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BAG Urteil v. - 8 AZR 372/20

Teilzeitbeschäftigung - Überstundenzuschläge - Schadensersatz

Leitsatz

§ 4 Abs. 1 TzBfG ist ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB.

Gesetze: § 4 Abs 1 TzBfG, § 823 Abs 2 BGB, § 1 TVG, § 611a Abs 2 BGB, Anh Rahmenvereinbarung § 4 Nr 2 EGRL 81/97, Anh Rahmenvereinbarung § 4 Nr 1 EGRL 81/97, § 15 Abs 2 AGG, § 612 Abs 2 BGB

Instanzenzug: ArbG Fulda Az: 1 Ca 106/18 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 5 Sa 1683/18 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Verpflichtung des beklagten Vereins, auf dem Arbeitszeitkonto der Klägerin eine Zeitgutschrift für Überstundenzuschläge vorzunehmen. Zudem begehrt die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts.

2Der Beklagte ist ein ambulanter Dialyseanbieter. Er beschäftigt insgesamt mehr als 5.000 Arbeitnehmer. Die Klägerin ist bei ihm als Pflegekraft in Teilzeit im Umfang von 80 vH eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers tätig.

3Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel der zwischen dem Beklagten und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossene Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer des KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V. in der Fassung vom (im Folgenden MTV) Anwendung. Dieser lautet auszugsweise:

4Für die Klägerin wird ein Arbeitszeitkonto geführt. Die dazu vom Beklagten für jeden Kalendermonat erstellten Übersichten weisen ua. einen Arbeitszeitsaldo (AZS) aus, der unter Gegenüberstellung der tatsächlich erbrachten Arbeitsstunden (Ist-Zeit) zu der geschuldeten individuellen kalendermonatlichen Arbeitszeit (Soll-Zeit) fortlaufend fortgeschrieben wird. Ende Februar 2018 wies das Konto der Klägerin ein Arbeitszeitguthaben von 29 Stunden aus. Der Beklagte hat der Klägerin für diese Zeiten in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV weder Überstundenzuschläge gezahlt, noch hat er auf ihrem Arbeitszeitkonto eine den Zuschlägen entsprechende Zeitgutschrift verbucht.

5Die Klägerin hat mit ihrer Klage ua. verlangt, auf ihrem Arbeitszeitkonto im Hinblick auf das in der Monatsübersicht für Februar 2018 ausgewiesene Zeitguthaben eine weitere Zeitgutschrift entsprechend dem tarifvertraglichen Überstundenzuschlag vorzunehmen. Außerdem hat sie wegen der Vorenthaltung von Überstundenzuschlägen die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Vierteljahresverdienstes begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, die Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV benachteilige sie wegen ihrer Teilzeit unzulässig gegenüber vergleichbaren in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern. Zugleich werde sie mittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt, denn der Beklagte beschäftige überwiegend Frauen in Teilzeit.

6Die Klägerin hat sinngemäß - soweit für die Revision noch von Bedeutung - beantragt,

7Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

8Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Beklagten verurteilt, im Arbeitszeitkonto der Klägerin in der Spalte AZS der Monatsübersicht Februar 2018 über den dort festgehaltenen Saldo von 29 Stunden hinaus weitere 8 Stunden 42 Minuten gutzuschreiben; im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter. Der Beklagte erstrebt mit seiner Anschlussrevision die vollständige Zurückweisung der Berufung der Klägerin.

9Der Senat hat mit Beschluss vom (- 8 AZR 372/20 (A) -) das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden Gerichtshof) nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über Rechtsfragen zur Auslegung von Art. 157 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 4 Satz 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie von Paragraph 4 Nr. 1 der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG (im Folgenden Rahmenvereinbarung) ersucht. Über das Vorabentscheidungsersuchen hat der Gerichtshof mit Urteil vom (- C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation]) entschieden.

Gründe

10Die Revision der Klägerin hat nur zum Teil Erfolg. Die Anschlussrevision des Beklagten ist insgesamt unbegründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 250,00 Euro.

