Instanzenzug: Az: 1 StR 436/24 Beschlussvorgehend Az: 1 StR 436/24 Beschlussvorgehend LG Ingolstadt Az: 5 KLs 42 Js 1566/22nachgehend Az: 1 StR 436/24 Beschluss
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt sowie die Einziehung des Wertes erlangter Kaufpreiserlöse mit einem Betrag von 17.395 € (davon in Höhe von 13.275 € in Gesamtschuld mit dem Mitangeklagten P. und in Höhe von 1.860 € in Gesamtschuld mit dem Mitangeklagten B. ), eines zum Handel eingesetzten Mobiltelefons und sichergestellter Rauschmittel angeordnet. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Die Strafzumessung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat auf UA S. 53 zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass er „sich ausschließlich zur Begehung von Straftaten in Deutschland“ aufhielt „(; )“. Dies widerspricht den Feststellungen. Danach lebte der Angeklagte mit kurzen Unterbrechungen seit 2015 in Deutschland und wurde bislang nicht bestraft. Erst im Mai 2022 schloss er sich mit dem Mitangeklagten P. und dem gesondert Verfolgten El. zur Bande zusammen. Auch angesichts der weiteren vom Landgericht für sich genommen rechtsfehlerfrei gewürdigten straferschwerenden Umstände ist nicht auszuschließen, dass die Strafe auf dem aufgezeigten Rechtsmangel beruht. Da die Strafe die Mindeststrafe des § 30a Abs. 1 BtMG deutlich übersteigt, kann sie der Senat mit Blick auf die strafmildernden Umstände, namentlich die Unvorbestraftheit des Angeklagten, die Observation des Kokainhandels und der Sicherstellung eines Großteils der Betäubungsmittel, nicht als „angemessen“ bestehen lassen (vgl. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Die Feststellungen bleiben aufrechterhalten (vgl. § 353 Abs. 2 StPO) und können um solche ergänzt werden, die ihnen nicht widersprechen.
32. Auch die Einziehungsanordnung begegnet in geringem Umfang durchgreifenden Bedenken.
4a) Wie der Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt hat, steht der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 490 € die vom Landgericht beschlossene Verfahrensteileinstellung (§ 154 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 1 StPO) bezüglich des ersten Falles der Anklage entgegen. Danach sind die Veräußerungen an die Abnehmer Pu. , E. und M. im Zeitraum bis zum nicht mehr verfahrensgegenständlich gewesen (vgl. , BGHSt 67, 295 Rn. 25, 59 mwN). Dies betrifft nur Beträge, für welche das Landgericht keine Gesamtschuld angeordnet hat. Eine selbständige Einziehung gemäß § 76a Abs. 3 StGB im subjektiven Verfahren scheidet aus den weiteren Erwägungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift aus.
5b) Zur Einziehung des sichergestellten Marihuanas hat der Generalbundesanwalt ebenfalls überzeugend ausgeführt:
„Die auf § 34 Abs. 1, Abs. 3, [§] 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB gestützte Einziehung des sichergestellten Marihuanas (UA S. 56) hat ebenfalls keinen Bestand. Der Einziehung steht entgegen, dass die Strafkammer das Verfahren insoweit gemäß § 154a Abs. 2 StPO beschränkt hat (PB S. 101, 111). Infolge der Beschränkung war ein Handeltreiben mit Marihuana nicht Gegenstand der Verurteilung, so dass es in dem Strafverfahren nicht als Tatobjekt nach § 74 Abs. 2 StGB, § 34 Abs. 1, Abs. 3, [§] 37 KCanG eingezogen werden konnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 259/23 und vom – 3 StR 228/22). In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO hat deshalb die Einziehung des Marihuanas zu entfallen.“
63. Zur (zulässigen) Rüge, mit welcher der Angeklagte der Verwertung der in der zweiten „Bunkerwohnung“ in der H. straße in I. am sichergestellten Beweismittel wegen Umgehung des für Durchsuchungen geltenden Richtervorbehalts widerspricht (§§ 261, 105 Abs. 1 StPO), ist ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts auszuführen:
7a) Die Staatsanwaltschaft ist für die Anordnung einer Durchsuchung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO allein bei Gefahr im Verzug, also nur im Ausnahmefall, zuständig. Eine solche ist anzunehmen, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme, regelmäßig wie auch hier die Sicherstellung von Beweismitteln, gefährdet wird (vgl. , BVerfGE 139, 245 Rn. 69). Wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung und vor allem wegen der sichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts für das Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG ist diese Vorgabe eng auszulegen (vgl. , BVerfGE 103, 142 Rn. 40, 46).
