BGH Beschluss v. - AK 83 u. 84/24, AK 83/24, AK 84/24

Gründe

I.

1Die Beschuldigten befinden sich seit dem 9. (         S.      ) beziehungsweise (           A.  ) ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund der Haftbefehle des Ermittlungsrichters des [          S.      ], 2 BGs 247/24 [          A.  ]).

2Gegenstand beider Haftbefehle ist der Vorwurf, die Beschuldigten hätten sich in Syrien und Irak jedenfalls zwischen Oktober 2015 und Dezember 2017 als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet gewesen seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB, und gemeinschaftlich (§ 25 Abs. 2 StGB) durch dieselbe Handlung (§ 52 StGB)

3- in der Absicht, eine religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Art, zugefügt sowie ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt, strafbar gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 und 5 VStGB,

4- im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung Menschenhandel betrieben oder auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm angemaßt, einen Menschen, der sich in ihrem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter ihrer Kontrolle befunden habe, gefoltert, indem sie ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt hätten, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen gewesen seien, einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Art zugefügt, einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt und eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem sie ihr aus religiösen Gründen und aus Gründen des Geschlechts grundlegende Menschenrechte entzogen oder diese wesentlich eingeschränkt hätten, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3, 5, 8, 9 und 10 VStGB, sowie

5- im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem sie ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zugefügt hätten, strafbar gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB.

6Der gegen den Beschuldigten           S.       gerichtete Haftbefehl legt ihm darüber hinaus zur Last, tateinheitlich im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung einen anderen Menschen und im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person vergewaltigt zu haben, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6, § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, § 52 StGB.

7Der Beschuldigten          A.   wirft der gegen sie gerichtete Haftbefehl zusätzlich vor, tateinheitlich zu den vorgenannten Tatbeständen der Vergewaltigung Beihilfe geleistet zu haben, strafbar gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 6, § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, §§ 27, 52 StGB.

II.

8Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate sind für beide Beschuldigten erfüllt.

91. Sie sind der ihnen jeweils mit den Haftbefehlen zur Last gelegten Tat dringend verdächtig (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO).

10a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines solchen Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

11aa) Der IS ist eine Organisation mit militant-fundamentalistischer islamischer Ausrichtung, die es sich ursprünglich zum Ziel gesetzt hatte, einen das Gebiet des heutigen Irak und die historische Region „ash-Sham“ - die heutigen Staaten Syrien, Libanon und Jordanien sowie Palästina - umfassenden und auf ihrer Ideologie gründenden „Gottesstaat“ unter Geltung der Scharia zu errichten und dazu das Regime des syrischen Präsidenten Assad und die schiitisch dominierte Regierung im Irak zu stürzen. Zivile Opfer nahm und nimmt sie bei ihrem fortgesetzten Kampf in Kauf, weil sie jeden, der sich ihren Ansprüchen entgegenstellt, als „Feind des Islam“ begreift; die Tötung solcher „Feinde“ oder ihre Einschüchterung durch Gewaltakte sieht der IS als legitimes Mittel des Kampfes an.

12Die Führung der Vereinigung, die sich mit der Ausrufung des „Kalifats“ am aus „Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien“ (ISIG) in „Islamischer Staat“ umbenannte, wodurch sie von der territorialen Selbstbeschränkung Abstand nahm, hatte von 2010 bis zu seinem Tod Ende Oktober 2019 Abu Bakr al-Baghdadi inne. Bei der Ausrufung des Kalifats erklärte der Sprecher des IS al-Baghdadi zum „Kalifen“, dem die Muslime weltweit Gehorsam zu leisten hätten. Seitdem ernannte die Organisation mehrere Nachfolger, die ebenfalls getötet wurden.

