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BGH Beschluss v. - 3 StR 230/24

Leitsatz

Die Jugendkammer kann ihre sachliche Zuständigkeit nur nach Vorlage durch das Jugendschöffengericht mit dem besonderen Umfang der Sache begründen, nicht aber im Falle einer bei ihr erhobenen Anklage.

Gesetze: § 40 Abs 2 JGG, § 41 Abs 1 Nr 2 JGG

Instanzenzug: LG Trier Az: 2a KLs 8015 Js 6592/23 jug

Gründe

1Das Landgericht hat die Angeklagten M.         und E.       E.      jeweils wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit Körperverletzung verurteilt. M.         E.      hat es mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten belegt. E.       E.     hat es verwarnt, ihm die Weisung der Teilnahme an einem sozialpädagogischen Wochenende erteilt und die Erbringung von 100 Arbeitsstunden auferlegt. Die Angeklagte M.        hat es wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG ausgesetzt. Darüber hinaus hat es die Angeklagten R.    , B.     und F.               jeweils wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte und mit versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen den Angeklagten R.     hat das Landgericht deshalb unter Einbeziehung dreier Vorverurteilungen eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt sowie die Anrechnung eines bereits vollstreckten Jugendarrests angeordnet. Die Angeklagten B.     und F.               hat es verwarnt, sie angewiesen, an einem sozialpädagogischen Wochenende teilzunehmen, und ihnen Auflagen erteilt, dem Angeklagten B.     die Zahlung von 300 € an eine gemeinnützige Einrichtung und dem Angeklagten F.              die Ableistung von 100 Sozialstunden.

2Gegen das Urteil wenden sich die Beschwerdeführer mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung sachlichen Rechts und die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer rügen. Darüber hinaus beanstanden die Angeklagten M.          und E.       E.       das Verfahren. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

3Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

4Der damals 18jährige Angeklagte E.       E.      und die 17jährige Angeklagte M.       besuchten am zur Feier des „Weiberkarnevals“ eine T.    er Diskothek. Dort wurden sie jeweils in nicht näher aufklärbare körperliche Auseinandersetzungen verwickelt. In deren Folge zog ein an dem Abend privat anwesender Sicherheitsmitarbeiter den Angeklagten E.       E.      gewaltsam in den Außenbereich. Die Angeklagte M.       verließ auf Anweisung die Diskothek. Eine ihrer Begleiterinnen rief die Polizei, um Anzeige zu erstatten. Die beiden daraufhin erschienenen Beamten forderten Verstärkung an, da die Anzeigenaufnahme durch alkoholisierte Personen gestört wurde.

5Kurz nach dem Eintreffen weiterer fünf Beamter begehrte der Angeklagte E.       E.      vergeblich erneuten Zutritt zur Diskothek. Als einige auf dem Parkplatz stehende Personen insbesondere durch herabwürdigende Äußerungen zunehmend aggressiver gegenüber den Beamten auftraten, stellten sich diese vor der Lokalität in etwa einem Meter Abstand zueinander in einer Reihe nebeneinander auf, um die Menschenmenge vom Eingang fernzuhalten.

6Mittlerweile traf vor Ort der erheblich alkoholisierte Angeklagte M.        E.      ein, dem sein Sohn E.        E.      telefonisch über das vorangegangene Geschehen berichtet hatte. Trotz der Aufforderung zurückzubleiben und der Androhung des Einsatzes von Pfefferspray rannte der Angeklagte M.         E.      in Richtung des Eingangsbereichs und schlug einem Beamten unvermittelt mit der Faust in das Gesicht. Währenddessen folgte ihm der ebenfalls alkoholisierte Angeklagte E.       E.     , sprang einen Polizeibeamten an und traktierte ihn mit den Fäusten. Während es den Einsatzkräften gelang, die beiden Angeklagten zu Boden zu bringen, mischte sich nunmehr die angetrunkene Angeklagte M.          in der Absicht ein, eine der Fixierungsmaßnahmen zu unterbinden. Dazu holte sie mit ihrer Handtasche zum Schlag aus. In diesem Moment schubste ein Beamter sie weg und ein anderer setzte Pfefferspray ein, so dass sie ihr Ziel verfehlte sowie ihre Tat nicht fortsetzen konnte.

