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BSG Urteil v. - B 2 U 10/23 R

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301 - Harnblasenkarzinom bei einem Kfz-Mechaniker - arbeitstechnische Voraussetzung - Exposition gegenüber aromatischen Aminen - Schmierfett - Unterbodenschutzmittel - aktueller medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisstand

Gesetze: § 9 Abs 1 SGB 7, Anl 1 Nr 1301 BKV, § 44 Abs 2 SGB 10

Instanzenzug: SG Aachen Az: S 10 U 10/20 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 15 U 218/20 Urteil

Tatbestand

1Die Beteiligten streiten in einem Überprüfungsverfahren darüber, ob der Kläger Anspruch auf Feststellung seines Harnblasenkarzinoms als Berufskrankheit (BK) nach Nr 1301 der Anlage 1 zur BKV (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine - BK 1301) hat.

2Der Kläger war nach seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker seit den 1960er Jahren in Westdeutschland in verschiedenen Betrieben und auch in Baufirmen beschäftigt. Bei seinen beruflichen Tätigkeiten verwendete er ua Schmierstoffe und kam auch mit Unterbodenschutzmitteln und Teerbelägen in Berührung. Mit 51 Jahren erkrankte der Kläger an Harnblasenkrebs.

3Die Beklagte lehnte es ab, das Leiden als BK 1301 anzuerkennen (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ). Im Verwaltungsverfahren hatten der Beratungsarzt P und der Pharmakologe B eine Exposition des Klägers mit gefährdenden aromatischen Aminen verneint. Soweit in einem Unterbodenschutzmittel (Terotex) o-Anisidin (2-Methoxyanilin) nachgewiesen worden sei, sei dieses toxikologisch nicht relevant. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (; ). Ein berufsbedingter Umgang des Klägers mit krebsgefährdenden aromatischen Aminen könne nicht festgestellt werden. Selbst bei Annahme eines Kontakts sei ein Zusammenhang zwischen den nur geringfügigen Schadstoffbelastungen und der Erkrankung nicht hinreichend wahrscheinlich. Das BSG verwarf die Nichtzulassungsbeschwerde mangels ausreichender Begründung als unzulässig ().

4Im Jahr 2011 beantragte der Kläger die Überprüfung der Ablehnungsentscheidung, auch weil die Kanzerogenität von o-Toluidin wissenschaftlich neu bewertet werde (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der BK 1301 der Anlage 1 zur BKV "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnblase durch aromatische Amine", GMBl 2011, 18; Rundschreiben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung eV <DGUV> Nr 0124/2011 vom ). Die Beklagte lehnte die Rücknahme der Ausgangsentscheidungen ab (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ). Die Klage blieb ohne Erfolg (; ). Das LSG folgte ua dem gerichtlichen Sachverständigen P, der im Klageverfahren unter Bezug auf den BK-Report Aromatische Amine 2011 (DGUV, BK-Report 2/2011 - Aromatische Amine - Eine Arbeitshilfe in BKen-Ermittlungsverfahren, Stand Juli 2011) zunächst eine Exposition insbesondere gegenüber 2-Naphthylamin angenommen, sich aber später für seine gegenteilige Annahme einer fehlenden Exposition ebenso wie der weitere gerichtliche Sachverständige B auf die Erkenntnisse von Lichtenstein et al (Gefahrstoffe, 2013, 197) gestützt hatte. Im Hinblick auf eine nicht auszuschließende oder unterstellte Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen unterschreite die denkbare Gesamtbelastung die Verdopplungsdosis jedenfalls so erheblich, dass ein Kausalzusammenhang nicht festzustellen sei. Einer medizinischen Bewertung des Einzelfalls bedürfe es daher nicht mehr.

