Instanzenzug: LG Dresden Az: 3 KLs 411 Js 68789/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die erweiterte Einziehung von 4.675 Euro angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
2Der Beschwerdeführer beanstandet zu Recht, dass das Urteil auf einer Verletzung von § 257 Abs. 2 Satz 1 StPO und mithin auf einer gesetzeswidrigen Verständigung beruht.
31. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4Nach Belehrung des Angeklagten gemäß § 257 Abs. 5 StPO stellte die Strafkammer in der Hauptverhandlung für den Fall eines Geständnisses des Angeklagten betreffend die abgeurteilte Tat und bei Verzicht auf die Herausgabe des sichergestellten Bargeldes und weiterer, in der Verständigung bezeichneter Gegenstände die Verhängung einer Strafe von mindestens drei und höchstens vier Jahren in Aussicht. Der Beschwerdeführer, sein Verteidiger und die Staatsanwaltschaft stimmten dem Vorschlag zu. Anschließend wurde die Verständigung protokolliert. Der Angeklagte ließ sich geständig ein. Hinsichtlich des sichergestellten Geldes ordnete das Gericht die erweiterte Einziehung von Taterträgen nach § 73a Abs. 1 StGB an.
52. Das Vorgehen der Strafkammer begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie mit den Verfahrensbeteiligten durch die Aufnahme des Verzichts in die Verständigung einen vom Gesetz nicht vorgesehenen Inhalt vereinbart und damit eine gesetzeswidrige Verständigung getroffen hat.
6a) Gegenstand einer Verständigung im Sinne des § 257c Abs. 1 StPO dürfen nach § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO nur solche Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten.
7aa) Verzichtserklärungen wie die hier in Rede stehenden sind materiell-rechtliche Erklärungen des Angeklagten, weil damit eine Änderung der Rechte an dem sichergestellten Gegenstand verbunden sein können. Sie werden daher – indes missverständlich – auch als „formlose Einziehungen“ bezeichnet, welche eine an sich gesetzlich zwingende förmliche Anordnung der Nebenfolgen nach §§ 73 ff. StGB oder eine im Ermessen des Tatgerichts stehende Entscheidung nach §§ 74 ff. StPO in der Urteilsformel ersetzen können (vgl. , BGHSt 63, 116 Rn. 5 ff.). Ihre rechtlichen Folgen sind auf die Sachrüge hin zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 198/18, BGHSt 63, 305 Rn. 9 ff.; vom – 1 StR 142/23 Rn. 7). Es handelt sich daher nicht um verfahrensbezogene Maßnahmen (des Gerichts) oder ein Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 StGB (vgl. hierzu LR-Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 39 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 257c Rn. 13 ff.). Die Verzichtserklärung des Angeklagten wäre mithin nur dann ein zulässiger Verständigungsgegenstand im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO, wenn sie eine Rechtsfolge darstellte, die Inhalt des Urteils oder eines dazugehörigen Beschlusses sein kann. Dies ist nicht der Fall.
8bb) Der Verzicht auf sichergestelltes Geld oder andere Gegenstände ist keine Rechtsfolge, die Inhalt eines Urteils sein kann. Einen zum Urteil gehörenden Beschluss mit einem solchen Inhalt sieht das Gesetz ebenfalls nicht vor.
9(1) Inhalt eines Urteils im Sinne des § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO meint die Urteilsformel. Denn was in ihr Ausdruck findet, ist entschieden (KK-StPO/Tiemann, 9. Aufl., § 260 Rn. 8); nur sie allein erwächst in Rechtskraft und bildet die Grundlage für die Vollstreckung (vgl. LR-Stuckenberg, aaO, § 260 Rn. 27, 31). Sämtliche Rechtsfolgen einer abgeurteilten Straftat müssen daher in der Urteilsformel aufgenommen werden (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 28). Rechtsfolgen im Sinne von § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO sind mithin nur solche, die das Gesetz vorsieht und die durch das Urteil verhängt werden können (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 257c Rn. 8; KK-StPO/Moldenhauer/Wenske, 9. Aufl., § 257c Rn. 8, 15; siehe für die Kompensation für eine rechtsstaatsrechtswidrige Verfahrensverzögerung , BGHSt 61, 43, 46).
10Dies wird durch systematische Erwägungen gestützt. Die Vorschrift des § 257 Abs. 2 Satz 3 StPO verbietet eine Verständigung über den Schuldspruch und Maßregeln der Besserung und Sicherung; die Regelung des § 257 Abs. 3 Satz 2 StPO sieht ausdrücklich die Möglichkeit der Verständigung über eine Strafober- und -untergrenze vor und betrifft mithin den Strafausspruch. Beide Vorschriften, die § 257 Abs. 2 Satz 1 StPO konkretisieren, beziehen sich mithin auf Gegenstände, die in die Urteilsformel aufzunehmen sind.
