Instanzenzug: LG Zweibrücken Az: 6 Ks 4129 Js 11049/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat ganz überwiegend Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Der 73 Jahre alte, bisher unbestrafte Angeklagte leidet an mehreren körperlichen Krankheiten, darunter seit 2014 eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz. Sein Verhältnis zu seiner Familie verschlechterte sich in den letzten Jahren deutlich. Er war gegen seine Ehefrau, die Nebenklägerin, gewalttätig und bedrohte eine der Töchter mit dem Tod. Neun Tage vor dem Tattag ergriff der Angeklagte nach einem Streit mit dieser eine Axt. Zu einem anderen Zeitpunkt äußerte er, man habe ihn während der Dialyse zu töten versucht, und zeigte sich zunehmend rechthaberisch. Die Töchter, die beide in der Krankenpflege berufstätig sind, hielten den Angeklagten für psychisch krank und gefährlich. Tatsächlich bestand bei ihm eine stärker werdende „organisch-wahnhafte Störung“.
4Am Tattag, dem , kehrte der Angeklagte von einer Dialysebehandlung in seine Wohnung zurück, wo sich die Nebenklägerin, die gemeinsamen Kinder und weitere Familienmitglieder aufhielten und zu Abend essen wollten. Der Angeklagte versuchte, als ihm keine Beachtung geschenkt wurde, unter anderem durch lautes Reden auf sich aufmerksam zu machen. Er wurde daraufhin von den Töchtern aufgefordert, das Haus – dauerhaft – zu verlassen. Nachdem der Angeklagte hierüber in Wut geraten war, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und den Töchtern und die Polizei wurde herbeigerufen.
5Der Angeklagte fehlinterpretierte das Geschehen aufgrund seiner krankhaften Wahnvorstellung. Er sah sich als Opfer einer Verschwörung seiner Familie gegen ihn und stellte sich vor, sein Sohn habe versucht, ihn zu vergewaltigen und hierbei eine Eisenstange in der Hand gehabt. Vor diesem Hintergrund beschloss er, seine Ehefrau mit einem Messer anzugreifen. Am frühen Morgen begab er sich mit einem Küchenmesser in das Schlafzimmer, in dem sie schlief, und stach ihr dreimal in den Hals, wobei er billigte, dass sie durch die Messerstiche sterben könnte. Der durch Geräusche aufmerksam gewordene Sohn kam hinzu und versuchte, den Angeklagten von der Nebenklägerin wegzuziehen. Der Angeklagte wehrte sich dagegen, indem er zweimal in Richtung des Sohnes stach, wobei er ihn mit einem der Stiche im Brustbereich traf. Ihm war es dabei gleichgültig, ob der Geschädigte dies überleben würde. Dieser konnte den Angeklagten zurückdrängen und – auch mithilfe inzwischen hinzugekommener Familienmitglieder – in einem Zimmer der Wohnung einsperren.
6Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil der Ehefrau des Angeklagten als versuchten Heimtückemord und diejenige zum Nachteil des Sohnes als versuchten Totschlag, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, gewertet. Zur Schuldfähigkeit hat es, sachverständig beraten, angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten gegeben gewesen sei. Auch seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, sei nicht aufgehoben gewesen. Allerdings sei er aufgrund seiner wahnhaften Motivation und des Umstandes, dass er sich vor ein bedrohliches Ultimatum (das Haus verlassen zu müssen) gestellt gesehen und auch eine Vergewaltigung durch seinen Sohn gefürchtet habe, in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen. Es handele sich um eine unkorrigierbare Vorstellung, die sich – wie das Festhalten des Angeklagten hieran während der Exploration und der Hauptverhandlung belege – nicht nur vorübergehend, etwa nach der Dialyse, sondern dauerhaft manifestiert habe, was die Voraussetzungen einer organisch-wahnhaften Störung erfülle. Nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, der das Landgericht gefolgt ist, sei „wahrscheinlicher Auslöser“ dieser Erkrankung eine Stoffwechselbeeinträchtigung aufgrund der Niereninsuffizienz des Angeklagten.
