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BGH Urteil v. - VIa ZR 610/23

Instanzenzug: Az: 17 U 6927/22 evorgehend LG München II Az: 2 O 2320/22

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagten wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug - die Beklagte zu 1 aus kaufrechtlicher Gewährleistung, die Beklagte zu 2 aus unerlaubter Handlung - in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im August 2020 von der Beklagten zu 1 ein neues Wohnmobil L.                       mit einem F.                 als Basisfahrzeug, dessen Dieselmotor nach der Behauptung des Klägers von der Beklagten zu 2 hergestellt worden ist. Für den Typ des Basisfahrzeugs hatte eine italienische Behörde eine EG-Typgenehmigung erteilt. Der Kläger macht geltend, das Fahrzeug verfüge über einen Timer und ein sogenanntes "Thermofenster".

3Der Kläger hat von der Beklagten zu 1 in erster Instanz die Nachlieferung eines mangelfreien Ersatzfahrzeugs Zug um Zug gegen Rückübereignung des erworbenen Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), die Feststellung ihres Annahmeverzugs (Klageantrag zu 2) sowie die Feststellung ihrer Pflicht zum Ersatz von notwendigen Verwendungen (Klageantrag zu 3), von anderen Verwendungen (Klageantrag zu 4) und von Aufwendungen auf das Fahrzeug (Klageantrag zu 5) begehrt. Für den Fall der Unbegründetheit des Klageantrags zu 1 hat er statt der Klageanträge zu 1 bis 5 die Erstattung von mindestens 25 % des Kaufpreises nebst Zinsen verlangt (Hilfsantrag zu 1). Außerdem hat er die Beklagte zu 1 auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen (Klageantrag zu 9).

4Im Hinblick auf die Beklagte zu 2 hat der Kläger erstinstanzlich den Ersatz des Kaufpreises und der Kosten für Einbauten nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 6), die Feststellung der Pflicht der Beklagten zu 2 zum Ersatz weiterer aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung entstandener oder entstehender Schäden (Klageantrag zu 7) und ihres Annahmeverzugs (Klageantrag zu 8) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klageantrag zu 9) begehrt.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

6Die Revision des Klägers hat Erfolg.

7Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

8Soweit der Kläger von der Beklagten zu 1 Ersatzlieferung sowie von der Beklagten zu 2 schadensersatzrechtliche Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung und damit "eine quasi Rückabwicklung" des Kaufvertrags verlange, sei die Klage unzulässig, weil die Voraussetzungen einer Streitgenossenschaft nach §§ 59 ff. ZPO nicht erfüllt seien. Die gegenüber den Beklagten geltend gemachten Ansprüche seien nicht gleichartig. Der Kläger sei jeweils zur Rückgabe seines Fahrzeugs verpflichtet, dann könne er aber nicht gleichzeitig Ersatzlieferung und Rückabwicklung verlangen, zumal seine doppelte Befriedigung ohnehin gegen das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot verstoße. Auf die Möglichkeit, die Ansprüche gegenüber den Beklagten in getrennten Prozessen zu "führen", könne sich der Kläger nicht berufen, denn denklogisch werde einer der beiden Prozesse früher als der andere entschieden, so dass "der später zu entscheidende Anspruch aufgrund Zusprechung des früheren zumindest allein deshalb unbegründet" werde. Auf das Vollstreckungsverfahren müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen.

9Die Angebote des Klägers könnten weder gegenüber der Beklagten zu 1 noch gegenüber der Beklagten zu 2 Annahmeverzug herbeiführen, weil der Kläger "jeweils im Hinblick auf das Angebot an die andere Beklagte nicht leistungsfähig" sei, wie er selbst einräume. Den Feststellungsanträgen fehle im Hinblick auf die alternative Haftung der Beklagten jedenfalls derzeit das Rechtsschutzinteresse, zumindest seien sie derzeit unbegründet. Im Hinblick auf die vorgerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers könne dieser keine Ansprüche geltend machen, weil sich "angesichts dieser Konstellation" die Notwendigkeit nicht erschließe. Ob der Kläger Minderung, die er mit dem Hilfsantrag geltend mache, unter einer innerprozessualen Bedingung verlangen könne, könne ebenso dahinstehen wie die Frage, ob diese Bedingung hier eingetreten sei. All dies ändere nichts an der "Unzulässigkeit der Klage", weil die Anträge gegenüber der Beklagten zu 1 weiterhin auf Erhalt des Vertrags, gegenüber der Beklagten zu 2 aber "auf eine Art Rückabwicklung" abzielten.

II.

10Die Revision ist schon deshalb begründet, weil die angefochtene Entscheidung eine den Anforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO genügende Darstellung der Berufungsanträge vermissen lässt. Ein solcher Verfahrensmangel ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu berücksichtigen (, NJW-RR 2022, 877 Rn. 14 f.; Urteil vom - VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 8 f.; Urteil vom - VI ZR 427/23, NJW-RR 2024, 1185 Rn. 15).

111. Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO enthält das Berufungsurteil anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. Das Berufungsurteil muss die im Berufungsverfahren gestellten Anträge zumindest sinngemäß und aus sich heraus verständlich wiedergeben (vgl. , NJW-RR 2022, 877 Rn. 14; Urteil vom - VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 9; Urteil vom - VI ZR 427/23, juris Rn. 15); eine bloße Bezugnahme genügt nicht (, WM 2014, 217 Rn. 18 f.; Urteil vom , aaO). Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, das genaue Berufungsbegehren der Parteien selbst zu ermitteln, um abschließend beurteilen zu können, ob die Revision begründet ist (BGH, , aaO; Urteil vom , aaO). Die Wiedergabe der Berufungsanträge ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich dem Gesamtzusammenhang der Gründe das Begehren des Berufungsführers noch mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt (, NJW-RR 2021, 933 Rn. 12; Urteil vom , aaO, Rn. 17; vgl. Urteil vom - VIa ZR 818/22, juris Rn. 7). , aaO;

122. Die angefochtene Entscheidung wird diesen Erfordernissen nicht gerecht. Das Berufungsgericht hat lediglich auf die Anträge des Klägers sowie der Beklagten zu 1 und zu 2 in näher bezeichneten Schriftsätzen verwiesen, ohne diese wörtlich oder sinngemäß wiederzugeben. Der Berufungsentscheidung ist auch nicht zu entnehmen, der Kläger verfolge seine erstinstanzlichen Klageanträge unverändert weiter (vgl. , BGHZ 154, 99, 101; Urteil vom - XI ZR 106/16, NJW-RR 2018, 303 Rn. 10).

13Auch den Gründen des Hinweisbeschlusses oder des darauf Bezug nehmenden Zurückweisungsbeschlusses lassen sich die Berufungsbegehren des Klägers nicht hinreichend deutlich entnehmen. Aus dem Zusammenhang dieser Gründe ergibt sich zwar, dass der Kläger mit dem Berufungsantrag zu 2 von der Beklagten zu 1 Ersatzlieferung und mit dem Berufungsantrag zu 7 von der Beklagten zu 2 schadensersatzrechtliche Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung verlangt sowie sein Begehren gegenüber der Beklagten zu 1 mit dem Berufungsantrag zu 11 hilfsweise auf Minderung stützt. Darüber hinaus stellt das Berufungsgericht Erwägungen zum Eintritt von Annahmeverzug und zu (weiteren) Anträgen auf Feststellung sowie zu Ansprüchen des Klägers im Zusammenhang mit vorgerichtlicher Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten an. Welchen Inhalt die von ihm erwähnten Berufungsanträge zu 2, zu 7 und zu 11 genau hatten sowie welche weiteren Berufungsanträge im Einzelnen gestellt worden sind, erschließt sich indessen nicht.

III.

14Da es der angefochtenen Entscheidung demnach an der für die revisionsrechtliche Nachprüfung erforderlichen Beurteilungsgrundlage (§ 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO), fehlt, ist sie aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. , NJW-RR 2021, 933 Rn. 11 f., 16).

15Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

161. Sollten im Streitfall - was das Berufungsgericht angenommen hat - d

172. Davon abgesehen erfordert § 60 ZPO lediglich hier geltend gemachten Ansprüche auf kaufrechtliche Ersatzlieferung einerseits und aus deliktischer Herstellerhaftung auf "großen" Schadensersatz andererseits

18§ 60 ZPO erfasst auch die Fälle alternativer Berechtigung oder Verpflichtung eines Streitgenossen (BAGE 85, 178, 185; MünchKommZPO/Schultes, 7. Aufl., § 60 Rn. 2; Stein/Jacoby, ZPO, 24. Aufl., § 59 Rn. 3 und § 60 Rn. 3; vgl. bereits RGZ 58, 248, 252). Indessen stehen namentlich die Ansprüche auf kaufrechtliche Ersatzlieferung einerseits und aus deliktischer Herstellerhaftung auf "großen" Schadensersatz andererseits ohnehin nicht in einem derartigen Alternativverhältnis. Das gilt unabhängig davon, ob insbesondere eine - hier nicht festgestellte - (teilweise) Erfüllung eines dieser beiden Ansprüche rechtliche Auswirkungen auf den Bestand des jeweils anderen hätte. Sollte eine solche Auswirkung erst nach Titulierung des davon betroffenen Anspruchs eintreten, wäre dies gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Das setzt nicht voraus, dass ein solcher rechtlicher Zusammenhang der beiden Ansprüche in der Tenorierung Ausdruck gefunden hat.

C. Fischer                        Möhring                        Katzenstein

                      Ostwaldt                         Tausch

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:260325UVIAZR610.23.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-91862