Klageanpassung in der Revisionsinstanz
Leitsatz
1. Die Regelung des § 264 Nr. 3 ZPO lässt die Anpassung des Klageantrags an geänderte Verhältnisse zu. Die Norm bezweckt, Folgeprozesse zu vermeiden, die entstehen, wenn eine Klagepartei aufgrund einer während des Rechtsstreits eingetretenen Veränderung ihren Anspruch auf den ursprünglichen Klagegegenstand nicht mehr weiterverfolgen kann.
2. § 264 Nr. 3 ZPO ermöglicht es, den Rechtsstreit nicht für erledigt zu erklären, sondern den Anspruch in demselben Rechtsstreit auf das an die Stelle des ursprünglichen Gegenstands getretene Surrogat zu richten, solange die Klage weiter der Verwirklichung des mit der ursprünglichen Forderung erstrebten Erfolgs dient.
Instanzenzug: Az: 42 Ca 8141/22 Urteilvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 16 Sa 290/23 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten - in der Revision nunmehr im Rahmen einer Zahlungsklage - über die Grundlagen der Umrechnung einer tariflichen Weihnachtszuwendung in einen Zeitgegenwert.
2Der Kläger war vom bis zum als Busfahrer bei der Beklagten beschäftigt, die im Auftrag der Berliner Verkehrsbetriebe Fahrdienstleistungen im öffentlichen Personennahverkehr erbringt. Auf das Arbeitsverhältnis fand ua. kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei den Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin (TV-N Berlin) Anwendung. Der Kläger war zuletzt in die Entgeltgruppe 5 Stufe 3 eingruppiert. Nach der Anlage 3 zum TV-N Berlin, die als „Tabelle der Stundenentgelte (in Euro)“ bezeichnet ist, betrug das Stundenentgelt des Klägers im November 2021 15,83 Euro brutto.
3Der zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossene TV-N Berlin vom idF des 13. Änderungstarifvertrags (13. ÄTV TV-N Berlin) vom regelte - wie auch die vorangegangenen Fassungen - ua.:
4Mit dem TV-N Berlin idF des 14. Änderungstarifvertrags (14. ÄTV TV-N Berlin) vom führten die Tarifvertragsparteien eine Differenzierung zwischen der Höhe der Weihnachtszuwendung bei Auszahlung und bei Umwandlung in einen Zeitgegenwert ein:
5Der TV-N Berlin idF des 15. Änderungstarifvertrags (15. ÄTV TV-N Berlin) vom regelt ua.:
6Der TV-N Berlin idF des 16. Änderungstarifvertrags (16. ÄTV TV-N Berlin) vom regelt ua.:
7Der zwischen dem Kommunalen Arbeitgeberverband Berlin und der Gewerkschaft ver.di am abgeschlossene Tarifvertrag über Rahmenbedingungen der Nutzung von Dienstkleidung und des Mitführens von Arbeitsmitteln (TV Pauschalentgelt) bestimmt ua.:
8Für den Monat November 2021 zahlte die Beklagte an den Kläger eine Bruttomonatsvergütung iHv. insgesamt 2.875,25 Euro, bestehend aus Tabellenentgelt, Verkehrsschichtzulage nach § 12 Abs. 5 TV-N Berlin sowie Pauschalentgelt I und III.
9Mit Schreiben vom beantragte der Kläger die Umwandlung der tariflichen Weihnachtszuwendung des Jahres 2021 in einen Zeitgegenwert und eine Übertragung dieser Zeitgutschrift auf sein Langzeitkonto. Die Beklagte schrieb daraufhin dem Langzeitkonto des Klägers für den Monat November 2021 82 Stunden und 39 Minuten gut. Dabei legte sie eine Bruttostundenvergütung iHv. 16,95 Euro zugrunde. Diesen Divisor ermittelte sie aus der Novembervergütung des Klägers iHv. 2.875,25 Euro, die sie durch die wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden und den sich aus § 6 Abs. 5 TV-N Berlin ergebenden Faktor 4,348 dividiert hatte.
10Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung mit Schreiben vom hat der Kläger mit seiner Klage zunächst die Gutschrift weiterer fünf Stunden und 47 Minuten auf dem für ihn geführten Langzeitkonto begehrt. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am , aber noch vor Verkündung des Berufungsurteils am , endete mit Ablauf des das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten, weshalb er in der Revision keine Zeitgutschrift mehr, sondern eine entsprechende Zahlung fordert.
11Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Umrechnung der Weihnachtszuwendung in einen Zeitgegenwert sei das Stundenentgelt nach Anlage 3 zum TV-N Berlin zugrunde zu legen, was zu einer Gutschrift von 88 Stunden und 26 Minuten geführt hätte. Mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses sei nunmehr die geschuldete Zeitgutschrift weiterer fünf Stunden und 47 Minuten unmöglich geworden, womit der entsprechende Gegenwert in Geld auszuzahlen sei.
12Der Kläger hat in der Revision beantragt,
13Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, es sei auf das individuelle Stundenentgelt im Monat November abzustellen. Nach der vom Kläger zugrunde gelegten Berechnung erhielten die Arbeitnehmer mehr Zeit ausgezahlt, als sie bei der Umwandlung tatsächlich eingebracht hätten.
14Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Zeitgutschrift stattgegeben und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Gründe
15Die Revision des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung der Beklagten zu Recht stattgegeben und unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Es hat zutreffend angenommen, dass bei der Umrechnung der Weihnachtszuwendung in einen Zeitgegenwert nach § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin in der ab geltenden Fassung als Divisor nicht das sich aus der Anlage 3 zum TV-N Berlin ergebende Stundenentgelt, sondern das individuelle Stundenentgelt im Monat November zugrunde zu legen ist.
16I. Die Zahlungsklage ist zulässig.
171. Der Kläger konnte entgegen der Annahme der Beklagten zulässigerweise in der Revision von einer zuvor mit der Leistungsklage geforderten Zeitgutschrift zu einer Zahlungsklage übergehen. Diese Umstellung ist keine Klageänderung iSv. § 263 ZPO, sondern lediglich eine gem. § 264 Nr. 3 ZPO zulässige Anpassung des Antrags, die durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedingt ist.
18a) Nach § 264 Nr. 3 ZPO kann eine Partei statt des ursprünglich geforderten Gegenstands wegen einer später eingetretenen Veränderung einen anderen Gegenstand oder das Interesse fordern, sofern der Klagegrund unverändert bleibt. Im Gegensatz zu § 264 Nr. 2 ZPO wird es damit zugelassen, dass der Antrag nicht nur erweitert oder beschränkt, sondern an die geänderten Verhältnisse angepasst wird. Ob der Eintritt der Veränderung iSv. § 264 Nr. 3 ZPO auf dem Verhalten der einen oder anderen Partei oder auf einem zufälligen Ereignis beruht, ist dabei unerheblich (vgl. VI-U (Kart) 4/19, U (Kart) 4/19 - Rn. 129). Ebenso ist unerheblich, ob sich die rechtliche Natur des Anspruchs ändert (RG - V 345/15 - RGZ 88, 55, 60 zur Vorgängerregelung des § 268 Nr. 3 ZPO). Ist allerdings über den Anspruch bereits rechtskräftig entschieden, kann eine Antragsanpassung nach § 264 Nr. 3 ZPO nicht mehr erfolgen. Nur solange der Anspruch noch rechtshängig ist, kann „statt“ des ursprünglichen Anspruchs ein neuer Anspruch erhoben werden (vgl. Assmann in Wieczorek/Schütze ZPO 5. Aufl. § 264 Rn. 63).
