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BGH Urteil v. - 2 StR 566/24

Instanzenzug: Az: 104 Ks 9/24

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Den Angeklagten Ba. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und von einer Adhäsionsentscheidung abgesehen. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen des Nebenklägers, mit denen er die Verurteilung des Angeklagten B. wegen Mordes und des Angeklagten Ba. wegen vollendeten Totschlags anstrebt.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Die Angeklagten und der 19 Jahre alte Ö. waren seit mehreren Jahren eng miteinander befreundet. Nachdem es zwischen dem Angeklagten B. und Ö. vermehrt zu Konflikten gekommen war, die wieder geklärt werden konnten, war das Verhältnis zwischen ihnen im Sommer 2023 sehr angespannt. Der Angeklagte Ba. ergriff dabei Partei für B. .

4Am Abend des kam es in der Innenstadt von R. zu einem lautstarken Streit zwischen B. und Ö. mit wechselseitigen Beleidigungen. B. äußerte dabei sinngemäß „wir kriegen dich noch“, „ich ficke dich“ und „du wirst sehen, ich töte dich“. Auf diese Drohungen reagierte Ö. mit der Forderung nach einem Treffen am späten Abend, zu dem B. seine „Tabanca“ (türkisch für Pistole) holen solle. Das Treffen blieb aus, weil B. es ablehnte. Im Laufe des Abends konsumierten beide Angeklagten alkoholische Getränke, rauchten Cannabis und konsumierten mehrere „Lines“ Kokain. Am frühen Morgen des trafen die Angeklagten, die in Begleitung der beiden Brüder G. waren, nicht ausschließbar zufällig am Anfang einer an einem Kreisverkehr liegenden Gasse auf Ö. und dessen Begleiter K.. Während die Brüder G. sich im hinteren Bereich der Gasse mit K. unterhielten, entwickelte sich zwischen den Angeklagten und Ö. im vorderen Bereich der Gasse eine Auseinandersetzung, zu deren Entstehung und Ursache keine Feststellungen getroffen werden konnten. Spätestens jetzt entschlossen sich die Angeklagten nicht ausschließbar spontan und konkludent, Ö. gemeinsam zu verletzen. Tatplangemäß schlug der Angeklagte Ba. Ö. und hielt ihn von hinten an Schultern und Armen fest, so dass dieser sich nicht wehren oder verteidigen konnte. Hierdurch wollte er dem Angeklagten B. ermöglichen, besser auf Ö. einwirken zu können. B. erkannte das und versetzte Ö. mit einem mitgebrachten Messer einen wuchtigen Stich in die linke Leiste, durch den er unter anderem die linke Oberschenkelvene und -arterie durchstach. Hierbei erkannte er, dass er Ö. möglicherweise tödlich verletzen würde, und nahm dies zumindest billigend in Kauf. Ö. nahm wahr, dass er eine Stichverletzung erlitten hatte, und rief „Jungs, hört auf, ich blute“. Spätestens jetzt erkannte der Angeklagte Ba., dass B. Ö. mit einem Messer verletzt hatte. Dass er bereits vorher wusste, dass B. ein Messer einsetzen wollte, ließ sich weder feststellen noch ausschließen. Nun wurden K. und die Brüder G. auf die Auseinandersetzung aufmerksam. Während K. davonlief, schubste einer der Brüder Ö. in Richtung des Kreisverkehrs, um ihm eine Flucht zu ermöglichen, woraufhin dieser über den Kreisverkehr in eine Straße lief. Die Angeklagten folgten und erreichten ihn im Bereich des Kreisverkehrs. Dort griff der Angeklagte Ba. nach Ö. und zerriss dessen Halskette. Auch kam es möglicherweise erneut zu Schlägen seitens des Angeklagten Ba.. Ba. hielt Ö. erneut fest, um dem Angeklagten B. ein weiteres Zustechen zu ermöglichen. Dieser versetzte Ö. daraufhin einen weiteren wuchtigen Stich in den linken Brustkorb. Hierdurch wollten beide Angeklagten Ö. erneut gemeinschaftlich verletzen, wobei jedenfalls jetzt nicht nur dem Angeklagten B., sondern auch dem Angeklagten Ba. bewusst war und beide billigend in Kauf nahmen, dass Ö. an dieser Verletzung versterben könnte. Dieser sackte auf dem Gehweg zusammen, die Angeklagten flüchteten. Die Brüder G. kamen zu Ö., alarmierten Nachbarn und setzten Notrufe ab. Trotz Rettungsbemühungen erlag Ö. kurz darauf seinen Verletzungen. Er erlitt zwei Stichverletzungen, die beide für sich genommen konkret lebensgefährlich waren. Es war nicht sicher feststellbar, aber auch nicht auszuschließen, dass die zweite Stichverletzung in den Brustkorb Einfluss auf den Sterbeprozess entfaltete, welcher durch den ersten Stich in die Leistenregion und den daraus resultierenden Blutverlust in Gang gesetzt worden war. Kurz nach der Tat äußerte der Angeklagte B. in einem Telefonat mit einem Bekannten sinngemäß, dass R. jetzt wisse, wer der „Chef“ oder „Patron“ sei. Es ist nicht auszuschließen, dass die Angeklagten im Tatzeitpunkt unter der Wirkung der Rauschmittel standen und ihre Steuerungsfähigkeit daher bei ansonsten erhaltener Einsichts- und Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.

