Gründe
1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Zuerkennung eines höheren Grads der Behinderung (GdB) als 60. Das LSG hat den Anspruch nach medizinischer Beweisaufnahme (wie vor ihm der Beklagte und das SG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter verneint und dem Kläger Verschuldenskosten von 1000 Euro auferlegt.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und Verfahrensmängel geltend gemacht. Das LSG habe das Urteil verspätet abgesetzt und damit die äußerste Frist von fünf Monaten für die Übergabe eines vollständig abgefassten und unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle verletzt. Dies sei ein absoluter Revisionsgrund. Außerdem habe das LSG durch den Berichterstatter als Einzelrichter entschieden, obwohl der Kläger widersprochen habe. Die Prozessführung durch den Einzelrichter sei zudem "weitestgehend unangemessen" gewesen. So habe dieser mit Schreiben vom mitgeteilt, der Kläger habe den gerichtlichen Auflagen zu "gehorchen". Auch habe der Einzelrichter ihm zu Unrecht Verschuldenskosten auferlegt; die Rechtsverfolgung sei nicht offensichtlich aussichtslos gewesen.
3II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden ist (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
41. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn kein absoluter Revisionsgrund geltend gemacht wird, bei dem unwiderleglich vermutet wird, dass die Entscheidung auf dem Verfahrensverstoß beruht ( - juris RdNr 11).
5a) Mit seinem Vortrag, das Urteil vom sei erst am ausgefertigt worden und damit sei die am ausgelaufene Frist von fünf Monaten für die Übergabe des Urteils an die Geschäftsstelle überschritten, bezeichnet der Kläger den geltend gemachten absoluten Revisionsgrund des § 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 6 ZPO nicht hinreichend.
6Nach § 547 Nr 6 ZPO, der über § 202 Satz 1 SGG auch in sozialgerichtlichen Verfahren gilt, ist eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen, wenn sie (entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG) nicht mit Gründen versehen ist. Dem Fehlen von Gründen stellt die Rechtsprechung die verspätete Absetzung und Zustellung eines Urteils gleich. Dieses soll nach § 134 Abs 2 Satz 1 SGG bereits vor Ablauf eines Monats, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefasst der Geschäftsstelle übergeben werden. Hierbei handelt es sich jedoch um eine Soll-Vorschrift, deren Verletzung grundsätzlich unschädlich ist ( - BSGE 91, 283 = SozR 4-1500 § 120 Nr 1, RdNr 4 = juris RdNr 10). Allerdings gilt nach der übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil als nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind ( - SozR 4-1500 § 160a Nr 43 RdNr 3; - SozR 4-7837 § 2 Nr 18 RdNr 18; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes <GmSOGB> GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 - juris RdNr 8).
7Um einen solchen Verfahrensmangel hinreichend genau zu bezeichnen, muss der Beschwerdeführer das Datum der Niederlegung des unterschriebenen Urteils auf der Geschäftsstelle konkret benennen und auch darlegen, dass die Datumsangabe sich auf eigene Nachforschungen stützt ( - juris RdNr 4; - BSGE 91, 283 = SozR 4-1500 § 120 Nr 1, RdNr 6 = juris RdNr 12). Kennt der Beschwerdeführer den Zeitpunkt der Übergabe an die Geschäftsstelle als gerichtsinternen Vorgang nicht, hat er zumindest darzulegen, dass und mit welchem Ergebnis er versucht hat, den Inhalt des amtlichen Vermerks über den Zeitpunkt der Urteilsübergabe zu erfahren ( - BSGE 115, 267 = SozR 4-2600 § 6 Nr 12, RdNr 22; - SozR 3-1500 § 164 Nr 6 - juris RdNr 13).
8Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger hat in seiner Beschwerdebegründung weder das konkrete Datum der Übergabe der angefochtenen Entscheidung an die Geschäftsstelle benannt noch überhaupt den Versuch eigener Nachforschungen behauptet. Er hat lediglich das Datum der Urteilsausfertigung am mitgeteilt. Zwar liegt dieses Datum einen Tag nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist am für die Übergabe des am verkündeten Urteils. Auf den Zeitpunkt der Urteilsausfertigung durch die Geschäftsstelle kommt es indes beim Verfahrensmangel der fehlenden Entscheidungsgründe nicht an. Maßgeblich ist nach § 134 Abs 2 Satz 1 SGG vielmehr ausschließlich die Übergabe des vollständig abgefassten und unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle. An die Dauer der nachfolgenden Arbeitsschritte durch die Geschäftsstelle wie die Urteilsausfertigung, die regelmäßig außerhalb des direkten Einflussbereichs der entscheidenden Richter liegen, knüpft das Gesetz keine Rechtsfolgen. Die absolute Fünf-Monats-Frist für die Übergabe an die Geschäftsstelle sichert vor allem die Beurkundungsfunktion des Urteils vor einer Gefährdung durch Zeitablauf (vgl BAG Urteil Beschluss vom - 10 AZB 11/22 - juris RdNr 10; GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 - juris RdNr 18). Dieser Zweck wird von der nachfolgenden Ausfertigung nicht mehr berührt.
