Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 14 U 193/20vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 5 O 1378/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Juli 2015 von einem Autohaus - teilweise kreditfinanziert - einen VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.
2Der Kläger hat zuletzt beantragt, ihn gegenüber dem Autohaus von den Pflichten aus dem Kaufvertrag und gegenüber der finanzierenden Bank von den Pflichten aus dem Darlehensvertrag abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung freizustellen. Ferner hat er die Erstattung der Kaufpreisanzahlung und geleisteten Darlehensraten begehrt. Beides beantragt er jeweils Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung des Anwartschaftsrechts an dem Fahrzeug. Er hat ferner die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Verzugszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
Gründe
3Die betreffend eine deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 5 bis 11 mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg.
I.
4Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
5Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB als allein in Betracht kommender Anspruchsgrundlage zu. Das unstreitig vorhandene Thermofenster begründe mangels Sittenwidrigkeit keine Haftung. Für eine Umschaltlogik habe der Kläger keine Anhaltspunkte dargetan. Durch den Einsatz einer Fahrkurvenerkennung sei dem Kläger kein Schaden entstanden. Es stehe ex post fest, dass keine Betriebsuntersagung oder -beschränkung gedroht habe. Das zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bekannte Verhalten des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) als allein zuständiger Bundesbehörde nach Vertragsschluss sei bei der Beurteilung, ob der Vertragsschluss unvernünftig gewesen sei, zu berücksichtigen. Dass das Verhalten des KBA zum Zeitpunkt des Kaufvertrags anders als nach Bekanntwerden gewesen wäre, sei nicht anzunehmen oder von dem Kläger behauptet.
II.
6Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
71. Ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB kann nicht mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines fehlenden Schadens verneint werden. Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es für die Beurteilung, ob ein Schaden vorliegt, vorliegend darauf ankommt, dass die Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand (vgl. VIa ZR 1425/22, WM 2024, 1140 Rn. 28; Urteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 48 i.V.m. 21, 52 ff.). Ein Vermögensschaden setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (, NJW 1998, 302, 304; Urteil vom , aaO Rn. 46; Urteil vom - VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 21). Gerechtfertigt ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung die Annahme, dass ein Käufer, der - wie hier der Kläger - ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 30; Urteil vom - VIa ZR 325/21, WM 2023, 138 Rn. 19; Urteil vom , aaO Rn. 51). Für den Eintritt eines Schadens kommt es nicht darauf an, ob sich die Stilllegungsgefahr verwirklicht hat ( aaO Rn. 54; Urteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 21). Anders als das Berufungsgericht annimmt, kann aus dem Verhalten des KBA, insbesondere aus dem Umstand, dass dieses nicht einschritt, nicht auf eine fehlende Gefahr der Betriebsbeschränkung oder -untersagung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschlossen werden.
82. Die Revision hat auch deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
III.
9Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
C. Fischer Möhring Krüger
Wille Liepin
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:111224UVIAZR458.21.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-82239