11I. Revision und Anschlussrevision sind zulässig. Insbesondere betrifft die Anschlussrevision einen Gegenstand, der in einem unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit dem Streitgegenstand der Revision steht (vgl. dazu  - Rn. 43; - 2 AZR 508/19 - Rn. 14 mwN). Die Revision kann nur Erfolg haben, wenn eine Ungleichbehandlung von in Teilzeit beschäftigten gegenüber in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern vorliegt, was zugleich eine Voraussetzung für den mit der Anschlussrevision bekämpften Anspruch auf Zeitgutschrift ist.

12II. Der zulässige Antrag auf Zeitgutschrift von 8 Stunden und 42 Minuten für in Arbeitszeit umgerechnete Überstundenzuschläge ist, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, begründet.

131. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ausreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (zu den Anforderungen vgl.  - Rn. 14 mwN).

14a) Das Klagebegehren kann nur so verstanden werden, dass die Gutschrift in der Spalte „AZS“ des Arbeitszeitkontos erfolgen soll. In der Sache geht es der Klägerin um die Korrektur des aktuellen Saldos durch Gutschrift von 8 Stunden und 42 Minuten in das vom Beklagten für die Klägerin fortlaufend geführte Zeitkonto. Der Antrag ist zukunftsbezogen, sodass die begehrte Gutschrift noch erfolgen kann ( - Rn. 12 mwN, BAGE 170, 172). Davon ist das Landesarbeitsgericht ausdrücklich ausgegangen. Ein abweichendes Verständnis haben die Parteien im Revisionsverfahren nicht vorgebracht. Soweit das Berufungsgericht gleichwohl im Tenor auf die Vornahme der Gutschrift in der Spalte AZS „der Monatsübersicht Februar 2018“ erkannt hat, drückt dies lediglich den konkreten Stand des fortzuschreibenden Kontos zu einem bestimmten Zeitpunkt aus.

15b) Nach dem Vorbringen der Klägerin erfasst der Antrag sämtliche Arbeitszeiten, die sie bis Ende Februar 2018 über ihre individuell geschuldete regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus erbracht hat und für die sie eine dem Überstundenzuschlag entsprechende weitere Zeitgutschrift begehrt. Die Klage ist dementsprechend als abschließende Gesamtklage zu verstehen und genügt auch insoweit den Bestimmtheitserfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl.  - Rn. 12 mwN, BAGE 179, 372).

162. Der Antrag ist auch begründet. Die Klägerin kann vom Beklagten für Überstundenzuschläge eine weitere Zeitgutschrift im Umfang von 8 Stunden und 42 Minuten verlangen.

17a) Ein vertraglicher Anspruch auf die begehrte Zeitgutschrift aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 10 Ziff. 7 Satz 2 und § 13 Ziff. 1 Satz 2 MTV scheidet allerdings, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, aus.

18aa) Der Manteltarifvertrag findet zwar aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Klägerin fällt auch in den persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags. Dieser umfasst nach § 1 MTV grundsätzlich alle Arbeitnehmer des Beklagten. Ein Ausnahmefall iSv. § 2 MTV ist nicht gegeben.

19bb) Die in Bezug genommenen tarifvertraglichen Regelungen sehen den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch aber nicht vor (vgl. dazu  - Rn. 22 bis 25).

20b) Die Klägerin kann die begehrte weitere Zeitgutschrift auch nicht aus § 4 Abs. 1 TzBfG iVm. §§ 134, 612 Abs. 2 BGB verlangen.

21aa) § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV ist zwar unter Berücksichtigung der sich aus dem Urteil des Gerichtshofs vom (- C-184/22 und C-185/22 - [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation]) ergebenden Auslegung des einschlägigen Unionsrechts wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern nach § 4 Abs. 1 TzBfG iVm. Paragraph 4 Nr. 1 und Nr. 2 der Rahmenvereinbarung insoweit gemäß § 134 BGB nichtig, als er für in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer keine anteilige Herabsetzung der Arbeitszeit, ab deren Überschreiten Überstundenzuschläge zu leisten sind, vorsieht. Denn die in § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV normierte einheitliche Schwelle für die Zahlung der Überstundenzuschläge nach § 13 Ziff. 1 Satz 2 MTV, die an das Überschreiten der kalendermonatlichen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers anknüpft, benachteiligt iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wie die Klägerin wegen ihrer Teilzeit gegenüber vergleichbaren in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern. Die sich daraus ergebende Schlechterstellung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ist auch nicht iSv. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG und iSv. Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Das hat der Senat mit Urteil vom (- 8 AZR 370/20 - Rn. 28 bis 52) erkannt und eingehend begründet.

