BGH Urteil v. - 1 StR 276/24

Leitsatz

An verschiedenen Wohnsitzen und dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichzeitig vorgehaltene Cannabismengen sind zur Bestimmung der strafrechtlich relevanten Freigrenze nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG zusammenzurechnen.

Gesetze: § 34 Abs 1 Nr 1 Buchst b KCanG

Instanzenzug: LG Baden-Baden Az: 2 KLs 104 Js 8391/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und wegen "unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit "unerlaubtem" Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat ferner Taterträge im Wert von 420 Euro, die sichergestellten Betäubungsmittel sowie ein Mobiltelefon eingezogen, angeordnet, dass die erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 anzurechnen ist, und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten, auf Fall II. 1. der Urteilsgründe beschränkten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB).

I.

2Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. a) Am nahm die Nebenklägerin mit ihrem Partner an einer Zusammenkunft im Bereich einer Obdachlosen- und Asylbewerberunterkunft teil, in der sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge K.        lebten. Sie konsumierte dabei eine größere, nicht näher bestimmbare Menge Whisky-Eistee-Mischung. Nachdem ihr Freund die Örtlichkeit verlassen hatte, tauschte sie mit K.        Zärtlichkeiten aus. Auf Initiative des später dazu gestoßenen Angeklagten begleiteten die Geschädigte und K.        diesen auf sein Zimmer in der genannten Unterkunft. Dort tranken alle drei weiteren Alkohol und rauchten Marihuana. Die Nebenklägerin und K.         nahmen ferner eine Ecstasy-Tablette zu sich.

4Als sich K.         und die Geschädigte auf das Bett gelegt hatten und dort weitere Zärtlichkeiten austauschten, entschloss sich der Angeklagte, der erkannt hatte, dass die Nebenklägerin infolge ihres Konsums von Alkohol und Ecstasy zur Bildung sowie zur Äußerung eines Willens nur stark eingeschränkt in der Lage war, diesen Umstand zur Durchführung sexueller Handlungen auszunutzen. Er zog der bäuchlings auf dem Zeugen K.        liegenden Geschädigten Hose sowie Unterhose aus und führte zunächst eine Faust in ihren After ein, wodurch Kot austrat und die Geschädigte ein Hämatom an der Afteröffnung mit einem Durchmesser von vier bis fünf Zentimeter sowie eine Schürfung der Analmanschette erlitt. Als der durch die Exkremente beschmutze K.         das Zimmer verlassen hatte, um sich zu säubern, führte der Angeklagte seine Faust tief in die Vagina der Geschädigten ein. Die Nebenklägerin erlitt hierdurch neben einer Schürfung am Scheideneingang zwei Vaginalrisse, die genäht werden mussten. Einer davon betraf die rechte Scheidenwand. Er war drei bis vier Zentimeter lang und einen halben Zentimeter tief. Der zweite Riss reichte bis zum hinteren Scheidengewölbe und war fünf bis sechs Zentimeter lang sowie einen halben Zentimeter tief. Die Geschädigte musste wegen dieser Verletzungen bis zum stationär behandelt werden und war sechs Wochen krankgeschrieben. Sie ist von dem Geschehen psychisch stark beeinträchtigt und musste sich deshalb einer psychologischen Behandlung unterziehen (Fall II. 1. der Urteilsgründe).

5b) In der Zeit vom bis veräußerte der Angeklagte in fünf Fällen an einen Verdeckten Ermittler Kokain, um sich durch den gewinnbringenden Weiterverkauf der Betäubungsmittel eine auf Dauer angelegte, "erhebliche" Einnahmequelle zu verschaffen. Im Einzelnen wurden folgende Geschäfte abgewickelt:

6aa) Am verkaufte er eine Plombe mit 0,98 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt: mindestens 40 Prozent) zu einem Preis von 90 Euro (Fall II. 2. der Urteilsgründe).

7bb) Am veräußerte er eine Plombe mit 0,985 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt: mindestens 40 Prozent) zu einem Preis von 80 Euro (Fall II. 3. der Urteilsgründe).

8cc) Am verkaufte er 1,665 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt: mindestens 40 Prozent) zu einem Preis von 200 Euro, wobei er das Kokain von einem tennisballgroßen Brocken mit mindestens zehn Gramm abbrach, der auch im Übrigen zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war (Fall II. 4. der Urteilsgründe).

