Instanzenzug: LG Marburg Az: 1 KLs 11343/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „besonders schwerer“ Vergewaltigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die wirksam auf den Strafausspruch „einschließlich der Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung“ beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet die Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
2Der Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts seine zu den Tatzeiten 29 Jahre alte Stieftochter in drei Fällen am 1., 3. und mit Gewalt zu vaginalem Geschlechtsverkehr zwang, während deren Mutter sich außer Haus in einer stationären Rehabilitation befand.
II.
3Der Senat hat die Urteilsformel wie geschehen berichtigt. Das Landgericht hat die Verurteilung in allen drei Fällen auf § 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB gestützt, die Taten in Urteilstenor und -gründen allerdings, rechtlich unzutreffend, jeweils als „besonders schwere“ Vergewaltigung benannt, obwohl diese Bezeichnung dem Qualifikationstatbestand nach § 177 Abs. 8 StGB vorbehalten ist (vgl. zu der entsprechenden Qualifikation nach § 177 Abs. 4 StGB a.F. bereits , NStZ-RR 2008, 338, 339; Beschluss vom – 2 StR 496/06, NStZ-RR 2007, 173; vgl. auch , NStZ-RR 2024, 243). Eine nachträgliche Berichtigung des Tenors vermag unter diesen Umständen den Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils nicht zu begründen und ist daher ausnahmsweise zulässig (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 77/13, Rn. 3, und vom – 4 StR 232/17, Rn. 2). Die Rechtskraft des Schuldspruchs steht ihr nicht entgegen (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 515/09, Rn. 6, und vom – 4 StR 232/17, aaO; RReg. 8 St 141/71, BayObLGSt 1972, 1).
III.
4Die Zumessung der Einzelstrafen hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafrahmenwahl des Landgerichts erweist sich in allen drei Fällen als durchgreifend rechtsfehlerhaft zum Vorteil des Angeklagten. Das zieht auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
51. Stehen dem Richter im Einzelfall mehrere Strafrahmen zur Auswahl, erfolgt die Wahl des konkret anzuwendenden Strafrahmens auf Grund einer Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung erheblichen Umstände einschließlich des Vor- und Nachtatverhaltens und der Berücksichtigung der Wirkungen der Strafe (van Gemmeren, in: Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 933). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass das Tatgericht sich der Wahlmöglichkeit bewusst war (Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, StGB, 30. Aufl., § 50 Rn. 2 unter Verweis auf BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 341/87, BGHR StGB § 244 Abs. 2 Strafrahmenwahl 1, und vom – BGHR StGB § 177 Strafrahmenwahl 1). Es ist indes nicht verpflichtet, den jeweils für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen zugrunde zu legen; vielmehr unterliegt seiner pflichtgemäßen Entscheidung, welchen Strafrahmen es wählt (vgl. , BGHSt 21, 57, 59, und vom – 1 StR 734/81, NStZ 1982, 200; Beschluss vom – 5 StR 201/15, BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 4; aA LK-StGB/Schneider, 14. Aufl., § 50 Rn. 12).
62. Diesen Anforderungen wird die Strafrahmenwahl des Landgerichts nicht gerecht. Die Strafkammer hat den Strafrahmen des § 177 Abs. 6 Satz 1 StGB unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB in allen Fällen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB verschoben. Sie ist so zu einem Strafrahmen gelangt, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu elf Jahren und drei Monaten vorsieht. Den Urteilsgründen, die sich auf die Erwägung beschränken, dass der Absatz 9 des § 177 StGB keinen minder schweren Fall des § 177 Abs. 6 StGB vorsieht, ist nicht zu entnehmen, dass das Landgericht sich bewusst war, dass es sich bei § 177 Abs. 6 StGB um eine Strafzumessungsregelung in Regelfalltechnik handelt und ihm deshalb die Möglichkeit offengestanden hätte, unter Verbrauch des vertypten Milderungsgrundes stattdessen die Indizwirkung des Regelbeispiels zu verneinen (, StV 2017, 680 mwN). Dies hätte zur Anwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 5 StGB geführt, der Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren vorsieht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer ohne den Rechtsfehler zur Anwendung des höheren der beiden Strafrahmen gelangt wäre und auf höhere Einzelstrafen erkannt hätte.
73. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es angesichts des bloßen Wertungsfehlers nicht.
84. Die auf die Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils im Umfang seiner Anfechtung hat Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben (§ 301 StPO).
Menges Zeng Meyberg
Grube Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:070525U2STR118.25.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-93767