Leitsatz
Ein Urteil, dessen Tenor in sich selbst unauflösbar widersprüchlich ist, ist insgesamt aufzuheben und zwar auch insoweit, als es zugunsten der Partei ergangen ist, die Revision eingelegt hat (Bestätigung von , WM 2001, 741; Urteil vom - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240).
Gesetze: § 562 ZPO
Instanzenzug: OLG Celle Az: 4 U 80/21vorgehend Az: 14 O 76/14
Tatbestand
1Die Klägerinnen nehmen den Beklagten zu 1 aus Architektenvertrag wegen Planungs- und Überwachungsfehlern und die Beklagte zu 2, einen Dachdeckerbetrieb, wegen Ausführungsfehlern aus abgetretenem Recht in Anspruch.
2Die Klägerin zu 1 bildete auf ihrem Hausgrundstück in H. , A. straße , Wohneigentum, dessen Anteile sie unter Übernahme der Pflicht zu Baumaßnahmen an die jetzigen Wohnungseigentümer verkaufte. Die Klägerin zu 2 verpflichtete sich zu diesen Baumaßnahmen gegenüber der Klägerin zu 1 als Generalunternehmerin und parallel gegenüber einzelnen Wohnungseigentümern. Die ARGE , bestehend aus den beiden Klägerinnen, beauftragte den Beklagten zu 1 mit Architektenleistungen. Die Klägerin zu 2 beauftragte die D. GmbH & Co. KG (im Folgenden: D. KG) mit Dachdeckerarbeiten, welche hiermit im Jahre 2009 die Beklagte zu 2 beauftragte.
3Auf dem Flachdach des Bauvorhabens wurde ein Wintergarten errichtet, die Beklagte zu 2 schloss diesen an die Dachfläche an. Im Jahr 2011 zeigten sich Wasserschäden. Die Klägerinnen behaupten, im März 2011 sei Wasser in das zweite Obergeschoss in dem Bereich eingedrungen, der unter einer von der Beklagten zu 2 abgedichteten Dachterrasse lag.
4Am trat die D. KG die ihr aus dem Bauvertrag über Dachdeckerarbeiten gegen die Beklagte zu 2 zustehenden Gewährleistungsansprüche bezüglich der Abdichtungsarbeiten an die Klägerin zu 1 ab.
5Die WEG leitete ein selbständiges Beweisverfahren gegen die hiesigen Klägerinnen ein. Ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens beruhte der Wasserschaden auf Planungsfehlern des Beklagten zu 1 und Ausführungsfehlern der Beklagten zu 2. Die Instandsetzungskosten sollten mindestens 175.575 € netto zuzüglich der Kosten der Architektenleistung betragen.
6Nachdem die Beklagten den Aufforderungen zur Mangelbeseitigung beziehungsweise Vorschusszahlung nicht nachkamen, haben die Klägerinnen Klage auf Kostenvorschuss mit dem Antrag erhoben, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubigerinnen 175.575 € nebst Zinsen zu zahlen. Mit Schriftsatz vom haben die Klägerinnen unter Hinweis darauf, dass die mängelbedingten Schäden zwischenzeitlich beseitigt, aber noch nicht vollständig abgerechnet worden seien, einen Klageerweiterungsantrag angekündigt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubigerinnen 971.368,85 € nebst Zinsen zu zahlen, sowie festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihnen sämtliche weiteren Schäden, die im Zusammenhang mit den Mängeln bezogen auf die Klageerweiterung entstehen, zu ersetzen.
7Mit Endurteil nach Lage der Akten vom hat das Landgericht die Beklagten bei Klageabweisung im Übrigen verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 1 einen Betrag von 141.750 € zuzüglich Zinsen, den Beklagten zu 1 darüber hinaus, diesen Betrag an die Klägerin zu 2 als Gesamtgläubigerin mit der Klägerin zu 1 zu zahlen. Das Urteil ist auf die Berufung der Beklagten als nach § 301 ZPO unzulässiges Teilurteil aufgehoben und die Sache gemäß § 538 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 ZPO an das Landgericht zurückverwiesen worden.
