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BAG Beschluss v. - 7 ABR 23/23

Betriebsratswahl - Anfechtung - Briefwahl

Gesetze: § 3 Abs 1 Nr 1 Buchst b BetrVG, § 19 Abs 1 BetrVG, § 19 Abs 2 BetrVG, § 24 Abs 3 BetrVGDV1WO, § 46c ArbGG, § 295 ZPO, § 233 ZPO

Instanzenzug: Az: 4 BV 13/22 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 7 TaBV 11/23 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

2Die Arbeitgeberin unterhält bundesweit Lebensmittel-Discount-Filialen. Seit dem Jahr 2010 finden bei ihr die Betriebsratswahlen auf der Grundlage eines unter dem von ihr mit der Gewerkschaft v abgeschlossenen „Tarifvertrags nach § 3 BetrVG“ statt. Dessen § 2 lautet auszugsweise:

3Der Wahlvorstand erließ unter dem für den Bezirk „NordWest“ (BR-Bezirk 4) ein Wahlausschreiben. Danach wurde für alle Mitarbeiter die schriftliche Stimmabgabe/Briefwahl beschlossen. Die Briefwahlunterlagen sollten den Wahlberechtigten unaufgefordert zugehen. Ausweislich des Wahlausschreibens gab es im BR-Bezirk 4 insgesamt 7.703 Wahlberechtigte. Nach Vortrag der Arbeitgeberin verteilten sich diese auf 467 Filialen. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gibt es nach dem übereinstimmenden Vorbringen aller Beteiligten im BR-Bezirk 4 keinen sog. „Hauptbetrieb“.

4Unter dem machte der Wahlvorstand drei Vorschlagslisten bekannt. Sämtliche Antragsteller waren Kandidaten der Liste 1. Die Betriebsratswahl im BR-Bezirk 4 fand am als reine Briefwahl statt. Sie führte zur Wahl eines 35-köpfigen Betriebsrats, dem Beteiligten zu 9. Nach der Wahlbekanntmachung vom wurden insgesamt 2.029 gültige Stimmzettel abgegeben. 455 Stimmen entfielen auf Liste 1, 672 Stimmen auf Liste 2 und 902 Stimmen auf Liste 3. Entsprechend verteilen sich die Sitze im neu gewählten Betriebsrat auf acht Mitglieder der Liste 1 - darunter die Antragstellerinnen zu 1., 4. und 5. -, auf elf Mitglieder der Liste 2 und auf 16 Mitglieder der Liste 3. 

5Mit ihrem Antrag haben die acht Antragsteller begehrt, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. Die Antragsschrift ist am beim Arbeitsgericht als elektronisches Dokument eingegangen. Die Antragsteller haben ua. die Ansicht vertreten, die Betriebsratswahl sei anfechtbar, da sie als reine Briefwahl durchgeführt worden sei, ohne dass einer der Ausnahmetatbestände des § 24 WO vorliege. Darüber hinaus sei die Wahl behindert worden und es habe eine unzulässige Anweisung eines Verkaufsleiters an Filialleiter gegeben, Briefwahlstimmen einzusammeln und zur Abholung durch den Verkaufsleiter bereitzustellen. Im Übrigen haben die Antragsteller zahlreiche weitere Vorgänge hinsichtlich der Einsetzung des Wahlvorstands sowie der Durchführung der Wahl mit Nichtwissen bestritten. Dies hat sich ua. auf die richtige Anwendung des Tarifvertrags nach § 3 BetrVG bezogen, den sie im Übrigen für unwirksam halten.

