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BSG Beschluss v. - B 13 R 65/10 B

(Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Erforderlichkeit der Erfüllung der Voraussetzungen der Sachaufklärungsrüge bei einer ausschließlich auf das Erfordernis weiterer Sachaufklärung gestützten Verfahrensrüge eines Ermessensfehlers des Gerichts bei seiner Entscheidung für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 SGG)

Leitsatz

 

Gesetze: § 103 SGG, § 153 Abs 4 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 4 R 3304/08 Beschlussvorgehend SG Mannheim Az: S 10 R 2480/07

Gründe

 

1 I. Das die Rechtmäßigkeit eines Be­scheids der Beklagten bestätigt, mit dem diese die Bewilligung von Altersrente gegenüber dem Kläger gemäß § 45 SGB X teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat. Das LSG ist davon ausgegangen, der Kläger habe zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass der Rentenbescheid zu seinen Gunsten teilweise rechtswidrig war, weil im Rah­men der Rentenberechnung der zu seinen Lasten durchgeführte Versorgungsausgleich in Gestalt eines Zuschlags zu den für ihn zu berücksichtigenden Entgeltpunkten umgesetzt worden war.

2 Der Kläger macht mit seiner beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Beschluss Verfahrensmängel, eine Rechtsprechungs­abweichung sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

3 Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Beschwerdebegründung vom ge­nügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn er hat keinen der Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

4 1. Wird die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Be­gründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Be­rufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnet sein. Zudem müssen die tat­sächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und dar­über hinaus muss dargestellt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kapitel IX RdNr 202 ff). Dabei ist zu beachten, dass gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungs­pflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5 Diesen Erfordernissen werden die Ausführungen des Klägers nicht gerecht. Er rügt, das LSG habe ohne mündliche Verhandlung entschieden; das sei fehlerhaft, weil das LSG weitere Fest­stellungen zum Sachverhalt (insbesondere zum Vorliegen grober Fahrlässigkeit, zum Zeitpunkt der Kenntnis der Beklagten von ihrem Fehler und zum Umfang von deren Verschulden) hätte vornehmen müssen, die es nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung hätte treffen können. Aufgrund der "unterlassenen Sach­aufklärung bzw. dem Unterlassen der Aufklärung in einer mündlichen Verhandlung" seien der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG iVm § 62 SGG) sowie der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 EMRK) verletzt.

6 Mit seiner Rüge, die Entscheidung des LSG ohne mündliche Verhandlung sei verfahrens­fehler­haft gewesen, hat der Kläger weder die verletzte Verfahrensnorm bezeichnet noch hinreichende Umstände dargelegt, die es als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnten, dass das Be­rufungsgericht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§ 153 Abs 4 SGG). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann im Revisionsverfahren nur überprüft werden, ob das Berufungsgericht von dem ihm in § 153 Abs 4 Satz 1 SGG einge­räumten Er­messen erkennbar fehlerhaften Gebrauch gemacht hat, etwa weil seiner Beurteilung sach­fremde Erwägungen oder eine grobe Fehleinschätzung zugrunde lagen (Senatsbeschluss vom - B 13 R 187/09 B - Juris RdNr 6 mwN; vgl auch  - Juris RdNr 6). Der Kläger beachtet insoweit nicht, dass - wie bei jedem Ver­fahrensfehler - auch der hier geltend gemachte nur auf der Grundlage der materiellen Rechts­auffassung des handelnden Gerichts beurteilt werden kann ( SozR 1500 § 160 Nr 33 S 29 mwN;  - Juris RdNr 18). Damit ist sein Vorbringen von vornherein unbeachtlich, eine mündliche Verhandlung wäre zur näheren Auf­klärung einer subjektiven Verletzung der Sorgfaltspflicht notwendig gewesen, welche das LSG allerdings fälschlicherweise nicht zugrunde gelegt habe. Zudem muss die Verfahrensrüge eines Ermessensfehlers des Gerichts bei seiner Entscheidung für ein Vorgehen nach § 153 Abs 4 SGG, der ausschließlich auf das Erfordernis weiterer Sachaufklärung gestützt wird, zugleich die besonderen Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge nach § 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG erfüllen, weil andernfalls jene Vorschrift umgangen würde. Diesen Anforderungen  genügt  das Vorbringen des Klägers jedoch nicht. Es fehlen nämlich Darlegungen dazu, dass sich die unter­lassene Sachverhaltsaufklärung auf einen von ihm bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweis­antrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teils 3 SGG). Dass er - bei fachkundiger Vertretung durch einen Rechts­an­walt - vor dem LSG entsprechende Beweisanträge gestellt hat, trägt er nicht vor.

7 Damit erledigen sich auch die nicht weiter erläuterten Rügen der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) sowiedes Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art 6 Abs 1 EMRK). Denn wenn - wie aufgezeigt - die Voraussetzungen einer Rüge der Verlet­zung einschlägiger spezieller Verfahrensvorschriften (§ 153 Abs 4, § 103 SGG) nicht erfüllt sind, kann auch keine Verletzung allgemeiner Verfahrensgrundsätze vorliegen.

8 2. Der Kläger hat auch eine Rechtsprechungsabweichung nicht in ausreichender Weise aufge­zeigt.

9 Zur formgerechten Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist es gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 2 SGG erforderlich, in der Beschwerdebegründung entschei­dungs­tragende Rechtssätze im Berufungsurteil und in einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 10 RdNr 4; Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechts­satzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen erlaubt die Zulassung der Revision wegen Divergenz (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67 S 91; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).