8Nach der Zurückverweisung haben die Klägerinnen ihre Anträge mehrfach, den Zahlungsantrag der Höhe nach auf zuletzt 971.368,85 € und um die Forderung erweitert, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die WEG einen Betrag von 98.771 € nebst Zinsen zu zahlen.
9Durch Urteil vom hat das Landgericht unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1 141.750 € nebst Zinsen, den Beklagten zu 1 darüber hinaus, diesen Betrag an die Klägerin zu 2 als Gesamtgläubigerin mit der Klägerin zu 1 zu zahlen. Es hat ferner ausgesprochen, dass die Beklagtenseite den Betrag von 141.750 € nebst Zinsen nur einmal zu zahlen habe.
10Das Landgericht hat festgestellt, der Wintergarten sei nicht fachgerecht angeschlossen und abgedichtet worden, was auf einen Planungsfehler zurückzuführen sei. Zudem seien die Flachdachanschlüsse mangelhaft hergestellt und eine Dachentwässerung nicht gegeben, hierdurch sei Wasser eingedrungen. Der Klägerin zu 1 seien Schäden in Höhe von 141.750 € entstanden, für die die Beklagten gesamtschuldnerisch aufzukommen hätten. Im Übrigen werde ihre Klage abgewiesen, die darüber hinaus geltend gemachten Schäden seien unsubstantiiert und Ansprüche hierauf gegenüber der Beklagten zu 2 zudem verjährt. Die Klägerin zu 2 habe keine Ansprüche gegen die Beklagte zu 2.
11Gegen dieses Urteil haben sich alle Parteien mit der Berufung gewandt. Die Klägerinnen haben die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner erstrebt, an die Klägerin zu 1 weitere 829.618,85 € nebst Zinsen zu zahlen, darüber hinaus die Verurteilung der Beklagten zu 2 zur Zahlung von weiteren 829.618,85 € nebst Zinsen an die Klägerin zu 2 als Gesamtgläubigerin mit der Klägerin zu 1, wobei der Betrag von 829.618,85 € nebst Zinsen von den Beklagten nur einmal zu zahlen sei (Berufungsantrag zu 1). Darüber hinaus haben die Klägerinnen die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz sämtlicher weiterer Schäden verlangt (Berufungsantrag zu 2) sowie die Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner, an die WEG einen Betrag von 98.771,18 € nebst Zinsen zu zahlen (Berufungsantrag zu 3). Hilfsweise haben sie die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht begehrt.
12Die Beklagten haben mit ihren Berufungen jeweils erstrebt, dass die gegen sie gerichteten Klagen abgewiesen werden; der Beklagte zu 1 hat ebenfalls einen Zurückverweisungsantrag gestellt.
13Das Berufungsgericht hat am folgendes Urteil verkündet:
"Die Berufung der Klägerin gegen das am verkündete Urteil der 14. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Hannover wird hinsichtlich des Berufungsantrages zu 2. als unzulässig verworfen.
Hinsichtlich des Berufungsantrages zu 3. wird die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen.
Die Berufungen des Beklagten zu 1) - hinsichtlich des Hauptantrages - und der Beklagten zu 2) werden zurückgewiesen.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil einschließlich des Verfahrens auf die Berufungen der Klägerinnen und des Beklagten zu 1) aufgehoben und die Sache für das Betragsverfahren an das Landgericht zur weiteren Beweisaufnahme, Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten der Berufung bleibt dem Landgericht vorbehalten."
14Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 hat der Senat die Revision zugelassen, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden hat. Die Beklagte zu 2 erstrebt mit der Revision insoweit die Aufhebung des Berufungsurteils, die Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung und die Abweisung der gegen sie gerichteten Klagen.
Gründe
15Die Revision der Beklagten zu 2 ist begründet.
I.
16Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung Folgendes ausgeführt:
17Die Berufungen der Klägerinnen und beider Beklagten hätten insoweit Erfolg, als sie unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht führen würden. Dies gelte jedoch nur, soweit die Berufungen der Klägerinnen nicht bereits unzulässig oder unbegründet und die der Beklagten zu 1 und 2 nicht unbegründet seien.