19Zweck der Regelung des § 264 Nr. 3 ZPO ist es, Folgeprozesse zu vermeiden, die dadurch entstehen, dass ein Kläger aufgrund einer während des Rechtsstreits eingetretenen Veränderung den Anspruch auf den ursprünglichen Klagegegenstand nicht mehr weiterverfolgen kann, vielmehr auf eine Erledigterklärung beschränkt wäre. Die Norm ermöglicht es ihm, seinen Anspruch in demselben Rechtsstreit auf das an die Stelle des ursprünglichen Gegenstands getretene Surrogat zu richten, solange die Klage weiter der Verwirklichung des mit der ursprünglichen Forderung erstrebten Erfolgs dient. Bei der Prüfung, ob das der Fall ist und deshalb der Klagegrund „derselbe“ geblieben ist, müssen deshalb ausgehend von diesem Zweck die Tatsachen unberücksichtigt bleiben, welche die „später eingetretene Veränderung“ ergeben (vgl. bereits das Reichsgericht zur Vorgängerregelung gleichen Inhalts in § 268 Nr. 3 ZPO: RG - IV 222/20 - RGZ 100, 95, 96 f.; - V 345/15 - RGZ 88, 55, 60).
20b) Danach ist im Streitfall die Antragsanpassung wegen einer später eingetretenen Veränderung nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässig. Die Umstellung des Klagebegehrens von der Erteilung einer Zeitgutschrift auf Gewährung eines finanziellen Ausgleichs ist nicht als Klageänderung anzusehen (vgl. zu einer Unmöglichkeit der Urlaubsgewährung in der Freistellungsphase der Altersteilzeit - Rn. 17; vgl. auch zum Übergang von einem Erfüllungsanspruch zu einem Anspruch auf Schadenersatz statt der Leistung Hessischer Verwaltungsgerichtshof - 1 A 2795/15 - Rn. 38). Dadurch, dass der Kläger wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses - unabhängig von welcher Seite - statt Zeitgutschrift Auszahlung des entsprechenden Geldwerts verlangt, trägt er lediglich der nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht eingetretenen Unmöglichkeit einer Zeitgutschrift auf dem Langzeitkonto Rechnung. Die Erfüllung eines Anspruchs auf Zeitgutschrift setzt voraus, dass Zeiten noch gutgeschrieben werden können. Dies ist jedoch nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des nicht mehr möglich. Auch der Klagegrund hat sich iSv. § 264 Nr. 3 ZPO nicht geändert. Insoweit bleibt die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenso außer Betracht wie die Veränderung der Rechtsnatur des Anspruchs. Ob die tariflichen Voraussetzungen für eine Auszahlung vorliegen, was die Beklagte in Abrede stellt, ist keine Frage der Zulässigkeit der Antragsanpassung, sondern der Begründetheit der Klage.
21Die Antragsänderung ist auch noch in der Revisionsinstanz möglich, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses unstreitig ist (vgl. - zu I der Gründe). Streit besteht zwischen den Parteien lediglich über die Auslegung der Umwandlungsberechnung nach TV-N Berlin, deren zugrundeliegende Tatsachen jedoch vom Landesarbeitsgericht festgestellt sind (vgl. im Unterschied dazu im Fall noch fehlender Feststellungen - Rn. 18 ff.). Über den Anspruch ist auch noch nicht rechtskräftig entschieden worden.
222. Die Klage ist auch hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
23a) Der Zahlungsantrag ist abschließend auf eine in Geldwert umgerechnete Zeitgutschrift einer umgewandelten Weihnachtszuwendung des Jahres 2021 gerichtet (vgl. zur abschließenden Gesamtklage - Rn. 20 mwN, BAGE 171, 161).
24b) Unschädlich ist, dass der geforderte Zahlungsbetrag im Antrag nicht ausdrücklich als Bruttobetrag bezeichnet wird. Hätte der Kläger eine Auszahlung der geforderten Summe als Nettobetrag begehrt, hätte er die Zahlung ausdrücklich als „netto“ benennen und damit eine Nettolohnklage erheben müssen. Dies hat er nicht getan, weshalb es sich um den Normalfall einer Bruttolohnklage handelt, auch wenn dies im Antrag nicht kenntlich gemacht wird (vgl. - Rn. 41; - 5 AZN 981/15 - Rn. 5 f., BAGE 154, 116).
25II. Die zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Zahlung aus den Regelungen des TV-N Berlin.