6Die Antragsteller haben beantragt,

7Betriebsrat und Arbeitgeberin haben beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

8Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Anordnung der generellen Briefwahl sei nicht zu beanstanden. Die räumliche Entfernung der über 400 Filialen im BR-Bezirk 4 rechtfertige bei Fehlen eines Hauptbetriebs in diesem Bezirk eine generelle Briefwahl. Zudem hat der Betriebsrat gemeint, aufgrund der zahlreichen Teilzeitkräfte in den Filialen müsse eine Wahlurne etwa eine Woche in der Filiale aufgestellt sein, um alle Beschäftigten zu erreichen. Aufgrund der Verpflichtung zur Anwesenheit eines Wahlvorstandsmitglieds bei der Stimmabgabe könnten maximal neun Wahlurnen eingesetzt werden. Bei einer Beschränkung auf die neun größten Filialen wären weniger als 200 von über 7.000 Wahlberechtigten erreicht worden.

9Die Arbeitgeberin hat vorgebracht, Sinn der Briefwahl sei, den Wahlberechtigten die Teilnahme an der Wahl zu erleichtern. Das Fehlen eines Hauptbetriebs schließe nicht aus, dass es räumlich weit voneinander entfernte Kleinstbetriebe bzw. Betriebsteile gebe.

10Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgen die Antragsteller ihren Antrag weiter.

11B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist begründet. Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht die Beschwerden der Antragsteller nicht zurückweisen. Auf der Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob der Antrag begründet ist.

12I. Die Antragsteller greifen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nur insoweit an, als mit dieser über den Wahlanfechtungsantrag nach § 19 BetrVG entschieden worden ist. Soweit das Landesarbeitsgericht darüber hinaus die Nichtigkeit der Wahl verneint hat, haben die Antragsteller dies nicht zum Gegenstand ihrer Rechtsbeschwerde gemacht.

13II. Die Antragsteller machen zu Recht geltend, dass die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG vorliegen.

141. Gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Wahl beim Arbeitsgericht angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

152. Bei der Wahl am wurde gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren in diesem Sinne verstoßen.

16a) Die Wahl hätte jedenfalls nicht als reine Briefwahl durchgeführt werden dürfen.

17aa) Die schriftliche Stimmabgabe ist an die in § 24 WO festgelegten Voraussetzungen gebunden. Mit diesen löst der Verordnungsgeber die Spannungslage auf, einerseits durch die Handhabe der Briefwahl eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen, und andererseits der Gefahr einer darin liegenden Missbrauchs- und Manipulationsmöglichkeit zu begegnen. Insgesamt dient die Bindung der schriftlichen Stimmabgabe an näher definierte Maßgaben dem Ziel, eine sichere und geheime Wahl zu gewährleisten. Bei den in § 24 WO festgelegten Voraussetzungen der Briefwahl handelt es sich um wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG ( - Rn. 53; - 7 ABR 29/20 - Rn. 29, BAGE 177, 269; vgl. auch zu § 49 3. WOMitbestG  - Rn. 35).

18bb) Die in § 24 WO festgelegten Voraussetzungen für eine ausschließlich schriftliche Stimmabgabe lagen nicht für alle Wahlberechtigten vor. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, der Wahlvorstand habe auf der Grundlage der Regelung des § 24 Abs. 3 WO die schriftliche Stimmabgabe für alle Wahlberechtigten beschließen können.

19(1) Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann der Wahlvorstand für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, die schriftliche Stimmabgabe beschließen. Danach ist die generelle Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für bestimmte Betriebsbereiche nicht in das Ermessen des Wahlvorstands gestellt, sondern nur für solche zum Wahlbetrieb gehörenden Betriebsteile oder Kleinstbetriebe zulässig, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind ( - Rn. 25, BAGE 177, 269). § 24 Abs. 3 BetrVG stellt keine Grundlage für die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für den gesamten Betrieb dar (GK-BetrVG/Jacobs 12. Aufl. WO § 24 Rn. 13). Die Vorschrift setzt - wie § 4 Abs. 1 und 2 BetrVG (vgl. dazu Fitting BetrVG 32. Aufl. § 4 Rn. 10) - das Vorliegen eines Hauptbetriebs voraus. Für diesen Hauptbetrieb ist die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe nicht vorgesehen.