10 a) Der Kläger gibt in diesem Zusammenhang zunächst in wörtlichem Zitat eine längere Passage aus dem LSG-Beschluss zur Frage des Vorliegens grober Fahrlässigkeit wieder und führt so­dann aus, das LSG habe zwar auf die Notwendigkeit der Zugrundelegung eines subjektiven Sorgfaltsmaßstabs gemäß dem (B 7a AL 58/05 R - Juris) verwiesen, "jedoch letztlich nur einen objektiven Sorgfaltsmaßstab angelegt". Das ergebe sich ua daraus, dass es auf die Obliegenheiten des Versicherten in "Massenverfahren" hingewiesen habe. Da­mit ist jedoch nicht dargelegt, dass das LSG im Rechtsgrundsätzlichen einen von der Recht­sprechung des BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat, sondern allenfalls, dass es den vom BSG aufgestellten Rechtssatz zur Beurteilung grober Fahrlässigkeit seiner Entscheidung zugrunde gelegt, aber nach Meinung des Klägers in seinem Einzelfall fehlerhaft umgesetzt hat. Das Vorbringen geht mithin über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge (vgl Senatsbeschluss vom - 13 BJ 75/91 - Juris RdNr 4;  - Juris RdNr 16) nicht hinaus.

11 b) Auch soweit der Kläger geltend macht, das LSG habe die Vorgaben im  - SozR 3-1300 § 45 Nr 45) verkannt und deshalb in seinem konkre­ten Fall zu Unrecht eine grobe Fahrlässigkeit angenommen, hat er keinen dem LSG-Beschluss zugrunde liegenden Rechtssatz bezeichnet, der von einem in dem genannten BSG-Urteil aufge­stellten Rechtssatz abweicht. Seine Ausführungen erschöpfen sich vielmehr auch insoweit in der Darlegung, weshalb nach seiner Auffassung das LSG im Ergebnis falsch entschieden habe. Wenn der Kläger in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen des Hessischen LSG, des BAG und des BGH Bezug nimmt, ist dies zur Begründung einer Divergenz im Sinne von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von vornherein ungeeignet, da nach dieser Norm nur eine Abweichung von Entscheidungen des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des BVerfG zu einer Revisionszulassung führen kann.

12 3. Schließlich hat der Kläger auch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt.

13 Wer die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung erstrebt, muss in der Be­schwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnen und schlüs­sig darlegen, dass diese klärungs­bedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klä­rungs­fähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff und Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Recht­sprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entschei­dungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG <Kammer>, SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f; Nr 16 RdNr 4 f).

14 a) Der Kläger bezeichnet als grundsätzlich bedeutsam zunächst die Frage,

 

15 Der Beschwerdebegründung kann jedoch nicht entnommen werden, weshalb diese Rechtsfrage klärungsbedürftig sein könnte. In ihr wird noch nicht einmal ansatzweise erläutert, inwiefern nach dem Wortlaut des § 45 SGB X eine grobe Fahrlässigkeit des Sozialversicherungsträgers über­haupt relevant sein kann. Der Vortrag lässt überdies jegliche Auseinandersetzung mit der zu dieser Problematik bereits vorhandenen BSG-Rechtsprechung vermissen; er behauptet noch nicht einmal, eine solche bestehe nicht.

16 b) Soweit der Kläger darüber hinaus ausführt, eine grundsätzliche Bedeutung ergebe sich "er­gänzend" auch daraus, dass das LSG sich nicht mit einer Ansicht in der Literatur zum Beginn der Jahresfrist gemäß § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X auseinandergesetzt habe, fehlt sowohl die klare Bezeichnung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage als auch die Darlegung, dass zu der angesprochenen Problematik bislang eine hinreichende Klärung durch die Rechtsprechung des BSG noch nicht erfolgt sei. In diesem Zusammenhang benennt der Kläger zwar zwei Entschei­dungen des BSG ( "B 11 AL SIOS EI" - <gemeint wohl: B 11 AL 87/08 B> und  "B 7 AL 8819 R" - <gemeint wohl: B 7 AL 88/99 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 42>; eine BSG-Entscheidung mit dem weiterhin genannten Az "117 AL 26V8 R" lässt sich nicht ermitteln), zeigt aber nicht auf, inwiefern über deren Aussagen hinaus und unter Berück­sichtigung sonstiger einschlägiger Rechtsprechung eine weitere Klärung durch das Revisionsge­richt erforderlich ist. Sein Vorbringen erschöpft sich vielmehr in der Forderung, im Fall eines allein aufgrund fehlerhafter Rechtsanwendung durch die Behörde rechtswidrig begünstigend erlassenen Verwaltungsakts müsse "die Frist für die Rückfor­derung aus Gründen der Rechts­sicherheit auf rückwirkend ein Jahr begrenzt werden". Dies genügt zur Darlegung der Klärungs­bedürftigkeit einer Rechtsfrage nicht. Schließlich fehlt es auch am Vortrag, inwieweit die Jahres­frist im Fall des Klägers überhaupt entscheidungserheblich sein kann. Erwähnt wird - durch Wiedergabe der Entscheidungsgründe des LSG im Rahmen der Divergenzrüge - lediglich das Datum des ursprünglichen Rentenbescheids; weitere Daten, aus denen sich die Klärungsfähig­keit der Rechtsfrage im vorliegenden Verfahren erschließen könnte, hat der Kläger nicht vorge­tragen.

17 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen einer Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

18 Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

19 Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2010:021110BB13R6510B0

Fundstelle(n):
TAAAJ-87333