22bb) Ein sich daraus ergebender Anspruch der Klägerin auf die begehrte Zeitgutschrift aus § 612 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu  - Rn. 54 bis 57) ist aber nach § 32 MTV verfallen.

23(1) Nach § 32 Ziff. 1 iVm. Ziff. 4 MTV verfallen Ansprüche aus dem Tarifvertrag, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend gemacht werden, wobei für Ansprüche nach § 13 MTV eine nur dreimonatige Frist zur Geltendmachung gilt.

24(2) Die Ansprüche der Klägerin auf eine den Überstundenzuschlägen entsprechende Zeitgutschrift aus § 612 Abs. 2 BGB unterfallen der Ausschlussfrist des § 32 Ziff. 1 MTV (vgl.  - Rn. 60).

25(3) Die Klägerin hat Überstundenzuschläge in Form von Zeitgutschriften für die Ende Februar 2018 in ihrem Arbeitszeitkonto ausgewiesenen Plusstunden erstmals mit der dem Beklagten am zugestellten und vorab von Anwalt zu Anwalt per Fax übermittelten Klageerweiterung vom iSv. § 32 Ziff. 1 MTV geltend gemacht. Dadurch wurde die tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht eingehalten.

26c) Der Antrag auf die begehrte Zeitgutschrift ist jedoch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 1 TzBfG begründet.

27aa) Nach § 823 Abs. 2 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

28bb) Der Beklagte hat, indem er der Klägerin in Anwendung von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV Überstundenzuschläge bzw. entsprechende Zeitgutschriften vorenthalten und sie damit schlechter vergütet hat als vergleichbare in Vollzeit beschäftigte Arbeitnehmer, gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG verstoßen. § 4 Abs. 1 TzBfG ist ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB.

29(1) Als Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB kommen solche gesetzlichen Gebote oder Verbote in Betracht, durch die das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind. Eine Rechtsnorm kann nur dann ein Schutzgesetz sein, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise vor einer Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Insoweit reicht es aus, dass die Gewährung von Individualschutz wenigstens eines der vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Anliegen ist. Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass ein deliktischer Anspruch sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint (vgl.  - Rn. 19 f. mwN, BAGE 180, 340).

30(2) § 4 Abs. 1 TzBfG ist Nachfolgeregelung zu § 2 Abs. 1 BeschFG, der bereits ein Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Schlechterstellung von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern enthielt. § 2 Abs. 1 BeschFG zählte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Schutzgesetzen iSv. § 823 Abs. 2 BGB (vgl.  - zu B I 1 der Gründe; - 5 AZR 368/99 - zu B II 1 b der Gründe, BAGE 97, 350; - 5 AZR 960/94 - zu II 4 der Gründe, BAGE 83, 168). Die Regelung diente nach Zweck und Inhalt jedenfalls auch dem Individualschutz, war also auf den Schutz von einer näher bestimmten Art der Schädigung eines Rechtsguts oder Individualinteresses gerichtet. Sie sollte in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer davor bewahren, ohne sachlichen Grund gegenüber vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern schlechter vergütet zu werden. Der Gesetzgeber wollte an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des gegen das Benachteiligungsverbot Verstoßenden knüpfen. Die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB war zudem unter Berücksichtigung des haftungsrechtlichen Gesamtsystems sinnvoll und tragbar (ausführlich hierzu  - aaO).

31(3) Diese Erwägungen treffen gleichermaßen auf § 4 Abs. 1 TzBfG zu, weshalb diese Bestimmung ebenfalls ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB darstellt (so auch: BeckOK ArbR/Bayreuther Stand TzBfG § 4 Rn. 46; HK-TzBfG/Joussen 7. Aufl. TzBfG § 4 Rn. 9; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 43 Rn. 39; Meinel/Heyn/Herms TzBfG/Herms 6. Aufl. TzBfG § 4 Rn. 57; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. TzBfG § 4 Rn. 4; aA ErfK/Preis 24. Aufl. TzBfG § 4 Rn. 6 mwN).

