Instanzenzug: Az: 2 StR 44/24 Urteilvorgehend Az: 117 KLs 11/22
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt, die „Einziehung eines Geldbetrags in Höhe von 588.279,50 EUR als Wertersatz“ als Gesamtschuldner mit den gesondert Verfolgten M. L. und D. D. angeordnet und den Anrechnungsmaßstab für eine in Spanien verbüßte Auslieferungshaft mit 1:1 bestimmt. Gegen diese Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Diese erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
I.
21. Nach den Feststellungen der Strafkammer kam der Angeklagte mit seinen zwei Mittätern – den gesondert Verfolgten L. und D. – überein, einen Überfall auf einen im Auftrag der F. GmbH durchgeführten Werttransport zu begehen. In Ausführung dieses Tatplans näherten sich L. und D. am mit Handfeuerwaffen den Geschädigten M. und O. , die an diesem Tag für die Durchführung des Transportes eingeteilt waren. Der Angeklagte wartete währenddessen in einem Mietfahrzeug in der Nähe auf die Überwältigung der Geschädigten, um im Anschluss mit dem Fahrzeug vorzufahren und die erwartete Tatbeute zu verladen. Während der gesondert Verfolgte D. dem Geschädigten O. unter Vorhalt der Schusswaffe befahl, in den Transporter zu steigen, versetzte der gesondert Verfolgte L. dem M. einen Kinnhaken, um dessen Gegenwehr zu verhindern. Hierdurch schlug M. gegen das Fahrzeug und verlor das Bewusstsein. Die Anwendung physischer Gewalt war vor Beginn der Tatausführung auch mit dem Angeklagten abgesprochen.
3Der Angeklagte und die beiden Mittäter erbeuteten Luxusuhren, Schmuckteile und Edelmetalle. Den Wert der Tatbeute hat die Strafkammer insgesamt auf 588.279,50 Euro beziffert. Dem Angeklagten verblieb nach der zeitnahen Veräußerung der Tatbeute – ebenso wie seinen beiden Komplizen – ein Anteil von etwa 30.000 bis 40.000 Euro.
42. Die Strafkammer hat den Angeklagten aufgrund seiner Beteiligung an dieser Tat wegen besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 25 Abs. 2 StGB verurteilt. An einer tateinheitlichen Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdeliktes hat sie sich gehindert gesehen, da die Körperverletzung zum Nachteil des M. nicht gemeinschaftlich im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB begangen worden sei und hinsichtlich einer Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB weder ein Strafantrag vorliege noch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung angenommen worden sei (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB).
II.
5Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung.
61. Nachdem im Revisionsverfahren das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht worden ist, war der Schulspruch dahin abzuändern, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung schuldig ist, § 250 Abs. 2 Nr. 1, § 249 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 52 StGB (vgl. das in hiesiger Sache ergangene Senatsurteil vom ).
7Der Änderung des Schuldspruchs steht das Verböserungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO nicht entgegen. Dieses schließt die Möglichkeit einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 71/15, Rn. 5, und vom – 6 StR 44/23, NStZ 2023, 351 Rn. 8). Da der Angeklagte am ausdrücklich auf eine in Betracht kommende Verurteilung wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB hingewiesen worden ist, hindert auch § 265 Abs. 1 StPO die Schuldspruchänderung nicht.
82. Die Sachrüge hat zudem zum Einziehungsausspruch Erfolg. Die Berechnung des Einziehungsbetrages hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
9a) Als Wert einer Sache im Sinne des § 73c Satz 1 StGB ist hier der Verkehrswert der ursprünglich erlangten Vermögenswerte, mithin der im Inland erzielbare Verkaufspreis bzw. ein gegebenenfalls höherer Verwertungserlös maßgeblich (vgl. , Rn. 51; Beschlüsse vom – 3 StR 447/18, NZI 2019, 305; vom – 3 StR 456/21, Rn. 17; Schönke/Schröder/Eser/Schuster, StGB, 30. Aufl., § 73c Rn. 10). Wertsteigerungen, die bis zum Eintritt der Unmöglichkeit im Sinne des § 73c Satz 1 StGB eingetreten sind, werden berücksichtigt (vgl. , NZWiSt 2023, 177, 180 Rn. 31; LK-StGB/Lohse, 13. Aufl., § 73c Rn. 18).
10b) Diesen Maßstab hat das Landgericht nicht bedacht, indem es die in Lieferscheinen und Ladelisten ausgewiesenen Handelspreise in Schweizer Franken seiner Berechnung zugrunde gelegt und diese Werte in Euro umgerechnet hat. Der Senat kann daher nicht beurteilen, ob der von der Strafkammer ermittelte Einziehungsbetrag dem im Inland erzielbaren Bruttoverkaufspreis bei einem inländischen Juwelier entspricht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.
