Instanzenzug: SG Schleswig Az: S 30 AL 70/18 Urteilvorgehend Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Az: B 11 AL 4/23 B Urteilnachgehend Az: B 11 AL 4/23 B
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin für die Zeit vom 30.5. bis gewährten Alg und insbesondere darüber, welches Bemessungsentgelt zugrunde zu legen ist.
2Die 1971 geborene Klägerin bezog nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung als Krankenschwester mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden vom 1.10. bis Alg, dessen Berechnung ein tägliches Bemessungsentgelt von 50,08 Euro zugrunde lag. Anschließend erhielt sie vom bis Krankengeld und war sodann vom bis zum als Gesundheits- und Krankenpflegerin erneut versicherungspflichtig - mit einer wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden - beschäftigt. Vom 24.6. bis und vom 14.2. bis bezog sie wiederum Krankengeld.
3Die Klägerin meldete sich am abermals arbeitslos und beantragte Alg. Einschränkungen der Verfügbarkeit - aus gesundheitlichen oder anderen Gründen - verneinte sie. Die Beklagte bewilligte der Klägerin Alg ab für 338 Tage in Höhe eines Leistungssatzes von 24,79 Euro täglich (Bescheid vom ). Zwar errechnete die Beklagte - ausgehend von dem im Bemessungszeitraum vom bis erzielten und abgerechneten Entgelt für 301 Tage iHv 13 240,69 Euro - ein tägliches Bemessungsentgelt von 43,99 Euro. Sie legte der Neubewilligung indes, gestützt auf § 151 Abs 4 SGB III, statt dieses Betrags das tägliche Bemessungsentgelt aus dem Alg-Vorbezug von 50,08 Euro zugrunde und im Übrigen die Lohnsteuerklasse IV sowie - wegen zu berücksichtigender Kinder - den erhöhte Leistungssatz.
4Am sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und berief sich auf ein ärztliches "Attest zur Vorlage bei der Agentur für Arbeit", wonach eine auf sitzende Tätigkeiten im Umfang von täglich drei Stunden begrenzte Arbeitsfähigkeit bestehe. Die Klägerin erklärte, sich für 15 Stunden wöchentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen.
5Die Beklagte gewährte daraufhin für die Zeit ab dem Alg nur noch iHv 9,94 Euro täglich (Änderungsbescheid vom ). Das Bemessungsentgelt vermindere sich entsprechend dem Verhältnis der der Klägerin aktuell möglichen Wochenarbeitszeit (15 Stunden) zu der früher geleisteten von 40 Stunden (50,08 Euro : 40 Stunden x 5 Stunden). Somit betrage das Bemessungsentgelt 18,78 Euro täglich, das Leistungsentgelt 14,84 Euro und der Leistungssatz 9,94 Euro. Mit einem weiteren Bescheid hob die Beklagte die Alg-Bewilligung für den teilweise iHv 14,85 Euro (Differenz zwischen 24,79 Euro und 9,94 Euro) auf und machte einen entsprechenden Erstattungsanspruch geltend (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom ). Mit "Änderungsbescheid" vom gleichen Tag bewilligte sie ab dem erneut Alg - entsprechend dem Bescheid vom - und rechnete den Erstattungsbetrag von 14,85 Euro gegen den Leistungsanspruch auf. Die Klägerin legte gegen all diese Bescheide Widerspruch ein, der erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid vom ).
6Die Beklagte hat während des dagegen angestrengten Klageverfahrens die Alg-Bewilligung nach erneuter Arbeitsunfähigkeit der Klägerin und Ablauf der sechswöchigen Leistungsfortzahlung (§ 146 Abs 1 Satz 1 SGB III) zunächst ab (Bescheid vom ), später korrigiert auf die Zeit ab (Änderungsbescheid vom ), ganz aufgehoben.
