Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 23 T 586/21vorgehend AG Minden Az: 49 XIV (B) 21/21
Gründe
1I. Der Betroffene, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom erteilte ihm das Landratsamt E eine bis zum befristete Aufenthaltserlaubnis. Am meldete sich der Betroffene unter Verwendung eines gefälschten Ausweispapiers als bulgarischer Staatsangehöriger zum Zweck der Arbeitssuche in M an. Bei einer Baustellenkontrolle wurde er am festgenommen.
2Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde, die der Betroffene nach seiner Abschiebung am mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
3II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
41. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere nicht gemäß § 70 Abs. 4 FamFG unstatthaft. Das Amtsgericht hat, wie die gebotene Auslegung (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 40/15, InfAuslR 2016, 55 Rn. 9; vom - XIII ZB 47/20, juris Rn. 7) ergibt, über den Haftantrag der beteiligten Behörde in der Hauptsache entschieden. Der Beschluss des Amtsgerichts enthält keine Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung und stellt den Haftgrund der Fluchtgefahr abschließend fest. Zudem weist die erteilte Rechtsmittelbelehrung auf die Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG hin und nicht auf die - im Falle der einstweiligen Anordnung maßgebliche - Zweiwochenfrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Vor diesem Hintergrund lässt allein die Erwähnung des § 427 FamFG im Beschlusseingang nicht den Schluss zu, dass das Amtsgericht lediglich eine einstweilige Anordnung erlassen wollte (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 296/10, juris Rn. 8; vom - V ZB 96/13, FGPrax 2014, 87 Rn. 5; vom - V ZB 121/13, juris Rn. 4; vom - XIII ZB 47/20, juris Rn. 6, 7).
52. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
6a) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Haftanordnung habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen und diese sei auch sonst rechtmäßig. Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig und eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG entbehrlich gewesen. Es habe der Haftgrund der Fluchtgefahr bestanden.
7b) Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Haftanordnung erweist sich als rechtswidrig, weil es im Zeitpunkt ihrer Anordnung an einer Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 AufenthG fehlte. Das Vorliegen einer Abschiebungsandrohung gehört zu den vom Haftrichter zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen (vgl. nur , InfAuslR 2019, 228 Rn. 11 mwN). Fehlt es an einer für die Vollstreckung erforderlichen Voraussetzung, darf eine kraft Gesetzes (§ 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) oder Verwaltungsakts (§ 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG) vollziehbare Ausreisepflicht nicht durch Abschiebung durchgesetzt und Haft zur Sicherung der Abschiebung oder Rücküberstellung nicht angeordnet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 60/17, InfAuslR 2020, 28 Rn. 8; vom - XIII ZB 97/19, NVwZ-RR 2022, 115 Rn. 11; vom - XIII ZB 64/20, juris Rn. 11, jeweils mwN). Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für ein gänzliches Absehen von einer Abschiebungsandrohung (§ 59 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) vorlagen, bestehen nicht.
8c) Die Haft ist auch nicht dadurch rechtmäßig geworden, dass die beteiligte Behörde den Betroffenen mit diesem am in der Haft zugestellten, erst im Rechtsbeschwerdeverfahren zu den Gerichtsakten gereichten und in der Beschwerdeentscheidung nicht berücksichtigten Bescheid vom aus Deutschland ausgewiesen und ihm die Abschiebung angedroht hat. Hierauf hätte das Beschwerdegericht seine Entscheidung nur nach - im Streitfall nicht erfolgter - erneuter Anhörung des Betroffenen stützen können, da die erstmalige Androhung der Abschiebung eine neue Tatsache ist, zu welcher der Betroffene zwingend angehört werden muss (vgl. , juris Rn. 13).
93. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Roloff Tolkmitt Picker
Vogt-Beheim Kochendörfer
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260525BXIIIZB55.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-93378