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BGH Beschluss v. - X ARZ 79/25

Gründe

1I.    Die Parteien machen wechselseitig Ansprüche im Zusammenhang mit einer Wohnung geltend.

2Der Beklagte war seit dem als Verkaufsleiter bei der Klägerin beschäftigt. In Abrechnungen über sein Arbeitsentgelt war unter anderem die Gewährung einer freien Wohnung als geldwerter Vorteil in Höhe von 235 Euro ausgewiesen. Ab war der Beklagte unter der betreffenden Anschrift amtlich gemeldet.

3Mit Schreiben vom erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses und des Nutzungsverhältnisses über die Räume. Der Beklagte nutzte diese in der Folgezeit für eine selbstständige Tätigkeit weiter.

4Mit rechtskräftigem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom ist der Beklagte zur Räumung bis zum verurteilt worden. Am hat er die Räume an die Klägerin herausgegeben.

5Mit ihrer vor dem Arbeitsgericht Berlin erhobenen Klage begehrt die Klägerin Ersatz für die Nutzung der Räume ab dem . Der Beklagte macht im Wege der Widerklage gegen die Klägerin und deren Geschäftsführer aus eigenem und abgetretenem Recht einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen für Bauleistungen geltend, die er und sein Lebensgefährte seinem Vortrag zufolge zwischen Januar 2015 und Juli 2016 in den Räumen erbracht haben.

6Mit Verfügung vom hat das Arbeitsgericht die Parteien darauf hingewiesen, dass das Vertragsverhältnis über eine Werkdienstwohnung wegen der wirksamen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausschließlich mietrechtlichen Regelungen unterliege und der Rechtsstreit mangels arbeitsrechtlichen Bezugs an das Landgericht Berlin zu verweisen sei.

7Mit Beschluss vom hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit unter Bezugnahme auf § 23 Nr. 2 Buchst. a GVG an das Amtsgericht Mitte in Berlin verwiesen.

8Das Amtsgericht hat sich mit Beschluss vom seinerseits für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hält den Verweisungsbeschluss für willkürlich und nicht bindend, weil die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergangene Räumungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zumindest präjudiziell für die Rechtswegzuständigkeit sei und die Arbeitsgerichte dementsprechend für Klage und Widerklage nach § 2 Nr. 4 Buchst. a ArbGG zuständig seien.

9II.    Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

101. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.

11Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (, NJOZ 2014, 446 Rn. 5; Beschluss vom - X ARZ 482/18, NJOZ 2019, 487 Rn. 5).

12So liegt der Fall hier.

13Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Amtsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

142. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig.

15Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (, NJW-RR 2017, 1215 Rn. 6).

16III.    Zuständig ist das Amtsgericht Mitte.

17Die Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Arbeitsgerichts (§ 48 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG).

181. Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (vgl. nur , NJW-RR 2018, 250 Rn. 10).

19Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Die Parteien haben den Verweisungsbeschluss nicht angefochten.

202. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss ausnahmsweise nicht bindend ist, liegen im Streitfall nicht vor.

21a) Wie auch das Amtsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, ist die Korrektur einer bindenden Entscheidung im Verfahren entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar.

22Eine Durchbrechung der Bindungswirkung von Verweisungsentscheidungen kommt demnach allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (, NVwZ 1995, 372), "extremen Verstößen"gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht, etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. nur , NJW-RR 2024, 994 Rn. 27).

23b) Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts leidet nicht an derart schweren Mängeln.

24aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind für Rechtsstreitigkeiten über Werkdienstwohnungen grundsätzlich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a ArbGG die Arbeitsgerichte zuständig.

25Der Grund hierfür besteht darin, dass die beiderseitigen Rechte und Pflichten bezüglich einer solchen Wohnung durch das Arbeitsverhältnis bestimmt werden und Mietrecht allenfalls subsidiär Anwendung findet (, BAGE 92, 336, 342 = NZA 2000, 277, 278, juris Rn. 20 ff.).