7Das SG hat die Bescheide vom und aufgehoben, "soweit die Beklagte darin ein Bemessungsentgelt von weniger als 37,56 € zugrunde gelegt hat", und die weitergehende Klage abgewiesen (Urteil vom ). Die sog Nahtlosigkeitsregelung greife nicht ein, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Klägerin wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mehr als 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen unter den üblichen Bedingungen des für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausüben könne. Wegen der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden in den letzten Beschäftigungsverhältnissen vor der Arbeitslosigkeit sei ein Bemessungsentgelt nicht iHv 18,78 Euro täglich, sondern von 37,56 Euro (50,08 Euro : 20 Stunden x 15 Stunden) zugrunde zu legen. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin in den Jahren 2015/16 sei unmaßgeblich.
8Die gegen dieses Urteil nur von der Beklagten mit dem Ziel einer vollständigen Klageabweisung eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben (). Ergänzend hat das LSG zur Begründung ausgeführt, da die Bestandsschutzregelung des § 151 Abs 4 SGB Ill nur die Höhe des Entgelts, nach dem das Alg zuletzt bemessen wurde, und nicht den diesem zugrundeliegenden Zeitfaktor übernehme, sei auf die Arbeitszeit im Regelbemessungszeitraum abzustellen. Der Zeitfaktor spiele für das bestandsgeschützte Entgelt keine Rolle. Nur so könne dem Willen des Gesetzgebers, einerseits den Besitzstand zu wahren, andererseits das Alg bei Teilzeitverfügbarkeit zu mindern, auch in den Fällen Rechnung getragen werden, in denen das im Bemessungszeitraum geringere Bemessungsentgelt auf eine Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen sei.
9Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 151 Abs 4 und Abs 5 Satz 1 SGB III. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG seien sowohl das Bemessungsentgelt nach der Bestandsschutzregelung des § 151 Abs 4 SGB III als auch der dem Vorbezug zugrundeliegende Zeitfaktor für die Berechnung des Alg nach § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III zu berücksichtigen. Deshalb sei für die Berechnung nach § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III auf die Arbeitszeit im "Vorbezugsbemessungszeitraum" (hier Vollzeit - 40 Wochenstunden) und nicht auf die Arbeitszeit im "Regelbemessungszeitraum" (Teilzeit - 20 Wochenstunden) abzustellen.
10Die Beklagte beantragt,das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
11Die Klägerin beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
12Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, die Rechtsauffassung der Beklagten führe dazu, dass sie durch die Anwendung der Bestandschutzregelung des § 151 Abs 4 SGB III schlechter gestellt werde als ohne den Bestandsschutz.
Gründe
13Die Revision der Beklagten ist teilweise - im tenorierten Umfang - begründet und im Übrigen unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 1 SGG). Der Klägerin stand im streitbefangenen Zeitraum zwar ein höherer Anspruch auf Alg zu, als die Beklagte ihren Bescheiden zugrunde gelegt hat, allerdings in geringerer Höhe, als von SG und LSG angenommen, sodass die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die vorinstanzlichen Urteile entsprechend zu ändern sind.
141. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Änderungsbescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , mit dem die Beklagte das der Klägerin gewährte Alg für die Zeit ab dem unter Berücksichtigung eines täglichen Bemessungsentgelts von nur noch 18,78 Euro (zuvor 50,08 Euro) auf 9,94 Euro (zuvor 24,79 Euro) täglich gemindert hat. Streitbefangen ist außerdem der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom , mit dem die Beklagte die teilweise Aufhebung der Alg-Bewilligung für den und die Erstattung von 14,85 Euro verfügt hat. Über diesen Bescheid ist mit Widerspruchsbescheid vom ebenfalls entschieden worden.
15Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der weitere (Änderungs-) Bescheid vom . Mit diesem Bescheid hat die Beklagte zwar den Erstattungsbetrag iHv 14,85 Euro gegen den Leistungsanspruch der Klägerin aufgerechnet, darüber hinaus aber nur die Regelungen des Änderungsbescheids vom wiederholt (vgl zur sog "wiederholenden Verfügung" Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl 2020, § 31 RdNr 57 ff, mwN). Die Aufrechnung ist jedenfalls im Klageverfahren nicht angegriffen worden und damit nicht (mehr) Streitgegenstand.
