Leitsatz
Ein Hilfsantrag ist bei der Berechnung des Wertes der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer nur zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht über ihn entschieden hat. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass ein Hilfsantrag für den Fall gestellt wird, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag keinen Erfolg hat (echter Hilfsantrag), sondern auch für sogenannte unechte Hilfsanträge, die unter der Bedingung gestellt werden, dass dem Hauptantrag stattgegeben wird.
Gesetze: § 5 ZPO, § 45 Abs 1 S 2 GKG
Instanzenzug: Hanseatisches Az: 6 U 70/23vorgehend Az: 413 HKO 78/22
Gründe
1I. Die Klägerin beauftragte 2018 die Beklagte mit dem Transport einer Druckmaschine aus den Vereinigten Staaten von Amerika nach Deutschland und mit deren anschließender Einlagerung. Am wurde die Druckmaschine auf Veranlassung der Klägerin aus dem Lager der Beklagten an eine Erwerberin ausgeliefert. Die Erwerberin stellte fest, dass die Druckmaschine stark verrostet und nicht mehr funktionsfähig war.
2Die Klägerin beziffert den durch die Beschädigung der Druckmaschine entstandenen Schaden und weitere Schäden mit insgesamt 371.813,84 €. Hiervon hat sie mit dem Hauptantrag einen Anteil von 35.001 €, mit dem für den Fall der vollumfänglichen Begründetheit des Hauptantrags gestellten ersten Hilfsantrag den Restbetrag von 336.812,84 € geltend gemacht. Mit dem unter der Bedingung der vollumfänglichen Begründetheit des ersten Hilfsantrags gestellten zweiten Hilfsantrag hat sie die Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten verlangt. Die Beklagte hat mit ihrer Widerklage die Zahlung von Fracht und restlichem Lagerentgelt in Höhe von insgesamt 3.314,15 € begehrt. Die Klägerin hat demgegenüber hilfsweise die Aufrechnung mit ihrem Schadensersatzanspruch erklärt.
3Das Landgericht hat die Klage im Hauptantrag abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte auf den Hauptantrag zur Zahlung von 33.946,85 € nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage sowie die Widerklage abgewiesen. Über die Hilfsanträge der Klägerin haben weder das Landgericht noch das Berufungsgericht entschieden.
4Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe gegen die Beklagte wegen der Beschädigung der Druckmaschine während ihrer Einlagerung aus § 475 HGB in Verbindung mit Ziffer 22.2 ADSp 2017 und § 429 Abs. 2 HGB ein Anspruch auf Wertersatz in Höhe der Haftungsobergrenze von Ziffer 24.1.2 ADSp 2017 in Höhe von 35.000 € zu. Da die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass die Beklagte oder ihre Erfüllungsgehilfen grob fahrlässig gehandelt hätten, bestehe ein Anspruch auf den mit dem Hauptantrag darüber hinaus geltend gemachten Betrag von 1,00 € nicht. lm Hinblick auf die Widerklage hat das Berufungsgericht angenommen, dass kein Anspruch der Beklagten auf Lagerentgelt mehr bestehe. Der Anspruch der Beklagten auf die Fracht in Höhe von 1.053,15 € sei durch die von der Klägerin erklärte Hilfsaufrechnung erloschen. lm Ergebnis könne die Klägerin von der Beklagten daher einen Betrag von 33.946,85 € nebst Zinsen verlangen. Das Berufungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
5Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision, mit der sie den abgewiesenen Teil ihres Hauptantrags in Höhe von 1,00 € und ihre beiden Hilfsanträge weiterverfolgen will. Die Beklagte beantragt, den Streitwert des Revisionsverfahrens festzusetzen.
6II. Der Streitwert der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist auf 1,00 € festzusetzen. Entgegen der Ansicht der Beschwerde ist zu diesem mit dem Hauptantrag geltend gemachten Betrag, den das Berufungsgericht abgewiesen hat und den die Klägerin mit der beabsichtigten Revision weiterverfolgen will, nicht der Wert der von der Klägerin gestellten Hilfsanträge hinzuzurechnen.
71. Nach der für den Rechtsmittelstreitwert geltenden Vorschrift des § 5 ZPO werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet; dies gilt nicht für den Gegenstand der Klage und der Widerklage. § 39 Abs. 1 GKG bestimmt für den Gebührenstreitwert, dass in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet werden, soweit nichts anderes bestimmt ist. In einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, werden nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG zusammengerechnet. Ein hilfsweise geltend gemachter Anspruch wird gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG mit dem Hauptanspruch zusammengerechnet, soweit eine Entscheidung über ihn ergeht. Betreffen die Ansprüche im Fall des Satzes 1 oder 2 von § 45 Abs. 1 GKG denselben Gegenstand, ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Nach § 45 Abs. 3 GKG erhöht sich der Streitwert, wenn der Beklagte hilfsweise die Aufrechnung mit einer bestrittenen Gegenforderung geltend macht, um den Wert der Gegenforderung, soweit eine der Rechtskraft fähige Entscheidung über sie ergeht.
82. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Hilfsantrag bei der Berechnung der Beschwer nur zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht über ihn entschieden hat (vgl. , WM 1994, 181 [juris Rn. 8]; Beschluss vom - IV ZR 253/98, NJW 1999, 1157 [juris Rn. 4]; Beschluss vom - I ZR 190/11, juris Rn. 9 - Testmandant; Beschluss vom - I ZR 58/11, WRP 2014, 192 [juris Rn. 5] - Streitwertaddition). Dies gilt nicht nur für den Fall, dass ein Hilfsantrag für den Fall gestellt wird, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag keinen Erfolg hat (echter Hilfsantrag), sondern auch für sogenannte unechte Hilfsanträge, die unter der Bedingung gestellt werden, dass dem Hauptantrag stattgegeben wird (vgl. , juris, mwN; zur Eventualwiderklage vgl. , BGHZ 132, 390 [juris Rn. 28]). Hat das Berufungsgericht über solche Hilfsanträge nicht entschieden, sind sie nach dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG bei der Berechnung der Beschwer nicht zu berücksichtigen (vgl. , juris, mwN; Hartmann in Hartmann, Kostengesetze online, 4. Lieferung, Stand 11/2022, Anh. nach § 48 GKG § 5 ZPO Rn. 6; MünchKomm.ZPO/Wöstmann, 7. Aufl., ZPO, § 5 Rn. 15 mwN; Stein/Loyal, ZPO, 24. Aufl., § 5 Rn. 40; BeckOK.ZPO/Wendtland, 55. Edition [Stand: ], § 5 Rn. 5; Zöller/Herget, ZPO, 35. Aufl., § 5 Rn. 6). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (, juris Rn. 3). Nach dieser Rechtsprechung sind im Streitfall die Hilfsanträge der Klägerin bei der Bemessung des Streitwerts und ihrer Beschwer nicht zu berücksichtigen, weil weder das Landgericht noch das Berufungsgericht hierüber entschieden haben.
93. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, auf die sich die Beschwerde beruft.
10a) Der Bundesfinanzhof hat allerdings entschieden, dass in einem finanzgerichtlichen Verfahren, in dem der Kläger einen Umsatzsteuerbescheid mit dem Hauptantrag lediglich in Höhe eines Teilbetrags angefochten und hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit diesem Hauptantrag den Bescheid in vollem Umfang angegriffen hat, eine unterbliebene Bescheidung des Hilfsantrags durch die Vorinstanzen wegen der Erfolglosigkeit des Hauptantrags einer Berücksichtigung des Streitwerts des Hilfsantrags im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht entgegensteht (BFH, JurBüro 2023, 640 [juris Rn. 24 bis 29]).
11b) Diese Entscheidung des Bundesfinanzhofs beruht auf der Auslegung der Anträge des Klägers in dem finanzgerichtlichen Verfahren. Der Bundesfinanzhof hat angenommen, dass der dortige Kläger, der gestützt auf eine einheitliche Begründung mit dem Haupt- und dem Hilfsantrag einen Umsatzsteuerbescheid angegriffen hat, mit dem Hauptantrag keine Teilbestandskraft des nicht angegriffenen Teils des Bescheids, sondern eine erschöpfende Beurteilung der umsatzsteuerrechtlichen Fragen herbeiführen wollte (BFH, JurBüro 2023, 640 [juris Rn. 26]).
12c) Diese Überlegungen können auf den Streitfall nicht übertragen werden.
13aa) Die Auslegung der Klageanträge in dem Verfahren vor dem Bundesfinanzhof berücksichtigt, dass finanziell belastende Bescheide der Finanzämter bestandskräftig werden, wenn sie nicht innerhalb gesetzlich festgelegter Rechtsmittelfristen angegriffen werden. Hiervon ausgehend hat der Bundesfinanzhof angenommen, dass die vom dortigen Kläger gestellten Anträge dahin auszulegen sind, dass mit ihnen der angegriffene Umsatzsteuerbescheid nicht nur teilweise, sondern in vollem Umfang angegriffen werden soll.
14bb) Damit ist der Streitfall nicht vergleichbar. In dem vorliegenden Streit um Schadensersatzansprüche aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Lagervertrag musste mit der Klageerhebung nicht verhindert werden, dass ein behördlicher Bescheid bestandskräftig wird.
15(1) Die Klägerin hat mit ihrer Antragstellung ihr Kostenrisiko minimieren wollen, indem sie mit dem Hauptantrag die Zahlung eines Betrags begehrt hat, der um einen Euro oberhalb der in Ziffer 24.1.2 ADSp 2017 festgelegten Haftungsobergrenze von 35.000 € liegt. Mit der Geltendmachung des Anspruchs in Höhe von 1,00 € hat sie die Klärung der Frage begehrt, ob die Haftung der beklagten Lagerhalterin durch Ziffer 24.1.2 ADSp 2017 beschränkt ist oder ob die Haftungsbegrenzung gemäß Ziffer 27.1 wegen qualifizierten Verschuldens der Beklagten nicht gilt. Nur falls ihrer Klage insoweit stattgegeben wird, hat sie ihre Hilfsanträge gestellt. Ein solches Vorgehen ist prozessual zulässig (vgl. zur Eventualwiderklage BGHZ 132, 390 [juris Rn. 26]). Es war für die Klägerin die kostengünstigste Möglichkeit, Klarheit über das Bestehen weiterer Ansprüche gegen die Beklagte zu gewinnen.
16(2) Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass im Streitfall der Hauptantrag und die Hilfsanträge entgegen ihrem ausdrücklichen Wortlaut dahin ausgelegt werden müssen, dass die Klägerin den ihr entstandenen Schaden in Wirklichkeit in voller Höhe hat einklagen und hierfür in voller Höhe das Kostenrisiko hat tragen wollen. Die Beschwerde legt dies auch nicht dar. Die Tatsacheninstanzen haben deshalb zutreffend davon abgesehen, über die Hilfsanträge der Klägerin zu entscheiden, weil die innerprozessualen Bedingungen, unter denen sie gestellt waren, nicht eingetreten sind. Dann sind sie nach § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen.
Koch Löffler Schwonke
Feddersen Odörfer
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:200225BIZR119.24.0
Fundstelle(n):
IAAAJ-92794