13Dem Anführer des IS unterstehen ein Stellvertreter sowie „Minister“ als Verantwortliche für einzelne Bereiche, so ein „Kriegsminister“ und ein „Propagandaminister“. Zur Führungsebene gehören außerdem beratende „Schura-Räte“. Veröffentlichungen werden von eigenen Medienstellen produziert und verbreitet. Das auch von den Kampfeinheiten verwendete Symbol der Vereinigung besteht aus dem „Prophetensiegel“ (einem weißen Oval mit der Inschrift „Allah - Rasul - Muhammad“) auf schwarzem Grund, überschrieben mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die zeitweilig über mehrere Tausend Kämpfer sind dem „Kriegsminister“ unterstellt und in lokale Kampfeinheiten mit jeweils einem Kommandeur gegliedert.

14Die Vereinigung teilte von ihr besetzte Gebiete in Gouvernements ein und richtete einen Geheimdienstapparat ein; diese Maßnahmen zielten auf die Schaffung totalitärer staatlicher Strukturen. Angehörige der irakischen und syrischen Armee, aber auch von in Gegnerschaft zum IS stehenden Oppositionsgruppen, ausländische Journalisten und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen sowie Zivilisten, die den Herrschaftsbereich des IS in Frage stellten, sahen sich der Verhaftung, Folter und der Hinrichtung ausgesetzt. Filmaufnahmen von besonders grausamen Tötungen werden vom IS zu Zwecken der Einschüchterung veröffentlicht. Darüber hinaus begeht er Massaker an Zivilisten und Terroranschläge außerhalb seines Machtbereichs. So übernahm er für Anschläge in Europa, etwa in Paris, Brüssel und Berlin, die Verantwortung.

15Im Jahr 2014 gelang es dem IS, große Teile der Staatsterritorien von Syrien und dem Irak zu besetzen. Er kontrollierte die aneinander angrenzenden Gebiete Ostsyriens und des Nordwestiraks. In der Nacht vom 2. auf den griffen zudem hunderte Milizionäre des IS die Region um das Sindschar-Gebirge an. Dort lebten vornehmlich Jesiden, die der IS nach seinen radikal-sunnitischen Vorstellungen als Ungläubige und „Teufelsanbeter“ ansieht. Ziel der Operation war die vollständige Vernichtung der jesidischen Religion, des Jesidentums als solchem und seiner Angehörigen in den besetzten Gebieten unter anderem durch Tötungen, Zwangskonversion und religiöse Umerziehung sowie Versklavung der Frauen und Kinder. Männer, die sich weigerten, zum Islam zu konvertieren, wurden hingerichtet; diejenigen, die sich - um zu überleben - dazu bereit erklärten, gefangengenommen, verschleppt und in der Folgezeit zumeist als Zwangsarbeiter eingesetzt. Frauen und Kinder verbrachten die IS-Kämpfer unter Gewaltandrohung in von der Vereinigung besetzte Gebiete, insbesondere nach Rakka in Syrien und Mossul im Irak. Dort durften sich die Milizionäre gegen Geld oder als besondere Auszeichnung Gefangene aussuchen und als Sklaven mitnehmen. Die verbleibenden Frauen und Mädchen verkaufte die Vereinigung auf Sklavenmärkten, vor allem in Rakka und Mossul, oder über Online-Auktionen. Ihre „Besitzer“ missbrauchten sie in den Folgejahren als Sex- und Haushaltssklaven.

16Ab dem Jahr 2015 geriet der IS militärisch unter Druck und musste schrittweise territoriale Verluste hinnehmen. Im August 2017 wurde die Vereinigung aus ihrer letzten nordirakischen Hochburg in Tal Afar verdrängt. Im März 2019 galt sie - nach der Einnahme des von seinen Kämpfern gehaltenen ostsyrischen Baghouz - sowohl im Irak als auch in Syrien als militärisch besiegt, ohne dass sie als solche zerschlagen wäre.

17Inzwischen agiert der IS auch außerhalb seines ursprünglichen Kerngebiets und ist für fortwährende terroristische Aktivitäten in Afrika und Asien, vor allem in Ägypten/Sinai (ISPS), West- und Zentralafrika (ISPW und ISPZ) sowie in der von ihm sogenannten Provinz Khorasan bestehend aus den Ländern Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan (ISPK) verantwortlich.