16In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand begrenzt auf die Zeit vom 30.5. bis . Ab dem hat die Beklagte die Bewilligung von Alg ganz aufgehoben (Bescheide vom und ), wogegen sich die Klägerin ebenfalls nicht wendet. Insoweit hat sich der streitbefangene, bezogen auf den Regelungszeitraum teilbare, Bescheid vom erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X).
172. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend mit einer (reinen) Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Die - auch nur teilweise - Aufhebung der angefochtenen Bescheide lässt Ansprüche der Klägerin aus dem Bewilligungsbescheid vom wieder aufleben, ohne dass es einer weiteren Verurteilung der Beklagten bedarf. Das SG hat allerdings - bestätigt vom LSG - nach dem nur auf das Bemessungsentgelt und nicht auf den konkreten Leistungssatz abstellenden Urteilstenor in der Sache ein Grundurteil erlassen. Indessen sieht das SGG ein Grundurteil (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) bei reinen Anfechtungsklagen nicht vor ( - BSGE 94, 174 = SozR 4-2600 § 96a Nr 5, RdNr 33), was der Senat bei der Fassung des Tenors berücksichtigt hat.
183. Die angefochtenen Bescheide vom und in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagte der Bemessung des Alg ein Bemessungsentgelt von weniger als 32,99 Euro zugrunde gelegt und in der Folge einen Leistungssatz von weniger als 17,46 Euro festgesetzt hat. Im Übrigen sind diese Bescheide rechtmäßig.
19a) Rechtsgrundlage für die - teilweise rückwirkende - Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit vom 30.5. bis ist § 48 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 Nr 4 SGB X iVm § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X); er soll nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse - also auch rückwirkend - aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Ergänzend regelt § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III, dass der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben ist, wenn die in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen vorliegen, sodass in diesem Fall stets eine gebundene und keine Ermessensentscheidung zu ergehen hat.
20b) Durchgreifende Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide bestehen nicht. Zwar bestimmt § 24 Abs 1 SGB X, dass einem Beteiligten vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in dessen Rechte eingreift, Gelegenheit zu geben ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen. Ein solcher Mangel ist indessen unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung nachgeholt wird (§ 41 Abs 1 Nr 3, Abs 2 SGB X). Hier hatte die Klägerin - wovon die Vorinstanzen zu Recht ausgegangen sind - im Widerspruchsverfahren Gelegenheit, Stellung zu nehmen, sodass eine Anhörung nachgeholt und der Mangel geheilt ist.
21c) Materiell-rechtlich ist die Aufhebung der Leistungsbewilligung, die durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Bewilligungsbescheid vom ) erfolgt war, nur teilweise gerechtfertigt. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der Leistung auswirkt (vgl nur - BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48 S 111 mwN). Zwar liegt in dem Umstand, dass sich die Klägerin nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ab dem nur noch für eine Tätigkeit im Umfang von 15 Stunden wöchentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt hat, bzw ihr Leistungsvermögen entsprechend gemindert war, eine solche wesentliche Änderung iS von § 48 Abs 1 SGB X vor, denn sie hat Auswirkungen auf die Höhe des Alg-Anspruchs der Klägerin. Die Leistungsbewilligung ab dem erfolgte nach den Feststellungen des LSG auf der Grundlage einer nicht eingeschränkten Leistungsbereitschaft bzw eines nicht eingeschränkten Leistungsvermögens. Der Anspruch ist aufgrund dieser Änderung allerdings nicht nach einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 18,78 Euro, wie es die Beklagte verfügt hat, und auch nicht von 37,56 Euro, wie es die Vorinstanzen angenommen haben, zu bemessen. Es ist vielmehr von einem täglichen Bemessungsentgelt iHv 32,99 Euro auszugehen. Daraus ergibt sich ein täglicher Leistungssatz von 17,46 Euro.