261. Der TV-N Berlin findet auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit Anwendung, womit seine Regelungen im Arbeitsverhältnis der Parteien unmittelbar und zwingend gelten (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).
272. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung eines Betrags, der sich aus der ursprünglich geforderten Zeitgutschrift weiterer fünf Stunden und 47 Minuten und ihrer Umrechnung in Geld mit einem Stundenentgelt von 15,83 Euro brutto errechnet. Ein solcher Anspruch lässt sich nicht aus § 17 Abs. 1 und Abs. 2 TV-N Berlin in der nach § 1 des 16. ÄTV TV-N Berlin iVm. § 1 des 15. ÄTV TV-N Berlin iVm. § 1 Nr. 6 und § 3 des 14. ÄTV TV-N Berlin maßgeblichen Fassung (im Folgenden § 17 TV-N Berlin) herleiten. Andere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
28a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, die Beklagte habe die Weihnachtszuwendung zutreffend in eine Zeitgutschrift von 82 Stunden und 39 Minuten umgewandelt und diese dem Langzeitkonto des Klägers für den Monat November 2021 gutgeschrieben. Der Umrechnung nach § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin in eine Zeitgutschrift ist als Divisor das jeweilige, im November des betreffenden Jahres fällige individuelle Stundenentgelt des Klägers zugrunde zu legen, nicht das Stundenentgelt nach Anlage 3 zum TV-N Berlin. Dies folgt aus der Auslegung des Tarifvertrags (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung die st. Rspr., zB - Rn. 25).
29aa) Nach der Regelung in § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin ist zur Ermittlung der Zeitgutschrift der Eurobetrag der Weihnachtszuwendung durch das entsprechende jeweilige Stundenentgelt des Arbeitnehmers zu teilen, das im November des betreffenden Jahres fällig ist. Der Wortlaut des Tarifvertrags allein erweist sich an dieser Stelle mit der Verwendung des Begriffs „Stundenentgelt“ als unergiebig. Zwar enthält Anlage 3 zum TV-N Berlin ausweislich ihrer Überschrift eine „Tabelle der Stundenentgelte (in Euro)“. Jedoch fehlt es an einer Bezugnahme in § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin auf diese Anlage, die allerdings bei anderen Regelungen im TV-N Berlin hergestellt wird.
30bb) Bei der Auslegung ist deshalb ausgehend vom Wortlaut der streitgegenständlichen Tarifregelung der Gesamtzusammenhang der Bestimmungen des TV-N Berlin in den Blick zu nehmen. Der Begriff des Stundenentgelts findet in verschiedenen Regelungszusammenhängen Verwendung. Dabei haben die Tarifvertragsparteien durch die unterschiedliche Verwendung der Begriffe Stundenentgelt mit und ohne Bezug zur Anlage 3 zum TV-N Berlin im jeweiligen Regelungskontext deutlich zum Ausdruck gebracht, verschiedene Anknüpfungspunkte zur Berechnung der im betreffenden Fall gewollten Vergütung oder Pauschale zur Anwendung bringen zu wollen.
31(1) Der Begriff des Stundenentgelts ohne weiteren Bezug zur Anlage 3 zum TV-N Berlin findet sich zunächst in § 6 Abs. 4 TV-N Berlin, der die Berechnung des Entgeltanspruchs für nicht volle Kalendermonate regelt. Danach ist eine Kürzung für jede dienstplanmäßige Arbeitsstunde ohne Entgeltanspruch vorzunehmen, die das „entsprechende Stundenentgelt“ sowie weitere ausgewiesene Zulagen umfasst. Sodann findet sich der Begriff in § 12 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 TV-N Berlin. Die Regelung enthält die Option der Bezahlung von Arbeitsleistung in der Rufbereitschaft einschließlich erforderlicher Wegezeiten „mit dem jeweiligen tariflichen Stundenentgelt“. Im Weiteren findet sich der Begriff in der im Streitfall maßgeblichen Regelung des § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin, wonach der Divisor zur Ermittlung der Zeitgutschrift das „jeweilige Stundenentgelt“ ist, das im jeweiligen November fällig ist. Schließlich findet sich in Anlage 6 zum TV-N Berlin, die besondere Regelungen für die Arbeitnehmer der BVG AöR [= Berliner Verkehrsbetriebe Anstalt des öffentlichen Rechts] enthält, in § 3 Abs. 1 Buchst. c Nr. 1 zweiter Spiegelstrich eine der Berechnung des Sicherungseinkommens der Altbeschäftigten zugehörige Regelung, die eine Grenze mit dem „individuellen Stundenentgelt nach TV-N Berlin“ festschreibt.