113. Weitere sachlich-rechtliche Fehler zum Nachteil des Angeklagten sind nicht ersichtlich. Der Senat schließt insbesondere aus, dass die exakte Bestimmung des Einziehungsbetrages sich zugunsten des Angeklagten auf die Strafzumessungsentscheidung ausgewirkt hätte.
III.
12Die Verfahrensrügen des Angeklagten haben keinen Erfolg. Hierzu bemerkt der Senat:
131. Die Rüge der Ablehnung des Antrages vom auf Einholung eines psychiatrischen und psychotherapeutischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Zeuge D. unter einer psychischen Erkrankung in Form einer schizophrenen Psychose leide, ist unbegründet.
14a) Dahinstehen kann, ob es sich – entgegen der Annahme des Landgerichts – um einen Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO handelt.
15Es fehlt jedenfalls nicht an der Konnexität zwischen Beweismittel und Beweistatsache (vgl. , BGHSt 66, 250, 254). Mit dem Vorliegen einer schizophrenen Psychose wird eine Tatsache im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO behauptet, zu deren Vorliegen der Sachverständige als Beweismittel Ausführungen machen kann (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 498/19, NStZ 2020, 368, Rn. 6 und vom – 2 StR 348/20, Rn. 9). Zudem wäre die Diagnose einer solchen hier eine neue Anknüpfungstatsache für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Zeugen D. (vgl. , Rn. 3 f. und vom – 5 StR 199/00, Rn. 2; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 84 mwN).
16b) Der Antrag wurde indes – unbeschadet seiner Einordnung als Beweisermittlungsantrag – rechtsfehlerfrei abgelehnt.
17Der Senat kann dem Ablehnungsbeschluss hinreichend deutlich entnehmen, dass die Strafkammer sich auch bezogen auf den hier in Rede stehenden Antrag hilfsweise auf den Ablehnungsgrund der eigenen Sachkunde nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützt hat. Hiergegen ist rechtlich nichts zu erinnern. Die Strafkammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass es an tragfähigen Anhaltspunkten für das Vorliegen einer schizophrenen Psychose beim Zeugen D. fehlt.
18aa) Zwar zählt psychiatrisches Fachwissen nicht zu den allgemeinen Kenntnissen eines Richters, so dass die Prüfung, ob eine Person an einer schizophrenen Psychose erkrankt ist, von ihm regelhaft nicht ohne sachverständige Unterstützung erfolgen kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 3 StR 53/19, NStZ-RR 2019, 202, und vom – 5 StR 32/24, Rn. 10 f.). Das Tatgericht ist aber im Regelfall aus eigener Sachkunde in der Lage zu beurteilen, ob überhaupt Anknüpfungstatsachen vorliegen, die auf das Bestehen einer psychotischen Erkrankung hindeuten (vgl. auch , NStZ 1998, 366, 367). Solche hat die Strafkammer unter Berufung auf das im gegen D. geführten Verfahren eingeholte psychiatrische Gutachten, welches keine psychiatrischen Erkrankungen, sondern lediglich eine Persönlichkeitsakzentuierung festgestellt hat, rechtsfehlerfrei verneint.
19bb) Der Beweisantrag benennt auch im Übrigen keine Anknüpfungstatsachen, die ernsthaft auf das Vorliegen einer schizophrenen Psychose hindeuten. Dass ein vernommener Polizeibeamter den Zeugen als „verrückt und gefährlich“ charakterisiert und ihn mit „Hannibal Lecter“ verglichen habe, genügt dafür ebenso wenig wie die Beschreibung des D. als „schwierigen Charakter“ durch den Strafkammervorsitzenden aus dem gegen D. geführten Verfahren.
202. Die Rüge der fehlerhaften Behandlung des Antrages auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens vom dringt ebenfalls nicht durch.
21a) Der Rüge liegt zugrunde, dass der Vorsitzende nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen nach § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO bis zum gesetzt hatte. Am Tag nach Ablauf der Frist erschien ein Zeitungsartikel, der thematisierte, dass der gesondert Verfolgte D. aus der Haft einen Brief an eine kürzlich wegen Diebstahls verurteilte Frau geschickt habe und ihr in diesem diverse „Verhaltenstipps“ für den Alltag im Strafvollzug gegeben haben soll.