9dd) Am veräußerte er eine Plombe mit 0,545 Gramm Kokain (Wirkstoffgehalt: mindestens 50 Prozent) zu einem Preis von 50 Euro (Fall II. 5. der Urteilsgründe).

10c) Am bewahrte der Angeklagte Betäubungsmittel und Cannabis auf, wobei das Kokain und Amphetamin zum gewinnbringenden Weiterverkauf, das Marihuana zum Eigengebrauch bestimmt waren. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Mengen:

11aa) in dem von ihm genutzten Zimmer Nr. 107 der unter I. 1. a) genannten Unterkunft 319 Gramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 3,477 Gramm Amphetaminbase, weitere 24,6 Gramm Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von unter 10 Prozent, 3,345 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 50 Prozent und 20,25 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von ca. 10 Prozent;

12bb) in dem ebenfalls von ihm genutzten Zimmer Nr. 111 der unter I. 1. a) genannten Unterkunft 87,35 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 9,345 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) sowie

13cc) in der von ihm mitgenutzten Wohnung seiner Verlobten 5,435 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 0,786 Gramm THC und 118,845 Gramm Amphetamin mit einer Wirkstoffmenge von mindestens 9,328 Gramm Amphetaminbase.

142. Das Landgericht hat das Tatgeschehen im Fall II. 1. der Urteilsgründe als Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung gewürdigt (§ 177 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1, § 223 Abs. 1, § 52 Abs. 1 StGB) und gegen den Angeklagten deswegen eine Einzelfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verhängt. Von den Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB (besonders schwere Vergewaltigung) hat sich die Strafkammer keine Überzeugung bilden können. Die Taten II. 2. bis II. 6. der Urteilsgründe hat es unter die Straftatbestände des zum Urteilszeitpunkt auch für Marihuana geltenden Betäubungsmittelgesetzes subsumiert und Einzelfreiheitsstrafen von jeweils acht Monaten (Fälle II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe), einem Jahr und drei Monaten (Fall II. 4. der Urteilsgründe), sechs Monaten (Fall II. 5. der Urteilsgründe) sowie einem Jahr und acht Monaten (Fall II. 6. der Urteilsgründe) festgesetzt.

II.

Revision der Staatsanwaltschaft

151. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig und wirksam auf Fall II. 1. der Urteilsgründe sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkt. Der Aufhebungsantrag der Staatsanwaltschaft bezieht sich ausschließlich hierauf. Aus der weiteren Revisionsbegründung ergibt sich überdies zweifelsfrei, dass sich die Anklagebehörde nur gegen die Ablehnung der Voraussetzungen des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB wendet.

162. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist auch begründet. Die Beweiswürdigung der Strafkammer zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer schweren körperlichen Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB hält trotz des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

17a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine schwere körperliche Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dieser Norm eine gravierende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens voraussetzen soll, bei der die körperliche Integrität des Opfers in einer Weise, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, verletzt wird und die insoweit zu stellenden Anforderungen nicht zu niedrig angesetzt werden dürfen, da das Qualifikationsmerkmal nach der gesetzlichen Unrechtsbewertung mit der Verursachung einer tatbedingten konkreten Todesgefahr im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. b StGB auf einer Stufe steht (vgl. Rn. 15; Beschluss vom – 3 StR 658/17 Rn. 4; jeweils mwN). Ungeklärt ist dabei weiterhin die Diskrepanz zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem gleichlautenden Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a StGB, den der Gesetzgeber aus den Qualifikationstatbeständen bzw. früheren Regelbeispielen der Sexualdelikte übernommen hat (vgl. Rn. 4; BeckOK-StGB/Wittig, 62. Edition, Stand: , § 250 Rn. 18 f.). Danach setzt eine schwere körperliche Misshandlung nicht zwingend die Beibringung erheblicher Schmerzen voraus. Ausreichend ist vielmehr alternativ eine Beeinträchtigung, die "nur" mit erheblichen Folgen für die Gesundheit verbunden ist (vgl. Rn. 10 und vom – 5 StR 241/18 Rn. 22; Beschluss vom – 5 StR 216/98 Rn. 4; ferner, jeweils nicht tragend: Rn. 27; Beschluss vom – 3 StR 1/07; vgl. zum Ganzen auch Rn. 2 f.).