7Zur Begründung der neben der Gesamtfreiheitsstrafe angeordneten Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht unter anderem ausgeführt, dass von dem Angeklagten weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Er leide weiterhin an der krankhaften organischen Störung. Das Krankheitsbild sei zwar behandelbar, ob eine entsprechende medikamentöse Therapie anschlage, sei – nach der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen – aber „jedenfalls fraglich“, weil der Angeklagte keine Krankheitseinsicht und keine Opferempathie zeige. Es stellten sich wegen der beim Angeklagten (auch) bestehenden körperlichen Erkrankung „komplexe Fragen“ der Medikamentierung. Aufgrund seiner krankheitsbedingt empfundenen Aussichtslosigkeit bestehe jederzeit die Möglichkeit hoch aggressiver Angriffe des Angeklagten auf Familienangehörige. Auch Dritten gegenüber seien entsprechende Handlungen möglich, wie sich an der Aussage des Angeklagten betreffend die Dialysepraxis zeige. Zwar bestehe bei dem Angeklagten keine eindeutige Persönlichkeitsstörung. Insgesamt sei aber, auch mangels vorhandenen Empfangsraums, eine konkrete Wiederholungsgefahr gegeben.
82. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat(en) aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Dabei sind die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in künftigen Risikosituationen besonders in den Blick zu nehmen (vgl. zum Ganzen nur Rn. 9 mwN).
10b) Diesen Anforderungen werden die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
11aa) Ihnen kann schon nicht entnommen werden, an welchem Wahrscheinlichkeitsgrad der Sachverständige und die Schwurgerichtskammer, die sich ihm mit lediglich floskelhafter Begründung angeschlossen hat, die Delinquenzprognose ausgerichtet haben. Die unterschiedlichen Formulierungen in den Urteilsgründen („zu erwarten“, „möglich“, „konkrete Wiederholungsgefahr“) lassen besorgen, dass sich das Landgericht des Erfordernisses einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades nicht bewusst gewesen sein und bereits eine unterhalb davon liegende Möglichkeit künftiger Delinquenz des Angeklagten für ausreichend gehalten haben könnte.
12bb) Ferner sind auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Wiederholungsgefahr – hiervon ausgehend – begründet hat, unklar und lückenhaft. Soweit es mit dem Sachverständigen den Erfolg einer möglichen medikamentösen Behandlung der Störung für „fraglich“ hält, fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung der dieser Beurteilung zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen (vgl. zu den Darlegungsanforderungen Rn. 5 mwN). Welchen Einschränkungen die Medikamentenwahl aufgrund des körperlichen Zustands des Angeklagten unterliegt, bleibt ebenso undeutlich wie die Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit die derzeit nicht vorhandene Krankheitseinsicht oder jedenfalls eine ausreichende Mitwirkungsbereitschaft des Angeklagten geweckt werden könnte.
13cc) Schließlich lassen die Urteilsgründe auch die gebotene Würdigung sämtlicher prognoserelevanter Umstände vermissen. Unerörtert bleibt insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte, der bei Tatbegehung bereits seit mindestens neun Jahren an der nach Ansicht des Sachverständigen wahrscheinlich für die organisch-wahnhafte Störung ursächlichen Nierenerkrankung leidet, bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war. Dieser Umstand wäre indes für den durch die Urteilsgründe nicht ausgeschlossenen Fall, dass auch das psychische Leiden bereits mehrjährig bestanden haben sollte, als prognosegünstig in Betracht zu ziehen gewesen (vgl. Rn. 8 mwN).
14c) Die Maßregelanordnung bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung, naheliegend unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen. Das hierzu neu berufene Tatgericht wird dabei auch Gelegenheit haben, sorgfältiger als geschehen zu erwägen und darzulegen, ob und gegebenenfalls wie die bisher vom Angeklagten eingenommenen Medikamente, zu denen im Urteil – nur – mitgeteilt ist, dass sie sich auf das zentrale Nervensystem „auswirken“, Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten gehabt haben könnten.
153. Der Senat hebt auch den Schuld- und den Strafausspruch mit den Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht einheitliche Feststellungen insbesondere zum Störungsbild und dessen Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten zu ermöglichen. Hiervon ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen, die von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind und bestehen bleiben können (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können gegebenenfalls um ihnen nicht widersprechende weitere Feststellungen ergänzt werden.
Quentin Maatsch Marks
Tschakert Gödicke
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:081024B4STR408.24.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-80465