22Anknüpfend an diesen Zeitungsartikel beantragte die Verteidigung am , „den Zeugen D. durch einen sachverständigen Gutachter in Bezug auf die Glaubhaftigkeit der Angaben in seinen durch die Kammer beschlagnahmten Briefen zu explorieren“. Ein Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens war – wie oben ausgeführt − von der Verteidigung bereits am gestellt und von der Strafkammer unter Hinweis auf ihre eigene Sachkunde gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO ablehnend beschieden worden.
23Die Verteidigung begründete den neuen, nach Fristablauf gestellten Antrag damit, dass in dem Versenden des Briefes durch D. an die ihm unbekannte Inhaftierte die „gestörte Persönlichkeit“ des Zeugen zum Ausdruck komme. Der Artikel sei erst nach Ablauf der Frist des § 244 Abs. 6 Satz 3 StPO erschienen, so dass eine vorherige Antragstellung nicht möglich gewesen sei.
24Nach Beratung des Gerichts teilte der Vorsitzende mit, dass der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens erst im Urteil beschieden werde. Diese Erklärung wurde nicht beanstandet. In den schriftlichen Urteilsgründen ordnete die Strafkammer den Antrag als Beweisermittlungsantrag ein und lehnte ihn unter Hinweis auf die eigene Sachkunde ab (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO). Es lägen in der Persönlichkeit des D. zwar charakterliche Besonderheiten in Form von narzisstischen und dissozialen Zügen vor. Die Strafkammer sei aber dennoch in der Lage, die Angaben ohne sachverständige Hilfe zu würdigen. Dass der Antrag überhaupt in den Urteilsgründen beschieden werden durfte, begründete die Strafkammer damit, dass durch den Artikel keine neuen Tatsachen im Sinne des § 244 Abs. 6 Satz 4 StPO zutage getreten seien. Die Besonderheiten in der Persönlichkeit des D. seien hinlänglich bekannt gewesen.
25b) Der Rüge der fehlerhaften Ablehnung des Antrages vom auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bleibt der Erfolg versagt.
26aa) Es kann insoweit dahinstehen, ob das Regelungsgefüge des § 244 Abs. 6 StPO auf Beweisermittlungsanträge anwendbar ist (vgl. hierzu , Rn. 13 ff.; MüKo-StPO/Trüg/Habetha, 2. Aufl., § 244 Rn. 185m; Wostry in FS Sancinetti, 2020, S. 991 ff.). Auf einem etwaigen Verstoß gegen § 244 Abs. 6 Satz 4 StPO würde das Urteil jedenfalls nicht beruhen (§ 337 Abs. 1 StPO).
27bb) Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte und seine Verteidigung durch die unterbliebene Bescheidung des Beweisermittlungsantrages in der Hauptverhandlung in der Wahrnehmung ihrer Rechte beeinträchtigt worden sind (vgl. dazu auch (4) 161 Ss 89/12 (175/12), Rn. 28 ff.). Ein Informationsdefizit ist insoweit nicht entstanden.
28(1) Der Vorsitzende hat im Hauptverhandlungstermin vom unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass eine Verbescheidung des Antrages erst in den Urteilsgründen erfolgen werde. Dem konnten die Verfahrensbeteiligten entnehmen, dass die Strafkammer die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens nicht beabsichtigte. Beanstandet wurde dies nicht. Nach dieser Erklärung des Vorsitzenden wäre es den Verfahrensbeteiligten damit möglich gewesen, sich auf die Prozesslage einzustellen und – soweit aus ihrer Sicht erforderlich – weitere Beweisanträge zu stellen.
29(2) Aus welchen Gründen die Strafkammer von der Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens abgesehen hat, lag für den Angeklagten und seine Verteidigung ebenfalls auf der Hand, nachdem die Strafkammer bereits am einen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens mit näherer Begründung unter anderem aufgrund eigener Sachkunde gemäß § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO abgelehnt hatte. In jenem ablehnenden Beschluss hatte die Strafkammer ausgeführt, dass die Zuverlässigkeit der Angaben des D. zwar in Teilen in Frage gestellt sei, dies aber von der Strafkammer ohne sachverständige Hilfe berücksichtigt werden könne. Aufgrund der Erklärung des Vorsitzenden trat offen zutage, dass die Strafkammer auch eingedenk des erschienenen Zeitungsartikels an dieser Auffassung festhielt und sich die Würdigung der Angaben des Zeugen D. – rechtlich unbedenklich – aus eigener Sachkunde zutraute.
IV.
30Die Sache bedarf damit im Hinblick auf die Einziehungsentscheidung neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen sind von den Rechtsfehlern nur insoweit betroffen, als diese den exakten Wert der Tatbeute betreffen. Im Übrigen können die Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind – wie stets – möglich.
Menges Zeng Meyberg
Schmidt Lutz
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:310724B2STR44.24.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-78509