Instanzenzug: Az: 16a U 516/19vorgehend Az: 28 O 118/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb im September 2011 von der Beklagten einen Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4MATIC als Neufahrzeug, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Bei dem Fahrzeug arbeitet die Abgasrückführung unter anderem temperaturgesteuert, wird also bei Unterschreiten einer Schwellentemperatur reduziert ("Thermofenster"). Weiter ist die Funktion "Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung" (KSR) implementiert. Der Kläger hat die Beklagte ursprünglich unter den Gesichtspunkten des gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts vom Kaufvertrag und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1) begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Feststellung der Erledigung (Berufungsantrag zu 4 und teilweise Berufungsantrag zu 1) verlangt.
3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers, die dahingehend auszulegen ist, der Kläger verfolge allein Ansprüche wegen einer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs weiter, hat überwiegend Erfolg.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Insoweit könne unterstellt werden, dass Thermofenster und KSR als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren seien. Es fehlten nämlich weitere Umstände, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Weder sei eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts erkennbar noch seien dem Vortrag des Klägers konkrete Tatsachen zu entnehmen, nach denen das Thermofenster oder die KSR gezielt auf den Prüfstand zugeschnitten sei. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB bestehe nicht. Die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bezweckten nicht den Schutz eines Fahrzeugerwerbers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags. Im Übrigen scheitere die Einordnung als Schutzgesetz daran, dass die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs weder sinnvoll noch wegen der deliktischen Haftung bei bloßer Fahrlässigkeit im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheine.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Das Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit der Kläger den Berufungsantrag hinsichtlich der ursprünglich begehrten Deliktszinsen einseitig für erledigt erklärt hat. Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Deliktszinsen konnte der Kläger von Anfang an nicht beanspruchen (vgl. , BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; Urteil vom - VI ZR 376/20, VersR 2023, 386 Rn. 8; Urteil vom - VIa ZR 452/23, juris Rn. 11).
12Im Übrigen ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
13die erforderlichen
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:261124UVIAZR413.23.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-80660