9b) Auch die gerügte Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG) durch die Entscheidung des sogenannten konsentierten Einzelrichters nach § 155 Abs 3 und 4 SGG hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
10§ 155 Abs 2 SGG räumt dem Vorsitzenden im vorbereitenden Verfahren eine Reihe von Zuständigkeiten insbesondere für Nebenentscheidungen ein. Nach § 155 Abs 3 SGG kann der Vorsitzende im Einverständnis der Beteiligten auch sonst anstelle des Senats entscheiden. Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser nach § 155 Abs 4 SGG anstelle des Vorsitzenden. Soweit zu einem Erörterungstermin iS des § 106 Abs 3 Nr 7 SGG geladen wurde, kann der Vorsitzende oder an seiner Stelle der Berichterstatter (§§ 155 Abs 1, 153 Abs 1 SGG) zur Vorbereitung einer Entscheidung als konsentierter Einzelrichter den Erörterungstermin in einen Termin zur mündlichen Verhandlung umwandeln (§ 153 Abs 1 iVm §§ 110, 112, 121 SGG). Die Öffentlichkeit ist herzustellen ( - SozR 3-1500 § 61 Nr 1 - juris RdNr 12, 21; - juris RdNr 11 mwN).
11§ 155 Abs 3 und 4 SGG sind eine einfachgesetzliche Ausprägung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art 101 Abs 1 Satz 2 GG ( - juris RdNr 5). Eine unzulässige Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter kann das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzen und damit einen absoluten Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO) darstellen.
12Dessen Vorliegen hat der Kläger indes nicht hinreichend bezeichnet. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde muss das BSG allein anhand der Begründung darüber entscheiden können, ob ein Verfahrensmangel in Betracht kommt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
13Die Behauptung des Klägers, der Berichterstatter habe ohne Einverständnis der Beteiligten entschieden, lässt die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung durch § 155 Abs 3 und 4 SGG nicht erkennen. Die Beschwerdebegründung führt aus, der Kläger habe der Übertragung der Zuständigkeit für die Entscheidung in der Hauptsache auf den Einzelrichter zuvor zweimal schriftlich widersprochen. Die Angabe in den Urteilsgründen, beide Beteiligten hätten einer solchen Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter zugestimmt, sei daher unzutreffend.
14Mit diesem Vortrag geht die Beschwerde allerdings nicht auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls ein (zu dessen Beweiskraft vgl § 122 SGG iVm § 165 Satz 1 ZPO). Danach haben die Beteiligten im Erörterungstermin vom ausdrücklich ihr Einverständnis dazu erklärt, "zur Vermeidung einer weiteren Terminierung" den Erörterungs- in einen Verhandlungstermin umzuwandeln und auf ihre zuvor gestellten Sachanträge Bezug genommen. Die Beschwerde legt nicht dar, warum sich daraus kein Einverständnis mit der Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter ergibt. Soweit der Kläger insoweit eine Unrichtigkeit des Protokolls geltend machen wollte, hätte es ihm oblegen, zunächst auf eine Protokollberichtigung nach § 122 SGG iVm § 164 ZPO hinzuwirken (vgl - juris RdNr 3 mwN).
15Der wirksamen Erteilung eines Einverständnisses im Erörterungstermin vom stand auch nicht der im schriftlichen Verfahren zuvor geäußerte Widerspruch des Klägers gegen eine Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter entgegen, weil dieser durch eine später erteilte Einverständniserklärung gegenstandslos wird. Die Erklärung nach § 155 Abs 3 SGG kann grundsätzlich jederzeit erteilt werden, solange sie bis zur Entscheidung vorliegt (vgl Rieke in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl 2022, § 155 SGG RdNr 10, Stand ; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl 2023, § 155 RdNr 12). Eine zunächst erfolgte Verweigerung der Zustimmung entfaltet keine Sperrwirkung für den weiteren Lauf des Verfahrens, sondern kann entsprechend den allgemeinen Regeln für Prozesserklärungen jederzeit durch ein nachfolgendes Einverständnis ersetzt werden.
16c) Eine Zulassung der Revision wegen der verhängten Verschuldenskosten (§ 192 SGG) als Teil der Kostenentscheidung des Urteils scheidet schon dem Grunde nach aus. Die isolierte Überprüfung der vom LSG getroffenen Entscheidung, einem Beteiligten Kosten wegen missbräuchlicher Rechtsverfolgung aufzuerlegen, ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren ausgeschlossen (stRspr; zB AS 251/21 B - juris RdNr 12 mwN). Schon deshalb kommt es auf die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge einer fehlenden Auseinandersetzung mit der EuGH-Rechtsprechung zur Adipositas und einer falschen Bewertung des Schlafapnoe-Syndroms des Klägers nicht an. Unabhängig davon kann allein die vermeintliche inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zur Zulassung der Revision führen. Ebenso wenig hat der Senat im Beschwerdeverfahren nachzuprüfen, ob das Beweisergebnis des LSG zutreffend ist, weil nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG als Verfahrensmangel nicht gerügt werden kann.
17d) Soweit der Kläger mit dem Hinweis auf das gerichtliche Schreiben vom ganz allgemein das Fehlen einer fairen Verfahrens- und Verhandlungsführung und damit die Verletzung grundlegender Rechtsschutzstandards rügt (vgl B 10 ÜG 15/14 B - juris RdNr 8 mwN), bezeichnet er ebenfalls keinen Verfahrensmangel. Notwendig hierfür wäre zumindest die Darlegung, warum ihm das prozessuale Verhalten des LSG eine sachgerechte Prozessführung erschwert hat ( - juris RdNr 5 mwN). Daran fehlt es. Die Beschwerde gibt bereits das von ihr kritisierte gerichtliche Schreiben vom nicht in einem Umfang und Zusammenhang mit der Verfahrensgeschichte wieder, der eine entsprechende Überprüfung durch den Senat ermöglichen würde.
18Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
192. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:261124BB9SB2024B0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-81813