BSG Beschluss v. - B 5 R 130/22 B

Gründe

1I. Der im Jahr 1966 geborene Kläger begehrt vom beklagten Rentenversicherungsträger die Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (Umschulung zum Ergotherapeuten). Er hat ursprünglich den Beruf eines Elektromonteurs erlernt. 1998/99 schulte er auf Kosten der Agentur für Arbeit zum Speditionskaufmann um und war bis 2007 als Kaufmann beschäftigt. Seinen nach Durchführung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation im Juli 2011 gestellten Antrag auf eine weitere Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom ). Nachdem der Kläger im Widerspruchsverfahren erneut eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme durchlaufen hatte, bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Den nach einer Arbeitserprobung vom Kläger verfolgten Antrag, eine Umschulung zum Arbeitspädagogen finanziert zu erhalten, lehnte sie jedoch ab, weil eine solche Umschulung zur Wiedereingliederung nicht erforderlich sei (Bescheid vom ). Im anschließenden Klageverfahren schlossen die Beteiligten einen Vergleich, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, dem Kläger nach weiteren Ermittlungen eine geeignete qualifizierende Maßnahme außerhalb des Vorberufs als Kaufmann zu gewähren.

2Nach einer erneuten Arbeitserprobung sollte der Kläger im Juli 2016 an einem Vorbereitungslehrgang zum Arbeitspädagogen teilnehmen. Diese Maßnahme sagte der Kläger jedoch ab, weil er nunmehr ausschließlich eine Umschulung zum Ergotherapeuten anstrebte. Den hierauf gerichteten Antrag lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben ( und ). Das LSG hat ausgeführt, die Voraussetzungen einer sog "Ermessensreduktion auf Null" hinsichtlich der Auswahl der konkreten Teilhabeleistung lägen nicht vor. Die 18-monatige Ausbildung zum Arbeitspädagogen entspreche der regelmäßig zu beachtenden zeitlichen Vorgabe in § 37 Abs 2 SGB IX aF (nunmehr: § 53 Abs 2 SGB IX in der ab dem geltenden Fassung), während die Ausbildung zum Ergotherapeuten drei Jahre in Anspruch nehme. Zudem bestünden ernstliche Zweifel, dass der Kläger den körperlichen Anforderungen an die Tätigkeit eines Ergotherapeuten in voller Breite gewachsen sei. Von Bedeutung sei zudem, dass der Kläger eine Ausbildung zum Ergotherapeuten frühestens mit 59 Jahren abschließen könnte und deshalb eine dauerhafte Eingliederung in diesen Beruf fraglich sei.

3Der Kläger hat durch Prozessbevollmächtigte eines Sozialverbands, der ihn bereits in erster und zweiter Instanz vertreten hatte, Beschwerde zum BSG gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG eingelegt. Auf ihren Antrag wurde die Frist zur Begründung der Beschwerde bis zum verlängert. Am ging bei Gericht (ohne Begleitschreiben) eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers ein, die mit "BSG Kassel B-12395/22" überschrieben war. Auf Nachfrage teilten die Prozessbevollmächtigten am mit, sie legten die Vertretung des Klägers am heutigen Tage nieder. Grund hierfür sei, dass die Beschwerde nicht erfolgreich zu begründen sei, da keiner der Zulassungsgründe vorliege. Der Kläger selbst bat mit Schreiben vom , seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) dem Verfahren B 5 R 130/22 B zuzuordnen. Er halte weiterhin eine Überprüfung der Entscheidung des LSG für gerechtfertigt, da deren Begründung fehlerhaft sei. Noch vor zehn Jahren sei für ihn ein Arbeitsort bundesweit vorstellbar gewesen. Mit mittlerweile fünf Enkeln komme aber nur noch ein Beruf in Frage, für dessen Ausübung ein Verlassen des familiären und sozialen Umfelds nicht erforderlich sei. Die Ausbildung zum Ergotherapeuten könne wohnortnah erfolgen, während die Umschulung zum Arbeitspädagogen mit zusätzlichen Kosten für eine Internatsunterbringung verbunden sei. Im Übrigen habe der Prozessbevollmächtigte das Mandat ohne Rücksprache mit ihm niedergelegt.

4II. 1. Die Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

5Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann PKH nur bewilligten werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Das ist hier nicht der Fall. Deshalb kann offenbleiben, ob der Kläger noch rechtzeitig vor Ablauf der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde am ein hinreichend klares PKH-Gesuch bei Gericht angebracht hat oder ob die bloße Übersendung einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hierfür nicht genügt (vgl § 117 Abs 1 Satz 2 ZPO: "In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen"). Ebenso braucht nicht weiter vertieft zu werden, ob angesichts der Einkünfte der Ehefrau des Klägers und der ihr zugeflossenen Steuererstattung für 2021 sowie des tatsächlich realisierten Anspruchs auf Prozessvertretung durch einen Sozialverband die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Bewilligung von PKH überhaupt zulassen (vgl § 115 ZPO).

6Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten ist nicht zu erkennen, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, die bereits wirksam eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des erfolgreich zu begründen.

8Dass sich im Fall des Klägers Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen könnten, ist nicht erkennbar. Es ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall sowohl unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten iS des § 33 SGB I iVm § 9 SGB IX (in der bis zum geltenden Fassung; danach § 8 SGB IX) als auch der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowohl die Art als auch Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung der Leistungen zur Teilhabe nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt (vgl § 13 Abs 1 SGB VI in der ab dem geltenden Fassung; zum Ermessen s auch - BSGE 85, 298, 300 = SozR 3-2600 § 10 Nr 2 S 3; - BSGE 113, 40 = SozR 4-2500 § 33 Nr 41, RdNr 51 mwN). Eine solche Ermessensentscheidung ist gerichtlich nur in eingeschränkter Weise überprüfbar, nämlich dahingehend, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl § 54 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob in der spezifischen Fallgestaltung des Klägers eine Ermessensreduktion auf Null anzunehmen ist, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern obliegt der tatrichterlichen Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalls.

9Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG bei seiner Entscheidung von höchstrichterlicher Rechtsprechung entscheidungserheblich abgewichen wäre. Dass der Kläger die Entscheidung des LSG für falsch hält, ist für eine Nichtzulassungsbeschwerde ohne Bedeutung (vgl - juris RdNr 6 mwN).

10Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel erkennbar, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere hat das LSG die Beteiligten ordnungsgemäß dazu angehört, dass es beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 SGG zurückzuweisen. Die Stellungnahme des Klägers vom bot keine Veranlassung, von dieser Verfahrensweise abzusehen.

112. Die von den bisherigen Prozessbevollmächtigten des Klägers wirksam eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen, weil bis zum Ablauf der Begründungsfrist am keine formgerechte Begründung vorgelegt worden ist.

123. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG.Düring                Hahn                Gasser

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:260822BB5R13022B0

Fundstelle(n):
SAAAJ-78270