32(2) Die Begrifflichkeit des Stundenentgelts nach Anlage 3 bzw. des Stundenentgelts nach Maßgabe der Anlage 3 wird zunächst in § 6 Abs. 2 Satz 2 TV-N Berlin verwendet, der eine zeitliche Bestimmung darüber trifft, welcher Kalendermonat maßgeblich sein soll, wenn bei der Berechnung unständiger Entgeltbestandteile „das Stundenentgelt nach Anlage 3“ zu berücksichtigen ist. Sodann regelt § 9 Abs. 8 Satz 1 TV-N Berlin eine Vergütung für das Überschreiten der dienstplanmäßigen Arbeitszeit infolge Fahrzeugverspätungen, beruhend auf dem „anteiligen Stundenentgelt … nach Maßgabe der Anlage 3“. Eine weitere Vergütungsregelung findet sich in § 9 Abs. 9 Unterabs. 1 TV-N Berlin für die Anforderung des Arbeitnehmers an dienstfreien Tagen aus der Ruhezeit, ohne jedoch zur Dienstleistung herangezogen zu werden. Dies soll vergütet werden mit dem Zweifachen des „Stundenentgelts … nach Maßgabe der Anlage 3“. Der Berechnung von Zeitzuschlägen für Sonderformen der Arbeit ist nach § 12 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 TV-N Berlin das „Stundenentgelt der Stufe 1 … nach Maßgabe der Anlage 3“ zugrunde zu legen. Schließlich regelt noch § 12 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 TV-N Berlin die Abgeltung der Rufbereitschaft nach einem bestimmten Berechnungsvorgang mit dem „jeweiligen Stundenentgelt nach Maßgabe der Anlage 3“.
33(3) Wie sich das „Stundenentgelt nach Anlage 3“ berechnet, regelt § 6 Abs. 5 TV-N Berlin mit einer Division des Monatsentgelts iSv. § 6 Abs. 1 TV-N Berlin durch das 4,348-fache der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit iSv. § 8 Abs. 1 Satz 1 TV-N Berlin. Zu Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, es handele sich um einen Mindestwert ohne Berücksichtigung von Zulagen oder Zuschlägen. Unzutreffend ist jedoch die Annahme des Berufungsgerichts, wonach der TV-N Berlin in den Fällen, in denen eine zusätzliche Vergütung in Form eines pauschalierten Betrags gewährt wird, auf das Stundenentgelt nach Anlage 3 verweist, dagegen für die Ermittlung eines konkreten Werts für (un-)geleistete Arbeit auf das individuelle Stundenentgelt ohne Bezug zur Anlage 3 abgestellt wird. Ersteres trifft jedenfalls nicht zu auf die Regelung des § 9 Abs. 8 Satz 1 TV-N Berlin, der zwar auf das Stundenentgelt nach Maßgabe der Anlage 3 abstellt, jedoch die Vergütung der Arbeitszeitüberschreitung wegen Fahrzeugverspätung anteilig, mithin entsprechend der Verspätungsminuten (vgl. § 9 Abs. 8 Satz 2 TV-N Berlin), berechnet sehen will.