18bb) Beide Beschuldigten sind kurdische Iraker. Der Beschuldigte          S.        wurde im Irak geboren, lebte aber ab 2002 in Deutschland. Nachdem er sich in M.            islamistisch radikalisiert hatte, reiste er im Mai 2015 zum IS nach Syrien aus. Dort gliederte er sich in die Vereinigung ein, durchlief eine militärische Ausbildung und schloss sich im Juli 2015 einer in Mo.      stationierten Kampfeinheit an. In dieser Stadt lebte die Beschuldigte          A.  , die ebenfalls in die Strukturen des IS eingebunden war. Zwischen August und Oktober 2015 heirateten sie nach islamischem Ritus.

19Die Beschuldigten wussten, dass Tausende Jesiden gewaltsam von IS-Milizen im Sindschar-Gebirge gefangen genommen und verschleppt worden waren, und hießen dies gut. Sie hielten Jesiden für wertlose Ungläubige. Von dieser Einstellung geleitet, wünschte sich die Beschuldigte         A.   zur Hochzeit als „Brautgabe“ ein jesidisches Mädchen. Der Beschuldigte            S.        kaufte daraufhin zwischen Oktober und Dezember 2015 auf einem Basar in Mo.      die im Jahre 2010 geborene und mithin damals höchstens fünfjährige Jesidin I.                                           (im Folgenden: I.        ). In der Absicht, sich an der vom IS propagierten Vernichtung der jesidischen Volks- und Religionsgemeinschaft zu beteiligen, maßten sich die Beschuldigten in den Folgejahren ein Eigentumsrecht an dem Kind an und hielten es sich als Sklavin. Es musste nach ihren Vorgaben islamische Gebete auswendig lernen und sprechen, die im Mai 2016 geborene Tochter der Beschuldigten versorgen und die verschiedenen von ihnen nacheinander bewohnten Haushalte führen, die es nicht verlassen durfte. Beide Beschuldigten, die durchweg Waffen trugen, schlugen das Kind und drückten ihm gegenüber auch verbal seine vermeintliche Wertlosigkeit aus. Mit Kenntnis und Billigung der Beschuldigten           A.   verübte der Beschuldigte          S.       zudem den ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr an I.     , was dem Kind starke Schmerzen bereitete.

20Etwa Anfang Oktober 2017 - die Beschuldigten lebten inzwischen mit I.        und zwei weiteren IS-Familien in einem Haus in der Provinz Deir Ezzor - kaufte         S.        außerdem die im Juli 2005 geborene und mithin damals zwölf Jahre alte Jesidin Al.                                      (im Folgenden: Al.    ). Beim Kauf legte er Wert auf deren Jungfräulichkeit. Auch Al.     wurde fortan als Sklavin gehalten, religiös „umerzogen“, systematisch wirtschaftlich und sexuell ausgebeutet sowie erniedrigt und gequält. Die Beschuldigten bestimmten vollständig über das Leben der Kinder, teilten ihnen zu wenig Nahrung zu, zwangen sie zu regelmäßigen islamischen Gebetsriten, misshandelten sie und verursachten hierdurch bei beiden gravierende körperliche und seelische Beeinträchtigungen.

21Konkret gestalteten sich die von den Beschuldigten diktierten Lebensbedingungen derart, dass sie die Mädchen morgens zwischen vier und fünf Uhr weckten und sie zwangen, an islamischen Gebeten teilzunehmen. Sodann mussten die Kinder das Haus für die drei Familien sauber halten, den gesamten Abwasch und für alle Bewohner die Wäsche erledigen. Gäste hatten sie mit Gebäck und Tee zu bedienen. I.          oblag daneben die Betreuung und Versorgung der Tochter der Beschuldigten. Bei kleinsten Verfehlungen oder Erschöpfung wurden die beiden Mädchen von den Beschuldigten geschlagen und misshandelt, um sie zu disziplinieren und gefügig zu halten, wobei ein Besenstiel und heißes Wasser zum Einsatz kamen.

