BGH Beschluss v. - V ZB 50/23

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 5 U 25/23vorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 12 O 100/22

Gründe

I.

1Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Kläger beantragen.

II.

2Das Berufungsgericht hält die Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil für unzulässig, weil die Beklagten nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist schlüssig dargelegt hätten, dass sie den Termin ohne eigenes Verschulden versäumt hätten. Es könne zwar zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass ihr Prozessbevollmächtigter am krankheitsbedingt nicht zu der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht habe anreisen können. Eine schuldhafte Säumnis liege aber regelmäßig auch dann vor, wenn ein kurzfristig und nicht vorhersehbar an der Wahrnehmung eines Termins gehinderter Prozessbevollmächtigter - wie hier - nicht das ihm Mögliche und Zumutbare getan habe, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen und hierdurch eine Vertagung zu ermöglichen. Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe aufgrund der von ihm selbst eingeplanten Fahrzeit von einer Stunde und der dargestellten Schmerzen bereits bei seinem Anruf des Kollegen bewusst sein müssen, dass er aufgrund seines Gesundheitszustandes und der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr in der Lage sein werde, den Gerichtstermin wahrzunehmen. Der Ablauf zeige, dass es ihm nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen sei, das Landgericht über seinen Gesundheitszustand und darüber zu informieren, dass er wegen des notwendigen Arztbesuchs den Termin nicht wahrnehmen könne. Ferner fehlten nähere Angaben zum zeitlichen Ablauf, insbesondere zum Zeitpunkt und zu der Dauer des Arztbesuches.

III.

41. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil ist nur insoweit statthaft, als sie darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe (§ 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Von der Schlüssigkeit der Darlegung dazu hängt die Zulässigkeit des Rechtsmittels ab (vgl. , NJW-RR 2020, 575 Rn. 8 mwN). Der Sachverhalt, der die Zulässigkeit des Rechtsmittels rechtfertigen soll, ist vollständig und schlüssig innerhalb der Frist der Berufungsbegründung vorzutragen. Schlüssig ist der betreffende Vortrag, wenn die Tatsachen, die die Zulässigkeit der Berufung rechtfertigen sollen, so vollständig und frei von Widersprüchen vorgetragen werden, dass sie, ihre Richtigkeit unterstellt, den Schluss auf fehlendes Verschulden erlauben (vgl. , NJW-RR 2022, 1361 Rn. 13 f.). Die Verschuldensfrage richtet sich hierbei nach den gleichen Grundsätzen wie bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. , NJW-RR 2016, 60 Rn. 5). Dabei dürfen die Gerichte die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag mit Blick auf den verfassungsrechtlichen garantierten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und auf rechtliches Gehör nicht überspannen (vgl. , aaO Rn. 14).

52. Nach diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht ohne zulässigkeitsrelevante Rechtsfehler davon aus, dass die Säumnis der Beklagten auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht, welches sie sich als eigenes Verschulden zurechnen lassen müssen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

6a) Für die Entscheidung kann unterstellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am krankheitsbedingt nicht zu der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht anreisen konnte. Dieser Umstand genügt aber nicht für die Annahme, er habe den Termin unverschuldet versäumt.

7b) ergibt sich bereits aus dem dargelegten Ablauf, dass es ihm nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen ist, das Landgericht rechtzeitig telefonisch über seine krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit in Kenntnis zu setzen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an den auf § 514 Abs. 2 ZPO gestützten Parteivortrag nicht.

8aa) Am Termintag um 8.00 Uhr war dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten klar, dass er aufgrund der Schmerzen einen Zahnarzt aufsuchen musste. Trotz starker Schmerzen hat er zu diesem Zeitpunkt noch an den Gerichtstermin gedacht. Dass er noch davon ausging, rechtzeitig um 11.30 Uhr das Landgericht erreichen und den Gerichtstermin wahrnehmen zu können, haben die Beklagten nicht vorgetragen. Angesichts der erforderlichen zahnärztlichen Behandlung, der Einnahme starker Schmerzmittel und der kalkulierten Fahrzeit von einer Stunde zwischen dem Kanzlei- und dem Gerichtsort durfte er auch nicht berechtigterweise darauf vertrauen, dass er bis zu der Terminstunde das Landgericht erreichen wird. Es

9bb) Ein solches Telefonat zu führen, war dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten - wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt - trotz der vorgetragenen starken Schmerzen und der Einnahme von Schmerzmitteln zumutbar und keinesfalls überobligatorisch. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde verlangt das Berufungsgericht von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch unter Berücksichtigung der Intensität der Schmerzen keine überdurchschnittlichen, nicht zu erwartenden Anstrengungen zur Überwindung der Krankheitserscheinungen.

10(1) Ein Rechtsanwalt muss zwar, wenn er - wie hier - unvorhergesehen erkrankt und kurzfristig und unvorhersehbar an der Wahrnehmung des Termins gehindert ist, nur das, aber auch alles unternehmen, was ihm dann möglich und zumutbar ist, um dem Gericht rechtzeitig seine Verhinderung mitzuteilen (vgl. Senat, Beschluss vom - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 10 zu den vergleichbaren Vorkehrungen zur Fristwahrung bei unvorhergesehener Erkrankung).

11(2) Hiervon ausgehend nimmt das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei an, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht das ihm Zumutbare unternommen hat. Er hat sowohl seinen Kollegen angerufen als auch telefonisch ein Taxi bestellt. Dies belegt, dass ihm trotz der erheblichen Zahnschmerzen und der Einnahme von Schmerzmitteln ein Telefonat noch möglich und auch zumutbar war und er noch klare Gedanken fassen konnte. Soweit die Rechtsbeschwerde vorbringt, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten habe aufgrund extremer Schmerzen schon am Morgen des Termintages nicht mehr klar denken können und erst am Nachmittag sei ihm die Versäumung des Termins bewusst geworden, übersieht sie, dass er jedenfalls morgens um 8.00 Uhr an den Termin gedacht hat und in der Lage war, seinen Kollegen anzurufen. Die Beklagten haben nicht dargelegt, welchem Zweck der Anruf des Kollegen überhaupt diente. Eine stellvertretende Wahrnehmung des Gerichtstermins sollte durch ihn nach eigener Darstellung jedenfalls nicht erfolgen. Anwaltlicher Sorgfalt hätte es daher entsprochen, stattdessen sofort dem Landgericht telefonisch seine Verhinderung mitzuteilen. Für diesen Anruf war nicht mehr Kraft aufzubringen als für den Anruf bei seinem Kollegen.

12c) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde schließlich geltend, das Berufungsgericht erwarte zu Unrecht nähere Angaben zum zeitlichen Verlauf, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Beklagten darauf hingewiesen habe, dass er an die genauen Uhrzeiten keine Erinnerung habe. Zu Recht weist die Rechtsbeschwerdeerwiderung darauf hin, dass es dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten möglich gewesen wäre, im Nachhinein durch Durchsicht seiner Anrufliste und Rückfrage bei seinem Arzt oder dem Taxiunternehmen den genauen Geschehensablauf zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage vorzutragen, ab wann es ihm frühestens möglich gewesen wäre, das Landgericht von seiner krankheitsbedingten Verhinderung zu unterrichten.

IV.

131. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

142. Die Festsetzung des Gegenstandswerts orientiert sich an der Festsetzung des Berufungsgerichts.

Brückner            Göbel            Malik

               Laube            Schmidt

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:231024BVZB50.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-79755