22d) Liegen die Anspruchsvoraussetzungen für Alg vor, was hier nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht zweifelhaft ist, bestimmt sich die Höhe des Alg nach den §§ 149 ff SGB III (idF des Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe vom , BGBl I 2581). Gemäß § 149 Abs 1 Nr 1 SGB III beträgt das Alg unter Berücksichtigung mindestens eines Kindes 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst regelmäßig die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im grundsätzlich einjährigen Bemessungsrahmen, der mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs endet (§ 150 Abs 1 SGB III). Das Bemessungsentgelt ist das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 151 Abs 1 Satz 1 SGB III). Dies zugrunde gelegt, wäre der Anspruch der Klägerin vor der Einschränkung der Arbeitszeit nach einem täglichen Bemessungsentgelt von 43,99 Euro zu berechnen gewesen. Die Klägerin hat Alg ab dem beantragt. Ende des letzten Versicherungspflichtverhältnisses war der , sodass sich der maßgebliche Bemessungsrahmen vom bis erstreckt. Während der in diesem Rahmen abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume erzielte die Klägerin ein Entgelt iHv 13 240,69 Euro für 301 Tage.
23Zwar war die Klägerin in Teilzeit (20 Wochenstunden) beschäftigt. Die Voraussetzungen dafür, dass Beschäftigungen mit verminderten Arbeitszeiten nicht nach § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 - 5 SGB III in den Bemessungszeitraum einzubeziehen waren, lagen jedoch nicht vor. Insbesondere war die wöchentliche Arbeitszeit nicht, wie es § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB III voraussetzt, "auf Grund einer Teilzeitvereinbarung ... vermindert" worden, denn dies erfordert eine Vereinbarung im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 150 RdNr 95, Stand August 2020; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 150 RdNr 106, 110, Stand Mai 2021; Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 150 RdNr 87). So liegt der Fall hier nicht, denn die Klägerin war neue Arbeitsverhältnisse eingegangen.
24Haben Arbeitslose aber bereits innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs Alg bezogen, ist Bemessungsentgelt mindestens das Entgelt, nach dem das Alg zuletzt bemessen worden ist (§ 151 Abs 4 SGB III). Hier hatte die Klägerin vom 1.10. bis - also innerhalb des Zeitraums von zwei Jahren vor dem - Alg bezogen, dessen Berechnung ein tägliches Bemessungsentgelt von 50,08 Euro zugrunde lag. Diese frühere Bemessung ist verfahrensrechtlich bindend, sodass ihre Rechtmäßigkeit nicht zu prüfen ist (vgl - SozR 4-4300 § 151 Nr 5 RdNr 24). Zu Recht hatte die Beklagte deshalb Alg ab dem nach diesem höheren Bemessungsentgelt bewilligt.
25e) Ist die oder der Arbeitslose nicht mehr bereit oder in der Lage, die im Bemessungszeitraum durchschnittlich auf die Woche entfallende Zahl von Arbeitsstunden zu leisten, vermindert sich das Bemessungsentgelt für die Zeit der Einschränkung entsprechend dem Verhältnis der Zahl der durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden, die die oder der Arbeitslose künftig leisten will oder kann, zu der Zahl der durchschnittlich auf die Woche entfallenden Arbeitsstunden im Bemessungszeitraum (§ 151 Abs 5 Satz 1 SGB III). Dabei bleiben nach § 151 Abs 5 Satz 2 SGB III Einschränkungen des Leistungsvermögens unberücksichtigt, wenn Alg nach § 145 SGB III - also ausnahmsweise auch bei einer Minderung der Leistungsfähigkeit auf unter 15 Wochenstunden (sog Nahtlosigkeitsregelung) - geleistet wird. Nach den Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin ab dem nur noch für eine Tätigkeit im Umfang von 15 Stunden wöchentlich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt. Ihr Leistungsvermögen entsprach nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung der beigezogenen medizinischen Unterlagen durch die Vorinstanzen diesem Tätigkeitsumfang. Entgegen der von der Klägerin im Klageverfahren noch vertretenen Auffassung war demzufolge kein Alg nach § 145 SGB III zu leisten und das Bemessungsentgelt deshalb nach § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III zu mindern.