22An Al.     verübte der Beschuldigte          S.        zu drei Gelegenheiten ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr. Im ersten Fall fesselte er sie, im zweiten Fall züchtigte er sie durch Stockschläge, im dritten Fall vergewaltigte er im selben Raum zunächst I.         und dann Al.    . Al.    , die noch nicht menstruierte, erlitt jeweils starke Blutungen und Schmerzen. Die Beschuldigte          A.  beteiligte sich an dem Sexualgeschehen, indem sie das Kind vor dessen Entjungferung unter Einsatz von körperlicher Gewalt schminkte, um ihrem Mann „eine schöne Hochzeit“ zu bereiten, und es beschimpfte, weil es sich nicht sexuell fügsam zeigte. Beide Mädchen litten unter ihrer Behandlung sowohl physisch als auch psychisch in großem Ausmaß.

23Im November 2017 wollten die Beschuldigten das Land verlassen und die beiden jesidischen Kinder „loswerden“. Nachdem         A.   zunächst erwogen hatte, I.        „auszusetzen“ oder zu verschenken, übergab           S.         sie an einen tadschikischen IS-Kämpfer, der sich der nunmehr etwa Siebenjährigen seinerseits entledigte. Ihr weiteres Schicksal ist bis heute ungeklärt. Al.     verkaufte er an einen aus Saudi-Arabien stammenden IS-Mann, der das Kind gleich in der ersten Nacht vergewaltigte. Am konnte Al.      Familie sie für 12.000 US-Dollar von ihren letzten „Besitzern“ freikaufen. Sie leidet bis in die Gegenwart unter Ängsten und Depressionen, die medikamentöser Behandlung bedürfen.

24Die Beschuldigten reisten vor dem in die Türkei und kamen von dort aus um den mit ihrer Tochter nach M.           , wobei sie gefälschte syrische Ausweise mit sich führten. Der Beschuldigte            S.      wurde am verhaftet und am vom Oberlandesgericht München wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Das Urteil ist seit dem rechtskräftig. Die darin abgeurteilten Taten umfassen die oben geschilderte Ausreise des Beschuldigten zum IS, seine dortige Eingliederung, die Teilnahme am militärischen Ausbildungscamp sowie die nicht näher spezifizierte jahrelange Tätigkeit als Kämpfer und (wohl auch) Krankentransporteur für die Vereinigung bis zur Ausreise in die Türkei im November 2017.

25b) Die Beschuldigten haben sich zu den Tatvorwürfen bisher nicht eingelassen.

26Der dringende Tatverdacht hinsichtlich der außereuropäischen Vereinigung IS und deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg im Allgemeinen, in Bezug auf das Vorgehen gegen die Jesiden im Besonderen, beruht auf islamwissenschaftlichen Gutachten, Behördenerklärungen der Geheimdienste und zahlreichen polizeilichen Auswerteberichten.

27Der vorstehende Sachverhalt ist den Ermittlungsbehörden, soweit er die Versklavung von I.        betrifft, ursprünglich durch die Aussage einer deutschen IS-Rückkehrerin bekannt geworden, die den Beschuldigten          S.       seit seinem Übertritt über die türkisch-syrische Grenze zum IS im Sommer 2015 kennt und im Tatzeitraum vor Ort mit beiden Beschuldigten in Kontakt stand. Im Folgenden haben verschiedene jesidische Zeuginnen den Tatverdacht bestätigt, die selbst als Sklavinnen gehalten worden und zu verschiedenen Gelegenheiten mit den Beschuldigten und I.        sowie zum Teil auch Al.     zusammengetroffen waren. Die detailliertesten Angaben hat schließlich Al.     selbst geleistet, die Ende 2023 an mehreren Tagen im Irak ausgesagt und sich umfangreich zu ihrem eigenen Erleben und demjenigen von I.        geäußert hat, soweit sie es in der Zeit, die sie bei den Beschuldigten verbracht hatte, miterlebt hatte. Al.    hat dabei in ihren eigenen Worten nicht nur die haftbefehlsgegenständlichen Sexualdelikte geschildert, sondern auch, welche traumatischen psychischen Auswirkungen das Geschehen insgesamt auf sie und I.        hatte. Die Zeuginnen haben darüber hinaus zu den fortwährenden abwertenden Äußerungen der Beschuldigten über Jesiden („Kuffar“) sowie darüber bekundet, dass diese die jesidischen Kinder verhöhnten und als menschlich wertlos ansahen. Die Tötung von Jesiden und die Vergewaltigung von jesidischen Kindern ab dem Alter von sechs Jahren betrachteten sie als „normal“ und legitim („halal“). Das danach vorläufig zugrunde zu legende objektive Geschehen lässt Rückschlüsse auf die subjektiven Umstände zu.

28Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Haftbefehle und die Vernehmungsprotokolle Bezug genommen. Im Übrigen wird auf die seither vorgenommenen Ermittlungen verwiesen, die den Tatverdacht zusätzlich erhärten. Dazu zählen insbesondere die Aussagen einer derzeit in Kanada ansässigen jesidischen Zeugin sowie der beiden Schwestern von I.        , die sich im Irak beziehungsweise Australien aufhalten und die ebenfalls vom IS versklavt worden waren.

29c) In rechtlicher Hinsicht ist der geschilderte Sachverhalt in den Haftbefehlen zutreffend dahin gewürdigt, dass beide Beschuldigten zumindest ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Versklavung begingen (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB),         S.       außerdem Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen durch sexuelle Gewalt verübte (§ 7 Abs. 1 Nr. 6, § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) und          A.   zu jenen Beihilfe gemäß § 27 StGB leistete (zu den einzelnen Tatbeständen s. etwa BGH, Beschlüsse vom - AK 5/21, BGHR VStGB § 7 Abs. 1 Menschenhandel 1 Rn. 39; vom - AK 17/22, NStZ-RR 2022, 227, 228). Dies allein rechtfertigt die Fortdauer der Haft. Ob die Beschuldigten darüber hinaus jeweils täterschaftlich einen Völkermord, auch in der Variante des Überführens eines Kindes der Gruppe in eine andere Gruppe nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 VStGB, sowie die ihnen in den Haftbefehlen zur Last gelegten weiteren Menschlichkeits- und Kriegsverbrechen begingen, ist für die Haftfrage in diesem Verfahrensstadium ohne Belang und bedarf deshalb gegenwärtig keiner Befassung des Senats.

30Gleiches gilt für die konkurrenzrechtliche Würdigung des Gesamtgeschehens. Das betrifft zum einen die Frage, wie die verschiedenen völkerstrafrechtlichen Delikte zueinanderstehen (vgl. , StV 2021, 596 Rn. 44 ff.; s. auch , BGHSt 67, 180 Rn. 59 ff.), zum anderen deren Verhältnis zur fortdauernden mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (vgl. , BGHSt 60, 308 einerseits; , juris Rn. 32 andererseits).

31d) Deutsches Strafrecht ist nach § 1 Satz 1 VStGB, § 7 Abs. 2 Nr. 2, § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB anwendbar. Eine Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB liegt vor.

322. Ein Strafklageverbrauch für den Beschuldigten              S.       ist nicht eingetreten. Denn das ehemals angeklagte und am vom Oberlandesgericht abgeurteilte Geschehen erschöpfte sich in tatsächlicher Hinsicht in der Ausreise zum, der Eingliederung in und den militärischen Kampf für den IS. Dies allein war der damals durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff und damit die von der Rechtskraft erfasste prozessuale Tat.

