(Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsbedürftigkeit - Krankenversicherung - künstliche Befruchtung - Altersgrenze nach § 27a Abs 3 S 1 Halbs 2 SGB 5)
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 27a Abs 3 S 1 Halbs 2 SGB 5, Art 3 Abs 1 GG
Instanzenzug: Az: S 61 KR 261/20 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 16 KR 86/23 Beschluss
Gründe
1I. Die bei der Beklagten krankenversicherten Kläger begehren die Kostenübernahme für Intracytoplasmatische Spermieninjektionen (ICSI) als Folgebehandlung.
2Die Klägerin ist 1979 geboren. Nachdem die Beklagte eine bis zum befristete Genehmigung für drei Behandlungsversuche erteilt und im April 2019 einen (Folge-)Behandlungsplan für maximal zwei Zyklen bewilligt hatte, lehnte sie die weitere Kostenübernahme nach Vollendung des 40. Lebensjahres der Klägerin ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Die insbesondere auf ein zusprechendes Urteil des BGH zum Anspruch einer weiblichen Versicherten nach deren Vollendung des 40. Lebensjahres gestützte Klage ist vor dem ) und dem ) erfolgslos geblieben.
3Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des LSG.
4II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.
51. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.
7Sie führen aus, die verschiedenen Altersgrenzen für Leistungen der künstlichen Befruchtung für Frauen in der gesetzlichen und Frauen in der privaten Krankenversicherung bedingten eine Ungleichbehandlung, die bisher nicht überprüft und thematisiert worden sei. Die Kostenübernahme sei von Gegebenheiten im Einzelfall und nicht allein vom Alter abhängig zu machen.
8Damit ist allerdings die Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht hinreichend dargelegt. Eine Rechtsfrage ist - auch wenn das BSG sie noch nicht ausdrücklich behandelt hat - nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sodass eine weitere Klärung oder Fortentwicklung des Rechts nicht mehr zu erwarten ist (stRspr; vgl zB - juris RdNr 7 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl - juris; - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).
9Daran fehlt es hier. Die Begrenzung des Anspruchs auf weibliche Versicherte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, ergibt sich klar und unzweifelhaft aus dem Gesetz (§ 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V). Dass die aufgeworfene Frage trotz dieser eindeutigen gesetzlichen Vorschrift klärungsbedürftig sein könnte, legen die Kläger nicht dar. Allein die Auffassung, das Gesetz sei nicht mehr zeitgemäß, lässt keine Klärungsbedürftigkeit erkennen.
10Die Klärungsbedürftigkeit ist auch nicht dadurch hinreichend dargetan, dass die Kläger mit der geltend gemachten Ungleichbehandlung zwischen gesetzlich und privat krankenversicherten Personen einen Verfassungsverstoß von § 27a Abs 3 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes aus Art 3 Abs 1 GG rügen. Wird die Beschwerde mit einem Grundrechtsverstoß begründet, hat sie unter Einbeziehung der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung - insbesondere des BVerfG, aber auch des BSG - im Einzelnen aufzuzeigen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (vgl - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; ferner zB - juris RdNr 7 mwN). Dazu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verfassungsverletzung dargelegt werden. Die Beschwerdebegründung darf sich im Fall einer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Frage aber nicht darauf beschränken, die Verfassungswidrigkeit zu behaupten und die als verletzt angesehenen Normen des Grundgesetzes zu benennen (vgl - juris RdNr 5 mwN).
11Nach diesem Maßstab genügt die Beschwerdebegründung nicht den Darlegungsanforderungen. Sie nimmt zwar Bezug auf das - SozR 4-2500 § 27a Nr 7) und verweist darauf, dass sich das BSG dort nicht mit unterschiedlichen Lebensaltersobergrenzen bei Frauen in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung befasst habe. Sie setzt sich aber nicht mit den Gründen auseinander, die für das BSG unter Beachtung der Rechtsprechung des BVerfG maßgeblich waren, eine sachwidrige Ungleichbehandlung zu verneinen, und warum diese Gründe nicht gleichermaßen für eine unterschiedliche Lebensaltersobergrenze gelten (BSG, aaO, RdNr 19; dort zur Konzeptionswahrscheinlichkeit als Anspruchsvoraussetzung für einen Anspruch auf ICSI-Kostenerstattung in der privaten Krankenversicherung). Schließlich geht sie nicht auf das - SozR 4-2500 § 27a Nr 8) ein, das sich mit der Absenkung der Lebensaltersobergrenze von 45 auf 40 Jahre befasst (BSG, aaO, RdNr 14, 17 ff, dort auch zur Altersdiskriminierung). Die Kläger behaupten lediglich ohne weitere Begründung, dass die gesetzliche Regelung verfassungswidrig sei und der in der privaten Krankenversicherung geltenden Rechtslage angepasst werden müsse.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:241024BB1KR6623B0
Fundstelle(n):
WAAAJ-79848