18Die Berufungen der Beklagten zu 1 und 2 seien unbegründet, soweit sie sich gegen ihre Verurteilung dem Grunde nach wendeten. Einer Haftung der Beklagten zu 2 stehe kein überwiegendes oder vollständig anspruchsminderndes Mitverschulden infolge den Klägerinnen zuzurechnender Planungsfehler entgegen. Die fehlerhafte Planung der Anschlüsse an den Wintergarten und der Regenentwässerung seien für Handwerker erkennbar gewesen. Die Beklagte zu 2 habe keinen Bedenkenhinweis erteilt, sie könne sich deshalb nicht auf ein ihre Haftung ausschließendes Mitverschulden berufen. Zu Unrecht habe das Landgericht die Ansprüche der Klägerin zu 1 gegen die Beklagte zu 2 für verjährt gehalten.
19Im Übrigen verweise der Senat die Sache unter Aufhebung gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurück. Die Berufung der Klägerinnen sei begründet, weil das Landgericht gehörsverletzend die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche als nicht hinreichend substantiiert angesehen habe. Zudem hätten die Klägerinnen nicht mehr Schadensersatz in Höhe fiktiver Mangelbeseitigungskosten begehrt, sondern die tatsächlichen Kosten der Schadensbeseitigung geltend gemacht. Hierdurch sei auch das Recht der Beklagten auf hinreichende Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen in verfahrensfehlerhafter Weise verletzt worden, denn die Beklagten seien zur Zahlung eines Betrags verurteilt worden, von dem nicht sicher sei, dass er für die tatsächlich erfolgte Beseitigung der streitbefangenen Mängel überhaupt angefallen sei. Die Verfahrensfehler würden eine Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO rechtfertigen.
II.
20Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es leidet an Verfahrensmängeln, die im Umfang der Anfechtung zu seiner Aufhebung führen.
211. Dem Urteil lässt sich die verfahrensrechtliche Bedeutung der Entscheidung, ihre Tragweite und Bindungswirkung nicht entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Berufungen der Beklagten zurückgewiesen, zugleich aber das Urteil einschließlich des Verfahrens aufgehoben und für das Betragsverfahren an das Landgericht zurückverwiesen. Diese Urteilsformel ist in sich widersprüchlich. Die Zurückweisung der Berufung der Beklagten besagt, dass die durch das Landgericht ausgesprochene gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von 141.750 € nebst Zinsen an die Klägerin zu 1 Bestand haben soll. Dies widerspricht der einschränkungslos ausgesprochenen Aufhebung des Urteils des Landgerichts.
22Lässt sich der Urteilsformel nicht mit genügender Bestimmtheit entnehmen, was das Gericht entschieden hat, sind zur Ermittlung des Entscheidungsinhalts Tatbestand und Entscheidungsgründe heranzuziehen (vgl. , BGHZ 159, 66, juris Rn. 15; Urteil vom - VI ZR 264/99, MDR 2000, 843, juris Rn. 11). Der Widerspruch lässt sich auch unter Heranziehung der Entscheidungsgründe nicht durch Auslegung beseitigen.
23Denkbar ist, dass die Aufhebung nur teilweise, bezogen auf die klageerweiternd geltend gemachten und vom Landgericht als unschlüssig behandelten Mangelbeseitigungskosten ausgesprochen werden sollte und nur der Zusatz "im übrigen" fehlt. Einer beschränkten Aufhebung steht aber entgegen, dass der vom Berufungsgericht angeführte Aufhebungsgrund den gesamten Anspruch betrifft. Das Berufungsgericht hat zudem keine Ausführungen dazu gemacht, ob die erstinstanzlich ausgesprochene Verurteilung in Höhe von 141.750 € nebst Zinsen als erstrangiger Teilbetrag des Schadensersatzanspruchs Bestand haben kann und soll.