34(4) Im Ergebnis stellt sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aber als richtig dar (§ 561 ZPO). Verwenden Tarifvertragsparteien in demselben tariflichen Regelungskomplex einen bestimmten Begriff, ist im Zweifel davon auszugehen, dass dieser Begriff jeweils gleichbedeutend Verwendung findet. Wollen die Tarifvertragsparteien dem gleichen Begriff unterschiedliche Bedeutung beimessen, muss dies in der tariflichen Regelung seinen Niederschlag finden (vgl. - juris-Rn. 18; vgl. auch - Rn. 17). Hier findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass die Regelung in § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin das Stundenentgelt nach Anlage 3 zum TV-N Berlin meint, obwohl es - im Gegensatz zu zahlreichen anderen Regelungen im Tarifvertrag - dort nicht in Bezug genommen wird.
35Zwar besteht bei der Auslegung von Tarifverträgen eine Bindung an den möglichen Wortsinn dann nicht, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Tarifnormen das Vorliegen eines Redaktionsversehens ergibt. Von einem solchen kann allerdings nur dann ausgegangen werden, wenn die Tarifvertragsparteien lediglich versehentlich einen anderen Ausdruck gewählt oder im Text belassen haben, als sie beabsichtigten (st. Rspr., zu den Anforderungen vgl. - Rn. 90, BAGE 180, 194; - 4 AZR 454/21 - Rn. 22). Angesichts der Regelungstiefe und Variationsbreite der einzelnen Bestimmungen bestehen für ein derartiges Redaktionsversehen vorliegend aber keine ausreichenden Anhaltspunkte. Haben die Tarifvertragsparteien in § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin das „jeweilige Stundenentgelt“ als Divisor für die Ermittlung der Zeitgutschrift benannt, so handelt es sich daher nicht um das Stundenentgelt nach Anlage 3 zum TV-N Berlin.
36(5) Auf die Niederschriftserklärung zu Abs. 2 des § 17 TV-N Berlin kann es dabei - entgegen Landesarbeitsgericht und Revision - nicht ankommen. Selbst wenn es sich bei der Niederschriftserklärung um eine tarifliche Inhaltsnorm handeln sollte (zur Auslegung vgl. - Rn. 31; - 6 AZR 1102/12 - Rn. 29, BAGE 150, 36), ist diese im Streitzeitraum nicht zu berücksichtigen. Denn mit § 1 Nr. 7 des 14. ÄTV TV-N Berlin wurde die Regelung des § 17 Abs. 2 TV-N Berlin mit Wirkung zum und damit auch die seit dem 6. ÄTV TV-N Berlin vorhandene Niederschriftserklärung zu Abs. 2 gestrichen. Die sodann mit § 3 des 14. ÄTV TV-N Berlin mit Wirkung zum neu eingeführte Fassung des § 17 Abs. 2 TV-N Berlin, die nach § 1 des 16. ÄTV TV-N Berlin iVm. § 1 des 15. ÄTV TV-N Berlin für die hier - zunächst - streitgegenständliche Zeitgutschrift maßgeblich ist, enthält eine solche Niederschriftserklärung nicht (mehr).
37cc) Daneben spricht für eine Berechnung auf Grundlage des individuellen Stundenentgelts die Tatsache, dass § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin auf das im November des betreffenden Jahres „fällige“ Stundenentgelt abstellt. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet fällig, dass etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt erforderlich ist, bezahlt zu werden (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Stichwort: „fällig“). Fällig in diesem Wortsinn kann nur das individuell im betreffenden Monat verdiente Stundenentgelt sein, wohingegen die Tabelle der Stundenentgelte in Anlage 3 zum TV-N Berlin einen schematisch geschuldeten Stundenlohn beinhaltet.
