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BGH Beschluss v. - 4 StR 197/24

Instanzenzug: LG Aachen Az: 61 KLs 19/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis von neun Monaten angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

2Das Landgericht hat ‒ soweit für die Revision von Bedeutung ‒ folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Am suchte der Angeklagte seine frühere Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, in deren Wohnung auf, um sie zurückzugewinnen. Als ihm bewusst wurde, dass die Nebenklägerin die Beziehung nicht fortsetzen werde, warf er sie rücklings auf den Boden, küsste sie auf den Mund und biss ihr in die Unterlippe. Anschließend würgte er sie mit beiden Händen am Hals und äußerte, dass er sie nun jedes Mal, wenn er vorbei komme, „ficken“ werde. Spätestens in diesem Moment entschloss er sich, den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin auch gegen ihren Willen mit Gewalt durchzuführen. Er riss ihr die Bluse auf, zerrte sie an den Haaren über den Flur zunächst in Richtung Schlafzimmer und sodann ins Badezimmer, wobei er fortwährend mit der flachen Hand in Richtung ihres Gesichtes und ihres Kopfes schlug. Im Badezimmer setzte er sich auf sie, schlug ihr erneut mit der flachen Hand in das Gesicht und gegen den Kopf und würgte sie mit beiden Händen. Sodann zog er sie hoch und zerrte sie ins Schlafzimmer auf das Bett. Dort legte er sich auf die Nebenklägerin, schob ihre Beine mit seinen Beinen auseinander und drang jedenfalls mit der Hälfte seines Gliedes gegen ihren erkennbaren Willen vaginal in sie ein. Das Geschehen wurde durch Klingeln an der Haustür unterbrochen. Der Angeklagte ging nach dem Öffnen der Haustür zurück zur Nebenklägerin ins Schlafzimmer, stützte sich mit seinen Knien auf Höhe des Kopfes der Nebenklägerin auf dem Bett ab, griff mit seinen Fingern in ihren Mund. Sodann führte der Angeklagte sein Glied in ihren Mund ein. Nach mindestens zwei Stoßbewegungen wurde das Geschehen erneut durch Klingeln unterbrochen; der Angeklagte ließ nun endgültig von der Nebenklägerin ab.

42. Das Landgericht hat den die Tat bestreitenden Angeklagten auf Grundlage dieser Feststellungen, die es zum eigentlichen Tatgeschehen allein auf die Bekundungen der Nebenklägerin gestützt hat, wegen Vergewaltigung (§ 177 Abs. 6 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt. Dass der Angeklagte mit seinem Glied auch vaginal in sie eingedrungen sei, hat die Nebenklägerin dabei erstmals in der Hauptverhandlung bekundet. In der polizeilichen Vernehmung hatte sie hierzu angegeben, dass der Angeklagte lediglich versucht habe, mit seinem Glied vaginal in sie einzudringen.

5Die Anklage hat dem Angeklagten zudem (Fall 2) eine versuchte Erpressung zum Nachteil der Nebenklägerin am zur Last gelegt. Diesbezüglich ist das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

II.

61. Die Revision des Angeklagten ist hinsichtlich der Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung unter II. Fall 1 der Urteilsgründe begründet. Die Beweiswürdigung hält auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabes (st. Rspr.; vgl. Rn. 19; Beschluss vom – 4 StR 299/21 Rn. 7) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

7a) In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt hat. Erforderlich sind vor allem eine sorgfältige Inhaltsanalyse, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung des feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (vgl. Rn. 8 mwN). Eine gravierende Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen kann ein Indiz für mangelnde Glaubhaftigkeit darstellen, wenn es hierfür keine plausible Erklärung gibt (vgl. Rn. 3). Stellt das Gericht in Fällen von Aussage gegen Aussage einen Teil der angeklagten Tatvorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, bedarf es der Mitteilung der Gründe hierfür, weil diese im Rahmen der gebotenen umfassenden Glaubhaftigkeitsprüfung von Bedeutung sein können (vgl. Rn. 17 f.; Beschluss vom – 6 StR 281/22 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 346/17; Beschluss vom – 1 StR 53/16 Rn. 3).

8b) Diesen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung der Kammer nicht.

9Zwar hat sich die Strafkammer ausreichend und nachvollziehbar damit auseinandergesetzt, dass die Nebenklägerin erstmals in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass es auch zum vaginalen Geschlechtsverkehr gekommen sei, während sie in ihrer polizeilichen Vernehmung davon abweichend noch angegeben hatte, dass der Angeklagte lediglich versucht habe, mit seinem Glied vaginal in sie einzudringen. Die Kammer hat gesehen, dass es sich insoweit um eine Abweichung in den Angaben zum Kerngeschehen handelt (vgl. ‒ 4 StR 96/22 Rn. 7; Beschluss vom – 4 StR 305/12 Rn. 16), diese Inkonstanz aber mit revisionsrechtlich tragfähigen Erwägungen aufgelöst. So habe die Nebenklägerin insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass sie mit „Versuch“ nicht gemeint habe, dass der Angeklagte nicht in sie eingedrungen sei, sondern lediglich zum Ausdruck habe bringen wollen, dass der Geschlechtsverkehr komplikationsbehaftet gewesen sei. Ferner sei die Abweichung auch mit der Persönlichkeit der Nebenklägerin zu erklären, der die „explizite Versprachlichung“ von einzelnen sexuellen Handlungen und die Benennung der Geschlechtsmerkmale sichtlich unangenehm gewesen sei.

10Die Darstellung der Beweiswürdigung ist aber durchgreifend lückenhaft, weil sich die Urteilsgründe nicht dazu verhalten, warum das Verfahren zu Fall 2 der Anklage nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Dem Angeklagten war insoweit von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt worden, am von der Nebenklägerin in deren Wohnung die Herausgabe von Bargeld und Schmuck gefordert und ihr für den Fall der Nichtzahlung mit der Veröffentlichung von Nacktaufnahmen und der Eintreibung von Schulden gedroht zu haben. Den Urteilsgründen lässt sich weiter entnehmen, dass der Angeklagte auch diesen Vorwurf in Abrede gestellt hat. Angesichts des inneren Zusammenhangs zwischen diesem Tatvorwurf und der ausgeurteilten Tat sowie der vergleichbaren Beweislage hätte dargelegt werden müssen, ob und wie sich die Nebenklägerin auch zu diesem Tatvorwurf verhalten hat und ob der Grund für die Einstellung gegebenenfalls darin liegt, dass die Kammer ihren Bekundungen insoweit nicht zu folgen vermochte.

11Da die Urteilsgründe keine verlässliche Grundlage dafür bieten, dass für die Teileinstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO ausschließlich Gesichtspunkte maßgeblich waren, die keinen Bezug zu der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin haben, kann der Senat einen Beruhenszusammenhang zwischen dem aufgezeigten Darlegungsmangel und der Verurteilung unter II. Fall 1 der Urteilsgründe nicht sicher ausschließen. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

122. Im verbleibenden Umfang hat die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

Quentin                         Bartel                         Scheuß

               Marks                         Tschakert

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:280824B4STR197.24.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-86339