7Aufgrund dessen begann die vor der Diskothek befindliche Menschenansammlung aus etwa 25 Personen, die vereinzelt ebenfalls durch den Einsatz des Pfeffersprays getroffen worden waren, die Polizeikräfte mit Gegenständen zu bewerfen. Hieran beteiligten sich aus der Menge heraus die Angeklagten R.     ,B.     und F.              , indem sie Glasflaschen oder andere Sachen, etwa einen Besenstiel, warfen, um hierdurch ihre Missachtung gegenüber den Beamten als Repräsentanten des Staates zum Ausdruck zu bringen und sie an der weiteren Vornahme ihrer Diensthandlungen zu hindern.

II.

8Die Revisionen sind unbegründet.

91. Die von sämtlichen Angeklagten beanstandete sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer ist im Ergebnis gegeben gewesen. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob es sich dabei um eine von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung handelt oder eine Prüfung lediglich auf eine zulässige Verfahrensrüge hin vorzunehmen ist (vgl. hierzu etwa einerseits BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 136/94, BGHSt 40, 120, 123; vom – 4 StR 445/20, juris; vom – 3 StR 121/22, juris Rn. 3; andererseits , GA 1970, 25; vom – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 56 ff.; s. zudem , BGHSt 61, 277 Rn. 8 mwN). Hierzu im Einzelnen:

10a) Die Jugendkammer ist wie folgt mit der Sache befasst worden:

11Die Staatsanwaltschaft erhob gegen den erwachsenen M.         E.      und insgesamt zehn jugendliche und heranwachsende Mitangeklagte, unter ihnen die fünf weiteren Revisionsführer, Anklage zur großen Jugendkammer des Landgerichts. Die Staatsanwaltschaft beantragte angesichts des von ihr näher dargelegten besonderen Umfangs des Verfahrens und der Bedeutung der Sache aufgrund regionaler Berichterstattung das Hauptverfahren vor der Jugendkammer zu eröffnen.

12Nach Eingang der Akten beim Landgericht und Übersendung der Anklageschrift rügten die Beschwerdeführer binnen der Erklärungsfrist die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit der Jugendkammer. Daraufhin fertigte der Kammervorsitzende einen Vermerk, nach dem das Landgericht gegenüber der Staatsanwaltschaft erwog, das Verfahren gegen den erwachsenen Angeklagten M.        E.      abzutrennen und insoweit das Hauptverfahren vor dem Schöffengericht sowie hinsichtlich der übrigen jugendlichen und heranwachsenden (Mit-)Angeklagten vor dem Jugendschöffengericht zu eröffnen. Zur Begründung führte der Vorsitzende im Wesentlichen aus, dass sich die Jugendkammer nach der für sie maßgeblichen Zuständigkeitsvorschrift des § 41 JGG für sachlich unzuständig erachte und im Hinblick auf den Ausnahmecharakter des § 103 JGG erhebliche Bedenken gegen eine Verbindung des Verfahrens gegen den erwachsenen Angeklagten mit dem Verfahren gegen die jugendlichen und heranwachsenden Mitangeklagten bestünden.

13Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Rücknahme der Anklageschrift ab, woraufhin die große Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zuließ und das Verfahren eröffnete. In der Begründung legte sie dar, dass sich entgegen der bislang geäußerten Auffassung die sachliche Zuständigkeit unter Berücksichtigung obergerichtlicher Rechtsprechung aus einer analogen Anwendung von § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG ergebe. Der Fall, in dem die Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft unmittelbar Anklage zur großen Jugendkammer erhebe und hierdurch dem Jugendschöffengericht die nach § 40 Abs. 2 JGG in Verbindung mit § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG gebotene Vorlage- und Prüfungskompetenz entziehe, habe keine gesetzliche Regelung erfahren. Da eine Vorlage durch das Jugendschöffengericht angesichts des besonderen Umfangs bei Eröffnung des Verfahrens vor diesem nicht mehr möglich sei, habe es zur Ausfüllung dieser Regelungslücke selbst zu prüfen, ob die Sache besonderen Umfang aufweise. Dies sei vorliegend der Fall. Diese Sachlage gebiete im Übrigen nach pflichtgemäßem Ermessen keine Abtrennung des Verfahrens gegen den erwachsenen Mitangeklagten, weil es sich um eine zusammenhängende Strafsache handele und die einheitliche Verfahrensführung der Erforschung der Wahrheit der bislang schweigenden Angeklagten sowie einer widerspruchsfreien Sachverhaltsaufklärung diene.

