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BSG Beschluss v. - B 4 AS 28/24 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Fehlen von Entscheidungsgründen - Überschreitung der Fünfmonatsfrist für die Übermittlung des Urteils an die Geschäftsstelle - Fehlen der Urschrift des Urteils in der Gerichtsakte - Darlegungsanforderungen

Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 136 Abs 1 Nr 6 SGG

Instanzenzug: Az: S 12 AS 209/20 Gerichtsbescheidvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 6 AS 1445/21 Urteil

Gründe

1In dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über höhere Leistungen nach dem SGB II für September 2019 bis August 2020, insbesondere über einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung kopfanteiliger Bedarfe für Unterkunft und Heizung sowie eines Mehrbedarfs für die Warmwassererzeugung.

21. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angegriffenen Entscheidung des LSG nicht erfolgreich sein kann. Die Klägerin hat PKH für eine von einem beim BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten bereits eingelegte und bis zum Ablauf der um einen Monat verlängerten Begründungsfrist am bereits begründete Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beantragt. Die Revision wäre daher nur zuzulassen, wenn mit dieser Beschwerde einer der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG genannten Zulassungsgründe in der gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form dargelegt oder bezeichnet wäre. Eine solche Erfolgsaussicht besteht hier nicht, weil die Beschwerde unzulässig ist (dazu unter 2.). Damit ist auch die Bewilligung von PKH für das "nachfolgende Revisionsverfahren" abzulehnen, da die (noch einzulegende) Revision keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Mangels Zulassung ist sie unstatthaft.

3Mit der Ablehnung des Antrags auf PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

42. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil ein Zulassungsgrund (§ 160 Abs 2 SGG) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).

5a) Die geltend gemachten Verfahrensmängel werden in der Beschwerdebegründung nicht formgerecht bezeichnet.

6Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (stRspr; zB - juris RdNr 5). Wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht, der einen absoluten Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 ZPO) begründet, müssen zumindest die den Mangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden (vgl zB - juris RdNr 5 mwN).

7Die Beschwerdebegründung der Klägerin entspricht nicht diesen Anforderungen. Die Klägerin macht geltend, das angegriffene Urteil sei entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG nicht mit Gründen versehen (absoluter Revisionsgrund nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO), weil das am mündlich verkündete Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten vollständig abgefasst zur Geschäftsstelle gelangt und nicht von den berufsrichterlichen Mitgliedern des Berufungssenats unterschrieben worden sei (§ 153 Abs 3 Satz 1 SGG; vgl zB - SozR 4-7837 § 2 Nr 18 RdNr 18 mwN; - juris RdNr 6; - SozR 4-1500 § 160a Nr 43 RdNr 3 ff). Die Bezeichnung eines solchen Verfahrensmangels erfordert die genaue Angabe des Datums der Niederlegung des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle sowie die Darlegung, dass sich diese Datumsangabe auf eigene Nachforschungen stützt. Kennt ein Beschwerdeführer den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle als gerichtsinternen Vorgang nicht, hat er zumindest darzulegen, dass und mit welchem Ergebnis er versucht hat, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Urteilsübergabe zu erfahren ( - juris RdNr 7; vgl auch - SozR 3-1500 § 164 Nr 6 - juris RdNr 13 f; - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 22).

8Vorliegend fehlt es bereits an der Angabe des Datums der Niederlegung des Urteils auf der Geschäftsstelle. Hierzu beschränkt sich die Klägerin auf die Vermutung, dass das Datum einer im Rahmen der Einsicht in die Akten des LSG vorgefundenen beglaubigten Abschrift des Urteils dem Tag der Übergabe entspreche. Eine solche Vermutung genügt jedoch nicht den Anforderungen an die zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels notwendige Tatsachenangabe (vgl - SozR 3-1500 § 164 Nr 5 - juris RdNr 14). Ebenso fehlt es an Angaben dazu, dass ihr weitere Nachforschungen bei der Geschäftsstelle des LSG zum Verbleib des (unterschriebenen) Originals und zum Zeitpunkt von dessen Übergabe an die Geschäftsstelle nicht möglich bzw erfolglos geblieben seien (vgl zur ausreichenden Darlegung nach telefonischer Nachforschung - juris RdNr 5). Zu solchen weiteren Nachforschungen hätte sich die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag veranlasst sehen müssen, nachdem sie im Rahmen der Akteneinsicht nur eine beglaubigte Abschrift des Urteils, nicht aber das Original vorgefunden hat. Allein das Fehlen der Urschrift einer gerichtlichen Entscheidung in der Gerichtsakte (vgl zur Möglichkeit der Aufbewahrung der Urschrift außerhalb der Gerichtsakte - juris RdNr 5 mwN) belegt nicht das Fehlen von Entscheidungsgründen. Deshalb bedarf es in diesen Fällen der Darlegung, dass und mit welchem Ergebnis über die bloße Akteneinsicht hinaus versucht worden ist, den Verbleib der Urteilsurschrift und den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle zu erfahren (vgl zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 4).

9b) Die Beschwerdebegründung genügt ebenfalls nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG vorgeschriebenen Form, soweit die Klägerin Divergenzen zu den Urteilen des ), vom (B 14 AS 31/20 R), vom (B 14/11b AS 7/07 R) und vom (B 14 AS 18/20 R) rügt.

10Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt (stRspr; zB - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5; - juris RdNr 10). Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; - juris RdNr 6; - juris RdNr 10).

11Eine solche Abweichung hat die Klägerin nicht hinreichend dargetan. Insoweit fehlt es bereits an der Benennung über den Einzelfall hinausgehender rechtlicher Maßstäbe (Rechtssätze), die das LSG in Abweichung von den angeführten Entscheidungen des BSG entwickelt haben soll. Vielmehr beschränkt sich die Beschwerdebegründung auf die Rüge einer vermeintlich unterbliebenen oder fehlerhaften Anwendung der vom BSG entwickelten Rechtssätze. Diese kann aber - wie dargelegt - die Zulassung der Revision nicht begründen.

12c) Schließlich genügt die Beschwerdebegründung den dargestellten Anforderungen auch nicht, wenn die Klägerin im Rahmen ihrer Begründung der Divergenzrüge sinngemäß einen weiteren Verfahrensmangel rügt, weil das LSG die Zeugenaussagen falsch gewürdigt habe. Auf die damit sinngemäß geltend gemachte Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht gestützt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG) und die Revision nicht zugelassen werden.

133. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2025:140325BB4AS2824B0

Fundstelle(n):
GAAAJ-92212