20(a) Dafür spricht schon der klare Wortlaut der Norm. Der Wahlvorstand kann die schriftliche Stimmabgabe nur für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind, beschließen. Für den Fall, dass Betriebsteile oder Kleinstbetriebe räumlich weit entfernt liegen, ist hingegen nicht die Möglichkeit geregelt, auch für den Hauptbetrieb die schriftliche Stimmabgabe anzuordnen.

21(b) Der Zweck der Vorschrift gebietet keine Erweiterung der Briefwahlmöglichkeit auf den gesamten Betrieb bzw. den Hauptbetrieb. Den Arbeitnehmern soll die Möglichkeit zur Wahl erleichtert werden, wenn die Teilnahme an der Urnenwahl aufgrund der Entfernung ihres Arbeitsortes vom Wahllokal mit unzumutbarem Aufwand verbunden ist ( - Rn. 29, BAGE 177, 269). Dies setzt freilich gerade voraus, dass im Hauptbetrieb(steil) ein Wahllokal existiert. Für die in dem Hauptbetrieb(steil) beschäftigten Wahlberechtigten ist es - vorbehaltlich der in § 24 Abs. 1 und 2 WO geregelten Sachverhalte - unproblematisch möglich, an der Urnenwahl teilzunehmen. Es besteht kein Anlass, für sie die Briefwahl anzuordnen.

22(2) Danach lag in der Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für alle Wahlberechtigten für die Wahl am ein Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei der Annahme des Landesarbeitsgerichts, „nach dem übereinstimmenden Vorbringen aller Beteiligten“ gebe es im BR-Bezirk 4 keinen „sogenannten Hauptbetrieb“, um eine den Senat bindende Tatsachenfeststellung handelt. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher definiert, unter welchen Voraussetzungen es vom Vorliegen eines Hauptbetriebs ausgegangen wäre. Das Betriebsverfassungsgesetz enthält - ebenso wie die Wahlordnung - keine Definition des Begriffs „Hauptbetrieb“. Was hierunter zu verstehen ist, ist daher durch Auslegung zu ermitteln ( - Rn. 21, BAGE 121, 7; vgl. zur unterschiedlichen Auslegung des Begriffs in § 4 Abs. 1 und 2 BetrVG Fitting BetrVG 32. Aufl. § 4 Rn. 10). Im vorliegenden Verfahren bedarf es jedoch keiner abschließenden Klärung, unter welchen Voraussetzungen vom Vorliegen eines Hauptbetriebs iSv. § 24 Abs. 3 WO auszugehen ist.

23(a) Sollte es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts einen Hauptbetrieb iSv. § 24 Abs. 3 WO im BR-Bezirk 4 gegeben haben, so hätte zumindest für die Wahlberechtigten in diesem Hauptbetrieb keine schriftliche Stimmabgabe angeordnet werden dürfen.

24(b) Ginge man mit dem Landesarbeitsgericht davon aus, dass es an einem Hauptbetrieb iSv. § 24 Abs. 3 WO fehlte, so eröffnete dies nicht die Möglichkeit, in analoger Anwendung der Regelung die schriftliche Stimmabgabe für alle Wahlberechtigten anzuordnen. Eine Vorschrift kann analog nur angewendet werden, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält, deren Planwidrigkeit aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Darüber hinaus muss der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und um Wertungswidersprüche zu vermeiden nach der gleichen Rechtsfolge verlangen wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle ( - Rn. 50, BAGE 176, 160; - 7 ABR 7/18 - Rn. 20 mwN, BAGE 168, 204). Unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine planwidrige Regelungslücke gegeben wäre, handelte es sich jedenfalls nicht um die gleiche Rechtsfolge. Weil § 24 Abs. 3 WO die Anordnung der schriftlichen Stimmabgabe für den gesamten Betrieb nicht als Rechtsfolge vorsieht, kann dieses Ergebnis auch nicht durch eine analoge Anwendung der Regelung herbeigeführt werden.

