Verfahrensrecht | Aussetzungsinteresse bei geltend gemachter Verfassungswidrigkeit der Grundsteuerwertermittlung (FG)
Für die Aussetzung der Vollziehung der Grundsteuerwertfeststellung ist ein besonderes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen erforderlich ( Ew,F; Beschwerde zugelassen).
Sachverhalt: Der Antragsteller ist Berechtigter eines durch Bebauung ausgenutzten Teilerbbaurechts. Hierfür erließ der Antragsgegner eine Grundsteuerwertfeststellung auf den und setzte zugleich den Grundsteuermessbetrag auf den fest. Über die vom Antragsteller eingelegten Einsprüche ist bisher nicht entschieden worden. Nachdem der außergerichtliche Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erfolglos blieb, beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung bei Gericht. Zur Begründung trug er vor, dass das neue Recht zur Grundsteuerwertermittlung verfassungswidrig sei. Auch müsse er im Interesse seiner Mieter gegen die Grundsteuerwertfeststellung vorgehen.
Der 3. Senat des FG Münster hat den Antrag abgelehnt:
Es kann offen bleiben, ob im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide aufgrund einer möglichen Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen zur Grundsteuerwertfeststellung bestehen.
Dem Antragsteller hat es jedenfalls an einem das öffentliche Interesse am Gesetzesvollzug überwiegenden besonderen Aussetzungsinteresse gefehlt.
Nach der Rechtsprechung des BFH erfordert die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit eines dem Verwaltungsakt zugrundliegenden formell ordnungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes grundsätzlich, dass ein besonderes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht, dem Vorrang gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Gesetzes zukommt.
Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt es einerseits auf die Bedeutung des durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung für den Gesetzesvollzug sowie das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung an.
Zwar haben mehrere Senate des BFH inzwischen offengelassen, ob am Erfordernis der Interessenabwägung festzuhalten ist. Dies ist nach Auffassung des FG Münster - im Anschluss an die jüngere Rechtsprechung u.a. des II. Senats des BFH () sowie weiterer Finanzgerichte - jedoch der Fall.
Vorliegend ist dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers kein Vorrang vor dem öffentlichen Interesse am Gesetzesvollzug einzuräumen gewesen. Die Grundsteuerwertfeststellung sowie die Grundsteuermessbetragsfestsetzung führen nicht zu drohenden irreparablen Nachteilen des Antragstellers. Einem möglichen Schadensersatzanspruch gegenüber seinem Mieter aufgrund Nichtanfechtung einer rechtswidrigen Grundsteuerfestsetzung kann der Antragsteller bereits durch Bestreiten des Hauptsacheverfahrens entgegentreten.
Demgegenüber besteht ein öffentliches Interesse am Gesetzesvollzug zur Sicherung einer geordneten Haushaltsführung. Eine faktische Außerkraftsetzung der sog. Grundsteuer B würde im Geltungsbereich des sog. Bundesmodells für einen nicht absehbaren Zeitraum zu Einnahmeausfällen der hebeberechtigten Kommunen in Milliardenhöhe führen.
So haben sich im Jahr 2023 die Einnahmen aus der Grundsteuer B auf ca. 15,08 Milliarden Euro belaufen. Auch bei der konkret hebeberechtigten Kommune macht die Grundsteuer 15 % der gesamten kommunalen Einnahmen aus und ist damit von erheblicher Bedeutung.
Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Kommune die konjunkturunabhängigen Grundsteuereinnahmen durch konjunkturabhängige Steuern (Gewerbesteuer; Anteil Einkommen- und Umsatzsteuer) kompensieren kann.
Aufgrund der Konjunkturunabhängigkeit und der eigenen Hebesatzkompetenz ist die Grundsteuer auch die einzige Einnahmequelle, die die Kommune planbar selbst steuern kann.
Für die Gewichtung des öffentlichen Interesses kann der vorläufige Rechtsschutz auch nicht auf einzelne Steuerpflichtige beschränkt werden. Vielmehr ist zu erwarten, dass bei Häufungen stattgebender Aussetzungsbeschlüsse eine Vielzahl der Steuerpflichtigen ebenfalls unter Zuhilfenahme von Musteranträgen gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beantragen wird. Die Aussetzung würde daher einer temporären Vorwegnahme des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts gleichkommen.
Der 3. Senat des FG Münster hat die Beschwerde zum BFH zugelassen. Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW veröffentlicht.
Quelle: FG Münster, Newsletter November 2024 (il)
Fundstelle(n):
IAAAJ-79147