BGH Urteil v. - VIa ZR 506/21

Instanzenzug: OLG Oldenburg (Oldenburg) Az: 6 U 182/21vorgehend LG Aurich Az: 5 O 1268/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb im Jahr 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Golf VII Variant, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen.

3Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultieren. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Klägerin habe keinen Anspruch gemäß § 826 BGB wegen der angeblichen Manipulation des Motors. Es könne bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Die Klägerin stütze ihre diesbezügliche Rechtsauffassung allein auf die vom KBA im Rahmen seiner Untersuchungen überprüften Funktionen zur Erkennung des Prüfstands sowie insbesondere auf das Thermofenster. Diese Funktionen seien aber nach den maßgeblichen Feststellungen des KBA keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. An diese Bewertung seien die Zivilgerichte wegen der Tatbestandswirkung der uneingeschränkt gültigen EG-Typgenehmigung gebunden. Unter diesen Umständen könne der Klägerin im Übrigen auch kein Schaden entstanden sein, denn weder habe eine Gefahr des Widerrufs der Zulassung des Fahrzeugs bestanden noch bestehe eine solche Gefahr

7Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus §§ 82631 BGB abgelehnt.

10a) Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, kann zwar die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem solchen Anspruch eines Fahrzeugerwerbers nicht entgegengehalten werden ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 bis 17; Urteil vom - VIa ZR 387/22, juris Rn. 8). Mit dieser Begründung hätte das Berufungsgericht daher nicht von der Berücksichtigung des entsprechenden Vortrags der Klägerin absehen dürfen. Auch kann ein Schadenseintritt nicht deshalb geleugnet werden, weil es bisher noch nicht zu Einschränkungen der Nutzbarkeit gekommen ist und weil das KBA Motoren der Baureihe EA 288 zwar geprüft, aber bisher von der Veranlassung eines Rückrufs oder von anderen einschränkenden Maßnahmen abgesehen hat ( aaO, Rn. 42).

11b) ie von der Klägerin gerügten Funktionen im Rahmen seiner Untersuchungen überprüft und nicht als unzulässige Abschalteinrichtungen eingestuft. Damit bleibt für die

122. Das Berufungsgericht hat es indes rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat ebenfalls nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl.  VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13Daher besteht zwar kein Anspruch der Klägerin auf Gewährung großen Schadensersatzes (vgl.  VIa ZR 335/21, Rn. 22 bis 27). Doch kann der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hätte die Berufung der Klägerin bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihr Gelegenheit zu geben, den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

III.

14Berufungsentscheidungaus

15Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

                                                  

                                          

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:091024UVIAZR506.21.0

Fundstelle(n):
DAAAJ-76629