Erfolglose Eilanträge einer fraktionslosen Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestags gegen die Behandlung eines Entwurfs zur Änderung des GG nach erfolgter Wahl des 21. Deutschen Bundestags - Folgenabwägung
Gesetze: Art 38 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG
Gründe
A.
1Die Antragstellerin ist fraktionslose Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages. Sie wendet sich mit ihrer Organklage und ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen gegen die Anberaumung und Durchführung konkreter Sondersitzungen des 20. Deutschen Bundestages nach der bereits erfolgten Wahl zum 21. Deutschen Bundestag, in denen über mögliche Grundgesetzänderungen beraten werden soll (vgl. zum Sachverhalt BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom - 2 BvE 3/25 -, Rn. 2 ff. - Alt-Bundestag I).
I.
21. Zur Begründung ihrer Eilanträge führt die Antragstellerin unter Heranziehung der Maßstäbe des Beschlusses des Zweiten Senats des (BVerfGE 166, 304 <327 ff. Rn. 83 ff.>- Gebäudeenergiegesetzänderungsgesetz - eA) aus, ihre Organklage sei weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
3Sie sei wegen zu kurzfristig zur Verfügung gestellter Unterlagen und der Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens in seiner Gesamtheit nicht in der Lage, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Die Drucksachen zur ersten Lesung hätten im Zeitpunkt der Antragstellung am noch nicht vorgelegen. Die Fristen zur Prüfung und Überlegung seien insbesondere deshalb nicht angemessen, weil die aus dem Bundestag ausscheidenden Abgeordneten keine Büros mehr im Bundestag hätten und die Beschäftigungsverhältnisse mit den persönlichen Mitarbeitern abgewickelt würden, weshalb ihr kein persönlicher Mitarbeiter mehr zur Verfügung stehe. Das Ressourcenungleichgewicht fraktionsloser Abgeordneter gegenüber fraktionsgebundenen Abgeordneten, die auf den Mitarbeiterstab der Fraktion zurückgreifen könnten, werde dadurch noch einmal verstärkt und könne auch nicht anderweitig ausgeglichen werden. Angesichts des abweichenden Geschäftsgangs stehe bislang auch kein Ansprechpartner des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages zur Verfügung. Keiner der Initiatoren des streitbefangenen Gesetzgebungsverfahrens nenne einen sachlichen Grund für dessen engen zeitlichen Ablauf. Die äußeren Umstände des Verfahrens sprächen für das Fehlen eines sachlichen Grundes.
4Der 20. Deutsche Bundestag sei nicht ordnungsgemäß zu den Sondersitzungen einberufen worden, weil die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 3 Satz 3 GG ohne Unterzeichnung des Einberufungsantrags durch die einzelnen Abgeordneten nicht vorgelegen hätten und die Bundestagspräsidentin den Bundestag nicht aus eigenem Recht einberufen könne.
52. Zur Begründung ihrer Anträge in der Hauptsache verweist die Antragstellerin auf die vorangestellten Erwägungen.
II.
6Der Antragsgegner und die Bundesregierung haben Stellung genommen. Der Bundespräsident und der Bundesrat hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
B.
7Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung haben keinen Erfolg.
8Ungeachtet der Frage, ob die Anträge in der Hauptsache unzulässig oder offensichtlich unbegründet sind, ist eine einstweilige Anordnung schon deshalb nicht zu erlassen, weil jedenfalls die vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 166, 304 <323 Rn. 69>; stRspr) ergibt, dass die für einen Erlass sprechenden Gründe nicht überwiegen.
9Erginge eine einstweilige Anordnung und bliebe den Anträgen in der Hauptsache der Erfolg versagt, käme es zu einem erheblichen Eingriff in die Autonomie des Parlaments und damit in die originäre Zuständigkeit eines anderen obersten Verfassungsorgans. Hiervon ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich abzusehen. In der vorliegenden Konstellation steht dem 20. Deutschen Bundestag außerdem nur ein enger Zeitrahmen für eine dem Recht der Abgeordneten auf informierte Beratung durch längere Beratungsfristen besser Rechnung tragende Verfahrensgestaltung zur Verfügung. Dieser Zeitrahmen wird durch die Konstituierung des 21. Deutschen Bundestages begrenzt, die spätestens am 30. Tag nach der Wahl erfolgt (Art. 39 Abs. 2 GG). Eine einstweilige Anordnung, die eine Beschlussfassung zum vorgesehenen Zeitpunkt untersagt, hätte damit nicht eine Entschleunigung, sondern voraussichtlich die endgültige Verhinderung der Beschlussfassung zur Folge. Die Abgeordneten des 20. Deutschen Bundestages, die eine Beschlussfassung anstreben, würden ihr aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG folgendes Recht auf Beschlussfassung endgültig und unwiederbringlich verlieren.
10Erginge eine einstweilige Anordnung nicht und hätten die Anträge in der Hauptsache Erfolg, käme es zu einer irreversiblen, substantiellen Verletzung des geltend gemachten Rechts der Antragstellerin auf gleichberechtigte Teilhabe an der parlamentarischen Willensbildung. Der Antragstellerin wäre unwiederbringlich die Möglichkeit genommen, bei den Beratungen und der Beschlussfassung ihre Mitwirkungsrechte im verfassungsrechtlich garantierten Umfang wahrzunehmen. Hinzu kommt, dass auch unter Berücksichtigung der in der Geschäftsordnung des Bundestages vorgesehenen Möglichkeiten, auf die Verfahrensgestaltung Einfluss zu nehmen, das Recht weiterer Abgeordneter auf informierte Beratung verletzt sein könnte.
11Im Ergebnis überwiegen bei der Folgenabwägung die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe nicht. Sowohl bei Erlass als auch bei Nicht-Erlass einer einstweiligen Anordnung würden Abgeordnetenrechte verletzt. In beiden Fällen ist einzustellen, dass diese Rechtsverletzungen irreversibel wären. Ein Eingriff in die Verfahrensautonomie des Bundestages wöge hier im Übrigen besonders schwer, weil die reale Gefahr bestünde, dass die Beschlussfassung über die eingebrachte Gesetzesvorlage wegen des Grundsatzes der Diskontinuität endgültig unmöglich wird.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2025:es20250313.2bve000425
Fundstelle(n):
JAAAJ-87478