5Die Beklagte lehnte auch auf den zweiten Antrag des Klägers im hier streitgegenständlichen Überprüfungsverfahren die Rücknahme der Ausgangsbescheide ab (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ). Im Klageverfahren hat der gerichtliche Sachverständige R eine Belastung des Klägers mit 2-Naphthylamin beim Umgang mit Schmierfetten auch für westdeutsche Produkte nicht ausgeschlossen; eine BK 1301 könne bei entsprechendem Nachweis des Zusatzes von Antioxidantien und damit schwerpunktmäßig von 2-Naphthylamin begründet werden. Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ), das LSG die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom ): Eine Einwirkung von kanzerogenen aromatischen Aminen sei bei Tätigkeiten mit Schmierfetten in den alten Bundesländern nicht wahrscheinlich zu machen. Insoweit spiegele die seit 2014 in den BK-Reporten berücksichtigte Studie von Lichtenstein et al (Gefahrstoffe 2013, 197) nach wie vor den wissenschaftlichen Erkenntnisstand wider. Soweit im vorangegangenen Verfahren auch auf den Umgang mit Asphalten und Unterbodenschutzmitteln eingegangen worden sei, hätten diese jedenfalls keine maßgeblichen aromatischen Amine enthalten. Selbst bei Unterstellen eines Kontakts sei kein relevanter Kausalitätsbeitrag festzustellen.

6Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 9 SGB VII iVm BK 1301). Die Annahme, nur DDR-Schmierfette seien mit 2-Naphthylamin belastet, stütze sich auf Proben, deren Zustand, Herkunft und Alter unbekannt seien. Zudem sei bei der Analyse dieser Proben die Oxidationsempfindlichkeit aromatischer Amine nicht berücksichtigt worden. Soweit das LSG eine bestimmte Dosis der Einwirkung verlange, verkenne es, dass der Verordnungsgeber einen Dosisgrenzwert für die BK 1301 nicht definiert habe.

7Der Kläger beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aachen vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zurückzunehmen und das Harnblasenkarzinom des Klägers als Berufskrankheit nach Nr 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.

8Die Beklagte beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.

9Die Ergebnisse der Studie von Lichtenstein et al (Gefahrstoffe 2013, 197) seien zu Recht in den BK-Report Aromatische Amine eingeflossen und weiterhin in der aktuellsten Auflage als maßgeblicher aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand berücksichtigt. 2-Naphthylamin sei danach nur in DDR-Schmierfetten nachweisbar gewesen, eine Exposition des Klägers gegenüber diesem Amin daher nicht gegeben. Soweit eine Exposition in Form von 2-Naphthylamin durch den Kontakt mit Asphalt in Betracht komme, unterschreite selbst die denkbar höchste Exposition die Verdopplungsdosis so deutlich, dass ein Ursachenzusammenhang auszuschließen sei.

Gründe

10Die zulässige Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die festge-stellten Tatsachen (§ 163 SGG) reichen für eine abschließende Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Rücknahme der Ablehnung im Ausgangsbescheid und auf Verpflichtung zur Feststellung der BK 1301 nicht aus.

11Der Kläger begehrt im Wege der Kombination einer Anfechtungs- und zweier Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 und 3, § 56 SGG), die Ablehnungsentscheidung im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom (§ 95 SGG) gerichtlich aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihren bestandskräftigen (§ 77 SGG) Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) über die Ablehnung der BK 1301 im Ausgangsbescheid vom und den Widerspruchsbescheid vom zurückzunehmen sowie das Harnblasenkarzinom als BK 1301 behördlich festzustellen.

