rechtliches Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse, beschränkt sich indes nicht darauf. Die Verfahrensbeteiligten werden durch Art. 103 Abs. 1 GG auch davor geschützt, dass das Gericht ihnen den Vortrag zur Rechtslage dadurch abschneidet, dass es ohne vorherigen Hinweis auf einen nicht vorhersehbaren rechtlichen Gesichtspunkt abstellt. Aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie aus § 93 Abs. 1 FGO, wonach der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung die Streitsache tatsächlich und rechtlich zu erörtern hat, folgt, dass die Beteiligten auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen bewahrt werden sollen. Zwar verlangt der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Der Anspruch auf Schutz vor Überraschungsentscheidungen ist daher nicht schon dann verletzt, wenn das FG rechtliche Gesichtspunkte, die im bisherigen Verfahren nicht im Vordergrund standen, in der Entscheidung als maßgebend herausstellt. Ein Verstoß kommt allerdings dann in Betracht, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. , BFH/NV 2000, 448; vgl. auch Senatsentscheidungen vom X B 167/01, BFH/NV 2002, 916; vom X B 175/01, BFH/NV 2002, 944).
b) Im Streitfall ist die vom FG vorgenommene Saldierung nach dem unwidersprochenen, durch Aktenlage belegten Vorbringen der Kläger erstmals in der Urteilsbegründung erwähnt und dort, bezogen auf die sich aus § 10e Abs. 3 Satz 2 EStG ergebende Anspruchsgrundlage, zur tragenden Erwägung gemacht worden. In dieser für die Beteiligten unvorhersehbaren Urteilsbegründung liegt eine das Recht auf Gehör verletzende Überraschungsentscheidung (vgl. zur Überraschungsentscheidung wegen Saldierung Senatsentscheidung vom X R 79/88, BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100). Zwar waren im Streitfall die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zunächst Teil des Klagebegehrens. Nach Erlass des Änderungsbescheids vom haben die Kläger jedoch lediglich noch die Erhöhung des Sonderausgabenabzugsbetrags begehrt. Sie mussten deshalb nicht mehr davon ausgehen, dass die außer Streit gestellten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in die rechtliche Beurteilung einbezogen wurden.
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dabei wird das FG ggf. die Rechtsprechung des Senats zu den Begriffen Anschaffungs- und Herstellungskosten zu berücksichtigen haben (vgl. etwa Senatsentscheidungen vom X R 45/99, BFH/NV 2003, 760; X R 36/01, BFH/NV 2003, 765).
Fundstelle(n):
ZAAAB-16048