52. Das Landgericht hat den Angeklagten B. des Totschlags und nicht des Mordes für schuldig befunden, weil kein Mordmerkmal erfüllt sei, insbesondere keine niedrigen Beweggründe vorlägen. Den Angeklagten Ba. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt, weil dieser sich zwar nicht den ersten Messerstich des Angeklagten B., jedoch den nach der Ortsveränderung erfolgten zweiten Messereinsatz als Mittäter zurechnen lassen müsse. Allerdings sei insofern nur ein Totschlagsversuch anzunehmen, da der von Tötungsvorsatz getragene Tatbeitrag Ba. für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs nicht feststellbar kausal geworden sei.

II.

6Die zulässige Revision des Nebenklägers hinsichtlich des Angeklagten Ba. ist begründet.

71. Insoweit halten die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafbarkeit des Angeklagten Ba. wegen vollendeten Totschlags verneint hat, rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8a) Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Angeklagte Ba. jedenfalls beim zweiten Messereinsatz im Kreisverkehr mit Eventualvorsatz hinsichtlich der tödlichen Folge gehandelt habe, da vom gemeinsamen Tatplan der Angeklagten „zumindest jetzt auch“ die mögliche und von beiden billigend in Kauf genommene Tötung des Geschädigten erfasst gewesen sei. Es sei aber nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen gewesen, dass Ba. bereits bei dem ersten Messereinsatz den Tod Ö. billigend in Kauf genommen habe. Insoweit stehe schon nicht fest, dass Ba. vor Beginn der Auseinandersetzung Kenntnis davon gehabt habe, dass B. ein Messer bei sich führte, geschweige denn plante, dieses einzusetzen. Hierfür hätten sich im Rahmen der Hauptverhandlung keine konkreten Anhaltspunkte ergeben.

9b) Diese Erwägungen sind lückenhaft. Zur Klärung der Frage, ob der Angeklagte Ba. vor dem ersten Messereinsatz Kenntnis vom Mitführen eines Messers hatte, hätte das Landgericht den unmittelbaren Fortgang des Geschehens berücksichtigen müssen, wonach der Angeklagte Ba. ohne wesentliche Zäsur mit bedingtem Tötungsvorsatz das Setzen des zweiten Stiches durch B. ermöglichte, indem er Ö. in gleicher Weise wie beim ersten Stich festhielt. Diese Situation hat die Strafkammer dahingehend beschrieben, dass sich „die erste Auseinandersetzung, Flucht des Geschädigten, Verfolgung durch die Angeklagten und die zweite Tathandlung nahtlos aneinander[fügten], so dass es sich um ein enges Zeitfenster gehandelt“ habe und sich „[i]n den Geschehensabläufen […] aufgrund dieser nahtlosen Abfolge kein Bruch erkennen [lasse]“. Der so beschriebene schnelle Übergang vom ersten zum zweiten Messerstich und das gleichförmige Verhalten des Angeklagten Ba. in beiden Tatsituationen legen nahe, dass dieser vom ersten Messerstich des Angeklagten B. nicht überrascht war und es sich bereits zu Beginn des Angriffs um ein koordiniertes Vorgehen handelte. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Ba. das Leben des Geschädigten nicht erst beim zweiten Stich, sondern bereits beim ersten Messereinsatz gleichgültig war.

102. Selbst wenn man zugunsten des Angeklagten Ba. von einem Exzess des Angeklagten B. hinsichtlich des ersten Messerstichs ausgehen wollte, leidet das Urteil an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Denn das Landgericht hat nicht erkennbar geprüft, ob sich der Angeklagte Ba. auch einer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) schuldig gemacht hat.

11a) Die Nichtanwendung dieses Tatbestands unterliegt auf die Revision des Nebenklägers der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Zwar hat der Nebenkläger sie nicht ausdrücklich beanstandet. Jedoch prüft das Revisionsgericht auf die zulässig erhobene Sachrüge hin auch über die konkret vorgebrachten Beanstandungen der Revisionsbegründungsschrift hinaus, ob das Tatgericht Strafvorschriften unangewendet gelassen hat, die zum Anschluss des Nebenklägers berechtigen und dieselbe Zielrichtung haben wie das Delikt, dessen Nichtanwendung er beanstandet (vgl. , Rn. 8, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 1; vom – 2 StR 230/17, Rn. 22 mwN; MüKo-StPO/Valerius, 2. Aufl., § 400 Rn. 28). Bei § 227 StGB handelt es sich um eine Norm, deren Verletzung im Sinne des § 400 Abs. 1 StPO zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) und die dieselbe Zielrichtung wie der vollendete Totschlag hat (vgl. , Rn. 1, NStZ-RR 2008, 352, 353; KK-StPO/Allgayer, 9. Aufl., § 395 Rn. 12).