12Die erstrebte Rücknahme richtet sich nach § 44 Abs 2 SGB X. Danach ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen (Satz 1); er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2). Die allgemeine Regelung des § 44 Abs 2 SGB X bildet einen Auffangtatbestand ("im Übrigen") für Fälle, in denen der spezielle § 44 Abs 1 SGB X - wie hier - nicht anwendbar ist. Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Außerhalb der Beitragserhebung erfasst § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X somit nur solche bindenden Verwaltungsakte, die unmittelbar Ansprüche auf nachträglich erbringbare Sozialleistungen (§ 11 Satz 1 SGB I) im Sinne der §§ 3 ff und 18 ff SGB I betreffen ( - BSGE 137, 34 = SozR 4-1300 § 44 Nr 49, RdNr 9 f mwN). Der Verwaltungsakt über die Ablehnung der BK 1301 im Ausgangsbescheid vom verneint die Grundlage der in Frage kommenden Sozialleistungen, ohne sie unmittelbar selbst zu regeln, sodass der Anwendungsbereich des § 44 Abs 1 SGB X nicht eröffnet ist. Konkrete oder pauschale Ablehnungen von Leistungsansprüchen in diesem Bescheid sind hier jedenfalls nicht vom Klagebegehren umfasst und daher nicht streitgegenständlich (zur fehlenden Regelungswirkung pauschaler Leistungsablehnungen vgl - BSGE 137, 34 = SozR 4-1300 § 44 Nr 49, RdNr 10 und vom - B 2 U 1/21 R - SozR 4-2700 § 31 Nr 18 RdNr 45, jeweils mwN).

13Die tatrichterlichen Feststellungen genügen nicht, um abschließend zu beurteilen, ob die Ablehnung der BK 1301 im Ausgangsbescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom rechtswidrig war. Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn das im Erlasszeitpunkt geltende Recht - aus heutiger Sicht ("geläuterte Rechtsauffassung") - unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb die Feststellung des Versicherungsfalls (§ 7 Abs 1 SGB VII) zu Unrecht unterblieben ist (zum Ganzen - BSGE 137, 34 = SozR 4-1300 § 44 Nr 49, RdNr 26 mwN).

14Rechtsgrundlage für die Feststellung der streitigen Listen-BK war § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1 BKV in der Fassung vom (BGBl I 2623). Maßgeblich ist § 9 SGB VII, weil der Versicherungsfall frühestens mit der gesicherten Diagnose des Harnblasenkarzinoms im Jahr 1999 und damit nach Inkrafttreten des SGB VII am (Art 36 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch <Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG> vom , BGBl I 1254) eingetreten sein könnte (§ 212 SGB VII). BKen sind die in der Anlage 1 zur BKV bezeichneten Krankheiten, die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 1 BKV). Die Anlage 1 zur BKV bezeichnet (in der maßgeblichen Fassung und seitdem unverändert) im Abschnitt 1 "durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten" und in dessen Unterabschnitt 13 "Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe" unter der Nr 1301 "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine" als BK.

15Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist für die Feststellung einer derartigen Listen-BK (Versicherungsfall) erforderlich, dass die Verrichtung einer versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 11 und - B 2 U 13/21 R - BSGE 137, 34 = SozR 4-1300 § 44 Nr 49, RdNr 28, vom - B 2 U 7/19 R - BSGE 131, 297 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4115 Nr 1, RdNr 27 und - B 2 U 11/19 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 12 sowie vom - B 2 U 10/17 R - BSGE 126, 244 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 9, RdNr 13 und - B 2 U 13/17 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 10 RdNr 9). Ob alle diese Voraussetzungen erfüllt sind und deshalb die Ablehnung der Rücknahme des Ausgangsbescheids vom und des Widerspruchsbescheids vom rechtswidrig war, lässt sich anhand der bisherigen tatrichterlichen Feststellungen nicht entscheiden.

16Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) leidet der Kläger an einem Harnbla-senkarzinom und damit an Krebs der Harnwege, wie dies die BK 1301 tatbestandlich voraussetzt. Ferner steht fest, dass er als KfZ-Mechaniker und mit seinen weiteren Tätigkeiten nichtselbstständige Arbeit verrichtete und deshalb gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII iVm § 7 SGB IV als Beschäftigter kraft Gesetzes unfallversichert war. Dass er bei seinen versicherten Tätigkeiten Schmierfette verwendete und ua mit Unterbodenschutzmitteln in Kontakt gekommen ist, steht ebenso fest.

17Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger dabei auch aromatischen Aminen im Sinne der BK 1301 ausgesetzt. Soweit das LSG eine Exposition gegenüber aromatischen Aminen beim Umgang mit Schmierfetten in Westdeutschland unter Berufung auf den BK-Report Aromatische Amine (1/2019) ausgeschlossen hat, weil nach einer Analyse von Lichtenstein et al (Gefahrstoffe 2013, 197) nur Schmierfette in der früheren DDR mit 2-Naphthylamin belastet gewesen seien, hält dies einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (dazu 1.). Bindend festgestellt hat das LSG, dass der Kläger bei seinen Arbeiten mit Unterbodenschutzmitteln Einwirkungen von o-Anisidin ausgesetzt war, welches entgegen der tatrichterlichen Annahme als wahrscheinlich beim Menschen krebserzeugend einzustufen ist (dazu 2.). Die festgestellten Einwirkungen sind auch nicht unzureichend gewesen. Denn weder der Normtext der BK 1301 noch der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand verlangen eine Verdopplungs- oder sonstige Mindesteinwirkungsdosis (dazu 3.). Nicht beurteilt werden kann indes, ob die aromatischen Amine, denen der Kläger in verschiedenen Stationen seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war, das Harnblasenkarzinom äquivalent-kausal (naturwissenschaftlich-philosophisch) und rechtlich wesentlich (mit-)verursacht haben (dazu 4.).

181. Das LSG ist bei der Prüfung, ob der Kläger beim Umgang mit Schmierfetten gegenüber 2-Naphthylamin exponiert gewesen ist, davon ausgegangen, dass nur Schmierfette in der früheren DDR mit diesem Stoff verunreinigt gewesen sind. Diese Feststellung hält der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand, zu der der Senat ohne Weiteres befugt ist. Denn die Beschränkungen des § 163 Halbsatz 1 SGG gelten für generelle Tatsachen und (wissenschaftliche) Erfahrungssätze nicht.

19Allgemeine (generelle) Tatsachen (Rechtstatsachen) sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht nur für die Rechtsfindung im Einzelfall, sondern für eine Vielzahl von Fällen gleichermaßen bedeutsam sind. Welche Bedeutung ihnen zukommt, kann daher nicht von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht unterschiedlich bewertet werden. Es ist vielmehr Aufgabe des Revisionsgerichts, durch Ermittlung, Feststellung und Würdigung derartiger Tatsachen die Einheitlichkeit der Rechtsprechung sicherzustellen und so die Rechtseinheit zu wahren ( - juris RdNr 23, vom - B 2 U 11/19 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 33, vom - B 2 U 8/18 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 71 RdNr 20 und vom - B 5 RS 2/18 R - BSGE 128, 219 = SozR 4-8570 § 6 Nr 8, RdNr 13 mwN). Speziell zu wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und sonstigen Wirklichkeitsannahmen im BK-Recht hat der Senat bereits entschieden, dass die allgemeinen (generellen) Tatsachen, die die einzelnen Tatbestandsmerkmale der jeweiligen BK als Rahmenbedingungen, Kontextinformationen bzw Hintergrundtatsachen unterfüttern und die deshalb für alle einschlägigen BK-Fälle gleichermaßen bedeutsam sind, anhand des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands auch revisionsrechtlich überprüfbar sind ( - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 33, vom - B 2 U 10/17 R - BSGE 126, 244 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 9, RdNr 27 und - B 2 U 13/17 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 10, RdNr 21 sowie vom - B 2 U 6/15 R - BSGE 123, 24 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1, RdNr 18). Die Bindung an tatrichterliche Feststellungen entfällt, wenn das LSG von einem offenkundig falschen Erfahrungssatz ausgegangen ist oder bestehende Erfahrungssätze nicht angewandt hat oder eine fehlerhafte Anwendung zulässig gerügt wird ( - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 33 mwN). Unter diesen Umständen hat das BSG - soweit dies tunlich ist (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) - im BK-Recht aufgrund der in den Normtexten der jeweiligen BKen regelmäßig vertypisierten wissenschaftlichen Aussagen die Existenz und Reichweite der einschlägigen Erfahrungssätze selbst festzustellen ( - BSGE 118, 255 = SozR 4-1500 § 163 Nr 8, RdNr 20, - B 2 U 20/14 R - BSGE 118, 267 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 8, RdNr 33 und - B 2 U 6/13 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 2108 Nr 7 RdNr 20 sowie - juris RdNr 7).

