BGH Beschluss v. - XII ZB 576/23

Leitsatz

1.    Hat der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen (im Anschluss an , NJW 2023, 1969). Dazu gehört auch die Prüfung, ob das für die Entgegennahme der Rechtsmittelschrift zuständige Gericht richtig bezeichnet ist.

2.    Reicht ein Beteiligter eine Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht ein, so entspricht es regelmäßig dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterliche Verfügung der Weiterleitung des Schriftsatzes an das zuständige Gericht am darauffolgenden Werktag umsetzt (im Anschluss an , ZIP 2023, 1614). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat (im Anschluss an , NJW 2023, 1969).

Gesetze: § 63 Abs 1 FamFG, § 64 Abs 1 S 1 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 130a Abs 3 S 1 ZPO, § 233 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 11 UF 480/23vorgehend AG Mainz Az: 37 F 181/14 GÜ

Gründe

1Der Antragsgegner begehrt Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde.

2Das Amtsgericht hat den Antragsgegner in einer vom Verbund abgetrennten Folgesache unter Abweisung des weitergehenden Antrags verpflichtet, an die Antragstellerin einen Zugewinnausgleich in Höhe von 709.900,21 € nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Beschluss ist dem Antragsgegner am zugestellt worden. Am (Freitag) ist um 8:58 Uhr beim Oberlandesgericht eine Beschwerdeschrift eingegangen, die ausweislich des Prüfvermerks mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners versehen ist. Am selben Tag hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts die Akte beim Amtsgericht angefordert und dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners eine Eingangsbestätigung übersandt. Mit taggleich ausgeführter Verfügung vom (Montag) hat die Vorsitzende Richterin des zuständigen Senats die Übersendung der Beschwerdeschrift an das Amtsgericht angeordnet. Dort ist die Rechtsmittelschrift auf dem Postweg am eingegangen.

3Am ist der Antragsgegner darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde unzulässig sei, weil sie nicht innerhalb der einmonatigen Beschwerdefrist beim Amtsgericht eingegangen sei. Daraufhin hat der Antragsgegner am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung ausgeführt, sein Verfahrensbevollmächtigter habe sich in der Zeit vom 27. September bis zum im Urlaub befunden. Noch vor Urlaubsantritt habe er gegenüber seiner langjährigen und stets zuverlässigen Mitarbeiterin verfügt, gegen den Beschluss des Amtsgerichts fristgerecht Beschwerde einzulegen. Dies beinhalte auch, dass die Beschwerde beim zuständigen Gericht eingelegt werde. Gleichwohl sei die Beschwerde fehlerhaft an das Oberlandesgericht geschickt worden. Zudem hätten zwischen der am um 9:52 Uhr versandten Eingangsbestätigung des Oberlandesgerichts und dem Ablauf der Beschwerdefrist anderthalb Werktage gelegen. Es sei somit mehr als genug Zeit gewesen, um die Zuständigkeit zu prüfen und die Beschwerdeschrift noch innerhalb der Beschwerdefrist im Wege des ordentlichen Geschäftsgangs elektronisch an das Amtsgericht weiterzuleiten. Keinesfalls habe das Oberlandesgericht den Schriftsatz auf dem Postweg weiterleiten dürfen, weil ihm hätte bewusst sein müssen, dass er auf diesem Weg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht fristgerecht beim Amtsgericht eingehen würde. Das für das Beschwerdeverfahren ohnehin zuständige Oberlandesgericht habe eine deutlich erhöhte prozessuale Fürsorgepflicht getroffen. Diese hätte es geboten, dem Antragsgegner zumindest mitzuteilen, dass die Beschwerdeschrift fälschlicherweise an das Oberlandesgericht geschickt worden sei und von dort ein rechtzeitiger Eingang des weitergeleiteten Schriftsatzes beim Amtsgerichts nicht sichergestellt werden könne.

4Mit Schreiben vom ist der Antragsgegner darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerdeschrift nach seinem eigenen Vorbringen nicht von seinem Verfahrensbevollmächtigten, sondern von dessen Mitarbeiterin „unterzeichnet“ worden sei. Die Beschwerde sei somit nicht wirksam eingelegt worden und daher unzulässig. Der Antragsgegner hat hierauf erwidert, es sei klar und auch nach außen erkennbar gewesen, dass der Schriftsatz im Namen seines Verfahrensbevollmächtigten habe eingereicht werden sollen.

5Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

6Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 112 Nr. 2, 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Insbesondere verletzt der angefochtene Beschluss den Antragsgegner im Ergebnis weder in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG).

71.    

82.    Dies hält sich im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

9Denn das Beschwerdegericht hat die Beschwerde jedenfalls deshalb zu Recht für unzulässig erachtet, weil sie nicht fristgerecht eingelegt worden ist. Die Beschwerdeschrift ist nicht innerhalb der am abgelaufenen Beschwerdefrist beim Amtsgericht eingegangen (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG). Das Beschwerdegericht ist auch davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erfüllt sind, weil die Beschwerdefrist nicht unverschuldet im Sinne von § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO versäumt ist. Vielmehr beruht dieses Versäumnis auf einem dem Antragsgegner nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten. Dieses Verschulden ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch ursächlich für die Fristversäumung geworden.

