Suchen Barrierefrei
BFH Beschluss v. - V B 63/23

Indizwirkung des mit einem „OK-Vermerk“ versehenen Sendeberichts bei der Übermittlung eines Schriftstücks per Telefax

Leitsatz

1. NV: Der „OK-Vermerk“ eines Sendeberichts belegt —jedenfalls— das Zustandekommen einer Verbindung zwischen dem Telefaxgerät des Absenders und dem des Empfängers; er stellt damit wenigstens ein Indiz für den Zugang eines Telefaxes dar (Anschluss an , BFH/NV 2020, 1270).

2. NV: Zwar trägt der Kläger grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die fristgerechte Klageerhebung, allerdings darf ihm nicht die Feststellungslast für Vorgänge aufgebürdet werden, die sich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und deren Unaufklärbarkeit allein in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt.

Gesetze: FGO § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1; FGO § 76 Abs. 1; FGO § 116 Abs. 6

Instanzenzug:

Gründe

1 Die Beschwerde der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das Urteil des FG beruht —was die Klägerin zu Recht rügt— auf einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und damit auf einem Verfahrensfehler im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.

2 1. Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Danach ist es grundsätzlich Aufgabe des Gerichts, die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung zu ermitteln (z.B. , BFH/NV 2004, 207). Unbeschadet der Mitwirkungspflichten der Beteiligten hat das FG dem Amtsermittlungsgrundsatz besondere Bedeutung zuzumessen, soweit es sich um Feststellungen handelt, denen unmittelbar entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt. In diesen Fällen hat das FG jedenfalls solchen tatsächlichen Zweifeln nachzugehen, die sich ihm nach Lage der Akten und dem Vortrag der Beteiligten aufdrängen müssen (z.B. , BFH/NV 2014, 1772, Rz 11).

3 2. Gemessen daran hat das FG seine Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt, indem es nicht hinreichend aufgeklärt hat, ob die Klageschrift vom bereits an diesem Datum —und damit innerhalb der Frist des § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO— als Fax beim FG eingegangen ist.

4 a) Das FG hat —ohne sich insoweit näher mit den Gegebenheiten des Streitfalls auseinanderzusetzen— angenommen, dass die Klageschrift vom „erst“ am als Poststück bei Gericht —und damit nach Ablauf der Frist des § 47 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO— einging. Für die damit verbundene Annahme, dass die Klage nicht —wie von der Klägerin behauptet und zu diesem Zeitpunkt (noch) zulässig (zum Inkrafttreten des § 52d Satz 1 FGO vgl. , BFHE 283, 206, Rz 13)— bereits am per Fax beim FG eingegangen ist, lassen sich der Entscheidung des FG keine tatsächlichen Grundlagen entnehmen (FG-Urteil S. 10 unter 2.a).

5 b) Es bestehen aber —aufgrund der sich bei den Akten befindlichen Sendeberichte— Anhaltspunkte für den Eingang der per Telefax gesendeten Klageschrift beim FG am .

6 aa) So belegt der „OK-Vermerk“ eines Sendeberichts —jedenfalls— das Zustandekommen einer Verbindung zwischen dem Telefaxgerät des Absenders und dem des Empfängers (, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2013, 2514, Rz 11; ); er stellt damit wenigstens ein Indiz für den Zugang eines Telefaxes dar (, BFH/NV 2020, 1270, Rz 18; ebenso , NJW 1995, 665, unter II.3.; vom  - IV ZR 163/13, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht —NJW-RR— 2014, 683; BGH-Beschlüsse vom  - VIII ZB 13/13, NJW-RR 2014, 179, Rz 12; vom  - III ZR 289/12, NJW 2013, 2514, Rz 11; vom  - IX ZR 148/10, Immobilien- & Baurecht —IBR— 2011, 733, Rz 3; vgl. auch , BAGE 102, 171), welches das Tatsachengericht im Rahmen des ihm obliegenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu einer weiteren Sachaufklärung verpflichten kann (, BFH/NV 2020, 1270, Rz 19).

7 bb) Unter den Gegebenheiten des Streitfalls ergibt sich auch aus dem von der Klägerin mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom vorgelegten „Sendebericht“ ein Indiz für den Zugang der Klageschrift am .

8 (1) Dieser enthält —neben einem Teil des ersten Blattes der Klageschrift vom — unter anderem die Zeitangabe „08/10 15:50“, eine Seitenanzahl von 14, die Faxnummer des FG sowie die Angabe „ÜBERTR OK“. Zwar findet sich hierin zugleich für die „Ü.-DAUER“ die Angabe „00:00:00“. Hieraus folgt jedoch im Streitfall nicht, dass die Angabe „ÜBERTR OK“ kein Indiz für den Zugang der Klageschrift vom darstellt. Vielmehr weist der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG vorgelegte, ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom betreffende „Sendebericht“ neben der Angabe „ÜBERTR OK“ ebenfalls „00:00:00“ als „Ü.-DAUER“ aus, obwohl der Antrag an dem im Sendebericht angegebenen Datum per Fax beim FG eingegangen ist. Darüber hinaus lässt sich die in dem Sendebericht angegebene Uhrzeit („12:02“) in Übereinstimmung mit der Angabe auf dem bei den Akten befindlichen Faxausdruck („12:03“) bringen.