18b) Das Landgericht hat zwar mit Blick auf die schweren Verletzungen der Nebenklägerin erhebliche Schmerzen derselben als wahrscheinlich angesehen, vermochte sich jedoch keine sichere Überzeugung hiervon zu bilden. Die Geschädigte habe infolge von Erinnerungslücken keine Angaben zum Tatgeschehen und ihren Empfindungen dabei machen können. Ferner habe der Zeuge K.       , der beim analen, nicht aber beim vaginalen Eindringen des Angeklagten in die Nebenklägerin anwesend war, keine Schmerzensäußerungen der Geschädigten wahrgenommen.

19aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln die Ergebnisse der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Kontrolle ist auf die Prüfung beschränkt, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die Beweiserwägungen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder das Tatgericht überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Erforderlich ist insoweit nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich daher letztlich als Spekulation erweisen (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 10 mwN).

20bb) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt greift die Würdigung des Landgerichts zu kurz. Denn es hat überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar noch davon aus, dass angesichts der festgestellten Verletzungen erhebliche Schmerzen des Opfers wahrscheinlich waren, verstellt sich im Anschluss jedoch den Blick darauf, dass der Nachweis solcher nicht zwingend gebietet, dass sich die Geschädigte hieran erinnern kann (vgl. Rn. 22). Denn dies würde den Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB in den Fällen, in denen sich das Opfer bei der Tat substanzinduziert in einem Zustand nach § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB befand, der wiederum häufig bedingt, dass auch Erinnerungslücken auftreten, weitgehend leerlaufen lassen. Vielmehr ist das Tatgericht in solchen Fällen gehalten, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen anhand einer sorgfältigen Würdigung der festgestellten Verletzungen und der konkreten Tathandlung zu entscheiden, ob eine schwere körperliche Misshandlung im Sinne des § 177 Abs. 8 Nr. 2 Buchst. a StGB gegeben ist. Das Landgericht hätte vor diesem Hintergrund insbesondere in den Blick nehmen müssen, dass die Nebenklägerin noch am Tag nach der Tat so starke Schmerzen im Scheidenbereich verspürte, dass eine Untersuchung nur unter Narkose möglich war (UA S. 20) und das anale Einführen einer Faust im Regelfall mit großen Schmerzen verbunden ist (vgl. dazu Rn. 9). Soweit die Strafkammer ausgeführt hat, der Zeuge K.        hätte keine Schmerzensbekundungen der Nebenklägerin wahrgenommen, ist dieses Argument schon deswegen unbehelflich, weil dieser nur während eines Teils des Tatgeschehens anwesend war.

21c) Die Sache bedarf daher im Fall II. 1. der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage, sodass auch dieser der Aufhebung unterliegt.

III.

Revision des Angeklagten

22Die Revision des Angeklagten führt im Fall II. 6. der Urteilsgründe zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der insoweit verhängten Einzelstrafe sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist sein Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.

231. Nach den Feststellungen zu Fall II. 6. der Urteilsgründe besaß der Angeklagte nicht nur Kokain und Amphetamin zu Handelszwecken, sondern auch Marihuana zum Eigenkonsum.

24a) Da es sich bei Marihuana um ein Produkt der Cannabispflanze handelt (§ 1 Nr. 4 KCanG), ist das am in Kraft getretene Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis vom (KCanG; BGBl. I Nr. 109) nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO bei der Revisionsentscheidung zu berücksichtigen und auch anzuwenden; denn die Bestimmungen des Konsumcannabisgesetzes lassen hier schon mit Blick auf die in § 34 Abs. 1 KCanG genannten und bei der Strafzumessung – auch hinsichtlich der Bestimmung der nicht geringen Menge nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG – zu berücksichtigenden Freigrenzen (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 50/24; vom – 6 StR 536/23 Rn. 27 und vom – 1 StR 105/24 Rn. 25 f.; vgl. auch Rn. 46, wonach die berücksichtigungsfähige Menge beim Eigenkonsumbesitz in der eigenen Wohnung indes nicht bei 60, sondern bei 50 Gramm liegen soll) nach einem Gesamtvergleich in dem konkreten Fall das für den Angeklagten günstigere Ergebnis zu.