26f) Bei einer Einschränkung der möglichen Wochenarbeitszeit ist das Bemessungsentgelt ausgehend vom Entgelt im Regelbemessungszeitraum zunächst nach den Vorgaben des § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III zu bilden. Dies gilt auch, wenn - wie hier - das Bemessungsentgelt vor der Einschränkung der Verfügbarkeit in Anwendung von § 151 Abs 4 SGB III aus einem früheren Leistungsbezug resultiert (vgl hierzu Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 71; Rolfs in BeckOGK SGB III, § 151 RdNr 52, Stand ). In diesen Fällen ist ebenfalls zunächst ein Bemessungsentgelt zu ermitteln, das dem Verhältnis der in diesem Zeitraum geleisteten Wochenarbeitszeit - hier also 20 Stunden - zur neuen, eingeschränkten möglichen Wochenarbeitszeit (hier 15 Stunden) entspricht. Erst in einem zweiten Schritt ist nach der Berechnung der Beklagten zu verfahren. Ausgehend von dem zuletzt maßgeblichen Bemessungsentgelt unter Berücksichtigung der früheren Wochenarbeitszeit - vorliegend 40 Stunden - muss entsprechend der neuen, eingeschränkten möglichen Wochenarbeitszeit, ein weiteres Bemessungsentgelt als Vergleichswert ermittelt werden. Nur wenn dieses höher ist, ist es, wie in § 151 Abs 4 SGB III vorgesehen, der Leistungsbemessung zugrunde zu legen. Erweist es sich - wie hier - als niedriger, kommt § 151 Abs 4 SGB III nicht (mehr) zur Anwendung.
27Insoweit ist § 151 Abs 4 SGB III teleologisch zu reduzieren. Ohne dass dies dem Wortlaut ausdrücklich zu entnehmen wäre, bestimmt dann allein das Bemessungsentgelt aus dem Regelbemessungszeitraum unter verhältnismäßiger Berücksichtigung der Einschränkung der Verfügbarkeit die Höhe des Alg. Eine teleologische Reduktion ist dann vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der von ihrem Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 2473/10 ua - juris RdNr 21; s auch - BSGE 109, 42 = SozR 4-7837 § 2 Nr 10, RdNr 27; - BSGE 118, 18 = SozR 4-2700 § 101 Nr 2, RdNr 27; - SozR 4-8570 § 6 Nr 10 RdNr 20). So liegt es hier.
28g) Bereits die Regelungssystematik der Bemessungsvorschriften spricht für dieses Vorgehen. Allein § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III enthält eine eigenständige Berechnungsgrundlage für das Bemessungsentgelt. § 151 Abs 4 SGB III bestimmt demgegenüber nur, dass von zwei Bemessungsentgelten dasjenige aus einem früheren Zeitraum maßgebend ist, wenn es das eigentliche Bemessungsentgelt übersteigt. Die Regelung enthält damit keine eigene Berechnungsgrundlage, sondern ordnet den Vergleich von Bemessungsentgelten an, die nach den allgemeinen Regeln des Bemessungsrechts ermittelt wurden. Diese Bemessungsentgelte sind indessen nur vergleichbar, wenn sie auf der gleichen Berechnungsgrundlage beruhen.
29h) Diese Auslegung berücksichtigt auch die Entstehungsgeschichte sowie den Sinn und Zweck von § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III und § 151 Abs 4 SGB III.
30§ 151 Abs 5 SGB III folgt bei eingeschränktem Arbeitsvermögen oder -willen, also den für Teilzeitarbeit typischen Hintergründen, anders als die dem Versicherungsprinzip folgende Regelbemessung, dem Entgeltersatzprinzip (ausführlich dazu Pawlak in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 11 RdNr 19 ff; vgl auch Kallert in Knickrehm/ Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Aufl 2023, SGB III, § 151 RdNr 23, der dies zu Recht als Perspektivwechsel gegenüber den allgemeinen Bemessungsvorschriften bezeichnet). Die Regelung sieht vor, das Bemessungsentgelt und damit das Alg zu mindern, wenn auf dem Arbeitsmarkt wegen der zeitlichen Beschränkung nur noch ein geringeres Entgelt als zuvor erzielt werden kann (vgl Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 53; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III nF, § 151 RdNr 6, Stand Januar 2024). Sie relativiert damit die Bedeutung der Höhe vorhergehender Beitragsleistungen für die Höhe des Alg.