26Diese Auffassung wird vom überwiegenden Teil der Instanzrechtsprechung und der Literatur geteilt (vgl. , ZMR 2008, 963 Rn. 36; , BeckRS 2012, 70642 Rn. 10; , ZMR 2013, 533, 534; Germelmann/Matthes/Prütting/Schlewing/Dickerhof-Borello, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 2 Rn. 61; ErfK/Ahrendt, 25. Aufl. 2025, ArbGG § 2 Rn. 14; Schmidt-Futterer/Lindner, 16. Aufl. 2024, BGB vor § 576 Rn. 12; BeckOK MietR/Bruns, 39. Ed. , BGH § 576b Rn. 40; BeckOK BGB/Hannappel/Caspers, 73. Ed. , BGB § 576b Rn. 16; ebenso auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG Tiedemann in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., BGB (Stand: ), § 576b BGB Rn. 21; Artz in Münchner Kommentar, 9. Aufl. 2023, BGB § 576b Rn. 10).

27bb) Ob diese Zuständigkeit auch dann noch besteht, wenn das Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden ist, der Wohnraum aber gemäß § 565e BGB a.F. (jetzt: § 576b BGB) auf der Grundlage mietrechtlicher Vorschriften weiter benutzt wird, hat das Bundesarbeitsgericht offengelassen (, BAGE 92, 336, 342 = NZA 2000, 277, 279, juris Rn. 26).

28Instanzrechtsprechung und Literatur bejahen für diese Konstellation überwiegend eine ausschließliche Zuständigkeit der Amtsgerichte (LG Detmold, Urteil vom - 2 S 147/68, ZMR 1968, 321; AG Garmisch, Urteil vom - 4 C 451/70; ZMR 1972, 117; LG Augsburg, Beschluss vom - 2 C 1962/93, ZMR 1994, 333 Rn. 9 ff.; , ZMR 2017, 858, 859; Schmitz-Justen, WuM 2000, 582 ff.; Germelmann/Matthes/Prütting/Schlewing/Dickerhof-Borello, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 2 Rn. 61; Artz in Münchner Kommentar, 9. Aufl. 2023, BGB § 576b Rn. 10; Staudinger/Rolfs (2024) BGB § 576b Rn. 29; Schmidt-Futterer/Herrlein, 16. Aufl. 2024, BGB § 576b Rn. 24; BeckOK BGB/Hannappel/Caspers, 73. Ed. , BGB § 576b Rn. 17).

29Nach einer abweichenden Auffassung sind hingegen auch in solchen Fällen die Arbeitsgerichte zuständig (Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl. 2021, § 576b BGB Rn. 11; Riecke, ZMR 2017, 859, 860).

30cc) Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht als extremer Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung anzusehen, dass das Arbeitsgericht sich als nicht zuständig angesehen hat.

31Die Klage betrifft Ansprüche wegen der Nutzung der Räume nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit eine Konstellation, über die das Bundesarbeitsgericht noch nicht abschließend entschieden hat.

32dd) Die Berufungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg im vorangegangenen Räumungsprozess ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts für den vorliegenden Rechtsstreit nicht präjudiziell.

33Eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs kann nur für den jeweils geltend gemachten Streitgegenstand Bindungswirkung entfalten (, NVwZ-RR 2020, 956 Rn. 8 f.).

34Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts betrifft nicht denselben Streitgegenstand wie der vorliegende Rechtsstreit.

35ee) Ein extremer Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung liegt auch nicht deshalb vor, weil sich das Arbeitsgericht nicht mit der Frage befasst hat, ob hinsichtlich der Widerklage eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a ArbGG gegeben ist.

36Eine solche Zuständigkeit käme zwar in Betracht, wenn die geltend gemachten Bauleistungen des Beklagten auf Weisung der Klägerin im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erbracht worden sind, wie der Beklagte dies in der Widerklagebegründung vorgetragen hat. Später hat er indes vorgetragen, er habe die Arbeiten zusammen mit seinem Lebensgefährten aufgrund einer schriftlich nicht fixierten Vereinbarung mit der Klägerin ausgeführt.

37Vor diesem Hintergrund stellt es keinen schweren Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung dar, wenn auch die Entscheidung über den Widerklageanspruch den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist.

Bacher                       Deichfuß                       Marx

                Rensen                      Crummenerl

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:290425BXARZ79.25.0

Fundstelle(n):
MAAAJ-92557