9 Da damit nahe liegt, dass das Faxgerät der Klägerin auch bei einer mit „00:00:00“ angegebenen Übertragungsdauer Faxsendungen vollständig an das Empfängergerät überträgt —und damit der Vermerk „ÜBERTR OK“ auch in diesen Fällen einen Anhaltspunkt für den Zugang des betreffenden Telefaxes bei dem Empfänger darstellt—, hätte sich das FG nicht darauf beschränken dürfen, den Eingang der Klageschrift am ohne Weiteres zu verneinen. Vielmehr hätte sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsermittlung —ohne dass es auf die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten (Beweis-)Anträge ankommt— von Amts wegen aufdrängen müssen.

10 (2) So hätte sich das FG angesichts der —mit insoweit identischen Angaben des „Sendeberichts"— erfolgreichen Übertragung des Faxes am mit der technischen Bedeutung der Angabe „ÜBERTR OK“ sowie der mit „00:00:00“ angegebenen „Ü.-DAUER“ auseinandersetzen müssen. Insbesondere wäre —unter Heranziehung des von der Klägerin vorgelegten Benutzerhandbuchs sowie gegebenenfalls unter Heranziehung eines Sachverständigen (vgl. hierzu Oberlandesgericht —OLG— Frankfurt, Urteil vom  - 19 U 213/09, IBR 2010, 267; , Der Betrieb 2008, 2479)— der Frage nachzugehen gewesen, ob bei dem konkreten von der Klägerin verwendeten Gerät der Vermerk „ÜBERTR OK“ bei gleichzeitiger Angabe einer bestimmten Seitenzahl sowie der „Ü.-DAUER“ mit „00:00:00“ das Zustandekommen einer Verbindung zwischen dem Telefaxgerät des Absenders und dem des Empfängers belegt sowie —hierauf aufbauend—, ob die Übermittlung einer Telefaxnachricht trotz Vorliegens eines Sendeberichts mit dem Vermerk „ÜBERTR OK“ an Leitungsstörungen, die zum Abbruch der Verbindung geführt haben könnten, gescheitert sein könnte.

11 (3) Die vom FG vorgenommene Sachaufklärung ist erkennbar unzureichend. Das FG hat sich auf eine „Nachfrage“ bei seinem „Systemadministrator“ beschränkt, der mitteilte, dass es aus technischen Gründen nicht (mehr) möglich sei, das Faxjournal des Gerichtsfaxes als Empfangsgerät für den abzurufen oder auszudrucken. Hierbei lässt das FG jedoch unberücksichtigt, dass es für die „Erhebung“ der Klage ausschließlich darauf ankommt, dass diese in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt ist (vgl. , BFHE 141, 221, BStBl II 1984, 668), nicht aber auf eine tatsächliche Kenntnisnahme. Daher hätte das FG dienstliche Erklärungen der damals mit der Bedienung des Telefaxgeräts betrauten Bediensteten des Gerichts einholen müssen, um aufzuklären, ob es —worauf auch einer der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gestellten Beweisanträge abzielt— am bei dem von der Klägerin angewählten Telefaxgerät zu einer Störung gekommen war und wie eingegangene Telefaxschreiben im Geschäftsgang erfasst wurden. Ferner wäre zu ermitteln gewesen, wie die Weiterleitung eingegangener Telefaxschreiben an die einzelnen Geschäftsstellen im Oktober 2020 organisiert war und wie sichergestellt wurde, dass als Telefax eingegangene Klagen einer anzulegenden Verfahrensakte zugeordnet und dort abgeheftet wurden.

12 3. Ungeachtet des Umstandes, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG auf die Erhebung eines Zeugen- sowie eines Sachverständigenbeweises gerichtete Anträge gestellt hat, und das FG im Urteil begründet hat, warum es von der Erhebung der beantragten Beweise abgesehen hat (vgl. hierzu z.B. , BFH/NV 2009, 600), hat die Klägerin in Bezug auf die dargelegten Sachaufklärungsmängel ihr Rügerecht nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung in jedem Fall schon deshalb nicht verloren, da sich dem FG die Notwendigkeit der weiteren Aufklärung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen (vgl. z.B. , BFH/NV 2019, 900).

13 4. Das Urteil des FG kann auf der unzureichenden Sachaufklärung beruhen. Es besteht die Möglichkeit, dass sich das FG bei der gebotenen weiteren Sachaufklärung vom fristgerechten Eingang der Klage überzeugt hätte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass —lässt sich der Nachweis für die fristgerechte Klageerhebung nicht führen— zwar die Klägerin hierfür grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt (vgl. , BFHE 145, 299, BStBl II 1986, 268; vom  - IV R 200/85, BFH/NV 1989, 172; , BFH/NV 2003, 1441), ihr diese jedoch nicht für Vorgänge aufgebürdet werden darf, die sich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und deren Unaufklärbarkeit —was im Streitfall angesichts des Umstandes, dass sich das FG erst am und damit nahezu drei Jahre nach dem behaupteten Klageeingang zu einer „Nachfrage“ bei seinem „Systemadministrator“ veranlasst sah, in Betracht kommt— allein in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt (vgl. , BFHE 151, 315, BStBl II 1988, 111; s.a. , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 759).

14 5. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Dem FG wird hierdurch Gelegenheit gegeben, die unterbliebenen Ermittlungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen.

15 6. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO, der auch für den Beschluss nach § 116 Abs. 6 FGO gilt (vgl. , BFH/NV 2001, 808), abgesehen.

16 7. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2025:B.300725.VB63.23.0

Fundstelle(n):
PAAAJ-98022