32(a) Zwar ist grundsätzlich für jede einzelne Norm selbständig zu prüfen, ob ihr der Charakter eines Schutzgesetzes iSv. § 823 Abs. 2 BGB zukommt. Mit Blick auf § 4 Abs. 1 TzBfG ist jedoch zu beachten, dass die Vorschrift inhaltlich im Wesentlichen der Vorgängerregelung in § 2 Abs. 1 BeschFG entspricht, worauf die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 1 TzBfG auch explizit abstellt (vgl. BT-Drs. 14/4374 S. 15). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber die bereits mit § 2 Abs. 1 BeschFG verfolgten Ziele - einschließlich des mithilfe dieser Bestimmung angestrebten individuellen Vermögensschutzes - im Rahmen von § 4 Abs. 1 TzBfG unverändert verwirklichen will. Das schließt das Ziel ein, durch Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot eingetretene Vermögensnachteile durch die Bereitstellung von Individualansprüchen auszugleichen (zu § 2 Abs. 1 BeschFG vgl.  - zu B II 1 b bb der Gründe, BAGE 97, 350). Der zumindest auch angestrebte Individualschutz entspricht zudem dem Zweck von Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, der darin liegt zu verhindern, dass ein Teilzeitarbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Vollzeitbeschäftigten zuerkannt werden (vgl. dazu und C-185/22 - [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation] Rn. 33 mwN). Es geht somit auch bei Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, dessen Umsetzung § 4 Abs. 1 TzBfG dient, um den Schutz und die Stärkung der individuellen Rechtsposition von in Teilzeit beschäftigten Arbeitnehmern gegenüber dem Arbeitgeber, wobei § 4 Abs. 1 TzBfG - ebenso wie Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung - den Weg zur Sicherung der gebotenen Gleichbehandlung offenlässt.

33(b) Dem bezweckten Schutz und der Stärkung der arbeitsrechtlichen Position dienen ua. deliktische Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB. Für einen Willen des Gesetzgebers, solche Ansprüche neben möglichen Erfüllungsansprüchen auszuschließen, fehlt es an Anhaltspunkten. Mit der Anerkennung von § 4 Abs. 1 TzBfG als Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB wird angesichts des gewollten Vermögensschutzes auch nicht das haftungsrechtliche Gesamtsystem und die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden missachtet (vgl. zu § 2 Abs. 1 BeschFG  - zu B II 1 b bb der Gründe, BAGE 97, 350).

34cc) Der Beklagte handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.

35(1) Eine deliktische Ersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB tritt nur im Fall des Verschuldens ein, selbst wenn nach dem Inhalt des Schutzgesetzes - wie bei einer Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 4 Abs. 1 TzBfG - ein Verstoß auch ohne Verschulden möglich ist (§ 823 Abs. 2 Satz 2 BGB).

36(2) Hinsichtlich des Verschuldens als anspruchsbegründender Voraussetzung gemäß § 823 Abs. 2 BGB trifft zwar gewöhnlich den Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung ( VIa ZR 335/21 - Rn. 59 mwN, BGHZ 237, 245). Dementsprechend muss der Arbeitgeber, wenn er eine wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG nach § 134 BGB nichtige tarifvertragliche Regelung gleichwohl angewendet hat, Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen.

37(3) Solche Umstände hat der Beklagte nicht aufgezeigt. Insbesondere hat er, wovon das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen ist, die Voraussetzungen eines unverschuldeten Rechtsirrtums nicht dargelegt.

38(a) Grundsätzlich erfordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Schuldner das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage selbst trägt und dieses nicht dem Gläubiger zuschieben kann. Daher sind an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums strenge Anforderungen zu stellen ( - Rn. 31, BAGE 179, 35). Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn der Arbeitgeber als Schuldner die Rechtslage unter Einbeziehung höchstrichterlicher Rechtsprechung sorgfältig geprüft, dafür, soweit erforderlich, Rechtsrat eingeholt hat und gleichwohl mit einer anderen Beurteilung der Rechtslage durch die Gerichte nicht rechnen musste ( - Rn. 63, BAGE 167, 196). Das Risiko einer gänzlich ungeklärten Rechtslage fällt dem Arbeitgeber zwar nicht zur Last. Er handelt aber grundsätzlich fahrlässig, wenn er sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt und eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss ( - Rn. 32, aaO;  - Rn. 15 mwN).

