Betreuerauswahl: Übergehen eines zur Betreuung bereiten Angehörigen zugunsten eines Berufsbetreuers
Leitsatz
1. Schlägt der Betroffene niemanden vor, der zum Betreuer bestellt werden kann, so sind nach § 1816 Abs. 3 BGB bei der Auswahl des Betreuers die familiären Beziehungen des Betroffenen, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen. Ein Angehöriger, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist, darf grundsätzlich nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn er hierfür nicht geeignet ist.
2. Nicht geeignet für eine konkrete Betreuung ist nach § 1816 Abs. 1 BGB derjenige, der nicht willens oder in der Lage ist, in dem gerichtlich angeordneten Aufgabenkreis nach Maßgabe des § 1821 BGB die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und adäquat umzusetzen und in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten (Fortführung , FamRZ 2024, 963).
Gesetze: § 1816 Abs 1 BGB, § 1816 Abs 2 S 1 BGB, § 1816 Abs 3 BGB, § 1816 Abs 5 S 1 BGB, § 1821 BGB
Instanzenzug: LG Hanau Az: 3 T 29/24vorgehend AG Gelnhausen Az: 70 XVII 190/23
Gründe
I.
1Der Beteiligte zu 4 wendet sich dagegen, dass zum Betreuer für die Betroffene nicht er als ihr einziger Sohn, sondern der Beteiligte zu 1, ein Berufsbetreuer, bestellt worden ist.
2Die im Jahr 1934 geborene Betroffene leidet an einer Aphasie und schweren psychischen Störungen aufgrund einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns nach Reanimation, Intubation und Beatmung, derentwegen sie ihre Angelegenheiten rechtlich nicht mehr besorgen kann. Das Amtsgericht hat deshalb eine Betreuung mit einem umfassenden Aufgabenkreis eingerichtet und den Beteiligten zu 1 zum beruflichen Betreuer sowie die Beteiligte zu 2 zur beruflichen Verhinderungsbetreuerin für die Betroffene bestellt. Den zuvor für einige Aufgabenbereiche zum vorläufigen Betreuer bestellten Sohn der Betroffenen hat das Amtsgericht als zur Führung der Betreuung nicht geeignet erachtet.
3Die auf die Betreuerauswahl beschränkte Beschwerde des Sohnes der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt er weiterhin seine Bestellung zum Betreuer.
II.
4Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
51. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Sohn der Betroffenen sei als Betreuer nicht geeignet. Diese Annahme gründe sich auf das in der Vergangenheit zu Tage getretene Verhalten des Sohnes, das dieser selbst als wenig vernünftig beschrieben habe. Zum einen habe er die Pflegeeinrichtung, in der sich seine Mutter aufhalte, zur Unzeit - sogar in den Nachtstunden - aufgesucht und dort den geregelten Ablauf gestört. Zum anderen habe er im Beisein der Verfahrenspflegerin wiederholt die Bettdecke seiner Mutter hochgehoben und an ihrer Windel genestelt. Übergriffig wirke auch die Schilderung des Sohnes, er habe in der Vergangenheit mit seiner Mutter das Bett geteilt. Zwar möge die Notwendigkeit der Hilfeleistung beim nächtlichen Toilettengang der Mutter bestanden haben, jedoch bedinge dies nicht das gemeinsame Übernachten in einem Bett. Eine andere Einschätzung rechtfertige auch nicht der Einwand des Sohnes, sein Verhalten habe sich nach der Verbesserung des Zustands seiner Mutter geändert und er wolle sich in künftigen Ausnahmesituationen vernünftiger verhalten. Denn dabei handele es sich nur um eine Absichtserklärung und es stehe nicht fest, dass sich der Sohn auch tatsächlich entsprechend umsichtig verhalten werde. Ein geeigneter ehrenamtlicher Betreuer stehe mithin nicht zur Verfügung, so dass die Entscheidung des Amtsgerichts, den Beteiligten zu 1 als beruflichen Betreuer und die Beteiligte zu 2 als berufliche Verhinderungsbetreuerin für die Betroffene zu bestellen, nicht zu beanstanden sei.
62. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die Betreuerauswahl auf verfahrensfehlerhaften Feststellungen beruht.
7a) Gemäß § 1816 Abs. 2 Satz 1 BGB ist dem Wunsch des Betroffenen, eine bestimmte Person zum Betreuer zu bestellen, zu entsprechen, es sei denn, diese Person ist zur Führung der Betreuung nicht geeignet. Hat der Betroffene - wie hier - niemanden als Betreuer vorgeschlagen, sind bei der Betreuerauswahl nach § 1816 Abs. 3 BGB die familiären Beziehungen des Betroffenen, insbesondere zum Ehegatten, zu Eltern und zu Kindern, seine persönlichen Bindungen sowie die Gefahr von Interessenkonflikten zu berücksichtigen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 53/15 - FamRZ 2015, 2165 Rn. 24 zur Vorgängernorm des § 1897 Abs. 5 BGB aF). Durch diese Regelung wird dem Schutz der Familie auch bei der Betreuerbestellung Rechnung getragen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 285/22 - FamRZ 2023, 1062 Rn. 20). Erklärt sich ein Familienangehöriger bereit, die Betreuung zu übernehmen und steht dem kein (gemäß § 1816 Abs. 2 BGB vorrangiger) Wunsch des Betroffenen entgegen, muss die Bestellung eines familienfremden Betreuers daher unter Berücksichtigung der in § 1816 Abs. 3 BGB getroffenen Wertentscheidung im Hinblick auf den konkret in Rede stehenden Aufgabenkreis und die Erfordernisse einer persönlichen Betreuung begründet werden (BVerfG FamRZ 2022, 722 Rn. 19 mwN zu den Regelungen in den Vorgängernormen der §§ 1897 Abs. 4 und 5, 1899 Abs. 1 Satz 1 BGB aF).