25b) Da weitere Feststellungen hierzu nicht zu erwarten sind, geht der Senat zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass es sich bei allen drei Aufbewahrungsorten um den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Angeklagten nach § 1 Nrn. 16 und 17 KCanG (vgl. zur Begriffsbestimmung Patzak in: Patzak/Fabricius, BtMG, § 1 KCanG, 11. Aufl., Rn. 37 f.) handelt, sodass § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG Anwendung findet. Die Begriffsbestimmungen des Wohnsitzes bzw. gewöhnlichen Aufenthaltes im Sinne des § 1 Nrn. 16 bzw. 17 KCanG lehnen sich an die der §§ 8, 9 AO und § 30 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB I an (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 93). Während eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben kann, ist (daneben) die Begründung von zwei oder mehr Wohnsitzen möglich (vgl. dazu Gersch in: Klein, AO, 17. Aufl., § 8 Rn. 4; Spellbrink in: Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK-SGB I, Stand: , § 30 Rn. 21 f.).

26Der gleichzeitige Besitz verschiedener, zum Eigenverbrauch bestimmter Betäubungsmittel an unterschiedlichen Orten ist als ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz zu werten (st. Rspr.; s. nur Rn. 11). Unter dem Regelungsregime des Konsumcannabisgesetzes gilt nichts Anderes. Denn der Gesetzgeber hat sich hinsichtlich der konkurrenzrechtlichen Würdigung im Wesentlichen an das Betäubungsmittelgesetz angelehnt (vgl. Rn. 16 mwN).

27Vor dem Hintergrund, dass die in § 34 Abs. 1 KCanG straffreien Besitzmengen das äußerste Maß dessen darstellen, was mit Blick auf die – auch aus der Sicht des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1) – grundsätzlich weiterhin gegebene Gefährlichkeit von Cannabis mit Blick auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung noch verantwortet werden kann (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 105/24 Rn. 24; vom – 2 StR 107/24 Rn. 32) und konkurrenzrechtlich lediglich ein Fall des Besitzes anzunehmen ist, sind die an verschiedenen Wohnsitzen und dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichzeitig vorgehaltenen Cannabismengen zur Bestimmung der strafrechtlich relevanten Freigrenze nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG zusammenzurechnen.

28c) In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO ändert der Senat daher den Schuldspruch im Fall II. 6. der Urteilsgründe in Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von mehr als insgesamt 60 Gramm Cannabis ab. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der insoweit geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

292. Die im Fall II. 6. der Urteilsgründe festgesetzte Einzelstrafe kann nicht bestehen bleiben.

30Angesichts dessen, dass bei der Bestimmung der nicht geringen Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG die straffreie Menge außer Betracht zu bleiben hat (BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 50/24; vom – 6 StR 536/23 Rn. 27 und vom – 1 StR 105/24 Rn. 25 f.; vgl. auch Rn. 46), ist diese hier – ungeachtet der Frage, ob insoweit 50 oder 60 Gramm in Abzug zu bringen sind (s.o.) – nicht erreicht, weshalb in Bezug auf den Besitz des Marihuanas der Strafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG anzuwenden ist. Da der Angeklagte tateinheitlich den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verwirklicht hat und § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG einen höheren Strafrahmen als § 34 Abs. 1 KCanG vorsieht, ist für die Strafzumessung von einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen (§ 52 Abs. 2 StGB). Nachdem dieser deutlich von dem durch das Landgericht herangezogenen Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG abweicht, ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte.

313. Die Aufhebung der Einzelstrafe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Der Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO).

324. Da der Angeklagte durch den Besitz von insgesamt mehr als 60 Gramm Cannabis die Grenze zur Strafbarkeit überschritt, ist die Handlung hinsichtlich des gesamten besessenen Cannabis strafbewehrt (BGH, Beschlüsse vom – 1 StR 105/24 Rn. 22 ff. und vom – 2 StR 107/24 Rn. 27). Das sichergestellte Marihuana unterliegt daher vollständig der Einziehung (§ 37 KCanG, § 74 Abs. 2 StGB, vgl. Rn. 22 ff.). Im Übrigen sind die durch das Landgericht getroffenen Nebenentscheidungen von dem Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes nicht betroffen und weisen keinen Rechtsfehler zu seinen Lasten auf.

Jäger                         Wimmer                         Leplow

              Allgayer                  Welnhofer-Zeitler

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:291024U1STR276.24.0

Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 9 Nr. 50
YAAAJ-79843