24Der Widerspruch lässt sich nicht dadurch auflösen, anzunehmen, dass die Zurückweisung der Berufungen der Beklagten lediglich "im Übrigen" erfolgen sollte, weil das Berufungsgericht zugleich ein Zwischenurteil über den Grund nach § 304 ZPO erlassen wollte. Für die Absicht, ein Grundurteil zu erlassen, streiten die im Tenor benutzte Formulierung "Betragsverfahren", der zu § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO getroffene Obersatz und die auf Aspekte der Haftung der Beklagten dem Grunde nach beschränkten Ausführungen. Dagegen spricht aber, dass das Berufungsgericht sein Urteil weder so überschrieben noch im Tenor eine Grundentscheidung entsprechend § 304 ZPO formuliert hat. Zudem hätte, selbst wenn das Berufungsgericht ein Grundurteil hat erlassen wollen, es die Berufung nicht zurückweisen, sondern lediglich zum Ausdruck bringen dürfen, dass die auf Zahlung gerichtete Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist. Weil als Zwischenurteil die Vorabentscheidung über den Grund lediglich einen Teil des Streitstoffs erledigt, wird der geltend gemachte Anspruch weder ganz noch zum Teil aberkannt oder zuerkannt. Aus diesem Grund darf in der Berufungsinstanz ein Grundurteil auch nicht in der Weise ergehen, dass das Berufungsgericht die Berufung teilweise zurückweist, soweit sie sich gegen den Grund des Anspruchs richtet (, MDR 1979, 384, juris Rn. 3).
25Die Widersprüchlichkeit kann auch nicht in der Weise beseitigt werden, insoweit das Urteil unter Richtigstellung des Tenors als Grundurteil zu verstehen und zu behandeln. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils sind dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.
26Ein Grundurteil darf nur ergehen, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und des Weiteren nach dem Sach- und Streitstand der Anspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht (vgl. Rn. 11, BauR 2007, 429 = NZBau 2007, 167; Urteil vom - IV ZR 61/77, MDR 1979, 384, juris Rn. 7). An diesen Voraussetzungen fehlt es, weil das Berufungsgericht sich explizit nur mit dem jeweiligen Berufungsvorbringen der Beklagten beschäftigt hat, aber nicht erkennen lässt, dass es sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs geprüft und für gegeben erachtet hat. Es hat auch nicht festgestellt, ob ein Anspruch mit hoher Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe besteht und zudem den bei einem Grundurteil zu berücksichtigenden Besonderheiten des Mitverschuldenseinwands (vgl. , BGHZ 141, 129, juris Rn. 26; Urteil vom - VII ZR 80/73, BGHZ 63, 119, juris Rn. 21) nicht Rechnung getragen.
27Ein Urteil, dessen Tenor in sich widersprüchlich ist, ist im Umfang seiner Anfechtung (§ 557 Abs. 1 ZPO) insgesamt aufzuheben, und zwar auch insoweit, als es zugunsten des Revisionsführers ergangen ist (vgl. , NJW-RR 2001, 1351, juris Rn. 9; Urteil vom - IV ZR 80/51, BGHZ 5, 240, 245 f.).
282. Das Berufungsurteil ist mit einem weiteren Verfahrensmangel behaftet. Hinsichtlich des Prozessrechtsverhältnisses der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 unterliegt das Urteil auch deshalb der Aufhebung, weil die Entscheidung insoweit überhaupt nicht mit Gründen versehen ist und auf dieser Verfahrensrechtsverletzung die Entscheidung beruht, § 547 Nr. 6 ZPO.
29Das Landgericht hat Ansprüche der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 verneint, weil zwischen beiden Parteien keine vertragliche Beziehung bestanden und sich die vorgelegte Abtretungserklärung nur auf eine vermeintliche Abtretung von werkvertraglichen Ansprüchen an die Klägerin zu 1 bezogen habe. Ohne hierauf im Berufungsurteil an irgendeiner Stelle einzugehen, hat das Berufungsgericht auf die Berufung der Klägerinnen das Urteil des Landgerichts auch insoweit aufgehoben. Es erläutert nicht im Ansatz, warum es von der Aktivlegitimation der Klägerin zu 2 ausgeht.
III.
