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BGH Urteil v. - VIa ZR 421/21

Instanzenzug: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Az: 2 U 43/21 Urteilvorgehend Az: 3 O 1296/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Er erwarb im Juli 2017 einen VW T6 Multivan 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist. Er verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die von dem Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.

Gründe

3Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

5Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten sei nicht schlüssig dargelegt. Zwar sei der Vortrag des Klägers, anhand einer Fahrkurvenerkennung werde von der Motorsteuerung erfasst, dass sich der Wagen im Prüfstandsbetrieb befinde und nur dann die AdBlue-Einspritzung in den SCR-Katalysator erhöht werde, im Ausgangspunkt geeignet, einen Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB zu begründen. Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung komme jedoch ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht in Betracht, weil sie die Unterlagen, die eine entsprechende Beeinflussung des Emissionskontrollsystems abhängig vom Prüfstandsbetrieb belegen sollten, dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) bereits im November 2015 zur Verfügung gestellt habe. Die unstreitige Verwendung einer temperaturabhängigen Steuerung führe ebenfalls nicht zur Annahme der Sittenwidrigkeit. Abgesehen davon, dass sie auf dem Prüfstand ebenso funktioniere wie im Normalbetrieb, habe die Beklagte die Außentemperaturabhängigkeit der Abgasrückführung im Typgenehmigungsverfahren offengelegt. Soweit der Kläger behaupte, das Thermofenster sei tatsächlich enger gefasst als von der Beklagten dargestellt, eine uneingeschränkte Abgasnachbehandlung sei nur zwischen 20 und 30 Grad Celsius vorgesehen, sei das Vorbringen unsubstantiiert. Ein Schadensersatzanspruch folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das geltend gemachte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Norm.

II.

6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

71. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Insbesondere hat das Berufungsgericht - entgegen der Rechtsauffassung der Revision - rechtsfehlerfrei angenommen, dass es an einer sittenwidrig vorsätzlichen Schädigung fehlt, weil nach seinen Feststellungen das KBA über die Funktionsweise der Fahrkurvenerkennung und der Steuerung des Emissionskontrollsystems abhängig von der Außentemperatur informiert wurde und diese Einrichtungen nicht als unzulässig wertete (vgl. , juris Rn. 17).

82. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).

9Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11BGHZ 237, 245die erforderlichen

                                         

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:140525UVIAZR421.21.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-92056