14b) Entgegen der von den Beschwerdeführern vertretenen Ansicht ist die sachliche Zuständigkeit gegeben, da das Landgericht diese nicht objektiv willkürlich angenommen hat und es mithin bei seiner Zuständigkeit als Gericht höherer Ordnung verbleibt. Zwar erweist sich die analoge Anwendung von § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG als rechtsfehlerhaft. Indes beruht dies nicht auf sachfremden Erwägungen und führt daher nicht zu einer den gesetzlichen Richter betreffenden Willkür.

15aa) Nach § 269 StPO in Verbindung mit § 2 Abs. 2 JGG schließt die weitergehende sachliche Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung die dahinter zurückbleibende des Gerichts niederer Ordnung mit ein, so dass die angenommene sachliche Zuständigkeit der großen Jugendkammer anstatt derjenigen des Jugendschöffengerichts grundsätzlich im Revisionsverfahren unbeachtlich ist. Dies erfährt jedoch vor dem Hintergrund des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Einschränkung, wenn die Rechtsanwendung auf objektiver Willkür beruht (vgl. , BVerfGE 29, 45, 48; , BGHSt 57, 165 Rn. 6; Urteil vom – 3 StR 5/80 (S), BGHSt 29, 216, 219; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 338 Rn. 32). Eine solche liegt vor, wenn die Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Dies ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist dabei nicht erforderlich. Allein die fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes macht eine Gerichtsentscheidung jedoch noch nicht willkürlich. Das ist vielmehr erst dann der Fall, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Eine gerichtliche Zuständigkeitsbestimmung darf sich deshalb bei Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen nicht so weit von dem Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernen, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (s. , NJW 1993, 1607 f.; , NJW 2022, 3413 Rn. 43; jeweils mwN). Dies ist nicht gegeben, wenn sich das Gericht mit der Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. , juris Rn. 23; , NJW 2024, 2243 Rn. 11). Unter diesen Umständen genügt selbst eine objektiv falsche Anwendung von Zuständigkeitsnormen regelmäßig nicht für eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (s. , BGHSt 57, 165 Rn. 11 ff. mwN).

16bb) Hieran gemessen ist die Eröffnungsentscheidung der Jugendkammer nicht willkürlich.

17(1) Das Landgericht hat zum Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. zum Prüfungsmaßstab , BGHSt 47, 16, 21; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 355 Rn. 3 mwN) im Ansatzpunkt zutreffend angenommen, dass es sachlich unzuständig sei. In Bezug auf § 41 Abs. 1 Nr. 3 JGG hat es im Einzelnen ausgeführt, dass für den erwachsenen Angeklagten M.         E.      nicht die große Strafkammer zu entscheiden gehabt hätte. Die Voraussetzungen von § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG hat es „zunächst“ ebenfalls als nicht gegeben angesehen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts dieser Norm ist erforderlich, dass die Sache wegen ihres besonderen Umfangs im Zwischenverfahren gemäß § 40 Abs. 2 JGG der Jugendkammer vom Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts zur Übernahme vorgelegt worden ist. Dies war hier wegen der unmittelbaren Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft bei der großen Jugendkammer nicht der Fall.

18(2) Die Jugendkammer hat die Vorschrift des § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG jedoch rechtsfehlerhaft analog zur Begründung ihrer Zuständigkeit angewandt.

19Die einfachgesetzlichen Regelungen zur erstinstanzlichen sachlichen Zuständigkeit werden maßgeblich durch die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bestimmt und sind im Jugendgerichtsgesetz für die Jugendkammer abschließend in § 41 Abs. 1, § 108 Abs. 1, 3 Satz 2 JGG geregelt. Diese gesetzlichen Vorgaben würden umgangen, wenn das im Zeitpunkt der Eröffnung für die Entscheidung zuständige Tatgericht durch eine analoge Anwendung dieser Normen Ausnahmen hiervon schaffen könnte.

20Zudem liefe eine Analogie dem Willen des Gesetzgebers zuwider, der bei Schaffung der Regelung vom Leitbild der Einheit von Jugend- und Vormundschaftsrichter geprägt war, die nach Möglichkeit überall dort aufrechterhalten bleiben solle, wo sich dies verantworten lasse. Danach solle es die ausschließliche Aufgabe des Jugendschöffengerichts sein, darüber zu entscheiden, ob es eine zu seiner Zuständigkeit gehörende Sache bewältigen könne. Nur wenn der Vorsitzende des Schöffengerichts, der in der Regel zugleich Vormundschaftsrichter war (vgl. nunmehr § 34 JGG), glaube, dass er personell und materiell nicht in der Lage sei, einen umfangreichen Fall zu bewältigen, könne er die Vorlage an die Jugendkammer anordnen. Dem Staatsanwalt und dem Angeklagten müsse es „verwehrt sein, durch entsprechende Anträge eine Verhandlung vor der Jugendkammer zu erzwingen“ (BT-Drucks. I/3264 S. 45; anschließend BT-Drucks. I/4437 S. 7). Angesichts dieser Gesetzesbegründung ist eine planwidrige, einer analogen Anwendung zugängliche Regelungslücke nicht ersichtlich. Vielmehr ist den Materialien die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen, dass auch die unmittelbare Anklageerhebung bei der Jugendkammer unter Umgehung der Vorlage- und Entscheidungskompetenz des Vorsitzenden des Jugendschöffengerichts keine entsprechende Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG begründen kann.