20Das LSG ist offenkundig von einem falschen Erfahrungssatz ausgegangen. Der in Bezug genommene BK-Report Aromatische Amine (1/2019) und die dort maßgeblich herangezogene Untersuchung von Lichtenstein et al (Gefahrstoffe, 2013, 197) sind keine taugliche Grundlage für den vom LSG zugrunde gelegten allgemeinen Erfahrungssatz und die getroffene generelle Feststellung, dass eine Verunreinigung von Schmierstoffen mit 2-Naphthylamin in den alten Bundesländern nicht wahrscheinlich zu machen sei. Dies geht ersichtlich über die Schlussfolgerungen hinaus, die Lichtenstein et al aus der chemischen Analyse von insgesamt 18 Schmierfettproben gezogen haben. Danach enthielten von den zehn aus dem alten Bundesgebiet stammenden Schmierfettproben, in denen das Antioxidans N-Phenyl-2-Naphthylamin nicht nachgewiesen wurde, vier Proben 2-Naphthylamin, dessen Herkunft jeweils nicht geklärt werden konnte. Schließlich räumen Lichtenstein et al ein, dass die Anzahl von 18 untersuchten alten Schmierfetten aus Altbeständen in Firmen oder aus dem privaten Bereich (Haushaltsauflösungen etc) nicht unbedingt als repräsentativ angesehen werden könne. Damit vernachlässigt das LSG bereits die eingeschränkte Aussagekraft der auf 18 Proben begrenzten Untersuchung, übergeht den Befund, dass 2-Naphthylamin nicht nur in Proben aus DDR-Beständen, sondern auch in Beständen der alten Bundesländer gefunden wurde und blendet den Aspekt des innerdeutschen Handels aus. Zudem wird nicht erläutert, inwiefern die Oxidationsempfindlichkeit von 2-Naphthylamin, auf die der BK-Report Aromatische Amine mehrfach ausdrücklich hinweist, bei der Analyse gealterter Schmierfettproben, deren jeweiliger Erhaltungs- und Lagerungszustand unbekannt ist, berücksichtigt werden konnte (BK-Report 1/2019, 17, 100, 114).

21Jenseits eines Erfahrungssatzes übergeht das LSG zudem den Befund von Lichtenstein et al, dass in zwei der zehn Fette aus dem alten Bundesgebiet weitere krebserzeugende aromatische Amine aus Azofarbstoffen nachweisbar waren, nämlich o-Anisidin iHv 13 mg/kg bzw o-Toluidin iHv 25 mg/kg. Auch für die Herkunft dieser Amine wurde weder eine Erklärung gefunden noch eine mögliche Relevanz der Oxidationsempfindlichkeit erörtert. Das LSG wird deshalb die Belastung des Klägers mit 2-Naphthylamin ebenso neu zu ermitteln und einzuschätzen haben wie eine Gefährdung durch o-Anisidin und o-Toluidin beim Umgang mit Schmierfetten.

222. Eine Belastung des Klägers mit möglicherweise auch beim Menschen krebserregenden aromatischen Aminen ergibt sich jedenfalls aus dem bindend festgestellten Kontakt mit o-Anisidin bei der Arbeit mit Unterbodenschutzmitteln.

23Soweit das LSG zum Umgang mit Unterbodenschutzmitteln auf die Stellungnahmen von R vom und abstellt und in der Folge ausführt, dass Unterbodenschutzmittel jedenfalls "keine relevanten aromatischen Amine" enthalten hätten, stellt es nicht den von R festgehaltenen Kontakt mit o-Anisidin an sich in Frage, sondern dessen generelle Geeignetheit, beim Menschen Krebs zu erzeugen. Indem das LSG dieser Einstufung einer fehlenden humankanzerogenen Eigenschaft von o-Anisidin gefolgt ist, hat es einen im Entscheidungszeitpunkt offenkundig nicht mehr aktuellen und damit falschen wissenschaftlichen Erkenntnisstand herangezogen.