39(b) Nach diesen Maßstäben hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, soweit es eine Haftung des Beklagten wegen Fahrlässigkeit bejaht hat, selbst einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung stand (zur grundsätzlich eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle des Rechtsbegriffs des Verschuldens vgl.  - Rn. 33 mwN, BAGE 179, 35). Der Beklagte hat schon nicht dargelegt, dass und ggf. wie er sich im Zusammenhang mit den Arbeitszeiten, die Ende Februar 2018 im Arbeitszeitkonto der Klägerin als positiver Saldo ausgewiesen wurden, mit einem etwaigen Verstoß von § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV gegen das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 TzBfG befasst und die Rechtmäßigkeit seines an der (vermeintlichen) Gültigkeit der Tarifvertragsnorm ausgerichteten Abrechnungsverhaltens mit der gebotenen Sorgfalt geprüft habe. Unabhängig davon hatte der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits im März 2017 ( - Rn. 43 ff., BAGE 158, 360) erkannt, dass eine tarifvertragliche Regelung, die für in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Überstundenzuschläge allein an die Voraussetzung einer Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers knüpft, eine Schlechterstellung iSv. § 4 Abs. 1 TzBfG bewirkt, und dass eine solche unterschiedliche Behandlung nicht allein mit der unterschiedlichen Arbeitszeit von in Teilzeit und in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmern gerechtfertigt werden kann. Vor diesem Hintergrund musste der Beklagte spätestens seit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorbezeichneten Entscheidung zumindest in Betracht ziehen, dass sich seine Auffassung, an in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen des § 10 Ziff. 7 Satz 2 MTV keine Überstundenzuschläge leisten zu müssen, als rechtlich nicht haltbar erweisen könnte.

40dd) Danach ist zugunsten der Klägerin im Hinblick auf den in der Monatsübersicht für Februar 2018 ausgewiesenen positiven Saldo von 29 Stunden ein Anspruch auf eine weitere Zeitgutschrift im Umfang der Überstundenzuschläge nach § 13 Ziff. 1 Satz 2 MTV unter Schadensersatzgesichtspunkten entstanden. Dies entspricht rechnerisch 8 Stunden und 42 Minuten.

41(1) Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, dass im Hinblick auf den vorbezeichneten Saldo Ende Februar 2018 - bis auf ein Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers - sämtliche Voraussetzungen für das Verdienen der Überstundenzuschläge erfüllt waren. Dagegen hat der Beklagte mit der Anschlussrevision keine Einwände erhoben.

42(2) § 10 Ziff. 9 Satz 1 MTV steht der begehrten Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto nicht entgegen (vgl.  - Rn. 57).

43ee) Der Anspruch auf die weitere Zeitgutschrift ist schließlich, soweit er sich aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 1 TzBfG ergibt, nicht nach § 32 MTV verfallen. Ein solcher Anspruch wird, anders als der auf § 612 Abs. 2 BGB gestützte Anspruch, von der im Manteltarifvertrag enthaltenen Ausschlussfrist nicht erfasst. Diese bezieht sich ausdrücklich nur auf „Ansprüche aus dem Tarifvertrag“ und damit nicht auf solche aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 4 Abs. 1 TzBfG (vgl.  - zu B I 2 der Gründe; - 5 AZR 368/99 - zu B III 2 der Gründe, BAGE 97, 350).

44III. Der Klägerin steht eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Der Antrag ist insgesamt zulässig, aber nur iHv. 250,00 Euro begründet. Insoweit wird auf das Urteil des Senats vom in der insoweit rechtlich und tatsächlich gleichgelagerten Sache - 8 AZR 370/20 - Bezug genommen und verwiesen (ausführlich  - Rn. 64 ff.).

45IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:051224.U.8AZR372.20.0

Fundstelle(n):
NAAAJ-87737