25(c) Die Befugnis, für alle Wahlberechtigten im BR-Bezirk die schriftliche Stimmabgabe zu beschließen, folgt auch nicht aus dem Zuordnungstarifvertrag vom . Dieser Tarifvertrag enthält keine Regelungen zur schriftlichen Stimmabgabe. Insofern bedarf es keiner Entscheidung, ob den Tarifvertragsparteien nach § 3 Abs. 1 BetrVG überhaupt die Kompetenz eröffnet wäre, von § 24 WO abweichende Regelungen zu treffen oder im Rahmen einer Zusammenfassung von Betrieben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BetrVG einen Betriebsteil zum Hauptbetrieb iSv. § 24 Abs. 3 WO zu bestimmen. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht eine solche Regelungsbefugnis nicht ausdrücklich vor, wobei die vom Betriebsrat und von der Arbeitgeberin vorgebrachten praktischen Schwierigkeiten bei der Durchführung einer Urnenwahl allerdings auf ein tatsächliches Bedürfnis für eine entsprechende Regelungskompetenz hinweisen mögen.

26(3) Der Verstoß gegen § 24 Abs. 3 WO konnte das Wahlergebnis beeinflussen.

27(a) Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre (st. Rspr., vgl. etwa  - Rn. 41 mwN, BAGE 177, 269).

28(b) Es ist nicht undenkbar, dass wahlberechtigte Personen der betroffenen Betriebsstätten, die ihre Stimme bei der Wahl nicht abgegeben haben, an der Wahl teilgenommen hätten, wenn die schriftliche Stimmabgabe für diese Bereiche nicht beschlossen worden wäre. Zudem kann eine Beeinflussung des Wahlverhaltens derjenigen Personen nicht ausgeschlossen werden, die tatsächlich durch Briefwahl gewählt haben. Bei der schriftlichen Stimmabgabe müssen sich die Wähler regelmäßig bereits vor dem eigentlichen Wahltag entscheiden, damit ihr Wahlbrief rechtzeitig beim Wahlvorstand eingeht. Dadurch kommt es zu für die einzelnen Arbeitnehmer zeitlich versetzten Wahlen. Da zwischen der Stimmabgabe unter Umständen mehrere Tage liegen können, ist nicht auszuschließen, dass Wahlberechtigte anders gewählt hätten, wenn sie persönlich ihre Stimme abgegeben hätten (vgl.  - Rn. 43 mwN, BAGE 177, 269). Da die Wahl ausschließlich als Briefwahl durchgeführt wurde, bestand auch keine Möglichkeit, nachträglich noch durch eine Stimmabgabe in Präsenz die schriftliche Stimmabgabe gegenstandslos zu machen (vgl. zu dieser Möglichkeit im Rahmen der 3. WOMitbestG  - Rn. 47).

29b) Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung, ob die Wahl auch aus den weiteren von den Antragstellern geltend gemachten Gründen anfechtbar war. Insbesondere kann offenbleiben, ob der zwischen der Arbeitgeberin und der Gewerkschaft v abgeschlossene Tarifvertrag eine wirksame Zusammenfassung von Betrieben iSv. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG - ua. zum BR-Bezirk 4 - enthält.

30III. Die Sache ist jedoch nicht zur Entscheidung reif. Trotz der aufgezeigten Rechtsverletzung könnte sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellen. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob die formellen Voraussetzungen der Wahlanfechtung vorlagen. Die Sache ist daher zur erneuten Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

311. Die Wahlanfechtung muss gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen. Die Wahrung der nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG einzuhaltenden Frist ist notwendige Voraussetzung der Anfechtung einer Betriebsratswahl. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben daher gemäß § 83 Abs. 1 Satz 1, § 90 Abs. 2 ArbGG von Amts wegen die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Hierzu gehört die Feststellung des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 18 Abs. 3 Satz 1 BetrVG) sowie des Eingangs des Antrags gemäß § 81 Abs. 1 ArbGG beim Arbeitsgericht ( - zu B I 2 der Gründe, BAGE 96, 326). Der Antrag ist nach § 81 Abs. 1 Halbs. 2 ArbGG beim Arbeitsgericht schriftlich einzureichen oder bei seiner Geschäftsstelle mündlich zu Protokoll anzubringen (vgl.  - Rn. 16, BAGE 139, 197; Fitting BetrVG 32. Aufl. § 19 Rn. 39).