24Tatsachengerichte haben ihrer Entscheidungsfindung - unerlässlich - den jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ( - juris RdNr 21 mwN, vom - B 2 U 11/19 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 34 mwN und vom - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20). Falls erforderlich müssen sich Tatsachengerichte durch sachverständige Hilfe Klarheit darüber verschaffen, welches zum Zeitpunkt der Entscheidung der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der streitigen Frage ist. Ein im bisherigen Verfahren herangezogener wissenschaftlicher Erkenntnisstand ist dementsprechend bis zum Schluss auf seine Aktualität zu überprüfen, erforderlichenfalls mit Hilfe weiterer Gutachten. Einer Änderung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist Rechnung zu tragen ( - juris RdNr 21, vom - B 2 U 11/19 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 34 und vom - B 2 U 6/15 R - BSGE 123, 24 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1103 Nr 1, RdNr 18 sowie - SozR 4-1500 § 160 Nr 24 RdNr 18-19 jeweils mwN).

25Die aus den früheren Jahren stammenden Bewertungen zur Kanzerogenität von o-Anisidin waren im Zeitpunkt des Berufungsurteils im Jahr 2022 offenkundig überholt. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO), hat o-Anisidin (2-Methoxyanilin oder ortho-Anisidin) im Jahr 2021 in die Gruppe 2A ("wahrscheinlich krebserzeugend für den Menschen") eingestuft. Diese Entscheidung stellt eine signifikante Höherstufung gegenüber der früheren Kategorisierung dar (IARC, Monographie Band 127, S 267). Seit 1999 war o-Anisidin noch der Gruppe 2B ("mögliches Kanzerogen für den Menschen") zugeordnet und davor der Gruppe 3 ("Substanz nicht klassifizierbar hinsichtlich ihrer Kanzerogenität für den Menschen"). Auch der unionsrechtlichen Einordnung gemäß der im Entscheidungszeitpunkt des LSG geltenden Fassung der Verordnung (EG) Nr 1272/2008 (CLP-Verordnung) liegt die Bewertung von o-Anisidin als wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen zugrunde (Art 36 Abs 1 iVm Teil 3.6 Karzinogenität iVm Anhang VI Tabelle 3.1).

26Den wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt wird das LSG bei seiner erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben, der auch Eingang in die S3-Leitlinie zur Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms gefunden hat, in dem o-Anisidin dort als für den Menschen krebserregendes aromatisches Amin gelistet ist (AWMF-Register-Nr 032-038OL, Version 3.0 - März 2025, S 37 Kategorie 2). Auch das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) weist darauf hin, dass dieser Bewertung gefolgt werden sollte (IFA, GESTIS-Stoffdatenbank, 2-Methoxyanilin, , S 6).

273. Anders als das LSG meint, lässt sich die Feststellung der BK 1301 auch nicht damit ablehnen, dass die berufliche Exposition des Klägers mit möglichen aromatischen Aminen, zB in alten Teerasphalten, selbst bei Unterstellen eines Kontakts die Verdopplungsdosis jedenfalls so erheblich unterschreite, dass ein relevanter Kausalbeitrag nicht anzunehmen sei.

