Instanzenzug: LG Gießen Az: 7 KLs - 502 Js 22982/18
Gründe
1 Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in elf Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hatte es abgelehnt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit Beschluss vom im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in fünf Fällen sowie wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wird, im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben, im Umfang der Aufhebung die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen und die weitergehende Revision verworfen.
2 Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
3 1. Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung zwar zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Taten zum Urteilszeitpunkt bereits mehrere Jahre zurücklagen. Sie hat indes nicht erkennbar die lange Verfahrensdauer in ihre Erwägungen eingestellt. Dies lässt besorgen, dass sie der Verfahrensdauer im Rahmen der Strafzumessung keine eigenständige Bedeutung beigemessen hat. Eine – wie hier schon bis zum Erlass des Urteils im zweiten Rechtsgang – überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer ist ungeachtet eines geringeren Strafbedürfnisses auf Grund des zeitlichen Abstands zwischen Tatbegehung und Urteil (und unbeschadet eines etwa zu gewährenden Vollstreckungsabschlags) bei der Strafzumessung zu berücksichtigen und stellt regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar (st. Rspr.; vgl. nur , Rn. 49; Beschluss vom - 4 StR 202/21, NStZ-RR 2022, 200 jew. mwN). Gründe, warum dies vorliegend anders zu beurteilen sein könnte, sind auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht zu entnehmen.
4 2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass sich der aufgezeigte Rechtsfehler sowohl auf die Höhe der Einzelstrafen als auch auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe ausgewirkt hat. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 23). Ergänzende Feststellungen, die den bestehenden nicht widersprechen dürfen, sind möglich.
5 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
6 a) Benennt das Tatgericht bei der konkreten Strafzumessung, nicht aber bei der vorhergehenden Prüfung eines benannten oder unbenannten minder schweren Falls eine Reihe zugunsten des Angeklagten sprechender Umstände, kann die Besorgnis begründet sein, bei der Strafrahmenwahl seien nicht alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte bedacht worden. Dies kann den Bestand des Strafausspruchs gefährden. Es ist daher zumindest empfehlenswert, bereits bei der Strafrahmenbestimmung alle nach den Feststellungen in Betracht kommenden, maßgeblichen Strafzumessungsgesichtspunkte zu benennen und bei der konkreten Strafzumessung – was zulässig ist (vgl. nur ) – hierauf Bezug zu nehmen.
7 b) Das Landgericht wird Gelegenheit haben, ergänzend Feststellungen zu treffen, die eine Nachprüfung ermöglichen, ob zurecht von der Bildung einer gebrochenen Gesamtstrafe abgesehen wurde. Regelmäßig sind zur Prüfung einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht nur die Daten der zu berücksichtigenden Vorverurteilungen, sondern zumindest auch die diesen zugrundeliegenden Tatzeiten und – so von Bedeutung – das Datum der letzten tatrichterlichen Verhandlung mitzuteilen (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1475).
8 c) Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft und ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen; der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (, BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 22 Rn. 7). Hiervon ausgehend war der Strafkammer und ist dem neuen Tatgericht eine Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB versagt, da deren Anordnung bereits rechtskräftig abgelehnt worden war. Nach der Entscheidungsformel des Senatsbeschlusses vom wurde das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Landgerichts – ausschließlich – im Strafausspruch aufgehoben; die Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB als weitere – vom Landgericht abgelehnte – Rechtsfolge war hiervon mithin nicht erfasst. Hätte der Senat seine aufhebende Entscheidung auch auf die Nichtanordnung der Maßregel erstrecken wollen, wäre dies in der Beschlussformel zum Ausdruck zu bringen gewesen (vgl. , BGHR StPO § 353 Abs. 2 Teilrechtskraft 22 Rn. 9).
9 d) Das neue Tatgericht wird aber zu prüfen haben, ob und in welchem Umfang eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (allein zwischen dem Eingang der Revisionsakten bei der Staatsanwaltschaft im März 2023 und deren Weiterleitung an die Bundesanwaltschaft Ende Dezember 2024 sind über ein Jahr und neun Monate vergangen) durch einen Vollstreckungsabschlag zu kompensieren ist. Die angesprochene Verfahrensdauer kann jedenfalls nicht mit „extremer Überlastung“ der „unterbesetzten Geschäftsstelle“ gerechtfertigt werden. Die Überlastung eines Gerichts fällt – anders als unvorhersehbare Zufälle und schicksalhafte Ereignisse – in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft. Dem Beschuldigten darf grundsätzlich nicht zugemutet werden, eine überlange Verfahrensdauer nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt, seiner Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Staatsanwaltschaften und der Gerichte zu genügen (vgl. , NJW 2018, 2948, 2949 Rn. 30 mwN).
Menges Meyberg Grube
Schmidt Zimmermann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:090425B2STR17.25.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-92792