33Die Versklavung der beiden jesidischen Kinder überschneidet sich mit diesem Geschehen nur zeitlich sowie im Hinblick darauf, dass          S.       auch sie als Mitglied der terroristischen Vereinigung IS vornahm. Sie bildet jedoch weder mit der Ausreise noch mit der Eingliederung - diese war bereits geschehen - oder mit der Betätigung als Kämpfer einen einheitlichen Lebensvorgang. Denn das durch das Täterverhalten sowie die ihm innewohnende Angriffsrichtung und das Tatopfer bestimmte Tatbild ist ein gänzlich anderes: einerseits der bewaffnete Konflikt, andererseits die Unterdrückung und Ausbeutung von zwei jesidischen Kindern. Das Geschehen um die Versklavung der Mädchen ist deshalb - unabhängig von der konkurrenzrechtlichen Beurteilung - eine andere prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO (vgl. zu den nach st. Rspr. insoweit maßgeblichen Abgrenzungskriterien etwa , NJW 2022, 2349 Rn. 9 ff. mwN).

34Was dies für die fortlaufende mitgliedschaftliche Beteiligung von          S.       an der terroristischen Vereinigung nach § 129a Abs. 1, § 129b Abs. 1 StGB bedeutet, die hochwahrscheinlich (auch) durch die hiesigen Tatvorwürfe verwirklicht wurde, deretwegen er jedoch bereits rechtskräftig anderweitig verurteilt ist, bedarf für die Haftfortdauer keiner Entscheidung.

353. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs für den Erlass der Haftbefehle ergibt sich aus § 125 Abs. 1, § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 1 Nr. 6 und 8, § 142 Abs. 1 Nr. 1, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG.

364. Es besteht weiterhin aus den in den Haftbefehlen dargelegten Erwägungen für beide Beschuldigten der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie zumindest für           A.   - auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (s. etwa , juris Rn. 30 f.) - derjenige der Schwerkriminalität. Die Straferwartung ist mit Blick etwa auf den Unrechts- und Schuldgehalt der hochwahrscheinlichen Tathandlungen sowie den langen Tatzeitraum jeweils hoch. Die Beschuldigten erwartet bereits angesichts des Vorwurfs des Menschlichkeitsverbrechens nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VStGB eine Freiheitsstrafe zwischen fünf und 15 Jahren. Sollte bei der Beschuldigten          A.  Jugendstrafrecht zur Anwendung gelangen, droht ihr allein wegen dieses Delikts Jugendstrafe bis zu zehn Jahren (§ 105 Abs. 3 Satz 1 JGG).

37Erhebliche hemmende Aspekte stehen dem starken Fluchtanreiz nicht entgegen. Beide Beschuldigten sind Iraker und haben zu Deutschland kaum (         S.      ) beziehungsweise keine (            A. ) Bindung. Daran ändert der Umstand nichts, dass ihre zwei gemeinsamen Kinder derzeit hier leben, von denen der im Juli 2018 geborene Sohn eine Hirnblutung erlitt, deren Folgen sich dauerhaft auswirken.

38Unter den gegebenen Umständen ist der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO erreichbar.

395. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Angesichts des komplexen, mehrere Jahre umfassenden Tatgeschehens und vieler Auslandszeugen haben die besondere Schwierigkeit und der Umfang der Ermittlungen ein Urteil noch nicht zugelassen.

40Das Ermittlungsverfahren ist durchgehend mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden. Einen erheblichen Zeitaufwand haben die weitgehend von UNITAD vorgenommenen Befragungen der jesidischen Zeuginnen erfordert, von denen sich derzeit keine in Deutschland aufhält. Die zumeist mehrtägigen Vernehmungen sind teils in englischer Sprache, teils in Kurmandschi durchgeführt worden, so dass zunächst die Aufzeichnungen zu transkribieren und anschließend Übersetzungen zu fertigen gewesen sind, was andauert. Hinzu kommt die Auswertung von bei der Festnahme des Beschuldigten           S.       sichergestellten elektronischen Asservaten. Auf die nähere Darlegung in den Zuschriften des Generalbundesanwalts vom wird verwiesen. Dieser hat in Aussicht gestellt, bis Ende des Jahres Anklage zu erheben.

416. Die Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht der Beschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der jeweils zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Schäfer                 Berg                 Erbguth

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:301024BAK83.24.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-80085