322. Das Landesarbeitsgericht hat zwar festgestellt, dass der Antrag auf Einleitung des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens am - und damit innerhalb von zwei Wochen nach der Verkündung des Wahlergebnisses am  - beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Zur Wahrung der erforderlichen Form liegen jedoch keine konkreten Feststellungen vor. Das Landesarbeitsgericht hat ergänzend auf die zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Antragsschrift vom wurde danach als elektronisches Dokument beim Arbeitsgericht eingereicht. Ausweislich des in der Akte befindlichen Prüfvermerks wurde die Nachricht „per EGVP versandt“; die pdf-Datei „Einleitung_BV_wg_Wahlanfechtung_Antrag_1_Anlagen_1-3“ war nach den Angaben im Prüfvermerk nicht qualifiziert elektronisch signiert. Auf Hinweis des Senats haben die Antragsteller zu 3., 4., 7. und 8., die - anders als die Antragstellerinnen zu 1., 2., 5. und 6. - weiterhin von den erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden, vorgetragen, das elektronische Dokument mit der Antragsschrift sei von dem verantwortenden Rechtsanwalt qualifiziert elektronisch signiert worden. Sodann sei das elektronische Dokument von einer Mitarbeiterin der Kanzlei mit Hilfe einer Mitarbeiterkarte an das EGVP des Arbeitsgerichts übermittelt worden.

33Vor diesem Hintergrund wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, ob die Antragsschrift vom als qualifiziert elektronisch signiertes Dokument beim Arbeitsgericht eingegangen ist. Die Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist als materiell-rechtliche Voraussetzung verfahrensmäßiger Art ausgestaltet ( - Rn. 22, BAGE 161, 101). Die Voraussetzungen für ihre Einhaltung können daher nur die Tatsachengerichte, nicht aber das Bundesarbeitsgericht als Rechtsbeschwerdegericht feststellen (vgl.  - zu II B 3 b und c der Gründe, BAGE 16, 1; Fitting BetrVG 32. Aufl. § 19 Rn. 36). Die Frage des Vorliegens einer qualifizierten elektronischen Signatur ist erheblich, da eine einfache Signatur für eine formgerechte Einreichung nicht genügt hätte.

34a) Vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen, schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Parteien können nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 des § 46c ArbGG als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Gemäß § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG muss das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.

35b) Der Senat geht davon aus, dass die Datei nicht auf einem sicheren Übermittlungsweg iSv. § 46c Abs. 3 und 4 ArbGG beim Arbeitsgericht eingereicht wurde. Für einen sicheren Übermittlungsweg ist erforderlich, dass die verantwortende Person das elektronische Dokument selbst versendet. Wird das besondere elektronische Postfach (beA) durch eine andere Person als den Postfachinhaber - zB das Sekretariat eines Rechtsanwalts - verwendet, liegt kein sicherer Übermittlungsweg vor, so dass die qualifizierte elektronische Signatur unverzichtbar ist (vgl. zur entsprechenden Regelung in § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO  - Rn. 24, BAGE 171, 28). Bei Nutzung einer beA-Mitarbeiterkarte wird kein „Vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis“ (VHN) generiert, sondern nur der Passus „Diese Nachricht wurde per EGVP versandt“ (vgl. HWK/Tiedemann 11. Aufl. § 46c ArbGG Rn. 44b;  - zu B I 4 a bb der Gründe). Fehlt ein VHN, lässt dies in der Regel darauf schließen, dass das Dokument ohne persönliche Anmeldung des Postfachinhabers oder durch eine andere Person versandt wurde. Beides erfüllt nicht die Anforderungen an einen sicheren Übermittlungsweg, weil Identität des Urhebers und Authentizität des Schriftstücks in diesen Fällen nicht gewährleistet sind (vgl. zu § 130a ZPO  - Rn. 8 mwN). In diesem Fall muss das elektronische Dokument, damit es formwirksam ist, eine qualifizierte elektronische Signatur des verantwortenden Rechtsanwalts enthalten (HWK/Tiedemann 11. Aufl. § 46c ArbGG Rn. 44b).

