Leitsatz
1. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 AO trägt die Körperschaft (im Streitfall: Stiftung) die objektive
Beweislast (Feststellungslast). Wird gegen die sich aus § 63 Abs. 1 AO ergebenden Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung
in erheblicher Weise verstoßen, führt dies zum Verlust der Gemeinnützigkeit in dem Zeitraum, in den das Fehlverhalten fällt.
2. Die Überprüfung der tatsächlichen Geschäftsführung des Stiftungsvorstands hat für die Zeitpunkte zu erfolgen, in denen
Entscheidungen zu treffen waren. Es hat eine ex-ante-Beurteilung zu erfolgen. So kann bereits eine entsprechende Vermögensgefährdung
zu einem Verstoß gegen die Vermögensbindung führen. Kann die Körperschaft nicht nachweisen, dass ihre tatsächliche Geschäftsführung
den gesetzlichen Anforderungen entspricht, ist nach § 63 Abs. 2 AO in Verbindung mit § 60 Abs. 2 AO eine Veranlagung zur Körperschaftsteuer
für den betreffenden Veranlagungszeitraum durchzuführen.
3. Die Anwendung des § 61 Abs. 3 AO kommt nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen § 55 Abs. 1 Nr. 1-3 AO durch die tatsächliche
Geschäftsführung, die einer schädlichen Satzungsänderung in Bezug auf die Vermögensbindung in ihrer Bedeutung gleichzusetzen
sind, in Betracht.
4. Wird bereits bei der Gründung einer Stiftung vereinbart, dass die Stiftung unter anderem ein Aktienpaket erhält und insoweit
mit einem – ebenfalls an der AG beteiligten – Dritten eine Stimmbindungsvereinbarung abschließen muss, wonach der Dritte im
Ergebnis allein seinen Willen bei der AG durchsetzen kann, so liegt kein Verstoß gegen § 63 AO vor, wenn der Stiftungsvorstand
durch den Abschluss der Stimmbindungsvereinbarung die Regelung in der Stiftungsurkunde umsetzt.
5. Der Vorstand einer Stiftung verstößt aber gegen den in der Stiftungssatzung verankerten Grundsatz der Erhaltung sowie
der gewissenhaften und sparsamen Anlage des Stiftungsvermögens, wenn er sich später gegenüber dem Dritten (siehe 4.) verpflichtet,
der AG Gelder als Zuzahlung in das Eigenkapital im Sinne von § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zuzuführen, und wenn mit diesen Vereinbarungen
kein wirtschaftlicher Vorteil für die Stiftung verbunden ist, sondern lediglich zu Lasten des Vermögens der Stiftung Verbindlichkeiten
begründet werden.
6. Zuzahlungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB begründen keine mitgliedschaftlichen Rechte, insbesondere keinen Anspruch auf entsprechende
Anteile am Gewinn, sie bewirken ausschließlich die Stärkung des Eigenkapitals der Gesellschaft, in deren Vermögen die Zuzahlung
vorgenommen wird. Die Einlage in das Gesellschaftsvermögen steht als Bestandteil des Eigenkapitals der Gesellschaft allein
der Gesellschaft und nicht den Gesellschaftern zu. Eine Nutzung durch den Gesellschafter ist nicht möglich.
7. Gemeinnützige Körperschaften haben einen Entscheidungsspielraum bei der Wahl ihrer Vermögensanlagen. Sie können aus wirtschaftlich
sinnvollen Anlagealternativen auswählen. Das Auswahlermessen ist in Anlehnung an die Business Judgment Rule des § 93 Abs.
1 Satz 2 AktG auszuüben. Die Entscheidung muss auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage getroffen werden. Es ist eine unter
Berücksichtigung der Tragweite und Eilbedürftigkeit der Entscheidung angemessene Informationsgrundlage zu schaffen. Es darf
kein Interessenkonflikt vorliegen. Erst wenn in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen
tatsächlicher und rechtlicher Art ausgeschöpft und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen
sorgfältig abgeschätzt und den erkennbaren Risiken Rechnung getragen wird, besteht ein Ermessen.
8. Die wirtschaftliche Beurteilung der Anlagen einer gemeinnützigen Körperschaft hängt von der voraussichtlichen Rendite und
den Risiken der Anlageform ab. Bei abnehmendem Zinsniveau können wegen höherer Ertragschancen auch Anlageformen gewählt werden,
denen ein größeres Ausfallrisiko anhaftet. Allerdings ist die Umschichtung von Stiftungsvermögen in Anlagen, die nicht ausreichend
besichert sind, nicht zulässig. Der Entscheidungsprozess muss geregelt stattfinden, indem Informationen gesammelt, aufbereitet
und gegeneinander abgewogen werden, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Er ist nachvollziehbar zu dokumentieren, um eine
Überprüfung der Entscheidungen zu ermöglichen.
9. Bei Kapitalstiftungen muss der Vorstand sichere Anlageformen wählen, um das Vermögen auf Dauer zu erhalten und zugleich
ausreichende Renditen erwirtschaften. Für den Stiftungsvorstand ergeben sich nach Stiftungsrecht und Steuerrecht die gleichen
Pflichten bei der Verwaltung des Stiftungsvermögens. Auch das Steuerrecht verlangt, dass das Stiftungsvermögen unter Beachtung
des Stifterwillens so verwaltet wird, dass der Stiftungszweck nachhaltig dauernd erfüllt werden kann.
10. Sofern eine Vermögensanlage gegen § 63 Abs. 1 AO verstößt, ist nicht entscheidend, ob und wann es zu einem tatsächlichen
Wertverlust kommt, sondern maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem diese Vermögensanlage getätigt worden ist. War die Vermögensanlage
jedoch gemeinnützigkeitskonform, kann ein späterer Darlehensausfall nicht zur Aberkennung der Gemeinnützigkeit führen. Für
die Feststellung der Nichterfüllung der Anforderungen an die tatsächliche Geschäftsführung der Körperschaft ist es nicht erforderlich,
dass ein Verschulden der Verantwortlichen vorliegt.
11. Zustiftungen sind Zuwendungen weiteren, „fremden” Vermögens des Stifters oder eines Dritten zum Vermögen einer bereits
gegründeten und mit ihrem Anfangsvermögen ausgestatteten Stiftung. Zustiftungen werden als Schenkungen (§§ 516 ff. BGB) eingeordnet,
die mit der Auflage (§ 525 BGB) oder Zweckbestimmung versehen sind, das zugewendete Vermögen in seinem Bestand zu erhalten
und es selbst oder seine Erträge dem Zweck der Stiftung entsprechend zu verwenden. Die Zustiftung unterliegt der Formvorschrift
des § 518 BGB. Danach bedarf eine Zustiftung stets eines Annahmeaktes seitens der Stiftung und hat damit notwendig Vertragscharakter.
Etwaige mit einer Zustiftung verbundene Auflagen müssen sich im Rahmen der Stiftungsverfassung halten.
12. Organe einer Stiftung sind nicht ohne Weiteres befugt, Zustiftungen entgegenzunehmen, da die Annahme einer Zustiftung
als Grundlagengeschäft zu einer Neubestimmung desjenigen Vermögens, das dem Bestandserhaltungsgebot nach Landes- oder kraft
Satzungsrechts unterliegt, führt.