28Die BKV normiert im Tatbestand der BK 1301 keinen Mindestschwellenwert. Auch das zur Auslegung einer Listen-BK heranzuziehende Merkblatt zur BK 1301 aus dem Jahr 1963 (BArbBl 1963, 129; zur Bedeutung von Merkblättern bei der Auslegung von BKen vgl - SozR 4-2700 § 9 Nr 30 RdNr 31 mwN) und idF der wissenschaftlichen Stellungnahme des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BKen (ÄSVB) aus dem Jahr 2011 (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der BK 1301 der Anlage 1 zur BKV "Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnblase durch aromatische Amine", GMBl 2011, 18) enthält keine Angaben zu einer erforderlichen Expositionshöhe. Anhaltspunkte dafür, dass inzwischen neuere wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zulassen, sind nicht ersichtlich (vgl im Kontext azofarbstoffhaltiger Rissprüfmittel - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 17 ff). Insoweit führt auch die "BK 1301-Matrix" zu keinem anderen Ergebnis (vgl zur Matrix Weisten-höfer/Golka/Bolm-Audorff/Bolt/Brüning/Hallier/Pallapies/Prager/Schilling/Schmitz-Spanke/Uter/ Weiß/Drexler, ASUmed 2022, 177 ff = MedSach 2022, 79 ff). Diese dient lediglich als Entscheidungshilfe für die Zusammenhangsbegutachtung, legt jedoch keine arbeitstechnisch relevanten Expositionen fest; deren Nachweis ist vielmehr erst Voraussetzung für die Anwendung der Matrix (vgl Weistenhöfer/Drexler/Golka, ASUmed 2022, 592 f), wovon auch die Beklagte grundsätzlich ausgeht. Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege infolge aromatischer Amine lassen sich auch nicht klinisch, histologisch oder nach ihrem Verlauf von entsprechenden Erkrankungen anderer Genese abgrenzen, sodass ggf bereits deswegen eine weitere Kausalitätsprüfung entbehrlich sein könnte ( - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 23).

29Folglich ist kein Minimalwert feststellbar, unterhalb dessen auch in besonders gelagerten Fällen die Verursachung der im Verordnungstext bezeichneten Krankheitsbilder durch die versicherte Einwirkung ohne weitere medizinische Prüfung ausgeschlossen werden kann. Dies beruht darauf, dass aromatische Amine nicht unmittelbar kanzerogen wirken, sondern erst ihre Abbauprodukte im menschlichen Stoffwechsel Krebs hervorrufen können, sodass das Erkrankungsrisiko auch bei gleicher Exposition unterschiedlich ausfällt (Golka/Schöps, Aromatische Amine <BK 1301> in Letzel/Schmitz-Spanke/Lang/Nowak, Krebs und Arbeit, 2021, 184, 192). Zudem wiesen Messergebnisse an nachgestellten Arbeitsplätzen eine so große Streubreite auf, dass sie für die Festlegung eines Grenzwerts ungeeignet sind.

30Der Verordnungsgeber hat daher bewusst auf eine Grenzwertbestimmung verzichtet und mit der offenen Fassung des Normtextes verdeutlicht, dass er aromatische Amine schon bei geringer Belastung als gefährlich einstuft. Der Tatbestand ist folglich seinem Schutzzweck entsprechend weit auszulegen (vgl insoweit auch Golka/Schöps, aaO, 184, 199, die die Evidenz hinsichtlich der krebsauslösenden Wirkung insgesamt als hoch bewerten). Anlass für die Einführung der BK war allein die Erkenntnis, dass aromatische Amine Harnwegserkrankungen verursachen können (vgl die Begründung zur Einführung der BK 14 durch die Dritte Verordnung über Ausdehnung der Unfallversicherung auf BKen vom , abgedruckt in Arbeit und Gesundheit, 1937, Heft 29, S 13; - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 29).