31Außer für § 151 Abs 5 SGB III ist die wöchentliche Arbeitszeit im geltenden Bemessungsrecht indessen nur noch an wenigen Stellen relevant. Dies ist mit den wesentlichen Zielen der Reformen des gesamten Bemessungsrechts zum und zu erklären: Mit der Abkehr von der Arbeitszeit als Bemessungsfaktor sollte das Bemessungsrecht vereinfacht und damit dafür gesorgt werden, dass das Alg schnell und einfach ausgerechnet sowie zügig ausgezahlt werden kann (vgl - unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien - Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 13 ff, 21, Stand April 2024; Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 1 ff; grundlegend zur bis zum bestehenden Rechtslage nach dem AFG und SGB III Pawlak in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 11 RdNr 1 ff, 19 ff, 120 ff). Damit verbunden war eine Stärkung des Äquivalenzprinzips (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 151 RdNr 11, Stand April 2024), also der Orientierung der Höhe des Alg an der Höhe der Beitragsleistungen.
32Von Bedeutung ist die Arbeitszeit außer in den Fällen einer Reduzierung wegen der Betreuung und Erziehung von Kindern sowie der Pflege von Angehörigen (§ 150 Abs 2 Satz 1 Nr 3 und 4 SGB III) etwa noch nach § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB III, der bestimmt, dass unter bestimmten - engen - Voraussetzungen Zeiten mit Teilzeitarbeit bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht bleiben. Diese Regelungen haben zwar keine unmittelbare Folge für das Bemessungsentgelt, können indessen zu einer Erweiterung des Bemessungsrahmens auf zwei Jahre führen (§ 150 Abs 3 Satz 1 Nr 1 SGB III). Die Konsequenz davon ist, dass sich die Auswirkung des meist niedrigeren Entgelts während der Teilzeitarbeit auf das Bemessungsentgelt durch weiter einzubeziehendes (höheres) Entgelt oder durch eine notwendige Fiktivbemessung nach § 152 SGB III relativiert (vgl - RdNr 24 f).
33§ 151 Abs 4 SGB III auf der anderen Seite entspricht dem bis zum geltenden § 131 Abs 4 SGB III, der zum durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2848) eingefügt worden ist und auf § 133 Abs 1 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom (BGBl I 594) zurückgeht. Die Ergänzung der Bemessungsvorschriften um eine Bestandsschutzregelung ist damit begründet worden, dass Arbeitslose, die ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäftigung beenden, in der sie ein geringeres Entgelt erzielen, als es der Bemessung des Alg zugrunde lag, vor Nachteilen bei erneutem Beschäftigungsverlust geschützt werden sollten; zudem sollten Hemmnisse, die einer Rückkehr in das Erwerbsleben entgegenstehen könnten, beseitigt werden (Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom , BT-Drucks 13/4941, S 178). Diese Regelung zielt darauf - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - Arbeitslose zu schützen, wenn sie eine geringer vergütete Beschäftigung aufnehmen, und sie zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung zu motivieren (vgl - SozR 4-4300 § 151 Nr 2 RdNr 15; - SozR 4-4300 § 151 Nr 4 RdNr 20).
344. Vor diesem Hintergrund vermag weder die Auffassung der Beklagten zu überzeugen, nach einer Einschränkung der Verfügbarkeit sei bei Anknüpfung an einen Alg-Vorbezug allein der diesem Vorbezug zugrunde liegende Arbeitszeitfaktor heranzuziehen, noch die Auffassung der Vorinstanzen, es sei zwar das wegen des Alg-Vorbezugs bestandsgeschützte (frühere) Bemessungsentgelt, aber auch der Arbeitszeitfaktor aus dem aktuellen Bemessungszeitraum entscheidend. Denn beide Auffassungen lassen unberücksichtigt, dass es bei einem Bemessungsentgelt nach § 151 Abs 4 SGB III gerade nicht auf den Zeitfaktor ankommt.