12b) Bei einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung setzt die Strafbarkeit eines Mittäters wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB nicht voraus, dass er selbst eine unmittelbar zum Tod des Opfers führende Verletzungshandlung ausführt. Es reicht vielmehr aus, dass der Mittäter aufgrund eines gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen geleistet hat. Dabei ist im Grundsatz weiter erforderlich, dass die Handlung des anderen im Rahmen des gegenseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses liegt und dem Täter hinsichtlich des Erfolgs Fahrlässigkeit zur Last fällt (st. Rspr.; vgl. nur , StV 2021, 120, 121).

13Ist der Todeserfolg durch einen über das gemeinsame Wollen hinausgehenden und deshalb als Exzesshandlung zu qualifizierenden Gewaltakt verursacht worden, kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Zurechnung des Todes als qualifizierender Erfolg gemäß § 227 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn den gemeinschaftlich verübten Gewalthandlungen, die der todesursächlichen Exzesshandlung vorausgegangen sind, bereits die spezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftet. Dies ist von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs in objektiver Hinsicht etwa in Fällen bejaht worden, in welchen das Opfer durch die mittäterschaftlich begangene Körperverletzung in eine Lage geriet, in der es nachfolgenden Einwirkungen eines gewaltbereiten Tatbeteiligten schutzlos ausgeliefert war (vgl. , BGHR StGB § 25 Abs. 2 StGB Mittäter 32; Beschlüsse vom – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 76 f., und vom – 1 StR 109/20, StV 2021, 120, 121) oder in denen dem vom gemeinsamen Willen aller Mittäter getragenen Angriff nach den ihn kennzeichnenden konkreten tatsächlichen Gegebenheiten die naheliegende Möglichkeit einer tödlichen Eskalation innewohnte (vgl. , BGHR StGB § 227 Todesfolge 4 = NStZ 2005, 93, 94 Rn. 5 m. Anm. Heinrich, und vom – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310; Beschluss vom –  1 StR 424/15, NStZ 2016, 400, 401).

14c) Nach den Feststellungen leistete der Angeklagte Ba. aufgrund gemeinsamen Tatentschlusses mit dem Angeklagten B. einen Beitrag zum Verletzungsgeschehen, indem er Ö. zunächst schlug und ihn sodann von hinten an Schultern und Armen festhielt, so dass dieser sich nicht wehren oder verteidigen und der Angeklagte B. ungehindert auf ihn einwirken konnte. Da der Tod des Geschädigten durch die Intensivierung des von vornherein jedenfalls als gemeinschaftliche Körperverletzung gewollten Verhaltens verursacht wurde, hätte das Landgericht erörtern müssen, ob Ö. infolge des Beitrags des Angeklagten Ba. der nachfolgenden Einwirkung des Angeklagten B. schutzlos ausgeliefert war.

15Darüber hinaus bedurfte es näherer Erörterung, ob bei dem nächtlichen Zusammentreffen in der konkreten Situation die spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang angelegt und für den Angeklagten Ba. individuell vorhersehbar war. Dafür könnte insbesondere sprechen, dass der Angriff erfolgte, nachdem sich B. und Ö. wenige Stunden zuvor in Gegenwart des Angeklagten Ba. lautstark gestritten hatten und die Auseinandersetzung nach wechselseitigen Beleidigungen in Todesdrohungen des Angeklagten B. gegenüber Ö. gegipfelt hatte, was nahelegt, dass der Einsatz tödlicher Messerstiche nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit gelegen haben könnte. Da es einer Vorhersehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs nicht bedarf (vgl. , NStZ-RR 2009, 309, 310), würde die fehlende Kenntnis des Angeklagten Ba. vom Mitführen des Messers durch den Angeklagten B. der Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs nicht entgegenstehen.

163. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt sämtliche Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter neue und widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen. Die Sache ist an eine Schwurgerichtskammer zurückzuverweisen, weil sich das Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet.

III.

17Die zulässige Revision des Nebenklägers hinsichtlich des Angeklagten B. bleibt ohne Erfolg. Insoweit lässt das Urteil keinen auf die Revision des Nebenklägers hin zu berücksichtigenden Rechtsfehler erkennen. Insbesondere hält es rechtlicher Nachprüfung stand, dass das Landgericht den Angeklagten B. nur wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt hat. Dass sich das Landgericht nicht die Überzeugung zu verschaffen vermocht hat, dass der Angeklagte B. bei der Tötung von Ö. aus niedrigen Beweggründen handelte, unterliegt weder im Hinblick auf die Beweiswürdigung noch die rechtliche Bewertung der festgestellten Tatsachen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

IV.

18Die Überprüfung des Urteils hat auch keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 301 StPO analog).

Menges                         Appl                         Zeng

                   Grube                     Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260325U2STR566.24.1

Fundstelle(n):
UAAAJ-92913