Instanzenzug: Az: 11 U 120/21vorgehend Az: 7 O 254/20
Tatbestand
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im September 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes GLA 220d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2 Die Klägerin hat, insbesondere gestützt auf die Verwendung eines sogenannten Thermofensters und einer Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie Zahlung einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 1) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 3) verlangt. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die daraus resultierten, dass die Beklagte in dem Fahrzeug näher bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem eingesetzt habe (Berufungsantrag zu 2). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz mit der Maßgabe weiter, dass sie den Berufungsantrag zu 2 nur in Bezug auf das Thermofenster und die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung weiterverfolgt.
Gründe
3Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Zutreffend habe das Landgericht einen Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB verneint. Es fehle bereits an einem sittenwidrigen Handeln. Der Einsatz eines Thermofensters in dem Fahrzeug der Klägerin reiche nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Es lasse sich nicht feststellen, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.
6Soweit die Klägerin eine sittenwidrige Schädigung in der behaupteten Manipulation der Kühlmittel-Solltemperatur erblicke, greife dies ebenfalls nicht durch. Es fehle jedenfalls an einer Programmierung, die unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abziele. Die Beklagte habe vorgetragen, dass die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung im Fahrzeug der Klägerin für die Einhaltung der NOx-Grenzwerte im NEFZ nicht ausschlaggebend sei. Diesem Vortrag sei die Klägerin nicht entgegengetreten.
7Ferner bestehe kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, denn das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht in deren Aufgabenbereich.
II.
8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
91. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Insbesondere hat das Berufungsgericht in Bezug auf die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung zu Recht keinen Anhaltspunkt für eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes zum Zweck des Erhalts der EG-Typgenehmigung gesehen, weil die gesetzlichen Grenzwerte nach seinen nicht angegriffenen Feststellungen auch ohne die Regelung eingehalten werden (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 9).
102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verneint hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
12Der angefochtene Beschluss ist danach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie insoweit nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13die erforderlichen
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:101224UVIAZR44.22.0
Fundstelle(n):
OAAAJ-82777