36c) Allein die Angabe „nein“ in der Spalte „Qualifiziert signiert nach ERVB?“ im Prüfvermerk des Arbeitsgerichts begründet dabei keine unwiderlegliche gesetzliche Vermutung, dass die Antragsschrift vom nicht qualifiziert elektronisch signiert war. Das Gericht darf seine Entscheidung nicht ausschließlich auf die Visualisierung im Transfervermerk, Prüfvermerk oder Prüfprotokoll stützen (vgl. H. Müller in Ory/Weth jurisPK-ERV Band 2 2. Aufl. online-Stand § 130a ZPO Rn. 175.1). In Zweifelsfällen kommt es auf das einwandfreie Ergebnis einer technischen Prüfung der Signatur mit einem hierfür vorgesehenen Programm (Signatursoftware) an (vgl. H. Müller in Ory/Weth jurisPK-ERV Band 2 2. Aufl. online-Stand § 130a ZPO Rn. 173.1; so erfolgt in  - Rn. 9). Etwas Anderes kann im - hier nicht einschlägigen - Fall gelten, dass die Akte beim Arbeitsgericht noch als Papierakte geführt wird (vgl. § 298 Abs. 1 ZPO). Der Ausdruck eines gerichtlichen elektronischen Dokuments, der einen Vermerk des zuständigen Gerichts gemäß § 298 Abs. 3 ZPO enthält, steht gemäß § 416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Vorliegend ist davon auszugehen, dass das eingereichte elektronische Dokument nicht gelöscht wurde und ggf. einer Überprüfung im Rahmen einer Beweisaufnahme zugänglich ist.

37d) Die mögliche Formunwirksamkeit des eingereichten elektronischen Schriftsatzes ist auch nicht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt. Die Formvorschriften des elektronischen Rechtsverkehrs dienen ganz überwiegend dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege; sie stellen vor allem die Authentizität und Integrität der eingereichten elektronischen Dokumente sicher und sorgen zudem für die IT-Sicherheit und die Einhaltung des erforderlichen Datenschutzes bei der Kommunikation mit der Justiz. Es handelt sich insofern um Vorschriften, auf die iSv. § 295 Abs. 2 ZPO nicht verzichtet werden kann (Hergenröder/Rehn RdA 2021, 57, 58; Müller NZA 2020, 1381, 1382; GK-ArbGG/Horcher Stand Dezember 2024 § 46c Rn. 64; zur Nutzungspflicht von Rechtsanwälten und Behörden nach § 130d ZPO vgl. BR-Drs. 818/12 S. 36;  - Rn. 16; offengelassen in  - Rn. 16, BAGE 172, 18). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob eine rügelose Einlassung durch die anderen Beteiligten in einem Anfechtungsverfahren iSv. § 19 BetrVG überhaupt in Betracht kommt.

38e) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt hinsichtlich der etwaigen Fristversäumnis nicht in Betracht (vgl. Fitting BetrVG 32. Aufl. § 19 Rn. 36; ErfK/Koch 25. Aufl. BetrVG § 19 Rn. 9; Richardi BetrVG/Thüsing 17. Aufl. § 19 Rn. 53). Bei der Frist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG handelt es sich um eine materiell-rechtliche Frist ( - zu II B 3 b der Gründe, BAGE 16, 1). Die Situation ist daher mit den in § 233 Satz 1 ZPO genannten prozessualen Fristen nicht vergleichbar. Mängel bei der Einreichung einer Antragsschrift bzw. Klageschrift können - abgesehen vom Fall des § 5 KSchG - nicht nach § 233 ZPO „bereinigt“ werden (vgl. HWK/Tiedemann 11. Aufl. § 46c ArbGG Rn. 55).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2025:220125.B.7ABR23.23.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-93132