31Kann damit eine Dosis-Wirkungs-Beziehung nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht näher bestimmt werden, dürfen die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht allein deshalb verneint werden, weil die Einwirkungen die Verdopplungsdosis mehr oder weniger deutlich unterschreiten oder sonst nach Qualität und Quantität vermeintlich nicht ausgereicht haben, die Krankheit hervorzurufen ( - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 22). Die Verdopplungsdosis ist kein Ausschlusskriterium, sondern allenfalls ein Richtwert zur Risikobewertung, der im Rahmen der medizinisch-wissenschaftlichen Beurteilung Berücksichtigung finden kann, jedoch keine zwingende Schwelle für die Anerkennung oder Ablehnung der BK 1301 markiert. Da weder eine tatbestandlich bestimmte Einwirkungsintensität vorgegeben ist noch eine Mindestexpositionsdosis wissenschaftlich bestimmbar wäre, lässt sich aus der Einwirkungsdosis kein zwingender Rückschluss auf die Verneinung des Ursachenzusammenhangs ziehen. Mangels näherer Dosis-Bestimmungen durch die BK selbst oder entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen ist für die Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen somit schon ausreichend, dass sich mit einer Arbeitsplatzexposition überhaupt eine Erhöhung des Erkrankungsrisikos ergibt ( - BSGE 137, 22 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 1301 Nr 1, RdNr 30; vgl zur BK 3101 bereits - BSGE 103, 45 = SozR 4-5671 Anl 1 Nr 3101 Nr 4, RdNr 33).

324. Ob die aromatischen Amine, denen der Kläger in verschiedenen Stationen seiner beruflichen Tätigkeit ausgesetzt war, das Harnblasenkarzinom äquivalent-kausal und rechtlich wesentlich (mit-)verursacht haben, kann der Senat anhand der tatrichterlichen Feststellungen nicht beurteilen. Das LSG wird hierzu weitere Ermittlungen durchzuführen haben. Dabei wird es auch etwaige konkurrierende Ursachen, die als alternative oder mitwirkende Faktoren für die Erkrankung des Klägers in Betracht kommen, berücksichtigen müssen. Bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen beruflicher Exposition und Erkrankung sind sämtliche Umstände des Einzelfalls in die gebotene Gesamtabwägung einzustellen, wie zB die hier vorgetragene Eigenschaft des Klägers als sog langsamer Acetylierer. In das Gesamtergebnis der Prüfung werden auch die Ergebnisse der nachzuholenden Ermittlung einer beruflichen Belastung des Klägers mit 2-Naphthylamin (dazu 1.) und o-Anisidin (dazu 2.) und deren evtl Ursachenbeitrags einzufließen haben. Ebenso wird das LSG zu prüfen haben, ob auch die zusätzlichen Ergebnisse der Studie von Lichtenstein et al zu berücksichtigen sind, wonach in gefärbten Schmierstoffen weitere krebserregende aromatische Amine nachweisbar waren, nämlich o-Anisidin iHv 13 mg/kg bzw o-Toluidin iHv 25 mg/kg (Gefahrstoffe, 2013, 197).

33Wenn die Beklagte die relevanten Papierakten teilweise bereits vernichtet hat, wird zu beachten sein, ob dies einen Verstoß gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Aufbewahrung darstellt (§§ 110a bis 110c SGB IV) und die Durchsetzung der Rechte des Klägers hierdurch unzulässig erschwert wird (§ 2 Abs 2 Halbsatz 2 SGB I). Erforderlichenfalls wird das LSG dies bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben (Art 19 Abs 4 GG; § 202 Satz 1 SGG iVm § 444 ZPO analog; allg - BSGE 134, 172 = SozR 4-2500 § 275 Nr 39, RdNr 37 mwN; - juris RdNr 12 mwN; zur Aktenvernichtung s auch - BFHE 284, 206 - juris RdNr 37 mwN).

34Sollte das LSG im Rahmen der erneuten Prüfung zu der Einschätzung gelangen, dass ein Ursachenzusammenhang zu bejahen ist, so sind die Bescheide der Beklagten auch im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtswidrig im Sinne des § 44 SGB X. Abzustellen ist insoweit auf die damalige Sach- und Rechtslage, jedoch aus heutiger Sicht. Auch die zwischenzeitlich ggf verbesserte Erkenntnislage hinsichtlich der Kanzerogenität verschiedener aromatischer Amine ändert die Beurteilung von Anfang an; die betreffenden Bescheide wären entsprechend von Anfang an rechtswidrig. In der Folge hätte der Kläger Anspruch auf bescheidmäßige Anerkennung seiner Erkrankung als BK 1301.

35Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:170625UB2U1023R0

Fundstelle(n):
DAAAK-03790