30Das Berufungsurteil kann im angegriffenen Umfang darum keinen Bestand haben und ist einschließlich des Verfahrens aufzuheben, § 562 ZPO. Es ist eine abschließende Prozessentscheidung (1.) und eine abschließende Sachentscheidung (2.) zu treffen, die zur Klageabweisung der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klagen führt.
31Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil der Rechtsstreit bezogen auf die Klagen der Klägerinnen zu 1 und 2 gegen die Beklagte zu 2 zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO, und weitere tatsächliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind.
321. Die Berufung der Klägerinnen ist, soweit sie sich gegen die Klageabweisung der geltend gemachten Ansprüche der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 richtet, unzulässig und darum zu verwerfen, § 522 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
33Bezogen auf Ansprüche der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 ist die Berufung der Klägerinnen schon deshalb unzulässig, weil eine hierauf bezogene Berufungsbegründung fehlt.
34a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO muss die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung enthalten. Die Rechtsmittelbegründung muss geeignet sein, die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang der Anfechtung in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand hat sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils zu erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist, anderenfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (vgl. Rn. 24, NJW 2022, 3010).
35b) Das Landgericht hat die Klage der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die Klägerinnen haben die Aufhebung dieser klageabweisenden Entscheidung beantragt, sind jedoch in der Berufungsbegründung hierauf mit keinem Wort eingegangen. Weder ist ausgeführt noch ergibt sich konkludent aus der Berufungsbegründung, warum die Klägerinnen anders als das Landgericht der Auffassung sind, dass die Klägerin zu 2 eigene Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 haben soll.
36Die Verwerfung der insoweit unzulässigen Berufung hat zur Folge, dass es bei der erstinstanzlich ausgesprochenen Abweisung der Klage der Klägerin zu 2 gegen die Beklagte zu 2 verbleibt.
372. Die Klage der Klägerin zu 1, mit der sie aus abgetretenem Recht Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte zu 2 verfolgt, ist unbegründet. Deshalb ist auf die Berufung der Beklagten zu 2 das landgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage der Klägerin zu 1 gegen die Beklagte zu 2 abzuweisen.
38Der Klägerin zu 1 fehlt entgegen der Auffassung des Landgerichts, die das Berufungsgericht offenbar teilt, ohne dies zu begründen, die Sachbefugnis. Die Klägerin zu 1 ist nicht aktivlegitimiert, denn sie ist durch die Abtretungsvereinbarung vom nicht Gläubigerin der Gewährleistungsansprüche geworden, die der D. KG aus dem mit der Beklagten zu 2 geschlossenen Werkvertrag über Dachdeckerarbeiten zustanden.
39a) Der Rechtswirksamkeit der in der Vereinbarung genannten Abtretung (§ 398 BGB) steht entgegen, dass die Abtretung zur Mitberechtigung erfolgte.
40aa) In der Vereinbarung vom heißt es ausdrücklich, dass die D. KG der Klägerin zu 1 die ihr gegen die Beklagte zu 2 zustehenden Gewährleistungsansprüche "zur Mitberechtigung" abtritt.
41bb) Der gesamte Text der Vereinbarung ist rechtlich zu würdigen, obwohl dieser im Berufungsurteil nicht vollständig wörtlich wiedergegeben und das Berufungsgericht auch nicht an anderer Stelle auf die Formulierung "zur Mitberechtigung" eingegangen ist. Gemäß § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO unterliegt der Beurteilung des Revisionsgerichts dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Hierzu zählt der vollständige Text der Abtretungsvereinbarung, denn das Berufungsgericht hat ausdrücklich diese Urkunde, im Prozess in Kopie vorgelegt als Anlage K 4, in Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 ZPO).