35Entgegen den Vorinstanzen können nicht - sozusagen über Kreuz - zwei Faktoren zueinander in Bezug gesetzt werden, die in keinerlei Verbindung stehen, nämlich das Entgelt aus einem früheren Bemessungszeitraum mit der Arbeitszeit aus dem aktuellen Bemessungszeitraum. Denn tatsächlich ist das bisher zum Bestandsschutz führende, frühere Entgelt nicht im Rahmen der Arbeitszeit des Regelbemessungszeitraums erzielt worden. Soweit das LSG ausführt (unter Hinweis auf Jakob in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, SGB III, 7. Aufl 2021, § 151 RdNr 71 ff und Rolfs in BeckOGK SGB III, § 151 RdNr 52, Stand ), der Besitzstand sei ansonsten nicht gewahrt in Fällen, in denen dieser auf Teilzeitbeschäftigungen im Regelbemessungszeitraum zurückzuführen sei, übersieht es, dass der besondere Schutz Teilzeitbeschäftigter vor Herabbemessung wegen einer Einschränkung der Verfügbarkeit - wie oben dargelegt - kein eigenständiges Ziel des § 151 Abs 4 SGB III ist. Vor möglichen Nachteilen bei der Bemessung nach Teilzeitbeschäftigung soll nach der Gesetzessystematik insbesondere § 150 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB III bewahren. Zudem führt die Bemessung nach § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III schon aus sich heraus im Falle vorhergehender Teilzeitarbeit bei weiter verminderter Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft zu einem gewissen Schutz, weil die "Herabbemessung" in einem verhältnismäßig geringeren Umfang erfolgt.
36Die Auffassung der Beklagten ist im Übrigen, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, dem Einwand ausgesetzt, der mit § 151 Abs 4 SGB III beabsichtigte Schutz des früheren Bemessungsentgelts werde in sein Gegenteil verkehrt, weil ohne Anwendung dieser Bestandsschutzregelung das Bemessungsentgelt bei der Berücksichtigung der Einschränkung der Verfügbarkeit höher sei.
375. Danach sind vorliegend entsprechend § 151 Abs 5 Satz 1 SGB III iVm § 151 Abs 1 Satz 1 SGB III sowohl für den "Regelbemessungszeitraum" als auch für den "Vorbezugsbemessungszeitraum" Bemessungsentgelte zu bilden, die dem Verhältnis der jeweiligen Wochenarbeitszeiten zur neuen, eingeschränkten möglichen Wochenarbeitszeit entsprechen. Konkret ergibt sich für den "Regelbemessungszeitraum" ein tägliches Bemessungsentgelt von 32,99 Euro (43,99 Euro : 20 Stunden x 15 Stunden), für den vorherigen Bemessungszeitraum ein tägliches Bemessungsentgelt von 18,78 Euro (50,08 Euro : 40 Stunden x 15 Stunden). Das Bemessungsentgelt aus dem "Regelbemessungszeitraum" bestimmt danach die Höhe des der Klägerin nach der Einschränkung der Verfügbarkeit ab dem zustehende Alg, denn es ist nach dieser Einschränkung kein höheres Bemessungsentgelt aus einem Vorbezug in Anwendung von § 151 Abs 4 SGB III zu berücksichtigen.
38Bei diesem täglichen Bemessungsentgelt von 32,99 Euro ergibt sich unter Berücksichtigung der Lohnsteuerklasse IV und des erhöhten Leistungssatzes nach § 149 SGB III iVm § 153 Abs 1 und 2 SGB III ein Anspruch der Klägerin auf Alg vom 30.5. bis iHv 17,46 Euro täglich. Die Kürzung der Leistungsbewilligung wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse auf einen täglichen Leistungsbetrag von 9,94 Euro ist deshalb insoweit rechtswidrig, als ein Leistungssatz von weniger als 17,46 Euro täglich festgesetzt wurde. Im Übrigen war die Aufhebung rechtmäßig. Auch die rückwirkende Aufhebung, verbunden mit einem Erstattungsanspruch, der sich aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X ergibt, ist - soweit ein Leistungssatz von 17,46 Euro täglich zugrunde gelegt wird - nach den Feststellungen zur Kenntnis der leistungsrechtlichen Konsequenzen auf Seiten der Klägerin rechtlich nicht zu beanstanden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:240924UB11AL723R0
Fundstelle(n):
AAAAJ-82118