11Schließlich bieten die Gesetzesmaterialien einen dieses Ergebnis bestätigenden Anhalt. Danach können in materiell-rechtlicher Hinsicht Inhalt einer Verständigung die Maßnahmen sein, die das erkennende Gericht verfügen, also Maßnahmen, die es im Erkenntnis treffen kann (vgl. BT-Drucks. 16/11736, S. 11). Die Abgabe einer Verzichtserklärung durch den Angeklagten und die Reaktion der Staatsanwaltschaft nebst den hieraus folgenden materiellen Rechtsfolgen (vgl. hierzu , aaO Rn. 15 ff.) unterliegen jedoch nicht der Verfügung des Gerichts. Vielmehr steht es dem Angeklagten frei, eine Verzichtserklärung abzugeben, so wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Reaktion hierauf frei ist. Die Rechtsfolgen ergeben sich ohne weiteres aus den einschlägigen rechtlichen Regelungen. Sie können daher nicht mit konstitutiver Wirkung durch das Gericht im Urteil bestimmt werden.
12(2) Daran ändert nichts, dass die „formlose Einziehung“ rechtlich nicht ausgeschlossen ist (vgl. , aaO) und das Gericht ungeachtet eines wirksamen Verzichts die förmliche Einziehung anordnen kann (vgl. , BGHSt 63, 314; Beschlüsse vom – 3 StR 67/19 Rn. 12 f.; vom – 4 StR 539/19 Rn. 3; vom – 5 ARs 21/19). Denn was ein gesetzlich zulässiger Teil einer Verständigung sein kann, richtet sich gemäß § 257c Abs. 1 Satz 1 StPO allein „nach Maßgabe“ des § 257c Abs. 2 StPO. Darin ist mithin abschließend festgelegt, über welche Rechtsfolgen sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten verständigen darf. Alle in der Vorschrift nicht erwähnten Verhaltensweisen der Verfahrensbeteiligten sind daher als Verständigungsgegenstände ausgeschlossen (LR-Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 257c Rn. 36); solche Vereinbarungen – wie hier die über den Verzicht auf sichergestellte Gegenstände – sind untersagt (vgl. , BVerfGE 133, 168 Rn. 76).
13Dies gilt hinsichtlich des als Tatertrag sichergestellten Bargeldes umso mehr, als die Einziehung von Taterträgen nach §§ 73 ff. StGB aufgrund ihres zwingenden Charakters nicht zu den einer Verständigung zugänglichen Rechtsfolgen gehört (BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 600/17 Rn. 8, NStZ 2018, 366; vom – 1 StR 288/22 Rn. 6, NStZ 2023, 696), was mit der Zulassung einer „formlosen Einziehung“ als Gegenstand einer Verständigung umgangen würde (aA möglicherweise SSW-StPO/Ignor/Wegener, 5. Aufl., § 257c Rn. 63; KMR-StPO/von Heintschel-Heinegg, 56. EL § 257c Rn. 28).
14b) Das Urteil beruht auf dem Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Zwar hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass die mit dem vereinbarten Verzicht beabsichtigten Rechtsfolgen auch durch entsprechende gerichtliche Anordnungen nach § 74 StGB, § 33 BtMG und § 73a Abs. 1 StGB (ggf. iVm § 73b Abs. 1 Nr. 2 StGB) erreichbar gewesen wären; zudem hat das Landgericht letztlich die erweiterte Einziehung des sichergestellten Bargeldes nach § 73a Abs. 1 StGB angeordnet und sich mithin insoweit nicht mit dem Verzicht begnügt. Dies ändert aber nichts daran, dass die Strafkammer zuvor eine Vereinbarung mit den Verfahrensbeteiligten mit einem gemessen an § 257c Abs. 2 Satz 1 StPO unzulässigen Inhalt geschlossen hatte, die in ihrer Gesamtheit daher keine nach § 257 Abs. 1 StPO zulässige Verständigung, sondern eine teilweise gesetzeswidrige Absprache darstellte. In einem solchen Fall kann regelmäßig nicht ausgeschlossen werden, dass die Verständigung ohne den fehlerhaften Bestandteil nicht zustande gekommen wäre und der Angeklagte das verständigungsbasierte Geständnis nicht abgegeben hätte (LR-Stuckenberg, aaO Rn. 86; MüKo-StPO/Jahn, 2. Aufl., § 257c Rn. 204).
153. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird sich gegebenenfalls näher als bisher geschehen damit befassen müssen, ob das sichergestellte Bargeld aus Betäubungsmittelgeschäften stammt, an denen er beteiligt war, oder er das Geld als insoweit Tatunbeteiligter erlangte. Letzterenfalls wird es die Voraussetzungen des § 73b Abs. 1 Nr. 2 StGB in den Blick zu nehmen haben.
Cirener Gericke Köhler
Resch Werner
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:091024B5STR433.24.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-84016