42cc) Der Zusatz "zur Mitberechtigung" steht dem durch Abtretungsvertrag herbeizuführenden Gläubigerwechsel entgegen. § 398 Satz 2 BGB bestimmt, dass mit dem Abschluss des Abtretungsvertrags der neue Gläubiger an die Stelle des bisherigen Gläubigers tritt. Die Rechtsfolge in Gestalt des Wechsels der Rechtszuständigkeit tritt ein, wenn die Forderung aus dem Vermögen des bisherigen Gläubigers (Zedent) ausscheidet und in das Vermögen des neuen Gläubigers (Zessionar) übergeht (vgl. Martens in Erman, BGB, 17. Aufl, § 398 Rn. 28). Das setzt voraus, dass der Zedent seine Rechtsstellung vollständig auf den Zessionar überträgt (vgl. , BGHZ 64, 67, juris Rn. 32; MünchKommBGB/Kieninger, 9. Aufl., § 398 Rn. 19).
43An dieser für die Abtretung als abstraktes Verfügungsgeschäft notwendigen Übertragung des Vollrechts fehlt es, weil die D. KG sich ihrer Rechtsposition nicht vollständig entäußert hat. Die Abtretungsvereinbarung ist nach §§ 133, 157 BGB auszulegen, maßgebend für das Verständnis der ausgetauschten Erklärungen ist der verobjektivierte Empfängerhorizont (Staudinger/Busche, 2022, BGB, § 398 Rn. 3). Der Zusatz "zur Mitberechtigung" bedeutet, dass die Zedentin sich Rechte an der zedierten Forderung vorbehält. Die gemäß § 398 Satz 1 BGB beabsichtigte Wirkung einer Abtretung, nämlich der Gläubigerwechsel, konnte so nicht eintreten, denn eine Abtretung unter Beibehaltung der Rechtsinhaberschaft ist nicht möglich.
44dd) Entgegen der Revisionserwiderung ist der Senat nicht an die im Berufungsurteil als unstreitig festgehaltene tatbestandliche Feststellung gebunden, dass die Gewährleistungsansprüche an die Klägerin zu 1 abgetreten wurden. Die Aktivlegitimation ist nicht mit der Beweiskraft des Tatbestands gemäß §§ 525, 314 ZPO festgestellt.
45(1) Zwar können tatbestandliche Feststellungen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden, wenn nicht zuvor ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung nach § 320 ZPO gestellt worden ist (vgl. Rn. 17, WM 2019, 1203; Urteil vom - XI ZR 122/14 Rn. 24 m.w.N., NJW-RR 2016, 1187). Die Beweiskraft umfasst aber grundsätzlich nur die wiedergegebenen Tatsachen, nicht aber deren Bewertung oder rechtliche Beurteilung (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 314 Rn. 3). Mit der Revision kann darum geltend gemacht werden, dass der Tatrichter bei seiner Würdigung von rechtlich unzutreffenden Maßstäben ausgegangen ist oder seine tatsächlichen Feststellungen die Bejahung oder Verneinung eines Rechtsbegriffs nicht tragen (vgl. , GRUR 2004, 941, juris Rn. 17).
46Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die D. KG und die Klägerin zu 1 am die als Anlage K 4 vorgelegte Vereinbarung mit dem zitierten Inhalt geschlossen haben. Die Verwendung des Rechtsbegriffs Abtretung besagt nichts darüber, ob die Vereinbarung geeignet war, materiell-rechtlich den in § 398 BGB als Abtretung bezeichneten Gläubigerwechsel herbeizuführen. Es unterliegt vielmehr der richterlichen Prüfung, die festgestellten Tatsachen über den Inhalt der Vereinbarung rechtlich zu würdigen und zu prüfen, ob sich aus den Vertragsbestimmungen die begehrte Rechtsfolge ergibt. Dies ist, wie aufgezeigt, nicht der Fall.
47(2) Die Bindungswirkung nach § 314 ZPO kann sich unter Umständen auf Rechtstatsachen erstrecken. Hierunter werden rechtliche Gegebenheiten verstanden, die die Parteien durch allgemein geläufige Begriffe umschreiben, wie z.B. Eigentum, Leihe, und denen typischerweise gemein ist, dass sie neben den sie begründenden Tatsachen eine rechtliche Beurteilung enthalten (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 138 Rn. 2).