38dd) Entscheidend sprechen Sinn und Zweck der Regelung zur Umwandlung der Weihnachtszuwendung in einen Zeitgegenwert für das gefundene Ergebnis. § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 6 TV-N Berlin dient der Ermittlung des Gegenwerts der Weihnachtszuwendung ausgedrückt in Zeit. Daher nimmt das Landesarbeitsgericht zutreffend an, es bedürfe eines Bezugs zwischen der Arbeitszeit und den zur Berechnung heranzuziehenden Vergütungsbestandteilen. Die von der Beklagten bei der Umrechnung berücksichtigten Entgeltbestandteile weisen jeweils einen solchen auf. Dies gilt zunächst ohne Weiteres für das einbezogene Tabellenentgelt, mit dem die geschuldete Arbeitsleistung abgegolten wird, aber auch für die - nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - der Berechnung zugrunde gelegte Verkehrsschichtzulage und das Pauschalentgelt I und III. Die in § 12 Abs. 5 Satz 2 TV-N Berlin geregelte Zulage für die Leistung von unregelmäßigen Diensten im Verkehrsdienst (vom Landesarbeitsgericht als Verkehrsdienst- bzw. Verkehrsschichtzulage bezeichnet) stellt sich zwar zunächst als eine monatliche Pauschale dar. Sie wird jedoch in Kalendermonaten ohne vollen Entgeltanspruch um den auf die Arbeitsstunde umgerechneten Teil gekürzt. Ebenso gekürzt wird sie nach § 7 Abs. 2 TV-N Berlin bei Teilzeitbeschäftigten entsprechend deren Arbeitszeitanteil. Vergleichbares findet sich beim sog. Pauschalentgelt, das Arbeitnehmer nach § 5 TV Pauschalentgelt zur Abgeltung von Begleitzeiten erhalten. Auch hier finden sich Kürzungsregelungen für Monate ohne vollen Einsatz (§ 5 Abs. 7 TV Pauschalentgelt) sowie für Teilzeitbeschäftigte (§ 5 Abs. 6 TV Pauschalentgelt). Die Revision kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Pauschalentgelt nach § 5 Abs. 5 Satz 3 TV Pauschalentgelt nicht als Zeitgutschrift gebucht werden kann, der Arbeitnehmer vielmehr den tatsächlichen Geldbetrag erhalten soll. Denn im Streitfall geht es nicht um eine Umwandlung des Pauschalentgelts in eine Zeitgutschrift, sondern um die Berechnungsgrundlagen für die Umrechnung der Weihnachtszuwendung in eine solche.
39ee) Dem Auslegungsergebnis steht auch nicht die Tatsache entgegen, dass durch § 17 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 TV-N Berlin mit Wirkung zum der Gegenwert für den Umwandlungsbetrag der Weihnachtszuwendung in eine Zeitgutschrift lediglich auf 1.400,00 Euro und nicht - wie die Weihnachtszuwendung selbst nach § 17 Abs. 1 Unterabs. 1 TV-N Berlin - auf 1.600,00 Euro bestimmt wurde. Der zuvor nach § 1 Nr. 7 des 14. ÄTV TV-N Berlin mit Wirkung zum gestrichene § 17 Abs. 2 TV-N Berlin enthielt bereits eine identische Regelung zur Ermittlung des Zeitgutschriftwerts wie die sodann wieder in Kraft gesetzte Regelung. Eine inhaltliche Änderung der maßgeblichen Tarifregelung, die eine andere Auslegung rechtfertigen könnte, lässt sich somit nicht feststellen.
40b) Nach vorstehenden Grundsätzen ist bei der Umrechnung der Weihnachtszuwendung in einen Zeitgegenwert das individuelle Stundenentgelt des Klägers für den Monat November 2021 zugrunde zu legen. Dieses beläuft sich - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - auf 16,95 Euro brutto. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung, dh. die Monatsvergütung für November 2021 iHv. 2.875,25 Euro brutto dividiert durch die wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden und den Faktor 4,348, ist gemessen an den Regelungen des TV-N Berlin korrekt. Der aus dieser Berechnung folgende Betrag des individuellen Stundenentgelts für November 2021 ist zwischen den Parteien auch nicht streitig.
413. Dahinstehen kann deshalb, ob die tariflichen Voraussetzungen für eine Auszahlung des Zeitgegenwerts in Geld vorliegen. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass der Anspruch bereits durch Freizeitgewährung ganz oder teilweise im Wege der „Aufrundung“ erloschen wäre. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus die vom Kläger begehrte Zeitgutschrift stets abgelehnt hat und es darum nicht möglich war, das Arbeitszeitkonto des Klägers vor seinem Ausscheiden insoweit „auf null“ zu bringen.
42III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:240425.U.6AZR208.24.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-93788