21Vor dem Hintergrund von Gesetzeswortlaut und -genese kann in Fällen des § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG die Anklage bei der großen Jugendkammer deren Zuständigkeit nicht begründen. Eine etwaige Änderung wäre Sache des Gesetzgebers.

22(3) Die Eröffnung des Hauptverfahrens beruhte jedoch nicht auf willkürlichen Erwägungen, da die analoge Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG ebenso wie die Ablehnung der Trennung der verbundenen Sache gegen den erwachsenen Angeklagten (§ 103 JGG) nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt.

23(a) Die Entschließung der Staatsanwaltschaft, das für den Erwachsenen mit den Jugendlichen und Heranwachsenden verbundene Verfahren ausnahmsweise bei der Jugendkammer anstatt beim Jugendschöffengericht anzuklagen, hat der gerichtlichen Nachprüfung unterlegen. Dabei lässt die eingehende Erörterung im Rahmen des Eröffnungsverfahrens erkennen, dass sich das Landgericht mit der Frage seiner sachlichen Zuständigkeit und dem Umfang seiner Prüfungs- und Entscheidungskompetenz sowie derer des Jugendschöffengerichts umfangreich auseinandergesetzt hat.

24Hierbei hat es sich hinsichtlich der analogen Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG an bereits ergangener obergerichtlicher Rechtsprechung orientiert (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom – 2 Ws 535/99, juris Rn. 18, 81 f.; , NJW 1960, 2203), ohne dass eine gegenteilige höchstrichterliche Entscheidung vorgelegen hat. Vielmehr hatte der zitierte Beschluss des Oberlandesgerichts eine Konstellation zur Grundlage, in der dieses als Beschwerdegericht an Stelle des vorinstanzlichen Landgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden hatte und das Verfahren vor der Jugendkammer eröffnete. Überdies ist diesem Beschluss mit dem ebenfalls angeführten Urteil des Bundesgerichtshofs (, NJW 1960, 2203) gemeinsam, dass sich wegen des besonderen Umfangs des Verfahrens jeweils eine Zuständigkeit der großen Jugendkammer anstatt derjenigen des Jugendschöffengerichts aufdrängte, aber angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 40 Abs. 2 JGG in Verbindung mit § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG bei einer Eröffnung der Sache vor dem Jugendschöffengericht eine Vorlage auf dem gesetzlichen vorgesehenen Wege nicht mehr möglich gewesen wäre. Ein allgemeines Analogieverbot im Bereich gerichtlicher Zuständigkeitsregelungen besteht nicht (s. u.a., BVerfGE 82, 286, 304; , juris Rn. 2).

25(b) Zudem hat sich die Jugendkammer davon leiten lassen, dass die Sache tatsächlich besonderen Umfang aufwies. Dieser Abgabegrund aus besonderen tatsächlichen Gesichtspunkten ist insbesondere dann anzunehmen, wenn das Verfahren nach der Zahl der Angeklagten oder der Straftaten, nach dem Umfang der Beweisaufnahme oder der zu erwartenden Verhandlungsdauer von den üblicherweise zu verhandelnden Fällen abweicht und sich deutlich aus der großen Masse der Verfahren heraushebt, die den gleichen Tatbestand betreffen (vgl. , juris Rn. 13; III-4 Ws 268-274/19, juris Rn. 10).

26Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen letztlich in der Sache gegen die Annahme eines besonderen Umfangs keine Bedenken. Das Verfahren umfasst ein komplexes und dynamisches Tatgeschehen und wurde gegen elf zum Zeitpunkt der Eröffnungsentscheidung schweigende Angeklagte geführt, deren Tatbeiträge jeweils im Einzelnen aufzuklären waren. Laut Anklageschrift waren 35 Zeugen zu vernehmen sowie zahlreiche Lichtbilder und Videoaufzeichnungen in Augenschein zu nehmen. Darüber hinaus hat die aus mehreren Bänden bestehende Hauptakte mit zwölf hinzuverbundenen Personenakten und weiteren Sonderbänden einen nicht unerheblichen Umfang, so dass sich die Vorlage durch das Jugendschöffengericht aufgedrängt hätte. Der besondere Umfang zeigt sich auch daran, dass das Landgericht bereits mit seiner Ladung elf Verhandlungstage ansetzte (vgl. zu einer Verhandlungsdauer von zwei Tagen , NJW 1960, 2203). Dies deutet ebenfalls darauf hin, dass die Sache für das Jugendschöffengericht ungeeignet gewesen wäre.

27(c) In Bezug auf den erwachsenen Angeklagten M.         E.      ist ferner nicht zu beanstanden, dass das Verfahren gegen ihn bei Eröffnung nicht im Sinne von § 103 Abs. 3, § 112 Satz 1 JGG abgetrennt wurde. Dies wäre nach pflichtgemäßem Ermessen der Jugendkammer nur dann in Betracht gekommen, wenn die eine Verbindung begründenden Tatsachen nicht mehr vorgelegen hätten, wofür keine Anhaltspunkte ersichtlich waren. Die gemeinsame Verhandlung im Sinne des § 103 Abs. 1 JGG in Verbindung mit §§ 2, 3 StPO diente – wie vom Landgericht zutreffend ausgeführt – angesichts des einheitlichen Lebenssachverhalts im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt schweigenden Angeklagten nicht nur der Erforschung der Wahrheit und einer gemeinsamen widerspruchsfreien Sachverhaltsaufklärung des Gesamtgeschehens, sondern ermöglichte überdies eine gemeinsame Rechtsfolgenfestsetzung (vgl. , NStZ 2006, 521, 522; Eisenberg/Kölbel, JGG, 26. Aufl., § 103 Rn. 10 mwN). Ermessensfehler lässt dies nicht erkennen.

28(d) Soweit sich die Jugendkammer nicht damit auseinandergesetzt hat, ob sie – nachdem die Staatsanwaltschaft die Anklage nicht zurückgenommen hatte – gehalten gewesen wäre, das Verfahren vor dem Jugendschöffengericht nach § 209 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 2 Abs. 2 JGG zu eröffnen, und dieses sodann wieder der Jugendkammer nach § 225a Abs. 1 Satz 1 StPO wegen des besonderen Umfangs zur Übernahme hätte vorlegen müssen, belegt dies ebenfalls keine willkürliche Entscheidung; denn eine solche Verfahrensweise lag nicht nahe. Es erschließt sich nicht, dass in der gegebenen Konstellation eine derartige Zuständigkeitsänderung möglich ist, da § 40 Abs. 2, § 41 Abs. 1 Nr. 2 JGG eine Vorlage „bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens“ voraussetzt und im Übrigen allgemein die Pflicht zur Prüfung sowie Beachtung normativer Zuständigkeitsmerkmale wie des besonderen Umfangs mit der Eröffnungsentscheidung endet (vgl. , BGHSt 61, 277 Rn. 11, 17).

29(e) Der Einwand einzelner Beschwerdeführer, den Angeklagten werde bei verbleibender Zuständigkeit des höheren Gerichts eine ihnen an sich zustehende Tatsacheninstanz genommen, lässt die Eröffnungsentscheidung ebenfalls nicht willkürlich erscheinen. Das Grundgesetz gebietet keine mehrstufige Gerichtsbarkeit und keinen Anspruch auf eine zweite Tatsacheninstanz, die von jeher in bestimmten Bereichen – zum Beispiel für die schwere Kriminalität – nicht vorgesehen ist (s. , BVerfGE 9, 223, 230 mwN; , BGHSt 47, 116, 119). Dies wird überdies einfachgesetzlich von systematischen Erwägungen getragen. Schließlich ist § 269 StPO und § 47a Satz 1 JGG der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass derjenige, der von einem Gericht höherer Ordnung abgeurteilt wird, nicht beschwert ist.

302. Die Verfahrensrügen erweisen sich aus den in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts genannten Gründen teilweise bereits als unzulässig, jedenfalls aber insgesamt als unbegründet.

313. Im Übrigen hat die auf die Sachrügen veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen keinen den Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050325B3STR230.24.0

Fundstelle(n):
HAAAJ-92349