Instanzenzug: Az: 14 U 4124/20vorgehend LG Kempten Az: 63 O 596/19
Tatbestand
1 Die Klägerin nimmt die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) - die Abweisung der Klage gegen die vormals ebenfalls in Anspruch genommene Verkäuferin (Beklagte zu 1) durch das Landgericht ist im Laufe des Berufungsverfahrens rechtskräftig geworden - wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2 Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom von dritter Seite ein der Klägerin am übergebenes, von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug Porsche Macan S 95 BAD 1 Diesel als Neufahrzeug, das mit einem von der AUDI AG hergestellten 6-Zylinder-Motor mit 3,0 l Hubraum ausgerüstet ist.
3 Die Klägerin hat zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des von ihr bezahlten Kaufpreises abzüglich einer vom Gericht zu schätzenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz von (weiteren) Schäden (Berufungsantrag sowie Berufungshilfsantrag zu 2), die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 3) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Berufungsanträge zu 1, 3 und 4 weiter, soweit sie ihr Klagebegehren auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.
Gründe
4Die mit Blick auf die Rechtfertigung des Klageziels aus Delikt uneingeschränkt zugelassene (vgl. VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f. mwN) und auch im Übrigen zulässige Revision hat Erfolg. Die von der Klägerin vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gegenstandslos (vgl. VIa ZR 635/23, juris Rn. 4 mwN).
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könnte nicht festgestellt werden. Ein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften liege.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
C. Fischer Götz Rensen
Liepin Katzenstein
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:021024UVIAZR1500.22.0
Fundstelle(n):
DAAAJ-77815