8b) Dass die Kriminalbeamten G. , Hü. , S. und Pe. am bereits vor 21.00 Uhr feststellten, dass einer der beim Mitangeklagten B. sichergestellten Schlüssel zur Hauseingangstür des Gebäudes in der H. straße passte, und dennoch diese Information zurückhielten, um das Einschalten eines Richters vor Ende des Bereitschaftsdienstes im Landgerichtsbezirk I. zu verhindern (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 15/20, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Verwertungsverbot 2 Rn. 4, 8 und vom – 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8 Rn. 8, 11 f.; grundlegend , BGHSt 51, 285), ist trotz Vernehmung der Polizisten in der Hauptverhandlung nicht erwiesen. Im Gegenteil drängt sich nach der Dokumentationslage (zu deren verfassungsrechtlichen Bedeutung , BVerfGE 139, 245 Rn. 75) in Verbindung mit der staatsanwaltschaftlichen Gegenerklärung vom (Seiten 4 f.) auf, dass sich die Kriminalbeamten Hü. , S. und Pe. erst deutlich nach 21.00 Uhr in die H. straße begaben, nachdem sie nach 20.02 Uhr (Ende der Durchsuchung der ersten Bunkerwohnung in der Per. straße in I. ) zunächst zur Dienststelle zurückgekehrt waren. Kriminalhauptkommissar G. als Einsatzleiter rief die Staatsanwältin F. um 21.40 Uhr an, die – in dokumentierter Kenntnis der Nichterreichbarkeit eines Bereitschaftsrichters bis 6.00 Uhr des Folgetages – um 21.43 Uhr die Durchsuchung anordnete. Für eine – gar bewusste oder zumindest die Bedeutung und die Voraussetzungen des Richtervorbehalts grob verkennende – Verzögerung der sich aus der vorangegangenen Durchsuchung des Mitangeklagten B. „dynamisch“ entwickelnden weiteren Verdachts- und Zugriffslage gibt es nach alledem keinen Anhalt.
9c) Ohnehin wäre eine richterliche Anordnung bei ex-post-Betrachtung mit Sicherheit ergangen; davon durfte die verantwortliche Staatsanwältin schon bei ihrer Entscheidung ausgehen (vgl. zur Berücksichtigung eines hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs im Rahmen der Abwägung Rn. 32 mwN). So waren die Ermittlungsbehörden ab dem darauf bedacht, absehbar erforderlich werdende richterliche Durchsuchungsanordnungen zeitnah einzuholen (vgl. hierzu , BGHSt 51, 285 Rn. 18). Entsprechend waren in den Tagen zuvor bereits mehrere Durchsuchungsanordnungen für Wohnungen beantragt und vom Ermittlungsrichter sämtlich erlassen worden. Darunter befand sich, wie ausgeführt, bereits die erste Bunkerwohnung derselben Bande in der Per. straße. Für ein als Umschlagplatz dienendes Café in der H. straße konnte die Staatsanwaltschaft noch am einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirken. Dies alles zeigt die Einbettung der Durchsuchungsmaßnahmen in die richterliche Entscheidungskompetenz. Die Durchsuchungsanordnung um 21.43 Uhr lag nach alledem ganz auf der Linie der bisherigen Ermittlungen.
Jäger Fischer Bär
Leplow Welnhofer-Zeitler
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:010425B1STR436.24.2
Fundstelle(n):
YAAAJ-91769