48Es kann dahinstehen, ob dem Begriff Abtretung eine solche Bedeutung beigemessen werden kann und die Parteien den Begriff übereinstimmend verstanden haben, denn die rechtliche Beurteilung kann selbst bei scheinbar einfachen Begriffen von Rechtsirrtümern beeinflusst sein und ist darum dem Gericht vorzubehalten (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 288 Rn. 1a). Wenn die Parteien übereinstimmend einen bestimmten Rechtsbegriff gebrauchen, aber zusätzliche Umstände bekannt werden, nach denen die rechtliche Würdigung unzutreffend ist, sind nur letztere für das Gericht beachtlich (vgl. Rn. 19, DNotZ 2017, 549; Urteil vom - II ZR 187/06 Rn. 15, MDR 2008, 579; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 138 Rn. 11a). So liegt der Fall hier, denn die Verwendung der Formulierung "zur Mitberechtigung" hat verhindert, dass die Abtretung wirksam und die Klägerin zu 1 dadurch Gläubigerin der Gewährleistungsansprüche geworden ist.
49b) Die Klägerin zu 1 hat durch den Abschluss der Vereinbarung vom keine Rechtsposition erlangt, die sie berechtigen würde, Gewährleistungsansprüche gegen die Beklagte zu 2 geltend zu machen. Insbesondere hat sie dadurch keine Berechtigung erlangt, die Gewährleistungsansprüche als Gesamtgläubigerin (§ 428 Satz 1 BGB) oder als Mitgläubigerin (§ 432 Abs. 1 BGB) mit der D. KG geltend zu machen.
50Es kann dahinstehen, ob die Vereinbarung der Abtretung der Forderung zur Mitberechtigung überhaupt so ausgelegt werden kann, dass damit der Klägerin zu 1 eine Rechtsposition übertragen werden sollte, die sie neben der D. KG berechtigt hätte, die ganze Leistung zu fordern, denn eine Gesamtgläubigerschaft ist schon mangels Zustimmung des Schuldners nicht wirksam begründet worden.
51Eine Gläubigermehrheit an einer bestehenden Forderung kann durch Vertrag gemäß §§ 305, 428 BGB vereinbart werden, an dem der Schuldner mitzuwirken hat. Eine zweiseitige Vereinbarung auf Gläubigerseite, mit der der ursprüngliche Gläubiger mit einem Dritten vereinbart, dass dieser neben ihm befugt sein soll, die Leistung aus eigenem Recht zu fordern, reicht hierzu nicht aus. Die Vereinbarung einer Gesamtgläubigerschaft an einer bestehenden Forderung ist ein Vertrag zu Lasten des Schuldners, weil sich seine Rechtsposition dadurch potenziell verschlechtert, auch wenn er die Erfüllung der Forderung weiterhin nur einmal schuldet. Der Schuldner sieht sich dadurch zwei oder mehreren Gläubigern gegenüber, die ihn unabhängig voneinander mit Klagen und Vollstreckungsmaßnahmen überziehen können (vgl. , BGHZ 64, 67, juris Rn. 36 ff.; BeckOGK/Lieder, BGB, Stand: , § 398 Rn. 40).
52Zur Rechtswirksamkeit der Umwandlung einer Einzelforderung in eine Gesamtforderung bedarf es deshalb der Zustimmung des Schuldners (vgl. , WM 1996, 1632, juris Rn. 6; Urteil vom - VIII ZR 97/73, BGHZ 64, 67, juris Rn. 36; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 398 Rn. 4, § 428 Rn. 3; Böttcher in Erman, BGB, 17. Aufl., § 428 Rn. 16). An der Zustimmung der Schuldnerin fehlt es, die Vereinbarung vom ist ohne Mitwirkung der Beklagten zu 2 geschlossen worden.
53c) Andere Anspruchsgrundlagen, nach denen die Klägerin zu 1 von der Beklagten zu 2 Schadensersatz verlangen könnte, sind nicht ersichtlich, weshalb die Klage abzuweisen ist.
IV.
54Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
Pamp Graßnack Borris
Brenneisen Hannamann
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:221024UIIZR97.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2025 S. 9 Nr. 3
IAAAJ-82296