8Wie sich auch aus dem Zusammenspiel mit dem in § 1816 Abs. 5 Satz 1 BGB normierten Vorrang der ehrenamtlichen Betreuung vor einer beruflich geführten Betreuung (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 329/19 - FamRZ 2020, 628 Rn. 10 und vom - XII ZB 642/17 - FamRZ 2018, 1772 Rn. 6 ff., jeweils zur Vorgängernorm des § 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB) ergibt, darf ein Angehöriger, der zur Übernahme der Betreuung bereit ist, grundsätzlich nur dann zugunsten eines Berufsbetreuers übergangen werden, wenn er hierfür nicht geeignet ist. Nicht geeignet für eine konkrete Betreuung ist nach § 1816 Abs. 1 BGB derjenige, der nicht willens oder in der Lage ist, in dem gerichtlich angeordneten Aufgabenkreis nach Maßgabe des § 1821 BGB die Wünsche und den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu ermitteln und adäquat umzusetzen und in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlichen Kontakt mit dem Betreuten zu halten. Von einer fehlenden persönlichen Eignung ist danach insbesondere auszugehen, wenn das Gericht anhand konkreter Tatsachen erhebliche Interessenkonflikte feststellt oder wenn ein Missbrauch eines zu der betroffenen Person bestehenden Vertrauensverhältnisses durch den potentiellen Betreuer zu befürchten ist. Besteht in einem solchen Fall die konkrete Gefahr, dass die als Betreuer in Betracht kommende Person nicht gewillt oder in der Lage ist, die Betreuung nach Maßgabe des § 1821 BGB zu führen, ist von einer Bestellung zum Betreuer mangels Eignung abzusehen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 213/23 - FamRZ 2024, 963 Rn. 10).
9Bei der Frage, ob eine Person als ungeeignet erscheint, darf der Tatrichter sich nicht auf eine Gewichtung einzelner Tatsachen oder Vorfälle beschränken. Er hat vielmehr eine Gesamtschau all derjenigen Umstände vorzunehmen, die für und gegen eine Eignung sprechen könnten, und eine Prognoseentscheidung dahingehend zu treffen, ob die in Frage stehende Person die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben (§ 1821 BGB) in Zukunft erfüllen kann. Die in tatrichterlicher Verantwortung vorgenommene Beurteilung der Eignung einer Person als Betreuer kann im Rechtsbeschwerdeverfahren zwar nur auf Rechtsfehler überprüft werden. Sie ist indessen rechtlich fehlerhaft, wenn der Tatrichter den unbestimmten Rechtsbegriff der Eignung verkannt, relevante Umstände in unvertretbarer Weise bewertet oder bei der Subsumtion wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 176/24 - FamRZ 2025, 221 Rn. 16 mwN und vom - XII ZB 213/23 - FamRZ 2024, 963 Rn. 11 mwN).
10b) Auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab ist die getroffene Betreuerauswahl zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht den zur Übernahme der Betreuung bereiten Sohn der Betroffenen zutreffend als bei der Auswahl vorrangig zu berücksichtigenden Angehörigen erachtet. Die Annahme der Ungeeignetheit des Sohnes beruht jedoch auf verfahrensfehlerhaften Feststellungen.
11Das Landgericht hat maßgeblich auf das Verhalten des Sohnes in der Vergangenheit abgestellt, als er die Pflegeeinrichtung zur Unzeit aufgesucht und gegenüber seiner Mutter ein übergriffiges Verhalten gezeigt habe. Einer Absichtserklärung des Sohnes, sich in künftigen Ausnahmesituationen anders verhalten zu wollen, hat es keine Bedeutung beigemessen. Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass das Landgericht in seine Prognoseentscheidung eine aktuelle Bescheinigung der Pflegeeinrichtung nicht einbezogen hat. Danach sei der Sohn zwar zu Beginn der Behandlung seiner Mutter emotional sehr betroffen und um ihre Gesundheit besorgt gewesen. Aufgrund der vorgefallenen Ereignisse und gesundheitlichen Rückschläge seiner Mutter im Krankenhaus habe er sich in einer emotionalen Notsituation befunden. Er habe sich aber schnell an die vorliegende Situation angepasst sowie Vertrauen in das Pflegeheim und das Betreuungspersonal gefasst, was zu einer wesentlichen Entspannung der Situation für ihn und seine Mutter geführt habe. Der Sohn sei gerne in der Einrichtung gesehen, da er das Pflegepersonal wesentlich bei der schweren und belastenden Arbeit entlaste und sich fürsorglich und beispielhaft um seine Mutter kümmere.
12Diese Ausführungen legen nahe, dass es - entgegen der Annahme des Landgerichts - tatsächlich bereits zu einer Verhaltensänderung gekommen ist, insoweit also gerade nicht lediglich eine bloße Absichtserklärung des Sohnes der Betroffenen vorliegt. Sofern das Landgericht diesen Schluss nicht allein aus der Bescheinigung der Pflegeeinrichtung hätte ziehen können oder wollen, wären nach § 26 FamFG jedenfalls weitere Ermittlungen geboten gewesen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob auch das aktuelle Verhalten des Sohnes noch Anhaltspunkte für die Annahme bietet, er werde die aus der konkreten Betreuung erwachsenden Aufgaben in Zukunft nicht erfüllen können.
133. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Das Landgericht wird sich erneut mit der Frage der Eignung des Sohnes der Betroffenen zu befassen und insoweit weitere Ermittlungen durchzuführen haben.
14Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Klinkhammer Botur
Krüger Recknagel
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2025:050325BXIIZB260.24.0
Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 8 Nr. 21
BAAAJ-90180