10a)    Nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 233 Satz 1 ZPO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn ein Beteiligter ohne sein Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 1 FamFG einzuhalten. Ein Verschulden seines Verfahrensbevollmächtigten wird dem Beteiligten zugerechnet (§ 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO), das Verschulden sonstiger Dritter hingegen nicht. Deshalb hindern Fehler des Büropersonals eine Wiedereinsetzung nicht, solange den Verfahrensbevollmächtigten kein eigenes Verschulden etwa in Form eines Organisations- oder Aufsichtsverschuldens trifft. Der Beteiligte hat gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO einen Verfahrensablauf vorzutragen und glaubhaft zu machen, der ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Frist zweifelsfrei ausschließt. Verbleibt die Möglichkeit, dass die Einhaltung der Frist durch ein Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten versäumt worden ist, ist der Antrag auf Wiedereinsetzung unbegründet (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 31/23 - NJW-RR 2024, 197 Rn. 9 mwN). So liegt der Fall hier.

11aa)    Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Verfahrensbevollmächtigter dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Dabei gehört die Erstellung einer fristwahrenden Rechtsmittelschrift zu den Aufgaben, die ein Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst sorgfältig zu überprüfen. Insbesondere hat er die Rechtsmittelschrift vor der Unterzeichnung (vgl. etwa  - ZIP 2023, 1614 Rn. 11 mwN) bzw. vor der Versendung über das beA (vgl.  - NJW 2023, 1969 Rn. 16 f.) auch auf die richtige Bezeichnung des für die Entgegennahme zuständigen Gerichts zu kontrollieren und eine fehlerhafte Angabe zu berichtigen.

12bb)    Das Beschwerdegericht hat richtig erkannt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners diesen Sorgfaltsanforderungen nicht genügt hat. Bei sorgfältiger Überprüfung der Beschwerdeschrift hätte er die fehlerhafte Adressierung der Beschwerdeschrift an das Oberlandesgericht bemerken und die Angabe des Amtsgerichts als Empfänger veranlassen müssen. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob er die Beschwerdeschrift selbst qualifiziert elektronisch signiert hat, wie es die Rechtsbeschwerde andeutet, oder ob er hiermit seine Mitarbeiterin beauftragt hat, wovon das Beschwerdegericht ausgegangen ist. Denn auch im letzteren Fall hätte der Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerdeschrift jedenfalls vor ihrer Versendung über das beA auf die richtige Bezeichnung des für die Entgegennahme zuständigen Gerichts kontrollieren müssen. Dies zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel.

13b)    Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die weitere Annahme des Beschwerdegerichts, das Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten sei auch ursächlich für die Versäumung der Beschwerdefrist geworden. Das Beschwerdegericht hat dem Antragsgegner den Zugang zur Beschwerdeinstanz nicht in unzumutbarer Weise erschwert.

14aa)    Wird in einer Familienstreitsache die Beschwerde anstatt bei dem gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FamFG für ihre Entgegennahme zuständigen Amtsgericht beim Beschwerdegericht eingelegt, hat das angerufene Gericht die Beschwerdeschrift im ordentlichen Geschäftsgang an das Amtsgericht weiterzuleiten, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ohne Weiteres erkennbar und - damit regelmäßig - die Bestimmung des zuständigen Gerichts möglich ist. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtsuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig beim angerufenen Gericht ein, dass eine rechtzeitige Weiterleitung an das Amtsgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, darf ein Verfahrensbeteiligter darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch fristgerecht dort eingehen wird. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden des Beteiligten oder seines Verfahrensbevollmächtigten im Hinblick auf die unrichtige Bezeichnung des Gerichts bei der Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht mehr aus, so dass dem Beteiligten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 571/12 - FamRZ 2014, 550 Rn. 14 mwN). Der Wiedereinsetzung begehrende Beteiligte hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können (vgl.  - ZIP 2023, 1614 Rn. 16 mwN).

15bb)    Nach diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht zu Recht angenommen, der Antragsgegner habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Beschwerdeschrift im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das Amtsgericht hätte weitergeleitet werden können.

16Das unzuständige Gericht ist nicht verpflichtet, dem zuständigen Gericht den fristgebundenen Schriftsatz unter höchster Beschleunigung zukommen zu lassen (vgl.  AnwZ (Brfg) 31/22 - NJOZ 2024, 54 Rn. 26). Im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs ist üblicherweise damit zu rechnen, dass eine bei der zuständigen Geschäftsstelle eingegangene Rechtsmittelschrift dem zuständigen Richter am nächsten Werktag vorgelegt wird. Es kann nicht erwartet werden, dass die richterliche Verfügung der Weiterleitung der Rechtsmittelschrift noch am selben Tag zur Geschäftsstelle gelangt und dort ausgeführt wird. Vielmehr entspricht es dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterlich verfügte Weiterleitung am darauffolgenden Werktag umsetzt (vgl.  - ZIP 2023, 1614 Rn. 18 und Rn. 22 mwN). Geht ein fristgebundener Schriftsatz erst einen (Werk-)Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten daher regelmäßig nicht anzulasten, dass die Weiterleitung des Schriftsatzes im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim zuständigen Gericht geführt hat (vgl.  - NJW 2023, 1969 Rn. 21 mwN).

17Der Antragsgegner konnte nach diesen Maßstäben nicht darauf vertrauen, dass die einen Werktag nach Eingang der Beschwerdeschrift richterlich verfügte elektronische Weiterleitung der Beschwerdeschrift noch am selben Tag von der Geschäftsstelle elektronisch ausgeführt werden würde. Vielmehr war eine Umsetzung der Verfügung vom erst am darauffolgenden Werktag, dem , zu erwarten, was nicht mehr zu einem fristwahrenden Eingang der Beschwerdeschrift beim Amtsgericht hätte führen können.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024BXIIZB576.23.1

Fundstelle(n):
WAAAJ-80774